Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 19. AUGUST 2019 THEMA DES TAGES 3


nicht einverstanden sind, also ist
nicht alles verloren. Ich war in
Paris zusammen mit dem briti-
schen Chefwissenschaftler für
Klimafragen, der ging damals wie
auf Wolken und rief: „Wir haben
es geschafft, wir haben es ge-
schafft!“


Sie haben mit Barack Obama
im Weißen Haus über Klima-
schutz gesprochen, würden Sie
das auch mit Donald Trump
tun?
Er hört nicht auf Argumente.
Trump hört nicht mal auf Leute
seiner eigenen Partei, warum
sollte er einem Naturspinner aus
England zuhören? Es scheint mir
nicht möglich zu sein, mit ihm
rational zu diskutieren, weil er
nicht rational zu sein scheint. Er
scheint die Irrationalität einiger
seiner Vorschläge nicht zu erken-
nen.


Wie wichtig ist Ihre Arbeit, um
Menschen für das Thema Um-
welt- und Naturschutz zu ge-
winnen?
Ich möchte weder ein großer
Prophet noch ein großer Moralist
sein. Ich würde es sogar vorzie-
hen, keine Filme über dieses The-
ma zu machen, gar nicht darüber
reden zu müssen. Ich würde lie-
ber mit einem Fernglas dasitzen
und mir Paradiesvögel ansehen.


Ich kann mir keine schönere Art
vorstellen, meine Zeit zu ver-
bringen. Aber wenn du siehst,
was passiert und was schiefgeht,
hast du die moralische Verpflich-
tung, darüber zu sprechen. Alles,
was du tun kannst, ist, weiter da-
rüber zu reden und darüber zu
schreiben und zu versuchen, die
richtigen Bilder zu zeigen.

Was hat sich denn geändert in
den vergangenen Jahrzehnten?
Zum Beispiel die Sache mit dem
Plastik. Ich spreche seit 20 Jah-
ren über das Problem des Kunst-
stoffs im Meer, wie in der Serie
„Blue Planet“, und die Leute ha-
ben es nicht bemerkt. Dann
plötzlich, aus irgendeinem
Grund, bumm! Alle sind besorgt!

Wie kommt das so plötzlich?
Ich weiß nicht, warum. Die Ver-
änderung liegt nicht an Leuten
wie mir. Der Wandel liegt in der
Zeit.

Und warum war bisher nicht
die Zeit?
Es ist sehr einfach, in einem klei-
nen Kokon zu leben, besonders
wenn man in sehr angenehmen
Umständen lebt. Es ist sehr
schwierig, zu erkennen, wie stark
wir abgefedert sind gegenüber
den Realitäten, wie sie in vielen
Orten Südamerikas oder Afrikas

herrschen. Aber wir beschäftigen
uns mit diesen dummen Streite-
reien um den Brexit. Die Welt
geht vor die Hunde, während wir
uns über dieses lächerliche...

...was halten Sie denn vom Bre-
xit?
Ich denke, dass es auf beiden Sei-
ten Fehler gibt. Ich denke, dass
die Irritation über die Art und
Weise, wie sich die Europäische
Gemeinschaft in das Leben der
Menschen auf alberne und dum-
me Weise eingemischt hat, viele
Menschen irritiert hat, die nicht
wirklich verstehen, was die Vor-
und Nachteile sind. Sie haben es
einfach satt, dass jemand da drü-
ben ihre Sprache nicht spricht
und ihnen sagt, wie viel Geld sie
für Tomaten oder sonst irgend-
was verlangen müssen. Deshalb
haben sie die Nase voll.

Sind Sie selbst eher für oder ge-
gen den Brexit?
Ich denke, es musste eine Verän-
derung geben, auf die eine oder
andere Weise. Und ich denke,
dass ... schauen Sie, ich bin alt ge-
nug, um mich an den letzten
Krieg zu erinnern. Während des
Krieges lebten deutschjüdische
Flüchtlinge in unserem Haus.
Wenn ich einen Mob sehe ... das
ist ein sehr, sehr hässlicher An-
blick. Und wenn ich sehe, wie

Menschen auf allen Seiten die
Vernunft verlieren und einfach
nur wütend werden, ist das kein
schöner Anblick. Und ich hoffe
nur, dass die Menschen sich an
den Wahnsinn erinnern, der Eu-
ropa damals in seinem Griff hatte
... schrecklich.

Blicken Sie besorgt auf die Zu-
kunft Ihres Landes?
Ja. Unser politisches System ist
zu diesem Durcheinander, zu die-
sem absurden Chaos geworden.
Ich weiß einfach nicht, was pas-
sieren wird.

Haben Sie für den Brexit ge-
stimmt?
Ich sage nicht, wofür ich ge-
stimmt habe.

Zurück zu Ihrer Karriere, Sie
hat mit dem Sammeln von Fos-
silien begonnen, richtig?
Ich kann mich nicht erinnern,
dass ich mich jemals nicht für die
Natur interessiert hätte. Und
was das Sammeln von Fossilien
angeht, kleine Jungen sammeln
alles. Meine Tätigkeit ist das
Sammeln und Klassifizieren von
Dingen, und ich habe nie damit
aufgehört. Andere große Natur-
forscher begannen auch auf diese
Weise. Darwin zum Beispiel war
verrückt nach Käfern, als er noch
Teenager war. Ich könnte genau-

so gut Busfahrkarten sammeln,
aber es macht mehr Spaß, Natur
zu sammeln, weil die Natur inte-
ressanter ist. Es gibt mehr Dinge,
die man über sie herausfinden
kann. Es ist schöner, es ist kom-
plexer.

Spüren Sie mit Ihren 93 Jahren
immer noch die Neugier des
Jungen von damals?
Oh, ja. Aber die Frage ist ja auch,
was man man lieber tun würde.
Würde man lieber noch alle mög-
lichen Dinge erleben – oder ein-
fach nur dasitzen und auf den Be-
statter warten? Ich habe zwei
künstliche Knie. Ohne sie müsste
ich wahrscheinlich auf einem
Stuhl sitzen, ich könnte nicht he-
rumlaufen. Aber ich habe diese
Knie, dank der modernen Medi-
zin, also mache ich weiter.

Mit einer Art moralischer Ver-
pflichtung hat das nichts zu
tun?
Nun, ich könnte natürlich sehr
einfach behaupten, das liegt da-
ran, dass ich eine Flagge vor mir
hertrage und eine Mission habe.
Aber in Wahrheit tue ich das, was
ich tue, einfach lieber, als hier in
einem Sessel herumzusitzen und
nichts zu tun. In den letzten fünf
Wochen war ich in Island, Costa
Rica, Schweden, Danzig ... Ich ha-
be eine tolle Zeit.

GETTY IMAGES

/ JOHN PHILLIPS
Free download pdf