Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

A


ls rheinland-pfälzi-
scher „Superminister“
für Wirtschaft, Ver-
kehr, Landwirtschaft
und Weinbau ist Volker Wissing
(FDP) schon von Amts wegen ein
Experte für Klimaschutz. Wis-
sing plädiert für eine klima-
freundliche Mobilität, von der
auch die Bauern profitieren wür-
den. Die Landwirtschaft steht für
den Minister derzeit besonders
im Fokus, weil er Vorsitzender
der Agrarministerkonferenz von
Bund und Ländern ist.


VON CLAUDIA EHRENSTEIN

WELT:Herr Wissing, die Bun-
desregierung will am 20. Sep-
tember erklären, wie es mit
dem Klimaschutz in Deutsch-
land weitergehen soll. Was er-
warten Sie?
VOLKER WISSING:Die Bundes-
regierung muss die Entwicklung
von Zukunftstechnologien för-
dern. Dazu gehören vor allem
synthetische Kraftstoffe, die eine
CO 2 -neutrale Mobilität ermögli-
chen.


Umweltfreundliche Mobilität
ist für Sie der Schlüssel für
mehr Klimaschutz?
Wir könnten den gesamten Luft-
verkehr auf synthetische Kraft-
stoffe umstellen. Das Patent für
diese Technologie stammt aus
dem Jahr 1925. Mit regenerativer
Energie ist es möglich, klima-
freundliches Kerosin zu syntheti-
sieren – wobei CO 2 als Rohstoff
dient. Es wäre ein großer Durch-
bruch, dieses Verfahren zur
Marktreife zu bringen. Die Bun-
desregierung nimmt jedes Jahr
rund eine Milliarde Euro aus der
Luftverkehrssteuer ein, die sie
zur Markteinführung syntheti-
scher Kraftstoffe nutzen sollte.


Das hört sich fast nach einer
Art Erneuerbare-Energien-Ge-
setz (EEG) für synthetisches
Kerosin an?
Das EEG hat den marktwirt-
schaftlichen Wettbewerb völlig
ausgeblendet, was uns jetzt bei
der Umsetzung der Energiewen-
de ausbremst. Jedenfalls ist es
keine Lösung, die Preise für das
Fliegen so zu erhöhen, dass es
sich nur noch wenige Menschen
leisten können. Mit der Verteue-
rung von Mobilität können wir
keinen sozialverträglichen Bei-
trag zur CO 2 -Minderung leisten.
Mit Verzicht kommen wir im Kli-
maschutz nicht weiter. Gerade in
ländlichen Regionen sind die
Menschen auf bezahlbare Mobili-
tät angewiesen. Synthetische
Kraftstoffe sind da die beste Lö-
sung.


Aber mit klimafreundlicher
Mobilität allein wird es nicht
gelingen, bis 2030 die Emissio-
nen um 55 Prozent zu reduzie-
ren. Wo sehen Sie weiteren In-
novationsbedarf?
Wir könnten CO 2 -neutrale
Chemiefabriken bauen – aber
nur, wenn international abge-
stimmte Standards gelten. Wir
dürfen beim Klimaschutz die
WWWettbewerbsfähigkeit unsererettbewerbsfähigkeit unserer


6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST


Der Verkehrssektor ist ein zen-
traler Hebel, um in Deutschland
den Klimaschutz voranzubrin-
gen. Dass dabei der Bahnver-
kehr eine größere Rolle spielen
muss, ist über die Parteigrenzen
hinweg Konsens. So soll etwa
die Mehrwertsteuer auf Bahnti-
ckets verringert werden.
Von der Landesregierung Nord-
rhein-Westfalens kommen nun
Vorschläge für einen tiefgrei-
fenden Umbau bei der Deut-
schen Bahn. Dabei geht es um
die Struktur des Unternehmens
wie auch um Zuständigkeiten –
und vor allem um die Strategie.
„Damit der Verkehrssektor
seine CO 2 -Ziele erreicht, muss
Deutschland wieder Bahnland
werden“, sagte der nordrhein-
westfälische Verkehrsminister
Hendrik Wüst (CDU) WELT.
„Das geht nur, wenn die Bahn
wieder stärker in der Fläche
präsent ist. Denn die Pendler

müssen zur Arbeit kommen,
aktuell gibt es zum Auto zu oft
keine vernünftige Alternative.“
Wüst fordert deshalb eine stär-
kere Einflussnahme der Län-
der auf die Entscheidungen
des bundeseigenen Unter-
nehmens.„Weil die Länder für
Schienennahverkehr zuständig
sind, sollten wir die Beteiligung
der Länder an der Bahninfra-
struktur diskutieren.“ Zugleich
verlangt er auch eine Neuaus-
richtung der strategischen
Ziele: „Die Infrastrukturtöchter
der Bahn sollten nicht weiter
auf Gewinnmaximierung aus-
gerichtet sein“, so der Christde-
mokrat. Infrastruktur sei Teil
der Daseinsvorsorge, deshalb
müsse gelten: „Mehr Bahn in
der Fläche statt Gewinnmaxi-
mierung.“ Der Infrastruktur-
bereich der Bahn umfasst Bau
und Betrieb des Schienennetzes
sowie die Zuständigkeit für

Personenbahnhöfe und die
Energieversorgung.
Bund und Bahn hatten sich auf
eine neue Leistungs- und Fi-
nanzierungsvereinbarung zum
Erhalt des zum Teil maroden
Schienennetzes in Deutsch-
landverständigt. Diese sieht
für die kommenden zehn Jahre
ein Gesamtvolumen von rund
8 6 Milliarden Euro vor. Das ist
erheblich mehr Geld als bisher.
Dennoch äußerte sich die Eisen-
bahn- und Verkehrsgewerk-
schaft EVG kritisch: Die Schiene
sei über Jahrzehnte vernach-
lässigt und auf Verschleiß ge-
fahren worden, hatte Gewerk-
schaftschef Alexander Kirchner
bemängelt. Das räche sich
heute in einem gewaltigen
Investitionsrückstau, der gegen-
wärtig auf 60 Milliarden Euro
zulaufe.
Das Klimakabinett der Bundes-
regierung will am 20. Septem-

ber über ein Maßnahmenpaket
für mehr Klimaschutz ent-
scheiden. Vor allem der Ver-
kehrsbereich muss liefern, da-
mit nationale und international
verpflichtende Klimaziele einge-
halten werden. Ins Zentrum der
Debatte ist ein Preis für den
Ausstoß klimaschädlicher Treib-
hausgase (CO 2 ) gerückt. NRW-
Verkehrsminister Wüst schlug
vor, die Neuausrichtung des
Bahnverkehrs in einem breiten
Konsens von einer Reform-
kommission erarbeiten zu las-
sen – ähnlich wie beim Kohle-
kompromiss.Dabei müssten
Planungsverfahren für schnel-
le Bahnlinien beschleunigt,
Bahnstrecken in der Fläche
reaktiviert, Radschnellwege
ausgebaut und verbindliche
Planungen für alternative
Antriebeund synthetische
Kraftstoffe vereinbart werden.
CLAUDIA KADE

Mehr Bahn in der Fläche statt Gewinnmaximierung

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/ TOBIAS TITZ;

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CO 2 als Rohstoff für neue Kraftstoffe: Für FDP-Politiker Volker Wissing ist es der Schlüssel, sich


klimaneutral zu bewegen. Ein Gespräch über Bauern, Wälder und Traktoren mit Elektroantrieb


„Mit Verzicht kommen


wir im Klimaschutz


nicht weiter“

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