Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

schen den einzelnen Patzern
auch noch kürzer. Allein im Au-
gust musste sich die Vorsitzende
schon zweimal berichtigen. Wo-
bei die Frage ist – und das ist


durchaus ein zentraler Punkt –,
ob nicht die Berichtigungen und
Klarstellungen das Hauptpro-
blem der bisherigen Kommuni-
kation der CDU-Chefin sind. So

macht sie sich nämlich noch an-
greifbarer, so trägt sie selbst da-
zu bei, dass Debatten fortdauern.
So bestätigt sie erst recht den
Eindruck, dass es ihr offensicht-
lich an politischem Instinkt fehlt.
Wie jetzt im Fall Maaßen. Vor
einer Woche rührte sie sogar an
einer Grundüberzeugung der
Union: der schwarzen Null. „Die
jetzige Regelung zu einer schwar-
zen Null im Grundgesetz“ sehe
„Ausnahmemöglichkeiten vor,
etwa für den Fall einer Krise“,
sagte sie. Daran war mehrerlei
verwunderlich. Zum einen steht
die schwarze Null nicht im
Grundgesetz, wohl aber die
Schuldenbremse, die Kramp-Kar-
renbauer wohl eigentlich meinte.
Zum anderen war es bisher Kern-
element von CDU-Politik, an der
schwarzen Null nicht zu rütteln,
Krise hin oder her. Am Donners-
tag kam denn auch die Klarstel-
lung von der CDU-Chefin: „Na-
türlich halten wir an der schwar-
zen Null fest.“
In Erklärungsnot kam sie auch
bei der Übernahme ihres neuen
Postens als Verteidigungsminis-
terin. Denn bis dahin hatte sie
ausgeschlossen, ins Kabinett zu
wechseln. Sie wolle sich ganz auf
die CDU konzentrieren, ließ sie
auf entsprechende Nachfragen
immer wissen. Der Sinneswandel
kratzte an ihrer Glaubwürdig-
keit, was hätte vermieden wer-
den können, hätte sie etwas va-
ger auf entsprechende Fragen ge-
antwortet.
Doch genau das wollte Kramp-
Karrenbauer ja nicht. Sie wollte
sich nicht ins Ungefähre oder Va-
ge flüchten, wie es die Bundes-
kanzlerin seit jeher tut. Doch ei-
nen Modus, klare Antworten zu
geben und dabei möglichst keine
Fehler zu machen, hat Kramp-
Karrenbauer bis jetzt nicht ge-
funden. Angela Merkels Worte
sind selten klar und eindeutig.
Sie formuliert oft unverständlich
und umständlich. Ein Ton, der
aus der Zeit gefallen scheint in
Anbetracht von Twitter und Co.
Doch Merkel hält stur daran fest.

Das ist aber nicht das Einzige,
was die beiden Politikerinnen
unterscheidet. Merkel berichtigt
sich nicht. Und das ist vielleicht
wichtiger. Sie verteidigt das ein-
mal Gesagte immer wieder,
selbst wenn es ihr wieder und
wieder vorgehalten, wenn sie
scharf angegangen wird. Der Satz
„Das habe ich so nicht gemeint“,
den gibt es von Merkel nicht. Um
ein Bild zu wagen: Wenn Kramp-
Karrenbauer an der Wand steht,
dann wird sie unsicher. Wenn
Merkel an der Wand steht, dann
wird sie zur Wand.
Im Juni gratulierte Kramp-Kar-
renbauer dem CDU-Kandidaten
aus Görlitz per Twitter zu seiner
Wahl zum Oberbürgermeister.
Die Art und Weise, wie sie das tat,
indem sie den Sieg als reine CDU-
Angelegenheit darstellte, gefiel
nicht allen. Anstatt dies hinzu-
nehmen, gab sie aber de facto ei-
nen Irrtum zu, indem sie einen
Tweet nachschob: „Natürlich ist
der Sieg von Octavian Ursu der
Sieg eines breiten Bündnisses, für
das ich dankbar bin.“
Am 27. Mai sinnierte sie am
Ende einer langen Pressekonfe-
renz nach der Europawahl darü-
ber, ob Meinungsmache im Inter-
net okay sei. In der Woche zuvor
hatte der YouTuber Rezo die
CDU aufgeschreckt. Die anfäng-
liche Nichtreaktion und spätere
schlechte Reaktion der Partei-
führung auf seinen Clip müssen
als bisher größtes Kommunikati-
onsversagen der Chefin gelten.
Plötzlich hieß es nun auch noch,
Kramp-Karrenbauer wolle die
Meinungsfreiheit beschränken.
Und wieder erklärte sie sich: „Es
ist absurd, mir zu unterstellen,
Meinungsäußerungen regulieren
zu wollen.“
Die Europawahl brachte noch
ein weiteres Kommunikationsde-
saster hervor. So analysierte das
Adenauerhaus, dass die Wahl
auch deshalb nicht erfolgreich
ausgegangen sei, weil sich in Tei-
len der CDU, etwa der Jungen
Union (JU), ein Rechtsruck voll-
zogen habe. Das fand die JU alles

andere als lustig. Obwohl die
Analyse von einem ihrer engsten
Mitarbeiter stammte, ließ die
Vorsitzende nach innerparteili-
cher Kritik wissen: „Es gibt an
keiner Stelle einen Rechtsruck,
weder in der CDU noch in der
Jungen Union.“
Etwas sagen und es nicht so
gemeint haben – das ist also die
Kramp-Karrenbauer-Methode.
Wie lange geht das gut? Dass ihr
die eigenen Leute immer öfter
beispringen müssen und die Che-
fin verteidigen, schwächt ihre
Führungskraft. Dass die CSU
sich etwa auf die Zunge beißt und
meist kein Wort zu den Patzern
verliert, ist sicher auch eher Aus-
weis einer gewissen Verzweif-
lung als von Zustimmung.
Dabei hatte Kramp-Karren-
bauer anfangs souveräner agiert.
Anfang März hatte sie auf einer
Karnevalsveranstaltung in Stock-
ach einen Witz über Intersexuel-
le und Toiletten gemacht. Dafür
gab es heftige Kritik von den lin-
ken Parteien und Zuspruch von
der AfD, die Medien kritisierten
sie ebenfalls mehrheitlich. Da-
mals aber reagierte Kramp-Kar-
renbauer noch nicht wie heute
sofort mit einer Klarstellung
oder einem Ich-hab-das-nicht-
so-gemeint-Satz.
Sie erklärte sich erst mal eini-
ge Tage gar nicht. Und stellte
sich dann am politischen Ascher-
mittwoch öffentlich hin, sprach
von künstlicher Aufregung und
sagte: „Wenn wir da so verkramp-
fen, wie wir es in den letzten Ta-
gen getan haben, dann geht ein
Stück Tradition und Kultur in
Deutschland kaputt, und das soll-
ten wir nicht zulassen.“ Ihre Kri-
tiker kochten, aber die Debatte
ebbte schnell ab. In den Wochen
danach allerdings brachen ihre
Beliebtheitswerte in der Bevölke-
rung ein. Kramp-Karrenbauer
ging nun dazu über, sich für ihre
Kommunikation zu rechtferti-
gen. Eine Strategie, die ihre Au-
torität mit jedem weiteren Pat-
zer weiter untergräbt.
Mitarbeit: Robin Alexander

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 19. AUGUST 2019 POLITIK 5


neuen Label „SPDpur 2030“ ver-
meidet alles, was als aufrührerisch
empfunden werden könnte. Der
Sprecher der Initiative heißt Tim
Kähler, ist Bürgermeister in der
nordrhein-westfälischen Stadt
Herford. Kähler will den Eindruck
zerstreuen, dass sich da ein rebel-
lischer Zirkel gebildet hat. „Wir
unterscheiden uns gar nicht von
der SPD, sondern wir begreifen
uns als Initiative innerhalb der
SPD. Wir sind nicht das kleine gal-
lische Dorf. Wir sind eine bundes-
weite Initiative und haben Unter-
stützer aus der gesamten Repu-
blik“, erklärt der 51-Jährige im
WELT-Gespräch. Nach etwas
mehr als einer Woche bei Face-
book haben sich fast 35.000 Perso-
nen den Aufruf angesehen.
Die Initiative vermeidet Miss-
töne, sie verurteilt weder die
AAAgenda-2010-Politik noch diegenda-2010-Politik noch die
Hartz-Gesetzeund diskreditiert


auch nicht die damaligen Ent-
scheidungsträger. „Man sollte auf-
hören, ständig darüber nachzu-
denken, ob man vor 15 Jahren die
richtige oder falsche Entschei-
dung getroffen hat“, sagt Kähler.
„„„Wir sollten nicht nach hinten dis-Wir sollten nicht nach hinten dis-
kutieren. Die damalige Sozial-
staatsreform wurde von einer rot-
grünen Bundesregierung unter
bestimmten Rahmenbedingungen
umgesetzt. Heute haben wir ganz
andere Rahmenbedingungen.“
Passend dazu hat der Bürger-
meister ein Papier zum Sozial-
staat der Zukunft mitverfasst. Da-
rin werden die Regelungen für Ar-
beitslose nachjustiert, es gibt län-
gere Hilfsleistungen in Abhängig-
keit zu den Beitragszeiten, ein er-
höhtes Wohngeld, langfristig so-
gar eine Umwandlung des bisheri-
gen Sozialgesetzbuchs SGB II zur
Grundsicherung für Arbeitsu-
chende. Der Entwurf spiegelt die

Stimmung in der Partei und den
WWWunsch, Ungerechtigkeiten zuunsch, Ungerechtigkeiten zu
beseitigen und den Hartz-IV-
Fluch zu überwinden.
„Zwei entscheidende Themen
sorgen momentan für eine große
Verunsicherung in Deutschland“,
sagt Kähler: „Das ist das Thema
Sicherheit und die Angst vor dem
sozialen Abstieg.“ Deshalb propa-
giere die SPDpur 2030 neben ei-
ner Erneuerung des Sozialstaates
auch eine konservativere Strate-
gie bei der inneren Sicherheit.
„Gewisse Probleme der Men-
schen wurden von der SPD lange
nicht erkannt, wie etwa das The-
ma Sicherheit. Die Menschen be-
rührt es, wenn sie merken, dass
die Polizei überlastet ist und dass
Strafverfolgung nicht schnell ge-
nug geschieht.“
AAAuch in der Migrationspolitikuch in der Migrationspolitik
müsse geltendes Recht besser um-
gesetzt werden. Kähler klagt über

Einwanderer, die das deutsche So-
zialsystem schamlos ausnutzten.
Es brauche mehr Effektivität bei
deren Abschiebung. „Es gibt viele
Menschen, die hier gut angekom-
men sind, die fleißig sind und ar-
beiten, aber es gibt auch eine klei-
ne Minderheit, die die ganze Stim-
mung versaut.“
Der Gesundheitspolitiker Karl
Lauterbach, der für den SPD-Par-
teivorsitz kandidiert, wirft der Ini-
tiative eine „rückwärtsgewandte“
RRRhetorik vor. In einigen Äußerun-hetorik vor. In einigen Äußerun-
gen werde der Eindruck erweckt,
es habe 2015 eine Alternative zur
AAAufnahme von mehreren Hundert-ufnahme von mehreren Hundert-
tausend Flüchtlingen gegeben; das
seien „beinahe AfD-Positionen und
nicht die Linie der SPD“, echauf-
fffierte sich Lauterbach.ierte sich Lauterbach.
Das Wort „pur“ beschreibt den
WWWunsch nach einem klaren sozial-unsch nach einem klaren sozial-
demokratischen Kurs. „Wir müs-
sen klarer sagen als bisher, wofür

steht die SPD, was ist der Kern,
was ist das Pure der SPD. Das
nicht endende Diskutieren hat da-
zu geführt, dass es auch für den
nächsten Vorsitzenden oder auch
die nächste Vorsitzende schwierig
wird, die gesamte Partei hinter
sich zu bringen“, sagt Bürgermeis-
ter Kähler.
Bisher hat sich die Initiative
nicht an der Suche nach einer neu-
en Parteiführung beteiligt, keine
Empfehlungen, keine Namen. Es
müsse anhand der beschlossenen
Inhalte bewertet werden, „welche
Personen dann auch geeignet
sind, diese Inhalte seriös und
nachhaltig zu vertreten und wie-
der mehr Menschen davon zu
üüüberzeugen, SPD zu wählen“, sagtberzeugen, SPD zu wählen“, sagt
Kähler. Und er selbst in der Füh-
rung? Das will der Bürgermeister
lieber nicht: „Ich glaube, dass es
viele Menschen gibt, die viel er-
fffahrener sind.“ahrener sind.“

Ein Patzer


für jeden


Monat ihrer


bisherigen


Amtszeit


Inzwischen passieren CDU-Chefin


Annegret Kramp-Karrenbauer schwere


Fehler in immer dichterer Folge. Wie lange


wird ihre Partei das noch mitmachen?


Kramp-Karrenbauer fällt in der Beliebtheit zurück

Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Infratest Dimap

Politbarometer von Forschungsgruppe Wahlen und Deutschlandtrend von
Infratest Dimap ���� im Vergleich


Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug.













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