Süddeutsche Zeitung - 19.08.2019

(Ron) #1

Wer mit seiner Musik Geschichten erzäh-
lenmöchte, ist im Hip-Hop eigentlich gut
aufgehoben: Mithilfe des schnellen, für das
Genre typischen Sprechgesangs, dem Rap,
können die Musiker eine schier endlose
Zahl an Worten über ihre Zuhörer ausschüt-
ten und die großen und kleinen Dramen
des Lebens thematisieren. Manchmal
klappt das, etwa wenn das Berliner DuoZu-
gezogen Maskulinin „Plattenbau O.S.T.“
über ostdeutsche Trostlosigkeit rappt. Oft
scheitert es aber auch, was wiederum an
den Eigenheiten des Genres liegt: Wer be-
sonders schnell rappt, tut dies meist auf
Kosten der Verständlichkeit: Der Song
„Panda“ des US-Rappers Desiigner, der
2016 auf Platz eins der „Billbo-
ad-100-Charts“ landete, ist so unverständ-
lich, dass der Musiker ihn in einem eigenen
Video für die Songtext-Datenbank Genius
Wort für Wort erklären musste. Aber selbst
wenn man klar und deutlich rappt, hat man
als Musiker nur begrenzten Einfluss auf
die Interpretation des eigenen Werks. Bei-
spielsweise ist „Biergarten Eden“ vonK.I.Z
nicht das patriotische Manifest, für das es



  • zur großen Irritation der Rapper – manch-
    mal gehalten wird. Nun kann man es ma-
    chen wieDesiignerund in nachträglichen
    Erklärvideos das eigene Genuschel überset-
    zen. Oder aber man arbeitet von Anfang an
    mit der Prämisse, dass ein Song nicht unbe-


dingt verständlich sein muss, um etwas zu
bedeuten.
Der 27-jährige Christopher Israel Smith
aliasC-Ras(FOTO: NIELS JÄGER)ist davon über-
zeugt. „Ich setze mich nicht hin und sage:
‚Ich schreibe jetzt einen Song über ein be-
stimmtes Thema‘“, erklärt er. Vielmehr ist
er auf der Suche nach abgekapselten Wort-
spielen und flüchtigen Gedankenfetzen.
Diese Fragmente können mal witzig und
selbstironisch sein, mal düster und bedeu-
tungsschwanger. Am wichtigsten ist aber:
der Klang der Worte. „Ich starte meistens
mit einem Wort, das mir gefällt, und hangle
mich von dort aus weiter“, sagt Chris. So
entstehen dann auch kryptisch anmutende
Songs wie „IAK KMO“, den er zusammen
mit seinem Rap-KollegenD-Rasaufgenom-
men hat.
Die Inspiration für den Titel war das
Akronym des Isar-Amper-Klinikums Mün-
chen-Ost, das im Song selbst aber nicht wei-
ter behandelt wird. Die Texte von C-Ras al-
lein auf Zufälle zu reduzieren, wäre aller-
dings zu kurz gegriffen: Inhaltlich taucht
immer wieder das Leben in München auf,
auch die eigene Hautfarbe und Racial Profi-
ling durch Polizeibeamte spielen eine Rol-
le. Oder er nimmt sich selbst aufs Korn, wie
etwa in „Haust du mich“. In dem Song stellt
er fest: „Mein Selbstbewusstsein ist im
Arsch so wie ein Tanga.“

Getragen werden die Reime von schlep-
penden Beats, die sich gegenseitig immer
wieder in den Rhythmus fallen, nur um ein
paar Takte später wieder zur eigentlichen
Hook zurückzufinden. Die drückenden
Kicks im Hintergrund lassen die Musik oft
ein bisschen schalkhaft und gemein klin-
gen. Meistens sind die Songs kurz und kom-
plex, was auch mit der Arbeitsweise von
C-Ras zu tun hat: Zwar produziert er digi-
tal. Um Inspiration zu finden, ist er aber re-
gelmäßig in Plattenläden unterwegs. Dort
kauft er dann einen Stapel Schallplatten –
vor allem die Sechziger- und Siebzigerjah-
re haben es ihm angetan – und sucht zu
Hause nach geeigneten Samples für seine
Tracks. Dabei bedient er sich munter aus
den unterschiedlichsten Genres: Kraut-
rock, Brazil-Jazz, Reggae und Klassik – es
gibt kaum eine Musikrichtung, mit der
C-Ras noch nicht herumexperimentiert
hat.
Entsprechend abwechslungsreich fallen
seine Tracks aus. Aktuell beendet er die Ar-
beit an einem Instrumental-Album, inner-
halb des nächsten halben Jahres soll außer-
dem ein neues Album mit seiner Rap-Crew
Greenery Force erscheinen. Auch live kann
man C-Ras erleben. Am Samstag, 9. Novem-
ber, wird er beim „Sound of Munich Now“
im Feierwerk auftreten.
wolfgang westermeier

Stil:Hip-Hop
Besetzung:ChristopherIsrael
Smith
Aus:München
Seit:Seit 2014
Internet:www.face-
book.com/crasthebeatsmith

C-Ras


BAND DER WOCHE


interview: amelie geiger

F


ünf verschiedene Menschen auf der
Leinwand. Und doch vereint sie et-
was. Es sind die Narben, Krümmun-
gen und Verformungen, die ihren Rücken
zeichnen. Und sie sind alle in einem Film
von Fariba Buchheim, 24, zu sehen. Nackt,
ganz intim, mit all ihren Narben und For-
men. Fariba Buchheim erzählt in ihrem
Film „Formen“ nicht nur die Geschichte
von diesen fünf Menschen, sondern auch
ihre eigene. Bei ihr selbst wurde in ihrem



  1. Lebensjahr Skoliose diagnostiziert, ei-
    ne Wirbelsäulenverkrümmung, die die Be-
    weglichkeit einschränkt. Ein Interview
    über Schmerzen, Selbstzweifel, aber auch
    Mut und Hoffnung.


SZ: Fariba, warum wolltest du dich ausge-
rechnet mit Skoliose auseinandersetzen?
Fariba Buchheim: Ich wurde wegen mei-
ner Skoliose drei Mal an der Wirbelsäule
operiert. Bei den letzten beiden Operatio-


nen öffneten mich die Chirurgen wirklich
vom Hals bis zum Becken. Darum sind Rü-
ckenerkrankungen wie Skoliose und Ky-
phose und damit auch Formen und Verfor-
mungen meine ständigen Begleiter.

Diese OPs sind ja ein Risiko. Schlimmsten-
falls landet man im Rollstuhl.
Ja, aber ich musste die Operationen ma-
chen. Meine Wirbelsäule wäre sonst vorne-
über geklappt, sodass meine Organe hät-
ten Schaden nehmen können. Und ich woll-
te optisch auch nicht damit leben, dass ich
einen Rücken habe, der aussieht wie der
von Quasimodo. Das ist nicht das, was du
als 13-Jährige mittragen willst – mitten in
der Pubertät. Als dann natürlich noch der
gesundheitliche Aspekt dazu kam, waren
die Risiken von der Operation zumindest
für mich nebensächlich.

Und das wolltest du dann auch in deinem
Film zum Ausdruck bringen. Wie hast du
die Protagonisten gefunden?

Ich habe auf Facebook in einem Post nach
Darstellern gesucht. Und ich dachte, dass
sich vielleicht vier oder fünf Menschen mel-
den. Am Ende hatte ich mehr als 50 Nach-
richten.

Weil wahrscheinlich viele betroffen sind,
die Krankheit aber eher unbekannt ist.
Ich glaube, es ist auch viel Frust dabei,
denn die Beiträge, die es über Skoliose
gibt, sind häufig stigmatisierend. Als
Mensch mit Buckel bist du in Filmen im-
mer der Bösewicht, der Kranke, oder der
Psychopath. In der Geschichte sind der ge-
rade Rücken und die Rückenansicht ein his-
torisches Bildnis. Am meisten frustriert
hat mich, dass es keinen Beitrag über Skoli-
ose gibt, indem es darum geht, was die
Menschen eigentlich fühlen und was sie ab-
seits von den medizinischen Aspekten be-
schäftigt. Da war es natürlich von Vorteil,
dass ich selbst betroffen war und mir eben
auch ganz andere Fragen stelle, als je-
mand, der keine Skoliose hat.

Was war dir besonders wichtig beim
Dreh?
Ich habe recht viel Dreherfahrung und
wusste ganz genau, wie ich es haben woll-
te. Wenn ich etwas im Kopf habe, dann ver-
suche ich es exakt so umzusetzen, wie ich
es möchte. Wir waren eigentlich nur vier
Menschen in der Produktion, und meine

Mutter, die Darstellerbetreuerin war. Ich
wollte, dass die Darsteller von jemandem
in Empfang genommen werden, der eine
Verbindung mit Skoliose hat. Und es war
mir wichtig, dass am Set nur Frauen sind,
wenn gedreht wird, weil die Hauptdarstel-
ler hauptsächlich weiblich waren. Es war
nur ein Mann dabei.

Welche Bedeutung hatte es für dich, Skoli-
ose im Film darzustellen?
Ich glaube, man muss sehr viel an sich ar-
beiten, um seinen Körper genau so zu ak-
zeptieren, wie er ist. Mit meinem Film „For-
men“ war ich an einem Punkt, an dem ich
erkannt habe, dass auch die Sachen etwas
Besonderes sind, die man nicht so schön
findet.

Jede schlechte Sache hat ja am Ende dann
doch irgendwie etwas Gutes.
Ja total. Auch, dass der Film so gut läuft
und sogar auf Festivals gezeigt wird, bestä-
tigt mich sehr. Ich habe dieses Jahr auch
viele Preise gewonnen. Aber das Größte
war eigentlich, dass wir bei den Internatio-
nalen Filmfestspielen in Cannes teilneh-
men durften. Das war Wahnsinn.

Weitere Informationen im Internet unter
http://www.facebook.com/nozyfilms oder http://www.insta-
gram.com/wearenozy.

Frauenbild


Wasist „weiblich“? Frauen sind es, sagtAli-
na Oswald, 27. Und Männer auch. Die Foto-
grafin und jetzt auch Filmemacherin hat
„Weiblichkeit“ als Thema ihrer ersten eige-
nen Filmreihe gesetzt. Darin möchte sie
die Definition von Weiblichkeit am liebs-
ten gleich ganz auflösen. „Es ist die Stel-
lung der Frau in der Gesellschaft, die oft
am deutlichsten die Weiblichkeit zeigt“,
sagt Alina. Denn meist würden Dinge wie
Emotionalität oder Empathie mit ihr ver-
bunden, die Frauen in eine unterdrückte
Rolle drängen könnten. Weiblichkeit hat
für Alina dagegen viele Facetten, die sich
unabhängig von Geschlecht oder Sexuali-
tät ausdrücken. Um sich dieser Vielschich-
tigkeit besser nähern zu können, experi-
mentiert sie nun mit einer Kombination
aus Film, Text und Musik: „Ein Foto wäre
mir zu starr für das Thema. Ich brauche Be-
wegung.“ luise glum

Hochzeitsbild


Wie bindet man geliebte, verstorbene Men-
schen in seine Hochzeit ein? Braucht es
noch Blumenkinder? Und wie lässt sich der
beste Ort für ein Fotoshooting finden? Die
Antworten auf solche Fragen gibt es wö-
chentlich auf dem Instagram-Account von

Gloria Schwan. Die 25-jährige Hochzeits-
fotografin veröffentlicht dort ihre Bilder
und erzählt mittwochs und freitags unter
ihren Rubriken „Wedding-Wednesday“
und „Foto-Friday“ von ihren Erfahrungen.
Für das nötige Expertenwissen lässt sie da-
bei auch etwa Hochzeitsplaner zu Wort
kommen. „Eigentlich gibt es keinen
Grund, warum mir Leute folgen sollten.
Klar, die Bilder sind ganz nett. Aber es ist
nicht so, dass ich sagen würde, da wäre viel
geboten. Ich wollte einfach sowohl den
Brautpaaren, als auch den Fotografen-Kol-
legen mehr Mehrwert bieten“, erklärt Glo-
ria ihre Idee. aylin dogan

„Man muss an sich arbeiten,
um seinenKörper genau so
zu akzeptieren, wie er ist.“

„Ich wusste genau, wie ich es haben wollte“


Als Fariba Buchheim zwölf Jahre alt war, wurde bei ihr Skoliose diagnostiziert, eine Wirbelsäulenverkrümmung. Jetzt, zwölf Jahre später, hat sie einen Film
über diese Krankheit gedreht: „Formen“. Ein Gespräch über Schmerzen, Selbstzweifel, aber auch über Mut und Hoffnung

Eine Minute vor zehn, kurz vor Schluss al-
so, fiel der Strom aus. Der Singer-Songwri-
ter Paul Kowol braucht ein paar Sekunden,
um die Situation zu erfassen. Paul hebt die
Stimme: Es müsse ja irgendwie weiterge-
hen und eigentlich gäbe es nur eines zu
tun, sagt er, während er schon wieder seine
Akustikgitarre anschlägt. Keine fünf Minu-
ten später funktioniert die Technik wieder.
Manchmal muss man wohl einfach impro-
visieren, auch an diesem Samstagabend.
Paul ist einer der Musiker, die auf der
Musikbühne beim Sommerfest des Bahn-
wärter Thiel auftreten, einer Zwischennut-
zung bis 2022 auf dem Gelände der ehema-
ligen Großviehhalle. Die anderen Künstler
sind Elena Rud, LORiiA und die BandKann-
heiser. Das Team der Junge Leute-Seite
der SZ suchte die Musiker aus und präsen-
tierte das Konzert.
Die Bühne, wenn man sie denn so nen-
nen möchte, ist ein ausrangierter Schienen-
wagen, etwa acht Quadratmeter groß.
Über der Bühne sind zwei ockergelbe La-
ken gespannt. Ziemlich eng also, aber Ele-
na, dem ersten Act, scheint das nichts aus-
zumachen. Sie spielt eine Mischung aus al-
ten und neuen Liedern und hält mit ihrer
Stimme auch viele Menschen an, die ei-
gentlich nur vorbeigehen wollen. Kannhei-
ser spielen als zweites, für sie ist das erst
der dritte Auftritt. Und dann ist auch noch
ihr Bassist im Urlaub und der Platz zu eng.
Dennoch zieht ihr elektro-poppiger Sound


viel Publikum an. Mit LORiiA und Paul
wird der Abend ruhiger. Ihre Stimme ist
klar und kräftig, begleitet wird sie von Eli-
sa von Wallis auf dem Cello und dem Piano.
Pauls sentimentale Musik kommt gut an,
wo es doch gerade dunkel wird. Nach zwei
Songs stellt er das Mikrofon vor die Bühne,
spielt quasi im Publikum.
Die Bühne selbst steht am Wegesrand,
zehn Meter Asphalt trennen sie von einer
kleinen Grube. Wo kein Platz für die Zu-
schauer ist, setzen sie sich einfach auf den
Weg. Nicht lange und man kommt kaum
noch durch die Menschenmenge, so gut
kommt das Konzert an. Die Künstler unter-
einander lernen sich kennen, vernetzen
sich. Sie alle bleiben bis zum Schluss.
Kim Westphal, eine Zuschauerin, die zu-
sammen mit einer Freundin zum Bahnwär-
ter Thiel gekommen ist, ist von den Bands
begeistert. Die beiden sind öfter hier, Kim
sagt: „München braucht mehr solcher Or-
te. Es ist schade, dass es nur eine Zwischen-
nutzung ist.“ Der Musiker Paul scheint das
ähnlich zu sehen: Er wisse ja nicht, wer das
bei der Stadt entscheidet, aber er würde
das hier nicht einreißen, sagt er zwischen
zwei Songs. Sicherlich, es werde auch nach
dem Bahnwärter noch Auftrittsorte in
München geben, sagt die Zuschauerin
Kim. Und doch ist es ein Ort weniger, an
dem man improvisieren kann und es wie
Paul beim Stromausfall manchmal auch
muss. max fluder

München lebt. Viele junge Menschen in der
Stadt undim Umland verfolgen aufregende
Projekte, haben interessante Ideen und kön-
nen spannende Geschichten erzählen. Auf die-
ser Seite werden sie Montag für Montag vorge-
stellt – von jungen Autoren für junge Leser.
Lust mitzuarbeiten? Einfach eine E-Mail an die
[email protected]
cken. Weitere Texte findet man im Internet un-
terhttp://jungeleute.sueddeutsche.deoder
http://www.facebook.com/SZJungeLeute. SZ

Das Gelände der ehemaligen Großviehhalle kann der Bahnwärter Thiel bis 2022 (Bild oben links) nutzen. Beim Sommerfest spielten LORiiA (Mitte) und die Band Kannheiser
(rechts). Das Team der Junge Leute-Seite präsentierte das gut besuchte Konzert. FOTOS: FLORIAN PELJAK

Der Reiz des


Improvisierens


Beim Sommerfest des Bahnwärter Thiel wird es eng


NEULAND


Mitihrem Film „Formen“ nahm Fariba
Buchheim bei den Filmfestspielen in
Cannes teil. FOTO: ANDREAS PFOHL

JUNGE LEUTE


R4 (^) JUNGE LEUTE Montag, 19. August 2019, Nr. 190 DEFGH

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