Süddeutsche Zeitung - 20.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1

Wer Hans-Georg Maaßen zuhörte bei sei-


nem ersten Auftritt im sächsischen Wahl-


kampf, der konnte den Eindruck gewin-


nen, der Mann sei noch immer im Amt.


Selbstgewiss dozierte der ehemalige Präsi-


dent des Bundesamtes für Verfassungs-


schutz über die Sicherheitslage in Deutsch-


land – über Kriegsrückkehrer, „die besser


mit der Kalaschnikow umgehen können


als mancher Landespolizist“. Über islamis-


tische Gefährder, aber auch über „radikali-


sierte Familienväter“, die aus einer bürger-


lichen Existenz heraus Angriffe auf Flücht-


lingsheime starten.


Maaßen war Anfang der Woche auf Ein-

ladung der konservativen Werte-Union


und des sächsischen Landtagspräsidenten


Matthias Rößler (CDU) in den „Goldenen


Anker“ gekommen. Das Hotel liegt be-


schaulich im Herzen der Weinstadt Rade-


beul. 300 Menschen saßen unter Kron-


leuchtern und Stuckdecken, sahen sich be-


stätigt in ihren Ängsten vor Massenverge-


waltigung und Machetenmord. Ein AfD-


Kreistagsabgeordneter aus Meißen ge-


stand: „Ihre Äußerungen, Herr Maaßen,


sind mir mitten ins Herz gegangen.“


AfD und CDU waren an diesem Abend

nicht nur räumlich dicht beieinander. Seit


der Hetzjagd-Debatte gilt Maaßen gerade


im Osten vielen enttäuschten CDU-Wäh-


lern als Held des Widerstandes. Es ist der


Mythos, den Maaßen pflegt: dass er von An-


gela Merkels Regierung hinausgeschmis-


sen worden sei, weil er im Staatsdienst die


Wahrheit ausgesprochen habe. Im Inter-


view mit derWelt am Sonntaghat er dieses


Bild gerade erst wieder ausgemalt. „Mir sa-
gen manche: ‚Was Sie sagen, traue ich mich
nicht zu sagen oder möchte ich nicht sa-
gen. Aber ich bin froh, dass es artikuliert
wird.‘ Das empfinde ich als Unterstüt-
zung.“ Maaßen berichtet weiter, er werde
von Bürgern oft gefragt, was er dazu sage,
dass man nicht mehr sagen dürfe, „was
man noch vor fünf oder zehn Jahren sagen
durfte, ohne gleich mit der Nazikeule totge-
schlagen zu werden“. Sein Fazit: „Wir ha-
ben hier ein Problem.“

Dass Maaßens Märtyrergeschichte un-
wahr ist, hat ihm bisher nicht geschadet.
Maaßen ist nicht hinausgeworfen worden,
weil er für die Vorgänge in Chemnitz am


  1. August und 1. September des vergange-
    nen Jahres anders als die Kanzlerin nicht
    das Wort „Hetzjagd“ verwenden wollte.
    Nach der Aufregung, die Maaßen damals
    mit einem trotzigen Kommentar in der
    Bild-Zeitung ausgelöst hatte, wäre er sogar
    fast befördert worden – vom Behördenlei-
    ter hinauf zum Staatssekretär im Bundes-
    innenministerium in der Regierung Mer-
    kel IV. So schlimm steht es um die Mei-
    nungsfreiheit.
    Auch als die SPD bemerkte, was für ei-
    ner merkwürdigen Volte ihre Parteichefin
    Andrea Nahles da in einer Koalitionsrunde
    am 18. September zugestimmt hatte, und


als der Bundesinnenminister Horst Seeho-
fer (CSU) auf öffentliche Entrüstung hin
ein Zugeständnis machen musste, hätte
Hans-Georg Maaßen noch einen sehr kom-
fortablen Posten bekommen: „Sonderbera-
ter“ im Rang eines Abteilungsleiters im In-
nenministerium. Mit direktem Zugang
zum Minister, mit einer Menge Macht. So
wurde es mit der SPD vereinbart.
Dass es anders kam, lag nur an Maaßen
selbst, an einer verbalen Ausfälligkeit, die
kaum ein Unfall gewesen sein dürfte. Maa-
ßen verabschiedete sich am 18. Oktober
vor europäischen Geheimdienstchefs bei
einem Treffen in Warschau mit einer kur-
zen Rede. Laut Manuskript sprach er dabei
von „linksradikalen Kräfte in der SPD“, die
ihn, der so unbequem ehrlich sei, hätten zu
Fall bringen wollen. Die Rede stellte Maa-
ßen nachher ins Intranet des Bundesamts
für Verfassungsschutz. Dort konnten sie
mehrere Tausend Mitarbeiter lesen.
Es kann ihn nicht überrascht haben,
dass er damit als Spitzenbeamter nicht
mehr tragbar sein würde. Hinausgewor-
fen, das wird manchmal vergessen, wurde
Maaßen erst daraufhin am 5. November
von Horst Seehofer, der sich „enttäuscht“
zeigte. Maaßen hatte diese Versetzung in
den einstweiligen Ruhestand fast eingefor-
dert. Er hat den Märtyrermythos vorberei-
tet. In der Geheimdienstler-Rede in War-
schau sagte er bereits: Er könne sich auch
ein Leben außerhalb des Staatsdienstes
vorstellen, „zum Beispiel in der Politik“.
Maaßens Engagement im sächsischen
Wahlkampf passt dazu. In Radebeul gab er

als Beweggrund an, „etwas Werbung“ für
Rößler und die Sachsen-CDU machen zu
wollen. Aber natürlich wirbt einer wie Maa-
ßen auch für sich selbst. Wiederholt koket-
tierte er mit einem Wechsel in die sächsi-
sche Landespolitik. Jüngst befeuerte ein
Bericht derBild-Zeitung das Gerücht, Maa-
ßen könnte sich nach der Landtagswahl als
Innenminister in einer CDU-geführten
Landesregierung andienen. Die Parteispit-
ze ist seitdem im Dementi-Modus. Minis-
terpräsident Michael Kretschmer (CDU)
wird nicht müde zu betonen, er habe Maa-
ßen nicht eingeladen, Maaßen werde auch
nicht Minister und überdies seien dessen
Äußerungen wenig hilfreich.
Und so geht es bei den Auftritten des Ex-
Verfassungsschützers im Wahlkampf
nicht nur um den vermeintlich bedrohten
gesellschaftlichen Zusammenhalt, son-
dern auch um den innerhalb der CDU. Es
gibt Stimmen in der Partei, die glauben,
Maaßen operiere so nahe an Positionen
der AfD, dass unentschlossene Sachsen ihr
Kreuz am 1. September lieber gleich beim
Original setzen. Mitglieder der Werte-Uni-
on hingegen, der auch Maaßen angehört,
werben für eine CDU-geführte Minder-
heitsregierung. In diesem Szenario könnte
die CDU sich wechselnde Mehrheiten su-
chen, notfalls auch bei der AfD.
Eine schwarz-blaue Koalition immerhin
schließt Maaßen aus – derzeit. Die Partei
sei ein zu „gäriger Haufen“, sagte er in Ra-
debeul und zitierte damit ausgerechnet
AfD-Chef Alexander Gauland.
ulrike nimz, ronen steinke

von stefan braun
und mike szymanski

D


as ist mal ein feiner Zug. Der weltge-
wandte Herr am Rednerpult hat für
die Besucherin seine Pläne umge-
worfen. Ayman Safadi, Außenminister von
Jordanien, wäre eigentlich selbst in der
Welt unterwegs gewesen. Aber nun hat
sich die neue Verteidigungsministerin aus
Berlin angekündigt. Es ist ihre erste Reise
in Einsatzgebiete der Bundeswehr. Da
möchte der Jordanier ihr ein guter Gast-
geber sein. „Danke fürs Kommen“, sagt
Safadi. „Danke für die Freundschaft.“ Und
schon ist klar: Hier hat Annegret Kramp-
Karrenbauer nichts zu befürchten.
Zumal sie hier nichts fordern und nichts
geradebiegen muss. Die Gastgeber sind
froh, die deutschen Soldaten mit ihren Auf-
klärungsjets im Land zu haben. Von Jorda-
nien aus beteiligt sich Deutschland am
Kampf gegen den IS im Irak und Syrien. Es
geht also um nichts weniger als das Ziel,
„das Böse“ zu besiegen. Safadi formuliert
das so. Und schnell wird klar, dass Deutsch-
land das auch gerne weiter machen würde.
„Wir waren gemeinsam der Auffassung ...“,
beginnt Kramp-Karrenbauer einen ihrer
Sätze unter dem strengen Blick des Adlers,
dem Wappentier der Jordanier. Geht doch.
Kramp-Karrenbauer war noch nie in
dieser Weltgegend. Mit dem jordanischen
Außenminister die Lage besprechen, beim
König vorstellig werden – all dies ist neu
für die Ministerin. Sie hat sich natürlich
briefen lassen; sie hat sich Lesestoff mit
nach Hause genommen. Und trotzdem:
Nun ist sie Verteidigungsministerin und
steht einem Ressort vor, das nicht einfach
zu führen ist. Als sich ihre Vorgängerin
Ursula von der Leyen von der Truppe ver-
abschiedete, erzählte sie, dass kaum eine
andere Aufgabe fordernder gewesen sei.
Kramp-Karrenbauer konnte bei von der
Leyen also präzise studieren, wie viel Kraft
dieses Haus absorbiert. Und wie es alle an-
deren Ambitionen auffrisst.

Ambitionen? Um die geht es derzeit
auch bei Kramp-Karrenbauer. Auch ihre
sind groß und nehmen schon Schaden.
Deshalb dürften die jüngsten Ereignisse
der CDU-Vorsitzenden in Amman durch
den Kopf gehen. Nicht öffentlich natürlich.
Aber noch ist nicht verdaut, was sie am
Wochenende geplagt hat. Also vor allem
ihr – vorsichtig ausgedrückt – unpräzises
Interview zur Rolle des Ex-Verfassungs-
schutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen in
der CDU, das zu der Interpretation führte,
die CDU-Chefin liebäugle mit einem Partei-
ausschluss des rechtskonservativen Politi-
kers. Erst wählte sie entschiedene Worte,
die so gedeutet werden konnten; dann mel-
dete sich ihr Generalsekretär Paul Ziemiak
mit einer „Klarstellung“. Und als das den
aufziehenden Ärger der CDU-Wahlkämp-
fer im Osten nicht bremsen konnte, trat sie
selbst vor die Mikrofone, um zu erklären,
dass sie einen Ausschluss nie ins Spiel ge-
bracht habe.
Nun können auch in der Politik immer
Pannen passieren. Das Blöde für Kramp-
Karrenbauer ist nur, dass die sich häufen.
Erst vergangene Woche hatte sie in einem
TV-Interview erklärt, dass die schwarze
Null (im Haushalt) im Grundgesetz veran-
kert sei. Das stimmte so nur leider nicht;

sie hatte die schwarze Null mit der Schul-
denbremse verwechselt. Auch da meldete
sich Ziemiak mit einer Art Klarstellung –
was immer schlecht aussieht, weil der Kell-
ner die Köchin korrigiert. Und was zwei-
tens auch deshalb in der CDU manchem
aufstieß, weil Ziemiak bislang nicht als gro-
ßer Stratege und inhaltlich unumstritte-
ner Generalsekretär erlebt wird. Solange
Kramp-Karrenbauer selbst als Parteiche-
fin im Konrad-Adenauer-Haus residierte,
interessierte das kaum jemanden. Seit sie
ins Verteidigungsministerium umgezogen
ist, wird der Blick auf Ziemiak schärfer.

Es spricht viel dafür, dass Kramp-Kar-
renbauer tatsächlich lange entschlossen
war, nicht ins Kabinett zu wechseln. Im-
merhin hatte sie parteiintern den größten
Zuspruch erhalten, als sie vom Saarland
nach Berlin zog, um ihre Volkspartei CDU
zu retten. Und dann? Dann verlangten
plötzlich die komplexen europäischen Ver-
hältnisse nach einer Überraschungskandi-
datin an der EU-Kommissionsspitze – und
im Berliner Kabinett wurde ein Sessel frei.
Niemand hatte damit gerechnet; und nie-
mand hatte von der Leyen auf dem Schirm.
Sicher, vor ihrer Zeit als Verteidigungs-
ministerin hieß es, auch sie könne Merkel
beerben und Kanzlerin werden. Aber als
sie im Dezember 2013 als erste Frau an die
Spitze des Ministeriums rückte, war das
keine Vorstufe ins Kanzleramt. Ihr Auf-
stieg fand ein abruptes Ende. Die nach Jah-
ren des Sparens ausgezehrte Bundeswehr
saugte vom ersten Tag an all ihre Kraft auf.
Die Mängel bei der Ausstattung; der Ärger
um das Sturmgewehr G36; rechtsextreme
Umtriebe in der Truppe, deretwegen von
der Leyen den Soldatinnen und Soldaten
ein Haltungsproblem unterstellte; dazu
der Ärger um die Beraterverträge und die
Blamage mit derGorch Fock– all das zehr-
te an von der Leyens Kraft und Reputation.
Jetzt sind das Baustellen, die Kramp-
Karrenbauer zu bearbeiten hat. Sie müsste
wissen, worauf sie sich eingelassen hat. Es
geht darum, möglichst wenige Fehler zu
machen. Am Montagmorgen, kurz nach
sechs, steht sie in Berlin-Tegel vor dem Re-
gierungsflieger und gibt ihr erstes State-
ment ab. In der Hand hält sie einen Sprech-
zettel, das Wichtigste ist grün markiert. Da-
bei will sie eigentlich nur sagen, dass sie
sich persönlich einen Eindruck machen
möchte vom Einsatz der Bundeswehr ge-
gen den IS.
Von der Leyen hatte bei ihrer Verabschie-
dung gesagt, strategische Geduld und takti-
sche Raffinesse machten erfolgreiche Poli-
tik aus. Das habe sie von Kanzlerin Merkel
gelernt. Zeit hat Kramp-Karrenbauer eher
nicht. Und Raffinesse – nun ja, gehört bis-
lang nicht zu ihren stärksten Waffen. Auf
der Reise aber deutet sie immerhin an, was
noch möglich werden könnte. Die SPD
möchte anders als Kramp-Karrenbauer
den Anti-IS-Einsatz nicht verlängern.
Prompt hat die Ministerin auf der Reise
zwei Plätze für Sozialdemokraten freige-
macht. Und sie hat dafür gesorgt, dass die
beiden, der Außenpolitiker Nils Schmid
und die Verteidigungspolitikerin Siemtje
Möller, mitdürfen zum jordanischen Kö-
nig Abdullah II. Möge er den SPD-Politi-
kern erklären, wie wichtig der Einsatz ist.
Gewonnen ist für sie damit noch nichts.
Aber ein cleverer Zug ist das trotzdem.

Märtyrer-Geschichten


Viele CDU-Wähler im Osten finden, da sagt einer, was man nicht mehr sagen darf. Hans-Georg Maaßen pflegt dieses Image


Achtung,


Panne!


Schon von Kramp-Karrenbauers Vorgängerin im Ministeramt


hieß es, sie könne auch Kanzlerin. Damit war es schnell vorbei


2 HMG (^) THEMA DES TAGES Dienstag,20. August 2019, Nr. 191 DEFGH
Es sieht immer schlecht aus,
wenn der Kellner
die Köchin korrigiert
Einen cleveren Zug hat
die neueMinisterin auf ihrer
Reise schon gemacht
Dass alles so kam, wie es kam,
lag nur an Maaßen –
an seiner verbalen Ausfälligkeit
„Ihre Äußerungen sind mir mitten ins Herz gegangen“: Der Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bei einer CDU-Veranstaltung in Radebeul. MICHAEL/DPA
Kramp-Karrenbauer contra MaaßenDie CDU-Vorsitzende sieht den rechten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten offenkundig als Belastung
für die Partei. Erst befeuerte sie eine Debatte über seinen Ausschluss, ruderte dann aber rasch zurück. Doch der Konflikt ist längst
nicht ausgestanden. Als neue Verteidigungsministerin besucht sie nun die Truppe im Ausland – der Streit reist im Marschgepäck mit
S Z- P O D C A S T
Das Thema
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