Süddeutsche Zeitung - 20.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1

Es ist irgendwie putzig, wenn eine „ikoni-
sche, feministischeMusikerin“ ihr 20-jäh-


riges Bühnenjubiläum feiert wie eine Lang-


verheiratete das Datum ihrer Hochzeit.


Aber die „ikonische“Peaches, wie die kana-


dische Queen der Queer-Kultur sich zum


Anlass ihres Jubiläumskonzerts beim In-


ternationalen Sommerfestival in Ham-


burg ankündigen ließ, ist ja tatsächlich in


ehelicher Treue monogam verbunden.


Zwar keinem Menschen oder Trachtenver-


ein, aber einem Thema: dem Geschlecht.


Das weibliche setzt sie sich und anderen


seit Jahren auf den Kopf als Tanzputz, das


männliche wird bei ihren Konzerten riesig


aufgeblasen, um „Jizz“ ins Publikum zu


spritzen. Aber vor allem geht es in ihren


Texten um wenig mehr als Vagina und


Schwanz, und ihr größter Hit heißt auch


nicht umsonst „Fuck the Pain Away“.


Man mag denken, dass diese wenigen

Zutaten zu einer eindimensionalen Befrei-


ungsbotschaft, die seit 20 Jahren Prüderie


und männlich-christliche Sexualnormen


geißelt, als lebten wir noch in den Fünfzi-


gern, nur einen monotonen Abklatsch-


abend ergeben kann. Eine dieser schemati-


schen Shows, wie Peaches sie seit langer


Zeit inszeniert, wo sie selbst auf einem Po-


dest in häufigem Kostümwechsel „Shake


your titties, shake your dicks!“ in unter-


schiedlichen Variationen performt, davor


zwei Tänzerinnen oder Tänzer mit Vulva-


Maske und ein riesiger Namenszug im Hin-


tergrund. Dazu die extrem schlichte Retro-


Musik aus den Achtzigern mit geraden
hämmernden Beats und Synthie-Se-
quenzern, ab und zu mal eingestreut eine
AC/DC-Gitarre mit einem einzigen Riff in
Endlosschleife.
Nein, Komplexität war nie das Thema
dieser Ansagerin von unverkrampfter
Schamlosigkeit, und genau dafür feiern ih-
re Fans Peaches, vor allem in jenen urba-
nen Szenen, wo sexuelle Identitätsfragen
das Wichtigste im Leben zu sein scheinen,
und sie wissen sich ermutigt und verstan-
den durch die schöne Botschaft: Sei wie

und wer du willst! Doch die Porzellanhoch-
zeit von Peaches mit ihrem Monothema
wurde dann doch eine wilde vielfältige
Supersause. Von den theatralisch sexuali-
sierten Bühnenshows derTubesaus den
Siebzigern über die Menschmaschine-Bal-
letts vonDaft Punkbis zu den arschwa-
ckelnden Choreografien aus Hip-Hop-Vi-
deos zitierte sich Peaches durchs Entertain-
mentrepertoire des Pop.
Mit einer riesigen Frauenband und teil-
weise über 30 halbnackten Akteurinnen
und Akteuren auf der Bühne inszenierte
Peaches ein bezauberndes Sodom und Go-
morrha der Unanständigkeit, die Orgien-
version eines Beyoncé-Konzerts, eine lüs-

terne Erinnerung an die wilden Zwanziger
in Berlin, wie sie nie gewesen sind. Sie
selbst verkleidet in den Rapunzel-Perü-
cken des französischen Kostümfriseurs
Charlie Le Mindu, die meiste Zeit aber bar-
busig, zentrierte Peaches die Auftritte di-
verser Kollaborateure zu einer Show im
schmutzigen Las-Vegas-Format.
Als Piratinnen verkleidete Tänzerinnen
aus New Orleans brachten Peaches’ Rap-
Stücke aufs Yippie-Niveau. Eine archaisch
wirkende Truppe fast nackter Performer,
die nicht nach dem Raster des perfekten
Körpers ausgewählt wurde, sorgte mehr
für die konvulsiven Momente des Abends.
Ihr Anführer, der als Sex-Alien maskierte
New Yorker Multigender-Choreograf
Christeene exaltierte sich als das Teufli-
sche der Lust, während der Stuttgarter
Staatsballetttänzer Louis Stiens in golde-
nen Boxershorts die begehrenswerte
Balletttunte gab. Die Trapezakrobatin
Empress Stah lieferte die Zirkuseinlage
mit Laserpointer im Po. Und Iggy Pop sang
sein schräges Anbagger-Duett mit Pea-
ches, „Kick it“, als Videoeinspielung.
Ja, es ging auch an diesem Abend aus-
nahms- und umstandslos um das eine, das
Wort „Fuck“ in all seinen vorstellbaren
Konstellationen. Bestimmt entsetzlich er-
müdend, wenn man die Augen geschlos-
sen und nur auf Text und Musik gehört hät-
te. Aber zuschauend verschwand die Mono-
tonie sofort durch perfekte Choreografien
von schwitzender Wildheit auf den drei

Laufstegen ins Publikum, durch die grüne
Laserorgel, die scheinbar durch Unterbre-
chung des Lichtstrahls gespielt wurde, und
die stotternden Marschtänze mit Gasmas-
ke, durch Showeinlage auf Showeinlage,
mit der Peaches sich erstmals als ernst zu
nehmende Thronfolgerin von Madonna
empfahl, leider halt nicht fernsehtauglich.
Als sie dann als Zugabe endlich „Fuck the
Pain Away“ ins Mikrofon sangschrie, konn-
te man nur antworten: Nicht mehr nötig.
Doch die Popwelt ist leider nicht mehr ge-
nug für Peaches. Neben einer Reihe von
Shows und Konzerten, die sie im Rahmen
des Sommerfestivals „kuratiert“ hatte, dar-
unter das mindestens ebenso sexualisierte
Exzess-Varieté „Shaboom!“ von Christee-
ne, musste die Schmutz-Madonna nun
auch noch als richtige Künstlerin mit einer
Ausstellung im lokalen Kunstverein gewür-
digt werden. Und da war es dann wieder,
das irgendwie doch eher verklemmt wir-
kende Monothema „Ficken“, inszeniert als
Objektparcours.
Erzählt wird auf dieser Kunst-Peep-
show mit dem Titel „Whose Jizz is This?“
(Wessen Sperma ist das?) von der „geisti-
gen“ Evolution des „Double Masterba-
tors“, eines Sextoys mit Frauenmund und
dem primären weiblichen Geschlechtsor-
gan als Nachbildung zur männlichen
Selbstbefriedigung. Dieses rosa Plastik-
ding lernt bei Peaches denken und spre-
chen, begreift sich als missbraucht, und
gründet dann mit allen anderen „Me

Too“-Opfern aus Weichplastik eine neue
Apartheid. Darin gibt es dann klar bezeich-
nete Plätze nur für Menschen und solche
nur für „Fleshies“, wie die hydraulisch und
digital animierten Onaniehilfen sich nun
selbst nennen.
Doch diese ebenfalls mit extrem gro-
ßem Aufwand inszenierte Emanzipations-
fabel, bei der die fleischwurstähnlichen
Spermarollatoren mal als riesiger Spring-
brunnen Wasser spritzen, als David-Cro-
nenberg-Zitat ungelenke Bewegungen voll-
führen, eine Hashtag-Gruppe gründen
oder ineinander verschlungen auf einer
Bühne Peaches-Lieder singen, ist in ihrer
ganzen Botschaft so platt, dass man – hät-
ten es ein paar Jungs inszeniert – von pu-
bertärer Albernheit irgendwie zwanghaft
Sexfixierter reden würde. Und zwar einer
Albernheit, die in ihrer totalen Redundanz
leider überhaupt nicht komisch ist.
Vielleicht ist ja für manche, gerade jün-
gere Menschen Peaches derBravo-Doktor
der Sexratschläge, für Pornosüchtige ein
Anlass, über ihre Einsamkeit nachzuden-
ken, oder für Diskriminierungsempfindli-
che ein Idol der freien Rede über ein The-
ma, das sie weiterhin als Tabu empfinden.
Es wäre halt nur einfach dem Begriff der
Kunst angemessener, wenn der Inhalt von
Peaches’ Inszenierungen nicht so enervie-
rend eindeutig wäre. So wie bei ihrem Jah-
restag auf Kampnagel, der eine würdige
Demonstration von Vielfalt und Selbst-
bewusstsein war. till briegleb

Zwischen Emanzipation und Albernheit


Punk-Feminismus: Die Sängerin Peaches feiert sich in Hamburg als Queen der Queer-Kultur mit Konzert und Ausstellung


Ob und wie ein Bau rekonstruiert werden
darf, wird schnell zum Streitthema. Das
Feld der reinen Architekturkritik ist dabei
bald verlassen, vielmehr geht es um Politik
und historische Vergangenheit. So haben
nun auch über einhundert Künstler, Archi-
tekten, Denkmalpfleger, Wissenschaftler,
Kirchenvertreter und Kulturschaffende in
einem offenen Brief gefordert, beim Wie-
deraufbau der Garnisonskirche in Pots-
dam einen Bruch zu vollziehen. Hauptkri-
tikpunkt an dem Projekt, das von Politik
und Kirche unterstützt wird und das der
Bund mit einem zweistelligen Millionenbe-
trag fördert, ist die historische Belastung
der Kirche: „Es zieht sich hier eine Linie
vom preußischen Militärwesen über den
Rechtsradikalismus in der Weimarer Repu-
blik, den Nationalsozialismus bis hin zum
neuen Rechtsradikalismus. Auch das heuti-
ge Wiederaufbauprojekt hat seinen Ur-
sprung in rechtsradikalen Kreisen.“ Die Un-
terzeichner, zu denen Künstler wie Monica
Bonvicini und Olaf Nicolai sowie Wissen-
schaftler wie Michael Diers, Wolfgang
Pehnt und Stefanie Schüler-Springorum
gehören, fordern den Abriss des 1991 er-
richteten Glockenspiels, den Verzicht auf
die Nachbildung von Waffenschmuck und
„eine veränderte Trägerschaft des Projek-
tes, die nicht die Einheit von Kirche, Staat
und Militär wiederbelebt“. sz

N


ie waren die Bewohner der industri-
alisierten Hemisphäre freier, rei-
cher, gebildeter, verfügten nie über

mehr technische Kompetenz und Innovati-


onspotenziale – und lebten zugleich nie


verantwortungsloser über ihre Verhältnis-


se. Dieses epochale Schauspiel, das dem


Drehbuch einer fortschrittstrunkenen Stei-


gerungsdynamik folgt, bewegt sich rasant


auf ein desaströses Finale zu, es sei denn,


unerwartete Störungen im Betriebsablauf


verhindern dies noch. Denn innerhalb


ihrer eigenen Systemlogiken lassen sich


moderne Gesellschaften ebenso wenig


davon abhalten, an der ökologischen Krise


zu scheitern, wie sich Feuer mit Benzin


löschen lässt.


Gleichwohl erfreut sich der Glaube an

die technische und politische Machbarkeit


des ökologisch Unmöglichen unbeirrter


Verteidigungsreden. Eine solche lieferte


an dieser Stelle jüngst der Soziologe Armin


Nassehi (SZ vom 2. August). Er kehrt die


Kritik an der Hybris einer zerstörerischen


Industriegesellschaft einfach um, indem


die Forderungen nach dem Minimum des-


sen, was das Überleben der Zivilisation


noch ermöglichen könnte, als pure Hybris


zurückzuweisen sei. Klimaschutzaktivis-


ten wie auch Wachstumskritiker sähen vor


lauter Katastrophenangst nicht die „Gesell-


schaft, die schon da ist, und nur mit ihren


eigenen Mitteln reagieren kann“.


Dieser Strukturkonservatismus aber do-

miniert seit Jahrzehnten den politischen


und wissenschaftlichen Nachhaltigkeits-


diskurs, wobei er dessen Problemlösungs-


gehalt ruiniert hat. Die Idee, dass eine Ge-
sellschaft, deren auf Wachstum und Tech-
nisierung gründende Entwicklungslogik
auf einen Kollaps zurast, nun ausgerech-
net mit denselben, also „eigenen Mitteln
reagieren“ solle, findet seine Vollendung
im sogenannten „grünen Wachstum“, auf
das sich prinzipiell alle Fraktionen des Bun-
destags (mit bekanntlich einer Ausnahme)
längst geeinigt haben. Demnach soll der
materielle Wohlstand geschützt werden, in-
dem seine ökologisch unschönen Nebenfol-
gen durch erneuerbare Energien, geschlos-
sene Stoffkreisläufe und Effizienzmaßnah-
men vermieden werden. Das sodann von
Umweltverbräuchen entkoppelte Komfort-
paradies soll unbeirrt weiterwachsen kön-
nen, um Freiheitseinschränkungen und
soziale Konflikte zu vermeiden.
Aber abgesehen davon, dass dieser
grüne Fortschrittszauber schon immer
theoretisch unhaltbar war, weil er gegen
die Gesetze der Physik anrennt, hat er sich
empirisch zu einem solchen Desaster aus-
gewachsen, dass die wissenschaftliche
Aufarbeitung seines Fehlschlagens Biblio-
theken füllt und neue Forschungsfelder
entstehen ließ. Wenn der Planet erstens
physisch begrenzt ist, zweitens industriel-
ler Wohlstand nicht von ökologischen
Schäden entkoppelt werden kann, drittens
die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft
erhalten bleiben sollen und viertens globa-
le Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine
Obergrenze für den von einem einzelnen
Individuum beanspruchten materiellen
Wohlstand existieren.

Wer diese Einsicht vorträgt, sieht sich
den Beißreflexen zweier Lager ausgesetzt,
die ansonsten wenig eint. Die AfD-nahen
Leugner des menschengemachten Klima-
wandels unterstellen den Wachstums-
kritikern, ein erfundenes Umweltproblem
vorzuschieben, um eine als Klimapolitik
getarnte Umverteilung zulasten sozial
Schwacher zu legitimieren. Das zweite,
sich zumeist links-, neo- oder grün-liberal
gerierende Bollwerk möchte sich dem-
gegenüber als intellektuell überlegen
wahrgenommen wissen, räumt deshalb

ein, dass der Klimawandel einer industriell
entgrenzten Lebensweise geschuldet ist,
wehrt sich ansonsten aber ebenso vehe-
ment gegen wachstumskritische Stören-
friede. Freilich gelingt dies nicht ohne kau-
sale Verrenkungen, von denen die genann-
te grüne und systemkonforme Fortschritts-
frömmigkeit noch die harmloseste ist.
Nassehi bringt nun das abgegriffene
Totschlagargument der „sozialen Kälte“
gegen Nachhaltigkeitsforderungen in Stel-
lung. Dieses beruht auf der Unterstellung,
dass Klimaschutzaktivisten zu den Vermö-
genden zählen, die den unteren Einkom-
mensklassen Entbehrung aufoktroyieren
wollten. Dabei ist die soziale Frage des


  1. Jahrhunderts zugleich die ökologische:
    Wer darf sich mit welchem Recht wie viel


an materiellen Freiheiten aneignen, ohne
über seine ökologischen Verhältnisse zu
leben?
Nicht zu hintergehen ist damit die regu-
lative Idee, dass erstens jedem Menschen
dasselbe Quantum an Ressourcen zusteht,
und zweitens kein Recht auf ökologische
Zerstörung bestehen kann. Dies ließe sich
praktisch und politisch gar nicht anders
umsetzen, als zwischen Grundbedürfnis-
sen und dekadentem Luxus, der interes-
santerweise ständig neue Rekorde erzielt,
zu unterscheiden. Demnach wären Flugrei-
sen, Kreuzfahrten, übermäßiger Fleisch-
konsum, überbordender Elektronik- und
Textilkonsum, überdimensionierter Wohn-
raum der effizienteste und zugleich sozial-
politisch begründbarste Ansatzpunkt.
Auch Nassehis Vorwurf der „Demokra-
tieverachtung“ greift nicht. Wer weiter an
der tragisch gescheiterten „Kunst“ fest-
hält, „Lösungen mit den Mitteln dieser
Gesellschaft“ zu kreieren, reproduziert
nicht nur die Krise, sondern pulverisiert
individuelle Verantwortung, legitimiert
nämlich das „Weiter so“ ökologisch ruinö-
ser Praktiken, zumal diese nichts anderes
sind als die Insignien der „Gesellschaft, die
da ist“.
Wenn aber Verteilungskonflikte um den
Rest an materiellen Möglichkeiten entbren-
nen und für manche der Kampf um ein
würdiges Dasein beginnt, wird sich nie-
mand mehr für eine Demokratie einset-
zen, die offenkundig am Minimum dessen
gescheitert ist, was von einem politischen
System zu erwarten ist, das sich human

nennt: schlichte Überlebensfähigkeit. Wer
also die Freiheit bewahren will, darf sie
nicht überstrapazieren, sondern muss sie
vorsorglich und freiwillig begrenzen.
Hierzu bedarf es eines sozialen Regula-
tivs, das darin besteht, im Sinne einer
Selbstermächtigung erstens die Miss-
billigung öko-suizidaler Handlungen und
Prozesse angemessen zum Ausdruck zu
bringen, zweitens für diese maximalen so-
zialen Rechtfertigungsdruck aufzubauen
und drittens die dabei angelegten ökologi-
schen Maßstäbe durch eine entsprechen-
de Lebensführung praktisch auf sich
selbst anzuwenden. So gesehen sind die
„Friday for Future“ (wenn deren Protago-
nisten an der dritten Bedingung noch et-
was arbeiten) der beste Demokratieschutz.
Wer dagegen basierend auf systemkom-
patiblen, aber wirkungslosen Konzepten
das Blaue – oder besser: das Grüne – vom
Himmel verspricht, biedert sich zwar kurz-
fristig einem verschreckten Publikum an,
bedient aber langfristig eine der verhee-
rendsten Lebenslügen, nämlich dass Nach-
haltigkeit ohne Begrenzung des materiel-
len Wohlstands möglich ist. Solche Lebens-
lügen aufzudecken, dürfte wohl kaum von
denen zu erwarten sein, die daran verdie-
nen, ganz gleich ob Wählerstimmen oder
Profite, sondern zählt zu den dringendsten
Aufgaben der Wissenschaft. Das sollte
auch für die Soziologie gelten.

Niko Paechlehrt an der Universität Siegen Plurale
Ökonomik.

Es ist bei Tenören berufsbedingt, dass sie
ungewöhnlich viele Partnerinnen haben –
zumindest auf der Bühne. Wie weit Plácido
Domingo in seiner inzwischen ein gutes
halbes Jahrhundert währenden Karriere
Beruf und Privatleben verwechselt haben
könnte, wurde in der vergangenen Woche
Gegenstand von Vorwürfen, die vor allem
neun ehemalige Kolleginnen gegen ihn
erhoben, darunter namentlich bislang nur
die Mezzosopranistin Patricia Wulf: Do-
mingo habe sie in den Achtziger- und Neun-
zigerjahren privat und während gemein-
samer Auftritte sexuell belästigt. Nun
machen im Gegenzug einige prominente
Sängerinnen mobil, die mit dem Sänger
häufig auf der Bühne gestanden haben.
„Er war immer ein Gentleman und hat
mich mit Würde und Respekt behandelt“,
teilte die Sopranistin Ana María Martínez
mit. Als freundlich und korrekt beschreibt
auch die Mezzosopranistin Violeta Urma-
na den langjährigen Umgang mit dem
Tenor. Unter den Unterstützerinnen fin-
den sich Diven einer älteren Generation
wie Teresa Berganza, der mittleren wie Bar-
bara Frittoli und Maria Guleghina ebenso
wie solche der jüngsten Generation wie
Ermonela Jaho und Asmik Grigorian, die
auch Domingos Engagement für junge
Sänger und Sängerinnen im Rahmen des
von ihm geleiteten Wettbewerbs Operalia
betont. Domingo sei ein „echter Gentle-
man, Philanthrop, Künstler, ein charman-
ter und friedlicher Mensch“, schrieb die
Sopranistin Sonya Yoncheva auf Twitter –
und darüber hinaus einfach „eine unersetz-
liche Figur in unserem Geschäft“.
Dies sehen wohl auch die meisten Opern-
häuser und Konzertveranstalter so, die
momentan an Domingo festhalten. Das
Philadelphia Orchestra und die Oper in
San Francisco sagten seine anstehenden
Auftritte ab; die mit ihm geplanten Vorstel-
lungen an den Opernhäusern in Zürich,
Mailand, Madrid und London sowie in der
Hamburger Elbphilharmonie sollen dage-
gen stattfinden. Die New Yorker Met will
ihr weiteres Vorgehen von den Untersu-
chungen der Los Angeles Opera abhängig
machen, an der Domingo seit 2003 Gene-
raldirektor ist. Sie freue sich auf ihre Auf-
tritte im September an der Met „mit dem
fantastischen Plácido Domingo“, twitterte
derweil schon einmal Anna Netrebko. Als
nächstes wird der inzwischen zum Bariton
gereifte Domingo am kommenden Sonn-
tag bei den Salzburger Festspielen die
Rolle des Vaters in Verdis „Luisa Miller“ sin-
gen, der die Ehre seiner Tochter beschützt.
Das Alter bringt andere Rollen mit sich.
michael stallknecht

DEFGH Nr. 191, Dienstag, 20. August 2019 HF2 9


Zu dieser Show gehört natürlich
auch ein als Sex-Alien verkleideter

Multigender-Choreograf


Den Bruch wagen


Protest um den Wiederaufbau


der Garnisonskirche in Potsdam


Freiheit begrenzen, um sie zu bewahren


Fleischkonsum, Flugreisen, Wohnraum: Wie viel ist Grundbedürfnis, wo beginnt der Luxus?


Eine Entgegnung auf Armin Nassehis Vorwurf der sozialen Kälte in der Klimaschutzdebatte. Von Niko Paech


Belästiger oder


Gentleman?


Prominente Opernsängerinnen


verteidigen Plácido Domingo


Feuilleton


Flimmern im Kopf: Die Malerin


Bridget Riley in einer
Ausstellung in Edinburgh 10

Literatur


Von den Männern zu den


Mädchen: Die Tagebücher von
Gerhard Fritsch 12

Forum


Impfpflichtund


Exzellenzuniversität:
SZ-Leser diskutieren 13

Wissen


Gene und Anstand:


Menschen halten nur soziales
Verhalten für erblich 14

 http://www.sz.de/kultur

„Whose Jizz is This?“ : Wenn Peaches auftritt, dann spritzt es natürlich gewaltig, auf der Bühne wie im Kunstverein. FOTO: LYDIA DANILLER/KAMPNAGEL

Um öko-suizidale Handlungen


zu unterbinden, hilft maximaler


sozialer Rechtfertigungsdruck


FEUILLETON


HEUTE

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