Zeit, als Konflikte und Kämpfe auch vor diesem
Fluss tal nicht Halt machten. Seine Mutter war inhaf
tiert, weil die britischen Kolonialherren eine Un
abhängigkeitsbewegung niederschlagen wollten und
eine Million Kenianer festsetzten. Die Geschichte
erinnert mich daran, dass Gewalt und Grausamkeit
durchaus auch idyllische Orte heimsuchen.
Nicht weit vom Dorf deutete John auf stille Kolke;
da stehen die guten Fische. Ich watete hinein, be
wegte mich vorsichtig zwischen Felsen und reißen
den Strömungen und warf meine Leine aus. Bei
meinen ersten Besuchen wusste ich noch nichts
übers Fliegenfischen – nichts über die Präsentation
der Fliege und nichts darüber, dass man die Leine
straff hält und die Fliege gleichzeitig so frei schwim
men lässt, dass der Fisch sie für ein echtes Insekt
hält. Wie die meisten Anfänger war ich der Ansicht,
die Hauptschwierigkeit liege im Auswerfen der Leine.
In Wirklichkeit verlangt das Fliegenfischen Kennt
nisse über die Rhythmen des Flusses, und man muss
wissen, was die Fische fressen. Nur dann kann man
sie überlisten.
John Ngaii Moses und ich verstanden unter Angeln
verschiedene Dinge. Er fängt die Fische lieber schnell,
als sich mit ihnen einen Wettkampf zu liefern. Seine
Methode ist effektiv. Meine eher meditativen Ab
sichten verlangten nach langsameren, weniger ge
winnbringenden Verfahren. Moses brachte mir viel
über den Fluss bei, über seine Geschichte und Öko
logie – aber die Finessen des Fliegenfischens blieben
eine Herausforderung für mich allein.
Den Anfang machte stilles Studieren von Büchern
und Websites. Und Ausprobieren. Es brauchte fast
ein Dutzend Ausflüge an die Flüsse Zentralkenias,
bevor ich überhaupt spürte, dass am Ende der Leine
eine Forelle knabberte. Obwohl der Erfolg anfangs
ausblieb, brachten mir meine Ausflüge Gelassenheit
und Erregung zugleich. Während ich lief und aus
warf, saß und schrieb, begriff ich allmählich, dass
das Angeln nur ein Vorwand ist, um zu entdecken
und zu beobachten. Um etwa den süßen, durchdrin
genden Duft der Engelstrompeten zu bemerken,
während die Sonne langsam hinter den Bergen ver
sinkt. Um zu erleben, wie Paare afrikanischer
Schwarz enten auf der Strömung gleiten, während
die Sonne den Nebel der Nacht vertreibt. Um wieder
einmal über Dinge nachzudenken, die größer sind
als man selbst. Oder auch kleiner.
Als die Fische dann irgendwann meine Fliegen
nahmen, erkannte ich, dass die Flüsse mir mehr
Zeit schenkten, als sie mir abverlangten. Ich war
gekommen, um Frieden und Zerstreuung, um ein
Gegengewicht zu den Belastungen meines Lebens zu
finden. Während ich durch die Wasserwirbel watete,
spürte ich endlich wieder eine echte Verbindung zu
mir selbst – wie damals an den Sommertagen meiner
Kindheit, als Sandhaie und Kugelfische mein Herz
vor Neugier und Staunen pochen ließen.
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Frisch gefangene Forellen, ausgelegt am Ufer des kenianischen Flusses Mathioya. An dessen Ufern erlernte Pete Muller in aller Ruhe das
Fliegenfischen – und erfuhr das Glück, nach vielen Versuchen endlich Fische an den Haken zu bekommen und dabei zu sich zu finden.
40 NATIONAL GEOGRAPHIC
EXPLORE R (^) | FLIEGENFISCHEN
Pete Muller dokumentiert als Fotograf und Ethnograf die Aus-
wirkungen von Umweltzerstörung, Kriegen und Konflikten auf
die Menschen, überwiegend in Afrika.