Als etwa 3000 v. Chr.
mit dem Bau von
Stone henge begonnen
wurde, war Britannien
von jungsteinzeitlichen
Bauern bewohnt. Ein
Jahrtausend später, als
die Anlage fertig war,
hatten Nachfahren
der Jamnaja-Menschen
die jungsteinzeitliche
Bevölkerung ersetzt.
War eine Epi demie der
Pest die Ursache?
Kopenhagen tätiger Evolutionsbiologe, für mög-
lich. Er wirkte bei der Entdeckung der alten Pest-
DNA mit und sagt: „Pestepidemien machten den
Weg für die Ausdehnung der Jamnaja-Kultur frei.“
Doch ein großes Fragezeichen bleibt bei dieser
Theorie: Zwar wurde die Pest in jungsteinzeit-
lichen Skeletten nachgewiesen. Aber wo sind
die Pestgruben voller Skelette, wie sie der
Schwarze Tod im Mittelalter hinterließ? Schließ-
lich starben Millionen jungsteinzeitlicher Bau-
ern in ganz Europa.
O
b die Jamnaja-Menschen die Pest
im Gepäck hatten oder nicht – fest
steht: Sie brachten domestizierte
Pferde und damit ein neues Maß
an Mobilität ins steinzeitliche Eu-
ropa. Auch durch ihre innovativen Waffen und
Werkzeuge aus Metall könnten sie Europa ein
Stück in Richtung Bronzezeit geschoben haben.
Und das war womöglich nicht einmal der
wichtigste Beitrag dieser Kultur zur Entwicklung
des Kontinents. Denn ihre Einwanderung fällt
in die Zeit, in der sich die indoeuropäische
Sprachfamilie ausformte. Sie besteht Linguisten
zufolge aus Hunderten von Einzelsprachen, zu
denen auch die meisten gehören, die heute von
Irland über Russland bis in die Nordhälfte In-
diens gesprochen werden.
Forscher halten es für denkbar, dass sich diese
Sprachen allesamt aus einer einzigen indoeuro-
päischen Protosprache entwickelt haben. Über
die Frage, wo und von wem diese gesprochen
wurde, wird schon seit dem 19. Jahrhundert
debattiert. Einer Theorie zufolge brachten die
jungsteinzeitlichen Bauern aus Anatolien sie
zusammen mit dem Ackerbau nach Europa.
Eine andere und sehr folgenreiche Theorie
stellte der deutsche Prähistoriker Gustaf Kos sinna
vor 100 Jahren auf. Sie besagt, dass die Proto-
Indoeuropäer eine alte nordgermanische Rasse
waren und jenes Volk hervorbrachten, das
Schnurkeramik und Äxte in Europa einführte.
Kossinna ging davon aus, dass sich die biologische
Identität von Völkern vergangener Zeiten aus dem
ableiten ließe, was sie hinterlassen hatten. „Scharf
umgrenzte Kulturprovinzen“, schrieb er, „decken
sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern
oder Völkerstämmen.“ Der nordgermanische
Stamm der Proto-Indoeuropäer, so schloss Kos-
sinna aus den Funden, habe sich ausgebreitet und
letztlich über ein Gebiet geherrscht, das sich fast
bis nach Moskau erstreckte.
Nazi-Propagandisten verwendeten diese
These später als pseudowissenschaftliche Recht-
fer tigung für die Herrschaft einer kulturell über-
legenen „arischen Herrenrasse“ über die an-
geblich minderwertigen slawischen Völker
Osteuropas. Daher macht es manche Forscher
nervös, wenn Genetiker Striche über Karten von
Europa ziehen, um Wanderungsbewegungen zu
skizzieren. „Diese Art der Vereinfachung führt
zurück zu Kossinna“, warnt der Archäologe Volker
66 NATIONAL GEOGRAPHIC
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