Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
te, vier Klafter Feuerholz und 30 Eimer
steuerfreies Bier. Da ist der 23-Jährige
schon so etabliert, dass er mit seiner ers­
ten Ehefrau Maria Barbara eine bürger­
liche Existenz aufbauen kann.
Dass er 1717 Hofkapellmeister in
Köchen wird, ist ein deutlicher Karriere­
schritt. Bach befehligt hier eine Kapelle
aus 17 professionellen Musikern, und das
bei einem Gehalt, das dem des zweit­
höchsten Hofbeamten entspricht.
Auch das Arbeitsklima scheint zu­
nächst günstig: Der junge Fürst Leopold
liebt die Kunst, sammelt Gemälde, spielt
selbst Gambe, Violine und Cembalo.
Nur schade, dass er dann eine Frau
mit wenig Sinn für Musik heiratet, die
auch beim Fürsten, wie Bach klagt, die
"musikalische Inklination" etwas "lau­
licht" werden und Bach nach besseren
Posten Ausschau halten lässt.

Nun also Leipzig. Bach verdient hier
noch besser als in Köchen: Zwar beträgt
sein Grundgehalt nur gut 100 Ta ler im
Jahr, gerade doppelt so viel wie das eines
Barbiers. Dazu kommen aber Neben­
einkünfte fü r die Musik bei Ratswahl-,
Studenten-und Geburtstagsfeiern, bei
Hochzeiten und Beerdigungen.
Bald erwirtschaftet er 700 Ta ler im
Jahr, das vierfache Salär eines Pfarrers.
Zum Antrittsgottesdienst, am ersten
Sonntag nach Tr initatis, präsentiert
Bach, der den Mangellängst nicht mehr
kenm, seine Kantate "Die Elenden sollen
essen". Das Publikum reagiert, wie die
Presse vermerkt, ,,mit gutem Applaus".
Die Arbeit selbst aber wird ihm
bald sauer. Bach schuftet 15 bis 16 Stun-


172:1 J Johann Sebastian Bach


den am Tag, und "ohne des regierenden
Herrn Bürgermeisters Erlaubnis" darf er,
so der Ve rtrag, die Stadt nicht verlassen.
Er muss die Gottesdienste an den
vier Hauptkirchen untermalen, jeden
Sonntag eine Kantate zur Aufführung
bringen, möglichst von ihm komponiert,
und We ihnachten und Ostern noch eine
Passion oder ein Oratorium dazu.
Er soll auch Orgeln, Musiker und
Kandidaten fü r den öffentlichen Dienst
begutachten und die städtischen Instru­
mente warten. Und er muss 55 Internats­
schüler und rund 100 Externe an der
Thomasschule prüfen und unterrichten


  • in Gesang und lnstrumentalspiel, aber
    auch in Latein, dem lutherischen Kate­
    chismus und den "Colloquia Corderi",
    einem Lehrbuch über Frömmigkeit,
    Literatur und gutes Benehmen.
    Nicht nur Bach stöhnt unter der
    Arbeitslast: Auch die Schüler kommen
    nicht zur Ruhe. Täglich zur Frühan­
    dacht müssen sie singen, dienstags und
    freitags zur Betstunde an der Neukirche
    und schließlich zum Sonntagsgottes­
    dienst, der vier Stunden dauert. Der Tag
    der Zöglinge beginnt um fünf Uhr, und
    noch bis spät in den Abend hinein repe­
    tieren sie den Schulstoff.
    Im Schulhaus teilen sich drei Klas­
    sen einen Raum und im Schlafsaal drei
    Knaben ein Bett. Auch das Essen ist karg

  • und der ganze Alltag so kräftezehrend,
    dass viele der Schüler ständig krank, er­
    schöpft und schwach bei Stimme sind.
    Gleichzeitig hält die Schule auf
    strengste Disziplin. Die oberen Klassen
    dürfen nur lateinisch sprechen. We r zu
    viel isst, muss zwei Groschen Strafe zah­
    len, wer zu spät aufsteht und das Gebet
    versäumt, drei Pfennige, wer "lästerliche
    Reden führt", ob auf Deutsch oder La­
    tein, sechs. Und wer unerlaubt vor Ende
    des Gottesdienstes die Kirche verlässt,
    bekommt die Rute zu spüren.
    Bald findet sich auch Bach als Räd­
    chen dieser Disziplin wieder. Er muss
    den Schülern nicht nur "mit gutem
    Exempel vorleuchten", sondern sie auch


überwachen. Alle vier Wo chen hat er
Inspektorendienst, soll Morgen-und
Abendgebet und die fo lgende Bettruhe
der Zöglinge kontrollieren und zudem
aufpassen, dass es bei den Mahlzeiten
"kein Zechen" gibt, dafür aber Ve rse aus
der Heiligen Schrift, die "deutlich und
langsam vorgelesen werden".
Wo bleibt bei diesem Pensum die
Kunst? Schon sein Ve rtrag ist nicht ge­
rade dazu angetan, kreative Freiheit zu
garantieren: Bachs Musik, heißt es darin
etwa, dürfe "nicht zu lang" und schon
gar nicht "opernhaftig" sein.
Denn nur zögernd öffn en sich die
Leipziger neuen Tönen. Zwar hat an
der kleinen Neukirche schon 1717 eine
"oratorische Passion" - Christi Leidens­
geschichte mit verteilten Rollen - wegen
ihrer Annäherung an den italienischen
Konzert-und Opernstil für Aufsehen
gesorgt. Doch an den Hauptkirchen
pflegt man noch immer mit Hingabe die
kargen Motetten aus Luthers Jahrhun­
dert. Musik soll einzig dem Lobpreis
Gottes dienen, Genuss für Menschen­
ohren ist nicht vorgesehen.
Bach aber lässt sich nicht beirren.
Binnen weniger Jahre komponiert er
rund 300 Kantaten. Für die Te xte enga­
giert er lokale Talente wie die Bürger-

FÜR DAS CEMBALO schreibt Bach
bedeutende Instrumentalwerke wie
das >>Wohltemperierte Klavier«
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