staubig von der Reise, das
Vestibül. Üblicherweise ist
es die Zeit, da Majestät auf
der Flöte zu dilettieren
pflegt, begleitet von seinen
talentiertesten Untertanen
- doch an diesem Tag sagt
der König sein Nachmit
tagskonzert ab: "Meine
Herren, der alte Bach ist
gekommen", verkündet er
seinen Mitspielern. Der
Maestro wird durch die
Räume geführt, von Flügel
LITERATURTIPPS
CHRISTOPH WOLFF
»Johann Sebastian Bach«
Kundige Biografie aus
der Hand des ehemaligen
Leiters des Leipziger
Bach-Archivs (Fischer).
MARTIN GECK
»Johann Sebastian Bach«
Lesbare, übersichtliche
Darstellung von Leben und
Werk (Rowohlt).
mal trotzig beweisen, wozu
"Gelehrtheit" in der Musik
imstande ist.
Die Musikwelt aber
lässt sich durch diesen
Kraftakt von ihrer Ve rgnü
gungslust nicht abhalten.
Und auch Bachs Gesund
heit kann mit dem Fort
gang der Zeit nicht mehr
Schritt halten: Mit Mitte
60 lässt sein Augenlicht
rasch nach. Er kann jetzt
kaum noch komponieren
zu Flügel, muss überall eine und lesen. 1750 lässt er sich
Improvisation zum Besten geben.
Ehrfürchtig beschreiben die "Ber
linischen Nachrichten", wie der Musik
dilettant Friedrich dann am Klavier "in
eignerhöchster Person dem Kapellmeis
ter Bach ein Thema vorzuspielen" ge
ruht, "welches er in einer Fuge ausführen
solle" - eine Aufgabe, die der zum "al
lergnädigsten Wo hlgefallen" des Königs
erfüllt. Das Thema aber sei
von einem englischen Starstecher ope
rieren - doch selbst dem berühmten
"Okulisten" gelingt es nicht, die wach
sende Dunkelheit aufzuhalten.
dem Gast "so ausbündig
schön" erschienen, dass er
es weiter durchkomponie
ren und schließlich in Kup
fer stechen lassen wolle.
Es ist ein schwieriges,
fast bizarres musikalisches
Thema, voller Halbton
schritte und rhythmischer
Sprünge. Bach spielt es in
13 Variationen durch, ver
arbeitet es in Kanons so
wie in Fugen, denen er
den altertümlichen Titel
"Ricercar" gibt- nach dem
italienischen Wo rt für
"forschen".
Bach nennt das Werk
"Musikalisches Opfer",
lässt es tatsächlich stolz
auf eigene Kosten stechen
und drucken, schickt dem
König Friedrich das erste
Exemplar. Es ist, als wolle
der Komponist noch ein-
Mit dem Gesichtssinn schwindet
jetzt auch der restliche Leib dahin:
Bachs "im übrigen überaus gesunder
Körper", so Carl Philipp Emanuel in
seinem Nachruf, wird- wohl auch durch
IN KÜRZE
Johann Sebastian Bach
gehört zu den bedeutends
ten Komponisten der
Musikgeschichte. Während
seiner Anstellung als
Themaskantor in Leipzig
erforscht er die Tonkunst
mit geradezu wissenschaft-
lichem Eifer, lotet in
Instrumentalwerken syste
matisch den musikalischen
Kosmos aus. Und erschafft
mit seinen Kantaten,
Oratorien und Passionen
Meisterwerke der Kir
chenmusik, die in ihrem
komplexen Zauber jedoch
erst ab dem 19. Jahrhun
dert gewürdigt werden.
einen zunehmenden Dia
betes - "gänzlich über den
Haufen geworfen". Mitte
Juli zwingt ihn ein Schlag
anfall aufs Lager.
Ein heftiges Fieber
packt ihn, dem er am
- Juli 1750 "sanft und
seelig" erliegt.
Und es ist, als ver
schwände mit seinem Tod
auch sein Werk aus dem
Bewusstsein der Zeitge
nossen. Zwei Jahre später
gilt sein "Fugenstil", wie
der Flötenlehrer Fried
richs II. fe ststellt, unter
Musikern nur noch "als
eine Pedanterei".
Bachs Werke werden
kaum noch öffentlich auf
geführt, gelten als delikate
Hochleistungs-Übungen
für Spezialisten.
Erst zu Beginn des - Jahrhunderts entdeckt
die Musikwelt den Pionier neu: Im Zuge
der Romantik und ihrer Verklärung des
Gestern besinnt man sich auch in den
KonzertSälen wieder aufvergangene Epo
chen. 1801 veröffentlichen gleich drei
Ve rlage das ,Wohltemperierte Klavier".
Und 1829 führt der erst 20 Jahre
alte Komponist Felix Mendelssohn
Bartholdy in Berlin unter großem Jubel
die "Matthäuspassion" auf- und leitet
so endgültig die Renaissance des verges
senen Klangforschers ein.
Als Mensch aber bleibt Bach, der Meis
ter der "mathematischen Wissenschaft"
namens Musik, auch nach seiner Wie
dergeburt ein Phantom. Es ist, als sei
unter seinen Parabeln, Gleichungen und
Differentialen auch seine Person zur
Abstraktion geworden.
Sein Charakter, sein Seelenleben,
seine Wünsche und Ängste bleiben ein
Geheinmis, sogar seine Physiognomie ist
schwer zu fassen: Es gibt bloß ein einzi
ges einigermaßen anerkanntes Porträt.
Wenige Zeugnisse von Zeitgenos
sen sind überliefert, kaum persönliche
Briefe, keine schriftlichen Gedanken zur
Musik. Niemand wird später auch nur
halbwegs zuverlässig rekonstruieren kön
nen, was für ein Mensch dieser Johann
Sebastian war, was er glaubte, was er
liebte oder träumte.
Wa s von ihm bleibt, ist so sachlich
wie seine Musik und das Zeitalter der
Forschung, in dem sie entstand: ein paar
amtliche Eingaben, Ve rträge, Akten ver
merke, ein paar dürre Daten in Kirchen
büchern.
Der Rest sind Noten. 0