Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

DAS BABY IM ARM, macht sich der geflügelte
Tod davon. Ganze Familien löscht die Pest aus ­
und entvölkert Hunderte preußische Dörfer


DIE MILIZ riegelt die Grenze zu Polen ab, um
die von dort vordringende Seuche zu stoppen.
Dennoch kommt die Pest unaufhaltsam näher

1708-1710 Pestepidemie in Preußen

doch häufig in der Hand der Fa­
milie. Denn der Adel ist an einer
funktionierenden Beziehung zu
seinen Untertanen interessiert,
schließlich sind sie sein Kapital.

G


rößter Grundbesit­
zer der Region ist
der seit 1688 regie­
rende Landesherr,
Friedrich III., Kur­
fü rst von Brandenburg und Her­
zog von Preußen. Dem Adeligen
gehört knapp die Hälfte des
Ackerlandes. Die Erträge seiner
preußischen Ländereien sind eine
wichtige Einnahmequelle.
Neue Siedler schickt der
Herrscher in Preußens Wildnis,
wo sie kaum Frondienste leisten,
dafür aber das Land kultivieren
und Abgaben zahlen müssen.
"Schatulldörfer" heißen diese An­
siedlungen - weil sie die Staats­
kasse füllen sollen.
Rund die Hälfte seines Etats
investiert Friedrich in sein stehen­
des Heer mit mehr als 30 000
Soldaten, das sich unter seinem
Vater einen guten Ruf erkämpft
und dafür gesorgt hat, dass
Brandenburg-Preußen nach der
Ve rheerung des Dreißigjährigen
Krieges als Regionalmacht in Mie­
teieuropa wahrgenommen wurde.
Friedrich ist das nicht genug:
Er will Brandenburg-Preußen in
die erste Reihe der europäischen
Mächte fü hren. Neben einem
schlagkräftigen Heer ist dafür ein
Rang erforderlich, der ihn auf Au­
genhöhe mit Ludwig XIV., Eng­
lands Wilhelm III. und Polens
August II. bringt. Kurz: Der Kur­
fürst will zum König aufsteigen.
Im Dezember 1700 erhält er
tatsächlich die Zusage vom Kaiser
des römisch-deutschen Reiches
(der dafür dringend benötigte
militärische Unterstützung im


  1. I GEO EPOCHE Deutschland um 1700


Kampf gegen Frankreich erhält).
Und so reist der Fürst im fo lgen­
den Januar für die Krönungszere­
monie mit 1800 Kutschen und
Wa gen von Berlin nach Königs­
berg.
Die Feierlichkeiten sind ein
siebenwöchiges Spektakel: Der
Herrscher, der sich als Monarch
nun Friedrich I. nennt, lässt in
Schaukämpfen Wisente und
Bären aufeinanderhetzen, stellt
Brunnen auf, aus denen Rot-und
We ißwein plätschert, und wirft
Ta usende Taler in die Menge. Die
Kronen, die der neue König sich
selbst und seiner Gemahlin auf­
setzt, sind über und über mit Dia­
manten und Perlen verziert.
Getrieben ist Friedrich I. von
Eitelkeit - aber er protzt auch, um
zu erreichen, dass ihn die anderen
absolutistischen Fürsten als einen
der ihren anerkennen. Daher
steckt er Unsummen in sein Ber­
liner Schloss Charlottenburg.

DOCH DIE KOSTEN überfordern
die Wirtschaft seines Staates:
Insgesamt verschlingt die Krö­
nungsfeier sechs Millionen Ta ler,
das Anderthalbfache des jährli­
chen Etats. Der König ist verschul­
det - und dafür sollen vor allem
die Bauern Preußens aufkom­
men: Zwischen 1700 Lmd 1708 er­
höht Friedrich deren Steuern um
65 Prozent (der Adel dagegen ist
weitgehend von Abgaben befreit).
Für die Landleute bedeutet
dies eine enorme Belastung. Aus
zehn Körnern Saatgut ernten sie
in einem normalen Jahr gut 40 -
und brauchen weit mehr als die
Hälfte davon für die nächste Aus­
saat und um ihre Familien, Gesin­
de und Tiere zu ernähren.
So bleibt nur wenig Über­
schuss, den sie verkaufen oder für
schlechte Zeiten lagern können.
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