Die Messners auf Schloss Juval
Tobias Scharnagl und Ingrid
Eißele wunderten sich, die
Autoren eines Buchs über
Verzicht in einem Luxushotel
zu treffen. Der Verlag habe den Ort vorgeschla-
gen, sagten die Messners, sie empfingen
sonst gern zu Hause FOTO: RONNY KIAULEHN
Menschen. Ich habe unsere Nutzung von
Alltagsartikeln wie Shampoo und Spül-
mittel wesentlich reduziert. Auf Schloss
Juval haben wir das Privileg eines Gartens
und versorgen uns selbst.
Verzichten, aber nur ein bisschen. Reicht
das für die Probleme unserer Zeit?
REINHOLD: Es bringt nichts, wenn nur ein
kleiner Teil von uns verzichtet. Wenn die
großen Länder sich nicht einigen, wird al-
les andere wenig helfen. Meine Generation
hat die Welt ja nicht mutwillig aus dem
Gleichgewicht gebracht, wir haben die Fol-
gen unserer Wachstumspolitik nicht vor-
ausgesehen.
Kann sein, aber macht das einen Unter-
schied?
REINHOLD: Viele junge Leute diskutieren
aus einer Blase heraus. Der Wohlstand, in
dem sie leben, wäre ohne Ausbeutung von
Ressourcen nicht möglich gewesen. Sie
sollten ihre Kraft und ihre Ideen für eine
bessere Zukunft einsetzen, für neue Tech-
nologien, Forschung, für ihre „Rettung der
Welt“. Und nicht fürs Verdammen der älte-
ren Generationen.
Sie sagen den nachfolgenden Generatio-
nen also: Stellt euch nicht so an...
REINHOLD: Wir alle haben mindestens das
Recht, nachzudenken, was wir wirklich
falsch gemacht haben.
Bei all den Krisen – ist ein gelingendes
Leben überhaupt noch möglich?
REINHOLD: Sinn wird individuell gestif--
tet, nicht kollektiv. Ich habe nie verstan-
den, warum Menschen in Sekten oder Re-
ligionen ihren Lebenssinn suchen. In kri-
tischen Augenblicken, aber auch beim Son-
nenaufgang oder beim Zurückkommen
vom Berg gab es keine Fragen mehr nach
dem Sinn. Weil ich selbst die Antwort war.
Als Sie allein den Everest bestiegen,
fielen Sie in eine Gletscherspalte. Sie
schworen sich, wenn Sie es herausschaf--
fen, würden Sie aufgeben. Sie schafften
es – trotzdem stiegen Sie weiter auf. Darf
man sich selbst betrügen?
REINHOLD: Ein Selbstbetrug, vielleicht.
Aber all die Vorbereitungen, das Training,
führten dazu, dass die Motivation stärker
war als der Schwur, umzukehren.
Herr Messner, wie möchten Sie sterben?
REINHOLD: Einschlafen. Oder am Berg
bleiben. Niemand will lange krank sein. Ich
versuche, mich dem Alter zu stellen. Es ist
die größte Herausforderung meines ver-
bleibenden Lebens.
DIANE: Uns ist bewusst, dass er mich
wahrscheinlich eines Tages mehr brau-
chen wird als ich ihn. Falls nötig, werde ich
ihn pflegen, soweit ich kann. Ich scheue
mich nicht vor dieser Verantwortung. Das
ist meine Art der Hingabe, der Liebe. Mög-
lich ist aber auch, dass ich auf ihn ange-
wiesen bin, wenn ich bei einer Bergtour
stürze.
REINHOLD: Oder wenn du einen Auto-
unfall hast.
DIANE: Bist du dann für mich da?
REINHOLD: Ja.
Was wäre, wenn Reinhold im Kranken-
haus künstlich beatmet werden müsste?
DIANE: Er will das nicht. Darüber sprechen
wir.
Auch über assistierten Suizid?
DIANE: Auch darüber.
Herr Messner, wo liegt für Sie die Grenze
des Ertragbaren?
REINHOLD: Da, wo man mir die Freiheit
nimmt.
Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
REINHOLD: Gut. Aber ich merke, dass
meine Ausdauer und Sprachfähigkeit
nachlassen.
Sie gelten als großer Erzähler: Ist dieser
Verlust für Sie das Schlimmste?
REINHOLD: Noch geht es gut. Wenn ich in
Englisch vortrage, fallen mir manche Wör-
ter nicht ein. Im Deutschen habe ich noch
keine Einbußen. Aber ich weiß, dass das
kommen wird.
DIANE: Das Altern gehört zum Leben dazu.
Menschen deshalb aus der Gesellschaft,
aus dem aktiven Leben auszugrenzen ist
ungerecht. In Nepal etwa gibt es kaum Al-
tersheime. Die Generationen leben unter
einem Dach und teilen sich ihre Aufgaben.
Herr Messner, wie wollen Sie bestattet
werden?
REINHOLD: Eine Urnenbestattung. Ich
habe mein Grabmal schon ausgewählt,
einen Chörten, den steinernen Kultbau der
Tibeter, er wird auf Schloss Juval sein, er ist
bereits gebaut.
DIANE: Oder doch die Himmelsbestattung
mit den Geiern?
REINHOLD: Wenn̓’s nach mir ginge, würde
ich die Geier vorziehen. Ich habe das ein-
mal gesehen, als junger Mann in Tibet: Ein
Mönch schlitzte den Leichnam auf, dann
stürzten riesige Geier herunter, bedienten
sich und flogen hintereinander in den
Himmel auf. Dann zerschlug der Mönch
das Gerippe.
DIANE: Reinhold würde das wirklich ma-
chen, wenn er die Geier in Südtirol einfüh-
ren dürfte.
REINHOLD: Für mich die eleganteste Form
des Verschwindens.
DIANE: Ich weiß nicht, ob die Geier das
überleben würden, ihn zu fressen! Die ar-
men Geier!
REINHOLD: Es ist absolut sauber hinterher.
Was wünschen Sie Ihrer Frau, wenn Sie
einmal nicht mehr da sind?
REINHOLD: Dass sie ihre Energie und Le-
bensfreude behält. Dass sie weiter gestaltet.
DIANE: Ich werde sein Archiv, sein Erbe
verwalten. So viele Fotos, so viele Ge-
schichten. Ich werde diesen Schatz bewah-
ren und mit den Menschen teilen. 2
ICH HABE
MEIN
GRABMAL
SCHON
AUSGEWÄHLT“
sames Buch
„Sinnbilder.
Verzicht als
Inspiration für
ein gelingen-
des Leben“
(S. Fischer,
22 Euro)
Reinhold Messner
50 29.9.2022