SEITE 4·DONNERSTAG, 8. AUGUST 2019·NR. 182 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Herr Ministerpräsident, als Sie im Juli
als Verdächtiger zu einer Befragung vor
dem Sondertribunal für Kriegsverbre-
chen im Kosovo vorgeladen waren, ver-
weigerten Sie die Aussage. Daher wollen
Sie vermutlich auch hier nicht sagen,
welche Vorwürfe man Ihnen in Den
Haag macht?
Die Ermittler eröffneten mir, sie woll-
ten von mir mehr über die Gründung der
„Befreiungsarmee Kosovo“ und meine
Rolle darin erfahren. Mit spezifischen
Vorwürfen wurde ich aber nicht konfron-
tiert. Mein Anwalt, der mich begleitete,
riet mir deshalb, mich ebenfalls nicht spe-
zifisch zu äußern.
Wie lang hat die Befragung gedauert?
Etwa eine Stunde.
Rechnen Sie nun mit einer Anklage?
Darüber wurde ich nicht informiert. Ich
wurde vorgeladen und habe meine Ver-
pflichtung erfüllt, zu erscheinen. Alles an-
dere liegt im Ermessen des Gerichts.
Haben Sie aus den Fragen, mit denen
Sie konfrontiert wurden, ableiten kön-
nen, ob es den Ermittlern um ähnliche
Vorwürfe geht wie dem UN-Kriegsver-
brechertribunal für das ehemalige Jugo-
slawien, vor dem Sie sich in zwei Prozes-
sen als Beschuldigter verteidigen muss-
ten?
Was ich dazu sagen kann, ist: Die Grün-
dung der „Befreiungsarmee Kosovo“ und
meine Rolle dabei ist durch diese beiden
Verfahren, die insgesamt acht Jahre dau-
erten und an deren Ende ich jeweils frei-
gesprochen wurde, bereits sehr gut doku-
mentiert.
Es gibt die Ansicht, das Kosovo-Sonder-
tribunal sei ein Instrument, um kosovari-
sche Politiker zu disziplinieren, die west-
lichen Anordnungen nicht nachkom-
men. Sagen Sie das auch?
Da ich schon zweimal als Angeklagter
vor dem Kriegsverbrechertribunal stand
und jeweils freigesprochen wurde, war es
eine große Überraschung, nun noch ein-
mal vorgeladen zu werden. Es ist kein Ge-
heimnis, dass ich Grenzverschiebungen
in unserer Region, wie sie von einem Teil
der Staatengemeinschaft unterstützt wer-
den, als viel zu gefährlich ablehne. Des-
halb sage ich auch, dass die Zölle von 100
Prozent für Einfuhren von Waren aus Ser-
bien, die meine Regierung eingeführt hat,
so lange bleiben werden, bis Belgrad die
Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt
hat. Angesichts solcher Umstände gibt es
natürlich viele Theorien und Spekulatio-
nen dazu, wie es dazu kam, dass ich nun
vorgeladen wurde.
Die Einführung der Strafzölle scheint
Sie jedenfalls Unterstützung in Washing-
ton gekostet zu haben, da Präsident Do-
nald Trump Grenzverschiebungen und ei-
nen Territorialtausch zwischen Serbien
und dem Kosovo unterstützt.
Die möglichen Konsequenzen waren
mir bewusst, aber ich war immer ehrlich
zu unseren Verbündeten in Washington
und Europa, indem ich ihnen sagte:
Grenzveränderungen bedrohen die Stabi-
lität hier im Kosovo und in der gesamten
Region. Zudem ist es sehr schwierig, ei-
nem Nachbarstaat unseren Markt zu öff-
nen, der unsere Existenz bestreitet und
uns bedroht. Deshalb herrscht Einigkeit
im Kosovo, dass die Zölle bleiben, bis es
zu einer Anerkennung kommt.
Im Kosovo ist zu hören, dass womöglich
auch der kosovarische Präsident Ha-
shim Thaçi nach Den Haag zitiert wur-
de, er die Vorladung im Unterschied zu
Ihnen aber nicht öffentlich gemacht hat.
Ich höre solche Spekulationen auch
überall, kann dazu aber nichts sagen. Für
mich war sofort klar, dass ich mein Land
und meine Bürger von der Vorladung in-
formieren und umgehend zurücktreten
musste. Im Geheimen oder als Minister-
präsident vor den Ermittlern zu erschei-
nen war inakzeptabel für mich. Also trat
ich zum zweiten Mal in meinem Leben im
Zusammenhang mit unbewiesenen Vor-
würfen als Regierungschef zurück.
Bei Ihrem Rücktritt 2005 standen Sie al-
lerdings bereits unter Anklage als Kriegs-
verbrecher, während es diesmal bisher
nur um eine Befragung geht.
Aber auch als Verdächtigter ohne An-
klage möchte ich nicht als Ministerprä-
sident nach Den Haag gehen. Das wollte
ich meinem Staat und Volk nicht zumu-
ten.
Ihr Rücktritt hat also nichts damit zu
tun, dass Ihre Koalition ohnehin vom
Zerfall bedroht war?
Diese Koalition stand vor vielen Her-
ausforderungen, aber die hätten nicht zu
meinem Rücktritt geführt. Eine Vorla-
dung vor ein Gericht ist von ganz anderer
Qualität.
Als Problem der früheren Verfahren ge-
gen Sie gilt, dass Zeugen der Anklage
bei Unfällen ums Leben kamen, getötet
wurden oder ihre Aussagen zurückzo-
gen.
Da muss ich Sie korrigieren. Serge
Brammertz, dem Chefankläger des Haa-
ger Kriegsverbrechertribunals, wurde
2011 bei einer Pressekonferenz in Bel-
grad dieselbe Frage gestellt, und er ant-
wortete, dass in meinem Fall nicht ein
einziger Zeuge auf der Liste der Anklage
oder in einem Zeugenschutzprogramm
getötet worden sei. Im zweiten Haager
Verfahren gegen mich haben die Richter
sogar bestätigt, dass ich angeordnet
habe, dass Zeugen nicht bedroht werden.
Natürlich ist der Zeugenschutz stets ein
wichtiges Thema im Kosovo – aber es ist
erwiesenermaßen falsch, das ausgerech-
net mit meinem Verfahren in Verbin-
dung zu bringen. Alle, die in den Verfah-
ren gegen mich aussagen sollten, konn-
ten das tun.
Sie würden also nicht sagen, dass Koso-
varen, die gegen einstige Kommandeure
der „Befreiungsarmee Kosovo“ aussa-
gen wollen, in ihrer Heimat bedroht und
mit ihren Familien als Verräter ausge-
grenzt werden?
Einige werden vielleicht ausgegrenzt,
während andere ihren Mut bejubeln. Es
gab aber auch Fälle, bei denen Menschen
versuchten, in ein Zeugenschutzpro-
gramm zu kommen, um in einem anderen
Land ein besseres Leben zu haben. Sie bo-
ten der Anklage Mitarbeit an, wenn sie
nur unter neuer Identität in ein Zeugen-
schutzprogramm aufgenommen werden.
Sie gingen so weit, einen Meineid zu leis-
ten, was erfahrene Richter aber durch-
schaut haben. Das ist in der Vergangen-
heit oft passiert.
Potentielle Zeugen sind also weder von
Ihnen noch von Dritten in Ihrem Auf-
trag jemals bedroht worden?
Von mir nie und von anderen zumin-
dest nie mit meinem Wissen. Es gab ei-
nen Zeugen gegen mich, der bei einem
Verkehrsunfall mit einem betrunkenen
Serben in Montenegro ums Leben kam.
Aber erst nach seinem Tod wurde über-
haupt bekannt, dass sein Name auf der
Liste der Zeugen der Anklage gegen mich
stand. Ich habe meinen Respekt für die
Gerichte stets dadurch zum Ausdruck ge-
bracht, dass ich als Ministerpräsident zu-
rückgetreten bin, wenn Vorwürfe gegen
mich erhoben wurden.
Die Fragen stellteMichael Martens.
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BERLIN ,7. August. Berlins Bildungs-
senatorin Sandra Scheeres (SPD) gerät
wegen der schulpolitischen Krise in der
Hauptstadt zunehmend in Bedrängnis.
Kaum hatte sie die Öffentlichkeit zu
Schuljahrsbeginn mit zwei Dritteln
Quer- und Seiteneinsteigern unter den
neu eingestellten Lehrern konfrontiert,
stellte sich heraus, dass in Berlin in zwei
Jahren etwa 25 000 Schulplätze fehlen.
Das gilt für besonders beliebte Zuzugs-
bezirke der Stadt. Die von Rot-Rot-Grün
längst beschlossene Schulbauoffensive
kommt kaum voran und scheitert häufig
an den Bezirksämtern. Im Zweifel schie-
ben sich Senat und Bezirksämter wech-
selseitig die Verantwortung zu, wenn es
nicht einmal klappt, eine seit Jahren
leerstehende Schulaula zu renovieren.
Selbst Finanzsenator Matthias Kollatz
(SPD) gibt zu, dass beim Schulbau kei-
neswegs alle Potenziale ausgeschöpft
sind. Bei den Genehmigungsprozessen
und dem eigentlichen Bau könne man
schneller vorankommen.
Nach dem Landeselternausschuss
greift nun auch die Gewerkschaft Erzie-
hung und Wissenschaft (GEW) die Sena-
torin mit deutlichen Worten an und for-
derte einen „Krisengipfel“, um mit allen
Beteiligten nach Lösungen zu suchen.
„Es müssen alle Daten, Zahlen und Fak-
ten auf den Tisch“, sagte der Berliner
GEW-Vorsitzende Tom Erdmann. Wenn
Scheeres nicht endlich handele, seien
noch größere Klassen, weniger Unter-
richt und weitere Belastungen für die
Pädagogen die unausweichliche Konse-
quenz. Erst verkünde sie einen „reibungs-
freien Schulstart. Über das Wochenende
klafft plötzlich eine Lücke von 25 000
Schulplätzen, und zwei Tage später soll
der Bildungsforscher Olaf Köller plötz-
lich eine Qualitätskommission leiten –
diese Abfolge erstaunt uns schon sehr“,
sagte Erdmann der Deutschen Presse-
Agentur.
Am Dienstagabend hatte die Schul-
senatorin die Qualitätskommission ange-
kündigt, die zentrale Schritte des Berli-
ner Qualitätspakets mit 39 gezielten
Maßnahmen mit ihrer Expertise beglei-
ten soll, um auf diese Weise die Unter-
richtsqualität zu steigern. Als Vorsitzen-
den der Kommission hatte Scheeres den
Bildungsforscher Olaf Köller gewonnen,
der seit 2009 wissenschaftlicher Direk-
tor des Leibniz-Instituts für die Pädago-
gik der Naturwissenschaften und Mathe-
matik (IPN) an der Universität Kiel ist.
Köller hat mit anderen Bildungsfor-
schern zuletzt die Qualität des Mathema-
tikunterrichts an Hamburger Grundschu-
len evaluiert und dem Senat Vorschläge
zur Verbesserung gemacht, die von der
Politik weitgehend aufgegriffen wurden.
In Berlin ist er darauf angewiesen,
dass die Schulbehörde ihm unverstellten
Einblick in die Untiefen des Berliner
Schulsystems gibt und die Senatorin sich
hinterher auch verpflichtet sieht, die Vor-
schläge der Kommission zu verwirkli-
chen. Der Berliner Qualitätskommission
sollen Vertreter des Landesschulbeirats,
der Gewerkschaften, des Landeseltern-
ausschusses sowie der Hochschulen, der
Wirtschaft, des Landesschülerausschus-
ses und weitere externe Fachleute ange-
hören. Er soll regelmäßig tagen und im
kommenden Jahr Vorschläge unterbrei-
ten. Die Berliner CDU forderte inzwi-
schen den Rücktritt der Schulsenatorin.
„Diese Bildungskrise ist schon lange
eine Scheeres-Krise“, sagte der Berliner
CDU-Vorsitzende Kai Wegner.
Ramush Haradinaj wurde 1968 in dem
Ort Deçan (serbisch Dečani) geboren,
der als Teil der serbischen Autonomen
Provinz Kosovo damals zu Jugosla-
wien gehörte. Nachdem sich Mitte der
neunziger Jahre die paramilitärische
„Befreiungsarmee Kosovo“ gebildet
hatte, wurde Haradinaj in seiner Hei-
matregion zu ihrem Befehlshaber.
Nach dem Kosovo-Krieg der Nato
1999, als dessen Folge alle bewaffne-
ten serbischen Verbände aus dem Ko-
sovo abziehen mussten, gründete Ha-
radinaj eine Partei: Die „Allianz für
die Zukunft des Kosovos“ wurde rasch
zu einer maßgeblichen politischen
Kraft. Ende 2004 wurde Haradinaj
zum Regierungschef des damals noch
unter UN-Verwaltung stehenden Koso-
vos gewählt.
Nachdem er im März 2005 vom UN-
Kriegsverbrechertribunal für das ehe-
malige Jugoslawien angeklagt wurde,
trat er umgehend zurück, um sich dem
Gericht zu stellen, wurde drei Jahre
später aber freigesprochen. Da der Ver-
dacht bestand, es habe eine massive
Einschüchterung von Zeugen gege-
ben, kam es in Den Haag zu einem
weiteren Verfahren gegen Haradinaj,
das jedoch ebenfalls in einem Frei-
spruch endete. Nun hat das neu ge-
gründete, ebenfalls in Den Haag behei-
matete Kosovo-Sondertribunal Haradi-
naj im vergangenen Monat wiederum
als Verdächtigen vorgeladen, aller-
dings ohne bisher Anklage zu erhe-
ben. Haradinaj, der 2017 zum Minister-
präsidenten des mittlerweile unabhän-
gigen Kosovos gewählt wurde, nahm
die Vorladung nach Den Haag zum An-
lass, wie 2005 zurückzutreten. Er am-
tiert derzeit jedoch noch, da kein
Nachfolger ernannt wurde. (tens.)
oll.BERLIN, 7. August. Der stellvertre-
tende Vorsitzende der Unionsfraktion
Carsten Linnemann hat sich überrascht
von der Kontroverse gezeigt, die von sei-
ner Forderung ausging, Kinder ohne aus-
reichende Deutschkenntnisse später ein-
zuschulen. „Für mich ist das eine Selbst-
verständlichkeit“, sagte Linnemann im
Deutschlandfunk am Mittwoch. Er stell-
te klar, dass er niemanden vom Schulbe-
such ausschließen, sondern betroffene
Kinder besonders fördern wolle. Von ei-
nem Schulverbot habe er nie gespro-
chen. „In Hessen gibt es seit 2006 Sprach-
tests, und es gibt Vorlaufkurse und es
gibt sogar das Recht, Kinder vom Schul-
besuch der ersten Klasse zurückzuwei-
sen und in Sprachintensivklassen zu be-
schulen.“ Dagegen seien in Berlin im ver-
gangenen Jahr 2000 Familien zum
Sprachtest eingeladen worden, jedoch
nur 1350 gekommen. Von den 1350 Teil-
nehmern habe nur ein Viertel bestan-
den, doch es habe keine Konsequenzen
gegeben. Linnemann forderte „deutsch-
landweit verbindliche Tests für alle, und
wer diese Tests nicht besteht, dafür brau-
chen wir eine Vorschulpflicht. Und ich
möchte gerne eine Debatte darüber, wie
diese Vorschulpflicht aussieht.“
Über die Deutschkenntnisse von
Grundschulkindern gibt es keine
deutschlandweiten Erhebungen, wohl
aber aus einzelnen Ländern. Im Jahr
2017 konnten 6,9 Prozent der Berliner
Kinder bei der Einschulung kaum oder
kein Deutsch, 10,6 Prozent sprachen feh-
lerhaft, 82,6 gut oder sehr gut. Bei den
nichtmuttersprachlichen Erstklässlern
konnten 14 Prozent kaum Deutsch.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe
(SPD) widersprach Linnemann in der
ARD. Zwar müsse mehr für Sprachförde-
rung getan werden, aber es sei kein Kind
perfekt, wenn es zur Schule komme, und
deswegen könne man keine Eintrittskar-
ten verteilen. CDU-Generalsekretär
Paul Ziemiak sprach sich für eine geziel-
te Sprachförderung im Kindergarten
aus. Vor der Einschulung müsse es über-
all verbindliche Sprachtests geben.
STUTTGART, 7. August. Können Koope-
rationen zwischen Universitätskliniken
und privaten Klinikkonzernen künftig
die Krankenversorgung sicherstellen? Im
Ulmer Universitätsklinikum in Baden-
Württemberg hat man diese Frage nach
zähen Verhandlungen mit der Sana Klini-
ken AG gerade verneint. Nach dreißig
Jahren beendete die Universitätsklinik
die Zusammenarbeit mit einer neurologi-
schen und orthopädischen Klinik der
Sana-Gruppe und kündigte den Vertrag.
Udo Kaisers, Leitender Ärztlicher Di-
rektor in Ulm, kritisiert die bisherige Ko-
operation: „Das Prinzip dieser Zusam-
menarbeit war, dass das Ergebnis der
RKU-Klinik in den Konzernabschluss
des privaten Klinikbetreibers einbezogen
wird, ohne dass dies für die Universitäts-
medizin einen Vorteil gebracht hätte.“ Er
plädiert nun dafür, die „Rehabiliations-
und Universitäts-Klinik“ (RKU) für ei-
nen zweistelligen Millionenbetrag zu kau-
fen, weil seiner Klinik eine neurologi-
sche Abteilung fehle. Mit Blick auf die
derzeitige Diskussion über Krankenhaus-
schließungen warnt Kaisers davor, in Ko-
operationen mit Privatkliniken zu hohe
Erwartungen zu setzen. „Wenn die Kran-
kenhauslandschaft bereinigt werden
muss, wir zu viele Krankenhäuser haben
sollten, dann darf die Politik die hohen
Gewinnerwartungen der privaten Kran-
kenhausbetreiber nicht unterschätzen.“
Er habe Zweifel, ob mit solchen Koopera-
tionen die Daseinsvorsorge zukunftsfest
gemacht werden könne. Die Fallpauscha-
len würden aufgrund der Kosten öffent-
lich-rechtlicher Kliniken berechnet; die
privaten Kliniken wirtschafteten günsti-
ger, hätten eine auskömmliche Umsatz-
rendite von bis zu zehn Prozent und sei-
en häufig die Profiteure, während öffent-
lich-rechtliche Kliniken nicht primär öko-
nomische Ziele verfolgten.
Ein Sprecher der Sana Kliniken AG
sagte, es habe zwischen der Leitung sei-
ner Klinik und dem Universitätsklinikum
„Meinungsverschiedenheiten über die
strategische Ausrichtung“ gegeben. Man
werde die Vertragskündigung prüfen.
Wenn die Universitätsklinik jetzt aber
weitere neurologische Versorgungsange-
bote in Ulm schaffen wolle, dann sei das
nicht „bedarfsnotwendig“. Außerdem lie-
ßen sich die „gebotenen Qualitätsanfor-
derungen an neurologische Spitzenmedi-
zin“ auch nicht erfüllen. (rso.)
Im Gespräch: Der amtierende Ministerpräsident des Kosovos, Ramush Haradinaj, über den Vorwurf der Kriegsverbrechen
ahan./tifr. FRANKFURT/MÜNCHEN,
- August. Die Bundesanwaltschaft hat
am Dienstag die deutsche Staatsangehöri-
ge Sibel H. wegen des Verdachts der Mit-
gliedschaft in der ausländischen terroristi-
schen Vereinigung „Islamischer Staat
(IS)“ und mutmaßlicher weiterer Delikte
verhaften und in Untersuchungshaft brin-
gen lassen. Beamte des Bundeskriminal-
amts nahmen die Frau in Bayern fest.
Grundlage war ein Haftbefehl des Ermitt-
lungsrichters des Bundesgerichtshofs
vom 26. Juli.
Sibel H. soll im Frühjahr 2016 gemein-
sam mit ihrem nach islamischem Ritus an-
getrauten Ehemann nach Syrien und spä-
ter in den Irak gereist sein, um dort im
Herrschaftsgebiet des IS zu leben. Wäh-
rend ihres Aufenthalts soll Sibel H. den
Ermittlungen zufolge an verschiedenen
Orten gewohnt und dort mit ihrem Ehe-
mann nacheinander insgesamt drei Wohn-
häuser bezogen haben, die ihnen jeweils
vom IS zur Nutzung überlassen worden
waren. Laut Haftbefehl hatte der IS die
Wohnhäuser unter seine Verwaltung ge-
stellt, nachdem die rechtmäßigen Bewoh-
ner vor dem IS geflohen waren. Die Be-
schuldigte besorgte demnach den Haus-
halt, damit ihr Ehemann uneinge-
schränkt dem IS zur Verfügung stehen
konnte. Sie soll Zugriff gehabt haben auf
zwei Gewehre des Typs Kalaschnikow
AK47 mit Magazinen und später mindes-
tens auf eine Kalaschnikow AK47 und ein
Sturmgewehr Colt M16. Daher besteht ge-
gen sie auch der Verdacht eines Verstoßes
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Sibel H. steht bereits seit längerer Zeit
im Fokus der Ermittler. Schon kurz nach
ihrer Rückkehr aus den Bürgerkriegsge-
bieten 2017 hatte die Bundesanwalt-
schaft versucht, einen Haftbefehl gegen
sie zu erwirken. Damals war noch wenig
über H.s Zeit im IS-Gebiet bekannt. Ge-
neralbundesanwalt Peter Frank stützte
sich dabei auf eine neue Rechtsauffas-
sung, wonach sich Frauen von IS-Kämp-
fern schon dadurch strafbar machten,
dass sie sich ins Herrschaftsgebiet des IS
begeben, dort leben und Kinder zur Welt
bringen. Hintergrund war die Vorstel-
lung, dass die Frauen schon durch ihre
Anwesenheit im IS-Gebiet und ihre Teil-
nahme am „Verbandsleben“ die terroristi-
sche Vereinigung „Islamischer Staat“ un-
terstützen und der Vorstellung von ei-
nem Kalifat „Leben einhauchen“. Auch
die „Sogwirkung“ auf gleichgesinnte
Dschihadisten in Europa werde dadurch
verstärkt, hieß es damals. Dem Bundesge-
richtshof ging diese Auslegung zu weit.
Er lehnte den Erlass eines Haftbefehls
ab; allein die Anwesenheit im IS-Gebiet
reiche noch nicht für eine strafbare „Mit-
gliedschaft“ oder „Unterstützung“ einer
ausländischen terroristischen Vereini-
gung.
Die nachfolgenden Ermittlungen brach-
ten jedoch weitere Details über Sibel H.s
Leben im IS-Gebiet ans Licht, die den Tat-
verdacht „verdichtet“ hätten, wie es von
der Bundesanwaltschaft heißt. Dies reich-
te offenbar auch dem Ermittlungsrichter
am Bundesgerichtshof, der Ende Juli den
Haftbefehl erließ.
Größere Klassen, mehr Belastung
GEW und CDU kritisieren Scheeres / Von Heike Schmoll
Linnemann: Möchte niemanden
vom Unterricht ausschließen
Sprachprobleme bei 6,9 Prozent der Berliner Erstklässler
Kooperation beendet
Ulmer Uniklinik kündigt Vertrag mit privatem Konzern
„Ich habe niemals Zeugen bedroht“
Zweimal freigesprochen, nun wieder als Verdächtiger vorgeladen:Ramush Haradinaj Foto AFP
Haradinaj, ein Kriegsverbrecher?
IS-Rückkehrerin in Bayern verhaftet
Sibel H. soll mit ihrem Mann ins Herrschaftsgebiet des IS gezogen sein und Zugriff auf Kriegswaffen gehabt haben
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