Süddeutsche Zeitung - 08.08.2019

(Darren Dugan) #1
Allihies

ATLANTIK

IRLAND

50 km
SZ-Karte: Mainka/Maps4News

Ballydonegan Bay

Tralee

Limerick

Cork

Galway

Aran-
Inseln

Barna

von evelyn pschak

A


ns Ende der alten Welt gerät
man nicht durch Zufall. „Next
Stop America“, sagt ein Spazier-
gänger freundlich und zeigt
aufs silbrige Blau der Ballydone-
gan Bay, als ob man weiter draußen schon
die amerikanische Küste erahnen könnte.
Tut man aber nicht. Und der Zielort ist
auch ein anderer: Nach den „Wild Atlantic
Seaweed Baths“ hält man Ausschau nach
sechs umgebauten Whiskyfässern, die,
mit erwärmtem Atlantikwasser und fri-
schem Seetang befüllt, auf Gäste warten.
Der Ire Owen Boyden stellt sie im wö-
chentlichen Wechsel immer mit Meerblick
an der Süd- oder Westküste Irlands auf
und vermietet sie stundenweise als Out-
door-Mini-Spas. Mineralienreich und
entschlackend soll so ein Seetangbad sein,
sozusagen echt irisches Detox. Gerade ist
der 34-Jährige mit seinen Zubern auf der
Beara-Halbinsel am Strand von Allihies,
einem Dörfchen in West Cork, das sich
rühmt, der am weitesten von Dublin ent-
fernte Ort Irlands zu sein.
Allihies liegt an der schmalen Panorama-
küstenstraße Ring of Beara und gehört au-
ßerdem zum Wild Atlantic Way, einer 2014
eröffneten, rund 2600 Kilometer langen
Straße, die immer der irischen Atlantikküs-
te folgt. Vom südlichen County Cork bis in
den Norden hinauf ins County Donegal pas-
siert man neun Grafschaften und sehr vie-
le Badestellen – mit oder ohne Seetang. Zu
den schönsten gehören aber diejenigen,
die Owen Boyden seit August 2018 mit sei-
nen nomadischen Hot Tubs bestückt. Auf
Facebook gibt der Besitzer der Bottich-
bäder die jeweilige Adresse bekannt, heute
ist es eine Plattform am Wasser mit Blick
auf den breiten Strand von Allihies und die
ihn schützende Bergkette der Slieve Mis-
kish Mountains.
In dieser Gegend entkommt man dem
Atlantik nicht. Und auch nicht dem See-
tang. Owen Boyden hat aus der Not ein Ge-
schäft gemacht. Seine Kunden sind meist
Einheimische; sie kommen in ihrer Bade-
kleidung direkt vom Strand. Ein dicker gel-
ber Schlauch pumpt Salzwasser aus dem
Meer, das Boyden in einem kleinen Anhän-
ger auf knapp 40 Grad erhitzt und dann
auf die Whiskyfässer verteilt. Auf dem
Weg dorthin finden seine Gäste noch Zeit
für einen Plausch und den Austausch von
Algenrezepten fürs Dessert.
Nach der Stunde im Whiskyfass, in der
Boyden immer wieder erhitztes Wasser
zugießt und die zuvor bei Ebbe geernteten
Algen ihre Inhaltsstoffe abgegeben haben,
wird die Haut weich, salzig, und sie riecht
ein bisschen fischig. Dafür hat der Wind
alles Schwere aus dem Kopf gepustet. „Die
Leute sind so gestresst, aber wenn sie im
Bottich sitzen, kannst du dabei zusehen,
wie sich ihr Gesicht entspannt,“ sagt der
Jungunternehmer. Er findet ein Bad im
Dezember am schönsten. Denn so ein Out-
door-Seetangerlebnis werde doch erst in
der Schmuddeligkeit des irischen Winters
zum wahren Abenteuer.
Es braucht schon die typische Uner-
schrockenheit von Inselbewohnern, Irland


zur Ganzjahresbadedestination zu erklä-
ren. Und die haben sie auch 300 Kilometer
nördlich von Allihies, in der Hafenstadt Gal-
way. Im letzten Sommer sei hier wegen der
Hitze zwar das Gras verbrannt, erzählt
man noch immer ungläubig, das Meer aber
bleibt auch im Sommer schön frisch. In
den 50er- bis 70er-Jahren war Salthill der
perfekte Ferienort für viele Iren, bis die
Flüge nach Spanien so billig wurden, dass
das Seebad an Anziehungskraft verlor.
„Vor 30 Jahren war es ungewöhnlich,
hier bei Wind und Wetter schwimmen zu
gehen“, erinnert sich Alice Naughton. Sie
sitzt umringt von einer Handvoll älterer
Damen an einem Mäuerchen unter dem
Blackrock Diving Tower, dem Sprungturm
des Ortes in der Sonne, die Nase weiß vom
Sunblocker. „Ich habe starke Arthritis,

erklärt die 81-Jährige, „aber wenn ich aus
dem kalten Wasser komme, sind die
Schmerzen wie weggewaschen.“ Die Black-
rock Community steigt das ganze Jahr
über gemeinsam ins Wasser, während des
Sommers trifft man sich donnerstags zum
Wettschwimmen. Die Wassertemperatur
liegt zurzeit bei etwa 18 Grad. Die Stim-
mung ist gut – trotz Feuerquallen. Sobald
man die sehe, schwimme man eben zur Sei-
te, sagt Alice Naughton. „Immerhin ist es ja
ihr Territorium.“ Dann unterhalten sich
die Damen noch ehrfürchtig über eine der
ihren: „She got smacked by a seal“, sie be-
kam von einer Robbe „eine übergezogen“.
Die Botschaft dahinter ist klar: Wer an der
irischen Westküste jeden Tag ins Wasser
steigt, der fürchtet sich vor nichts.

Auch vor Galways Küsten ist Seetang all-
gegenwärtig. Barna ist ein ehemaliges Fi-
scherdorf, wenige Kilometer von Galways
Stadtzentrum entfernt. Seinen Charme
hat es verloren durch zu viele Neubauten,
die sich zwischen die kleinen Cottages und
Reetdachhäuser klemmen. Hier an der
Durchfahrtsstraße kocht der prämierte Kü-
chenchef Martin O’Donnell im „The Twel-
ve“-Hotel. Bereits seine Großmutter habe
in den Sechzigerjahren getrockneten See-
tang verkauft, erzählt der 37-Jährige. Auf
dem Straßenmarkt von Galway, vor der
Kollegiatskirche des Heiligen Nikolaus, wo
heute noch jeden Samstag Stände stehen.
Er selbst bietet irisches Sushi an. Seine mit
Gin gebeizte Lachsforelle serviert er in
einer Nori-Rolle aus selbst geerntetem See-
tang, den er trocknet, röstet und zu hauch-
dünnen Platten presst. Oder er schwenkt
den beliebten Riementang, eine Braunal-
genart, die man aufgrund ihrer langen,
schmalen Bänder treffend Meeresspaghet-
ti nennt, einfach mit etwas Butter in der
Pfanne, als Beilage zu Krebsfleisch.
In der Galway Bay liegen auch die Aran-
Inseln. An der Nordküste der Hauptinsel In-
ishmore leben David O’Halloran und Cyril
Ó Flaithearta, auch sie kennen Meeresspa-
ghetti-Rezepte – es wächst ja hier genü-
gend Tang. Man könne diesen blanchieren
und mit Vinaigrette als Salat zubereiten,
meint O’Halloran. Der gebürtige Neusee-
länder ist Meeresbiologe und arbeitet mit
beim lokalen Seegras-Unternehmen Bláth
na Mara, was im Gälischen Blume des Mee-
res bedeutet. Aus Kelp und Cashews stel-
len sie hier Seetang-Pesto her.
Um auf Inishmore das ganze Jahr über
zu tun zu haben, müsse man eben unkon-
ventionell denken, so wie die Pesto-Unter-
nehmer, sagt Cyril Ó Flaithearta. Er kennt
nicht nur David O‘Halloran gut, sondern
auch die meisten anderen der knapp 800
Inselbewohner. Das liegt vermutlich an sei-
nen fünf Berufen. Eigentlich Kunstmaler,
verdient der Ire sein Geld als Rinderbauer
und auch als Postmann, wenn der Insel-
briefträger gerade Ferien macht. Im Win-
ter arbeitet er zudem halbtags am Insel-
flughafen, von wo die rund sechsminüti-
gen Flüge nach Galway starten. Und er
kümmert sich um Touristengruppen, die
zur Anlage Dún Aonghasa wollen, einem
bronzezeitlichen Fort. Oder zu den über Ge-
nerationen kleinteilig angelegten Feldern
zwischen Steinbruchmauern, auf denen
angeschwemmter Seetang als Humus ver-
teilt wurde, um Land zu gewinnen. Auch
Poll na bPéist gehört zu den Sehenswürdig-
keiten der Gegend: ein durch Erosion ent-
standenes, ebenmäßig rechteckiges Was-
serbecken, das circa zehn mal 25 Meter
misst. Das „Wurmloch“, so heißt das Bas-
sin übersetzt, wurde vomGuardianzu Ir-
lands originellster Badestelle gekürt. Nur
von den Klippen sollte man nicht springen,
warnt Ó Flaithearta, gerade habe sich wie-
der eine junge Frau das Bein gebrochen.
Da sind Seetangbäder ungefährlicher.
Aber die gibt es nicht auf Inishmore, noch
nicht: „Wir denken immer wieder darüber
nach, meine Frau und ich“, sagt Cyril Ó
Flaithearta. Seetang und Atlantikwasser
haben sie auch auf seiner Insel zur Genüge.

DEFGH Nr. 182, Donnerstag, 8. August 2019


REISE


Das Pesto aus Kelp, die
Meeresspaghetti zum Krebs: Auch
die Küche stellt sich um

Unterm Sternenzelt
Neuseelands Glühwürmchen-Höhle ist
eine Attraktion. Was steckt dahinter?

Ran an die Wolle
Streetart in Portugal belebt Orte, die unter

dem Niedergangder Textilindustrie leiden 30


Frische Küste


Entspannen im Algenzuber, klatschende Robben, Sprung ins Wurmloch: Irlands Strände


eignen sich gut zum Baden. Sagen die Iren. Und entdecken ihre Heimat neu


Übernachtung:The Twelve Hotel, Galway, DZ ab 125
Euro, http://www.thetwelvehotel.ie
Bad im Tang:www.wildatlanticseaweedbaths.com,
auf Facebook oder Instagram erfährt man am Mitt-
wochabend die nächste Station der Whiskyfässer,
dann kann man sich via SMS bei Owen Boyden mit
der gewünschten Uhrzeit für Freitag, Samstag oder
Sonntag anmelden. Kosten: 35 Euro eine Stunde al-
lein, 50 Euro eine Stunde zu zweit im Fass; Kinder bis
16 Jahre in Begleitung eines Erwachsenen kostenlos.
Baden in Galway:https://www.facebook.com/Bla-
ckrockSwim
Pesto aus Kelp:http://blathnamara.ie
Weitere Auskünfte:www.ireland.com

Beim Bad im Whiskyfass sitzt man im
Salzwasser mit Sägetang. Die Algen werden bei
Ebbe geerntet, die Bottiche damit befüllt.
Zu den Attraktionen hier gehört auch Poll na bPéist,
ein durch Erosion entstandenes Wasserbecken.
FOTOS: MAURITIUS, LUKASZ WARZECHA /TOURISM IRELAND (2)

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