Handelsblatt - 31.07.2019

(Steven Felgate) #1

„Geldwäsche ist in


unserem Land ein ernstes


Problem. Das müssen wir


beseitigen.“


Olaf Scholz,
Bundesfinanzminister

„Die SPD muss sich


niemals kleinmachen.“


Lars Klingbeil,
SPD-Generalsekretär

Stimmen weltweit


Die liberale slowakische Tageszeitung „Sme“
schreibt zu den Protesten und Festnahmen in
Russland:

G


ewiss finden sich auch Geistesgrößen, die
die Polizeieinsätze in Russland verharm -
losen wollen, indem sie auf das harte Ein-
greifen gegen die Gelbwesten in Frankreich ver-
weisen. Das ist aber nicht vergleichbar, weil in
Russland keine brennenden Straßen und umge-
worfenen Autos zu sehen waren. In Russland han-
delt die Polizei sozusagen präventiv bei jeder un-
erlaubten Demonstration. Allein schon das Wort
„unerlaubt“ zeigt, wie es mit der Versammlungs-
freiheit aussieht: Während man bei uns bei den
Behörden eine geplante Demonstration nur an-
melden muss, braucht man in Russland eine be-
hördliche Erlaubnis. Umso beachtenswerter ist
daher, dass die Menschen zu den Protesten ge-
kommen sind, obwohl die Demonstration uner-
laubt war. Sie kamen, obwohl sie mit einer Fest-
nahme rechnen mussten. Das ist keine gute Nach-
richt für das Regime. (...) Die Kremlstrategen über-
legen wohl schon, dass für das in- und ausländi-
sche Prestige wieder ein Vertrauensschub nötig
wäre – zum Beispiel mit einem außenpolitischen
Abenteuer wie auf der Krim.

Die italienische Tageszeitung „La Stampa“
kommentiert die festgefahrene Diskussion
in der Europäischen Union über die Verteilung
von Bootsflüchtlingen:

I


mmer, wenn die Kontroversen um die Mig-
ranten wieder auflodern, gewinnt (der italie-
nische Innenminister Matteo) Salvini Wäh-
lerstimmen in Millionenhöhe. Auch deswegen
hat sich niemand in Gebäuden, die (in der Politik
etwas) zählen, den „Capitano“ zur Brust genom-
men, der den Verzweifelten auf dem Schiff (der
Küstenwache) Gregoretti den Ausstieg verbietet.
Weder der Staatspräsident noch der Ministerprä-
sident haben die Stimme erhoben. (...)
Europa (...) scheint die besten Absichten zu
verfolgen, allen voran der französische Präsident
(Emmanuel) Macron, der sich bemüht, eine Lö-
sung (im Streit) um die Migranten zu finden (...).
Doch keiner oder fast keiner unserer Partner ist
bereit, automatisch die Verantwortung für einen
dpa (2), BloombergTeil der Ankünfte zu übernehmen.

Zu den Protesten in Moskau meint die „Neue
Zürcher Zeitung“:

D


ie wenigsten Russen wollen eine Revoluti-
on. Sie wollen ernst genommen werden
als mündige Bürger – in Moskau wie in der
Provinz. Nach Jahren mit sinkenden Realeinkom-
men und immer neuen finanziellen Belastungen
wachen manche aus der Apathie und der Selbst-
zufriedenheit über die Renaissance Russlands als
Weltmacht auf. Die Staatsmacht jedoch wittert
hinter jedem Protestzug einen „russischen Mai-
dan“. Sie traut den Bürgern nicht zu, auch ohne
Anleitung angeblicher westlicher Drahtzieher ein-
fach ihre Unzufriedenheit kundzutun. Bereits die
Wahl des einen oder anderen echten Oppositio-
nellen in ein politisches Amt versteht das Regime
als Bedrohung der Ordnung – wohl auch mit Blick
auf Putins Zukunft nach 2024, welche die Elite
umtreibt. Die Propagandisten des Staates vertrau-
en ihrer eigenen Propaganda nicht mehr und dem
politischen System, das sie geschaffen haben.

I


st aus Horst Seehofer etwa doch noch ein Staats-
mann geworden? Jener Minister, der im vergange-
nen Jahr die Große Koalition gleich zweimal in die

Krise stürzte und sich als Hardliner in der Zuwande-


rungspolitik profilierte, tritt jetzt als besonnener Mah-


ner auf. Nach dem erschütternden Mord an einem acht-


jährigen Jungen am Frankfurter Hauptbahnhof warnte


Seehofer am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in


Berlin vor der zunehmenden Polarisierung der Gesell-


schaft und warb für eine „Politik der Vernunft“, die ei-


nerseits offen über Ausländerkriminalität spricht und


andererseits „mit aller Härte“ gegen den Rechtsextre-


mismus kämpft. Nur so, sagte der Minister zu Recht,


lasse sich die gesellschaftliche Spaltung überwinden.


Wie groß diese Spaltung inzwischen ist, zeigt der Um-


gang mit dem abscheulichen Gewaltverbrechen von


Frankfurt. Ein Eritreer, der seit mehr als zehn Jahren in


der Schweiz lebt, hat nach den Erkenntnissen der Poli-


zei eine Frau und ihr Kind vor einen einfahrenden Zug


gestoßen. Die Frau konnte sich retten, das Kind starb.


Kaum waren die ersten Meldungen über den Nachrich-


tenticker gelaufen, instrumentalisierten Rechtsextre-
misten die Tat, um neuen Hass zu schüren. Allerdings
waren auch Stimmen zu hören, die davor warnten, die
Nationalität des mutmaßlichen Täters zu nennen – um
die rechte Propaganda nicht zu befeuern. Das ist der
falsche Weg. Eine offene Gesellschaft muss sich auch
unangenehmen Debatten stellen.
Deutschland erlebt angespannte Zeiten. Einerseits ist
die Bundesrepublik so sicher wie seit den frühen Neun-
zigerjahren nicht mehr. Das sagt die Kriminalitätsstatis-
tik. Doch viele Menschen fühlen etwas anderes. Das Un-
behagen wächst. Vor dem Mord in Frankfurt gab es ei-
nen ähnlichen Fall im nordrhein-westfälischen Voerde,
bei dem eine Frau ihr Leben verlor. In Hessen lösten
mehrere rechte Terroranschläge Bestürzung aus: der
Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke und der versuchte Mord an einem Afrikaner. Je-
der Einzelfall hat das Potenzial, eine Legitimations-
grundlage für den nächsten zu schaffen – und ein politi-
sches Beben auszulösen.
Darum ist es gut, dass Seehofer die gesellschaftliche
Polarisierung nun mit aller Macht bekämpfen will. Noch
besser wäre es allerdings, wenn er einsehen würde,
dass auch er zur Polarisierung beigetragen hat. „Bis zur
letzten Patrone“ wollte er sich einst gegen „eine Zuwan-
derung in die deutschen Sozialsysteme“ wehren. Das
hatte er als bayerischer Ministerpräsident gesagt. Bei
seiner Pressekonferenz hätte Seehofer am Mittwoch Ge-
legenheit gehabt, sich von seinen damaligen Worten zu
distanzieren. Aber diese Chance ließ er verstreichen.
Bedauerlicherweise.

Verbrechen


Gegen die Polarisierung


Der Spaltung der Gesellschaft
lässt sich nur entgegenwirken,
wenn Ausländerkriminalität offen
thematisiert und rechte Gewalt
bekämpft wird, sagt Moritz Koch.

Der Autor ist Senior Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


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MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145


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