„Aus furchtbaren Taten und Leid dürfen
nicht Hass und Hetze entstehen. Ruhe,
Vernunft und Besonnenheit sind angesagt
und, wie es gestern in Frankfurt geschah: Hilfe,
Solidarität, Mitgefühl und Zusammenstehen.“
Katrin Göring-Eckardt,
Fraktionschefin der Grünen im Bundestag
Worte des Tages
Geldwäsche
Mehr
Einsatz
O
laf Scholz (SPD) will die An-
ti-Geldwäsche-Einheit FIU
stärken und ihr mehr Kom-
petenzen geben. Das ist grundsätz-
lich ein richtiger Schritt. Denn an-
ders als der Finanzminister behaup-
tet, setzt Deutschland im Kampf ge-
gen Schwarzgeld und Terrorfinan-
zierung bisher keine Standards. Im
Gegenteil: Experten beklagen seit
Jahren, dass es die Bundesrepublik
Finanzkriminellen noch immer zu
einfach mache.
Das liegt nicht zuletzt an Proble-
men bei ebenjener Spezialeinheit,
die in Scholz’ Zuständigkeit fällt.
Vor zwei Jahren wanderte die FIU
vom Bundeskriminalamt zum Zoll.
Was mehr Schlagkraft gegen Geld-
wäsche bringen sollte, sorgte zu-
nächst für chaotische Zustände. Es
hakte bei der IT, es gab zu wenig
Personal, der Berg der unbearbeite-
ten Verdachtsmeldungen wuchs
und wuchs. Das ist bei der Neuorga-
nisation von Behörden häufig so.
Ähnliche Probleme gab es etwa
auch, als der Zoll die Erhebung der
Kfz-Steuer von den Ländern über-
nahm. Doch bei der FIU ist die
staatliche Umorganisation nicht nur
ärgerlich, sondern gefährlich. Denn
hier geht es auch um das Aufdecken
von Terrorfinanzierung.
Scholz versucht, die Probleme,
die er geerbt hat, zu lösen. Er hat
eine neue Leitung bei der FIU in-
stalliert, nun will er der Behörde
durch sein Gesetz mehr Kompeten-
zen geben. Während bisher ein
Großteil der Verdachtsmeldungen
von Banken kam, sollen in Zukunft
auch Makler, Notare und andere
verstärkt angehalten werden, bei
Auffälligkeiten die FIU zu informie-
ren. Das ist überfällig, schließlich
weisen Experten seit Jahren darauf
hin, dass gerade auch Immobilien-
geschäfte zur Geldwäsche genutzt
werden.
Das Problem ist nur: Noch mehr
Meldungen kann die FIU derzeit
kaum vernünftig abarbeiten. Sie
sitzt ohnehin noch auf einem Berg
von 36 000 offenen Fällen. Es ist
bei der Geldwäschebekämpfungs-
einheit wie bei vielen anderen staat-
lichen Sicherheitsbehörden auch:
Für eine effektive Arbeit braucht sie
vor allem eines: mehr Personal.
Die Anti-Geldwäsche-Einheit
bekommt mehr Kompetenzen. Gut
so! Aber sie braucht auch mehr
Personal, findet Jan Hildebrand.
Der Autor ist stv. Leiter des
Hauptstadtbüros.
Sie erreichen ihn unter:
D
as Vereinigte Königreich, so scheint es,
ist Opfer einer feindlichen Übernahme
geworden: Unberechenbare Nationa-
listen haben die Macht übernommen –
mit der Galionsfigur Boris Johnson an
der Spitze. Dafür haben die Stimmen von 92 000
Parteimitgliedern ausgereicht. Rund 0,2 Prozent der
britischen Bevölkerung haben es möglich gemacht,
fast die gesamte Staatsspitze mit Rechtspopulisten
zu besetzen – und Andersdenkende zu marginalisie-
ren.
Dass die britische Verfassung so etwas zulässt,
wirft kein gutes Licht auf die älteste Demokratie der
Welt. Ausgerechnet das Land, das den Deutschen
nach dem Sieg über die Nazidiktatur demokratische
Regeln beibrachte, benötigt nun offenbar selbst
Nachhilfeunterricht. Deutschland hat dem Vereinig-
ten Königreich viel zu verdanken. Doch gut siebzig
Jahre nach Kriegsende zeigt sich, dass die britische
Demokratie verwundbar geworden ist. Am Brexit
könnte nicht nur das Vereinigte Königreich zerbre-
chen, sondern vielleicht sogar die stolze britische
Demokratie.
Die düstere Prognose lässt sich durchaus ableiten
aus den Ankündigungen des neuen britischen Pre-
miers. Johnson will sein Vorhaben, das Land am
- Oktober aus der EU zu führen, mit der Brechstan-
ge durchsetzen. Die EU-27 überzieht er mit Drohun-
gen. Die Austrittsrechnung von 44 Milliarden Euro
will er nicht begleichen und keinen britischen EU-
Kommissar mehr nach Brüssel schicken. Mit seinen
Amtskollegen auf dem Kontinent will sich Johnson
noch nicht einmal treffen, solange sie auf dem briti-
schen EU-Austrittsvertrag beharren – obwohl seine
Vorgängerin Theresa May das Abkommen unter-
schrieben hatte.
Dass der Regierungschef eines (Noch-)Mitglied-
staates glaubt, die viel größere EU erpressen zu kön-
nen, könnte man noch als gnadenlose Selbstüber-
schätzung abtun: Die anderen 27 EU-Staaten werden
ihn ins Leere laufen lassen. Schlimmer ist, dass John-
son seine eigenen demokratischen Institutionen
missachtet. Das Unterhaus hat sich eindeutig gegen
einen EU-Austritt ohne Vertrag ausgesprochen. Des-
halb dachte der Premier offenbar schon daran, das
Parlament im Herbst in den Zwangsurlaub zu schi-
cken. Man darf gespannt sein, was dem neuen star-
ken Mann in London noch alles einfallen wird, um
die Volksvertretung auszutricksen.
Vielleicht wird sich Johnsons Tory-Truppe im Falle
einer Neuwahl mit der Brexit-Partei von Nigel Farage
verbünden, um ihren Willen durchzusetzen. Ein un-
geregelter Austritt würde das Vereinigte Königreich
nicht nur wirtschaftlich nachhaltig schwächen. Er
könnte auch zum politischen Zerfall führen. In
Schottland, Nordirland und Wales rumort es gewal-
tig: Womöglich bleibt von Großbritannien am Ende
nur Klein-England übrig. Man fragt sich, wann die
Mehrheit im Lande endlich ihre Kräfte bündelt, um
das politische Selbstmordkommando an der Staats-
spitze zu stoppen.
Populisten, die einen Alleinvertretungsanspruch
für das Volk erheben, können nur an die Macht kom-
men, wenn die Repräsentanten des Meinungsplura-
lismus versagen. Das gilt nicht nur für die britische
Insel. Auf dem Kontinent zeigen demokratische Insti-
tutionen ebenfalls deutliche Anzeichen von Schwä-
che. Gegen Polen und Ungarn laufen EU-Verfahren
wegen des Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grund-
sätze. In Rumänien versucht die Regierung, das Jus-
tizsystem gleich- und die Antikorruptionsbehörde
auszuschalten. In Italien kann der Innenminister un-
gestraft gegen Gesetze verstoßen. Staatliche Willkür
greift in vielen Ländern um sich. Und die dem
Rechtsstaat und der Demokratie verpflichteten poli-
tischen Parteien kämpfen dagegen entweder vergeb-
lich oder gar nicht mehr an.
Selbst in Frankreich haben die traditionellen de-
mokratischen Kräfte einen erschreckenden Nieder-
gang hinter sich. Beide Volksparteien, Konservative
und Sozialisten, richteten sich selbst zugrunde. Dass
Präsident Macron die Fahne der Demokratie hoch-
hält, kann keineswegs beruhigen: Sollte Macron
scheitern, dann hätten die Wähler keine demokrati-
sche Alternative mehr – und der Weg für die Familie
Le Pen wäre frei.
Auch auf der europäischen Ebene bauen demo-
kratische Institutionen ab. Das Europaparlament
spielte bei der Auswahl der neuen Kommissionsprä-
sidentin eine beklagenswerte Rolle: Obwohl fast alle
proeuropäischen Fraktionen einen Spitzenkandida-
ten haben wollten, konnten sie sich auf keinen von
ihnen einigen. So schadeten die EU-Volksvertreter
ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.
Der große Ralf Dahrendorf hat bereits vor über
20 Jahren gewarnt, dass die Globalisierung zu Auto-
ritarismus führen könnte. „Die Entwicklungen, die
mit Globalisierung beschrieben werden, sind einer
Demokratie, wie sie im Westen seit 200 Jahren ver-
standen wird, nicht förderlich“, schrieb Dahrendorf
- Seitdem sind Figuren wie Trump, Salvini und
Johnson auf der Weltbühne erschienen.
Leitartikel
Jenseits des
Ertragbaren
Boris Johnson
handelt nicht nur
gegen die
ökonomischen
Interessen seines
Landes, sondern
gefährdet die
Demokratie. Die
EU-27 dürfen
jetzt nicht
nachgeben, meint
Ruth Berschens.
Ein
ungeregelter
Austritt könnte
zum politischen
Zerfall führen.
Womöglich
bleibt von
Großbritannien
am Ende nur
Klein-England
übrig.
Die Autorin ist Büroleiterin in Brüssel.
Sie erreichen sie unter:
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Meinung
& Analyse
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MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145
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