Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1

Kerstin Leitel London


D

ass Whitney Bromberg
Hawkings aus der Mo-
debranche kommt, ist
nicht zu übersehen:
Ihr Outfit, bestehend
aus einem bunten Twinset mit Mini-
rock, ist perfekt und gleichzeitig cool,
die Haare sitzen, und das Lächeln ist
so strahlend wie professionell. Nur
der Ort des Interviews passt nicht
ganz: Die 44-Jährige sitzt in einer klei-
nen Lagerhalle im Osten Londons, in
direkter Nachbarschaft zu etwas du-
biosen Autowerkstätten, in denen ge-
rade Fahrzeuge umlackiert und aus-
geschlachtet werden.
„Ich mag es hier“, sagt Bromberg
Hawkings beim Blick aus dem Fens-
ter. „Es erinnert mich ein wenig an
den Meatpacking District in New
York vor einigen Jahren.“ Bis die Lo-
cation des Firmensitzes in North
Acton so angesagt ist wie der Stadtteil
von New York, dürften noch Jahre ins
Land gehen – und bis dahin will die
Unternehmerin ein ambitioniertes
Ziel erreicht haben: Chefin eines
weltweit erfolgreichen Online-Blu-
men-Shops zu sein.
Vor drei Jahren hatte die gebürtige
Amerikanerin nach fast 20 Jahren ih-
ren Job als persönliche Assistentin
bei Topdesigner Tom Ford aufgege-
ben und ihr eigenes Unternehmen
gegründet: Flowerbx. Auf dessen
Website können Kunden Blumen be-
stellen: Gerade sind Pfingstrosen der
Renner, es gibt sie online in Pink,
Fuchsia, Rot oder Weiß, zehn Stück
kosten 45 Euro.
„Und genau die kriegen Sie dann
auch“, sagt Bromberg Hawkings,
während sie den auf dem Konferenz-
tisch stehenden Pfingstrosen-Strauß
zu sich zieht, „zehn Blumen, die
exakt so aussehen wie Sie es wollen,
ohne Schnickschnack drumherum.
Das war eine Marktlücke“, sagt sie.
Schon seit Jahren bestellte sie
selbst online, Kleidung, Kosmetik
oder Lebensmittel, aber bei Blumen
sei sie immer wieder enttäuscht wor-
den. „Man konnte sich nie darauf ver-
lassen, was man letztlich bekommt“,
sagt Bromberg Hawkings. „Die ande-
ren Anbieter greifen auf lokale Blu-
menläden zurück, die den Auftrag
ausführen, und man ist quasi darauf
angewiesen, was die Anbieter gerade
im Lager haben. Außerdem gibt es
nur diese altbackenen Sträuße mit
gemischten Blumen.“
Für Bromberg Hawkings, die unter
anderem auch für Fashion-Events
und -Kunden von Tom Ford Blumen
bestellte, ein Gräuel. Dazu kam, dass
sie für Veranstaltungen in verschiede-
nen Städten verschiedene lokale An-
bieter finden musste. Ein zeitaufwen-
diges Unterfangen. Einen Anbieter,
der die Ansprüche von internationa-
len Kunden wie Tom Ford erfüllte,
fand sie nicht.
„Es gab definitiv eine Marktlücke,
und das habe ich genutzt.“ Das Ge-

schäftsmodell eines klassischen Flo-
risten will sie nicht kopieren, viel-
mehr hat die Gründerin die Strategie
von Luxusmarken wie Gucci oder
Dior vor Augen, deren Produkte so-
wohl in New York, Tokio oder Lon-
don angeboten und meist auch in
prachtvollen Shows zuvor in den
Markt eingeführt werden.
Geholfen hat ihr ein weitläufiges
Netzwerk, das sie sich in der Mode-
branche aufgebaut hatte. Ihr Geschäft
kam in Schwung, nachdem sie 20
Blumensträuße an Freunde geschickt
hatte, darunter den britischen TV-
Moderator Graham Norton und Nata-
lie Massenet, Gründerin des Online-
Fashion-Versands Net-A-Porter. Die
veröffentlichten Fotos von den Blu-
men auf ihren Instagram-Accounts
und legten so den Grundstein für das
Wachstum des Unternehmens.
Hatte Flowerbx zum Ende des ers-
ten Geschäftsjahres 2016 noch weni-
ger als eine Handvoll Mitarbeiter,

sind es jetzt über 30. Der Umsatz be-
lief sich 2018 auf zwei Millionen
Pfund (umgerechnet rund 2,2 Millio-
nen Euro), dieses Jahr sollen es 4,3
Millionen werden.
Die Ziele von Bromberg Hawkings
sind ambitioniert: „Unser Plan ist es,
2020 einen Umsatz von acht Millio-
nen Pfund, 2021 einen Umsatz von 16
Millionen Pfund und 2022 einen Um-
satz von 31 Millionen Pfund und da-
mit den Break-even zu erzielen“, sagt
sie. „In den nächsten fünf Jahren pla-
nen wir 50 Millionen Pfund.“
Mittlerweile bestellen Labels wie
Louis Vuitton oder Dior bei Flo-
werbx. Vergangenes Jahr schmückte
Flowerbx die mehrstöckige Hausfas-
sade des Londoner Edelklubs Anna-
bel’s mit einem Meer aus Blumen. In
Zeiten, in denen in London Dutzende
Social-Media-Influencer immer auf
der Suche nach spektakulären Moti-
ven sind, ist ein derartiger Auftrag
gute Werbung.

Influencer habe sie aber noch nie
bezahlt, betont Bromberg Hawkings.
Beststellungen von Firmen und Res-
taurants für Veranstaltungen, Moden-
schauen oder Kundengeschenke ma-
chen rund die Hälfte des Umsatzes
aus, der Rest kommt von Konsumen-
ten.
Für Professorin Harveen Chugh,
Expertin für Start-ups der Imperial
College Business School in London,
ist das Geschäftsmodell klar: „Flo-
werbx bezieht Blumen direkt vom Er-
zeuger, um die Länge der Lieferkette
und damit die Zeit, in der sie die Ver-
braucher erreichen, zu verkürzen –
das Wertversprechen für den Ver-
braucher von frischeren Blumen mit
einer längeren Lebensdauer ist ein-
leuchtend“, sagt sie. Betrieb und Lo-
gistik werden die größten Herausfor-
derungen sein: „Man muss dafür sor-
gen, dass die Blumen sorgsam
behandelt werden und die Verbrau-
cher in der versprochenen Zeit errei-
chen. Klappt das nicht, können diese
beiden Themen für ein Unterneh-
men im E-Commerce schnell zu ei-
ner Quelle für Beschwerden wer-
den.“

Die Sträuße kommen jede
Nacht aus Holland

Deswegen macht auch der anstehen-
de Brexit der Gründerin Sorgen. Mitt-
lerweile ist Flowerbx in 21 Ländern
vertreten, das Hauptquartier ist aber
nach wie vor in London, und 60 Pro-
zent des Umsatzes bringt der briti-
sche Markt ein. Jeden Morgen um
vier Uhr kommt ein Lastwagen mit
der Blumenlieferung für die Insel aus
Holland. Die Ware wird im Laufe des
Tages ausgeliefert, abends ist das La-
ger wieder leer. Das ist gut für den
Cashflow, aber schlecht, wenn durch
den EU-Austritt Zollkontrollen zu Ver-
zögerungen führen, zumal die Blu-
men von Flowerbx nicht selten für
Frühstück-Events geordert werden.
Um die Brexit-Gefahr zu mindern,
treibt Bromberg Hawkings die Expan-
sion in Europa und in den USA vo-
ran. Gerade erst ist sie aus New York
zurückgekehrt. „Der Start dort war
einfach fantastisch“, schwärmt sie
mit ihrem unverkennbaren amerika-
nischen Akzent. Die durchschnittli-
che Ordergröße sei fast doppelt so
groß wie in Großbritannien, wo der
sogenannte AOV fast 80 Euro betra-
ge. „Ich hoffe auch noch, dass der
Brexit nicht stattfindet. Ist das unrea-
listisch?“, lacht sie.
Inzwischen ist Flowerbx fest in
London verankert, in mehreren Fi-
nanzierungsrunden sind Investoren
wie Natalie Massenet oder Carmen
Busquets eingestiegen. Der Anteil
von Bromberg Hawkings ist dadurch
auf rund 20 Prozent gesunken. „Ich
habe aber lieber 20 Prozent von ei-
nem großen Kuchen als 100 Prozent
von einem kleinen“, sagt sie. Dabei
könnte man schwören, dass die zier-
liche Unternehmerin eigentlich gar
keinen Kuchen mag.

Whitney Bromberg Hawkings


Disruption mit Blumen


Die Amerikanerin hat in London ein Blumen-Start-up gegründet. Trotz


Brexit setzt sie sich hohe Ziele.


Whitney Bromberg
Hawkings: Beliefert
Louis Vuitton.

Nick Harvey/REX

Ich hoffe


noch, dass


der Brexit


nicht


stattfindet.


Ist das


unrealistisch?


Whitney Bromberg
Hawkings
Flowerbx

Familienunternehmen


des Tages


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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