Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1

F


amilienunternehmen gelten ge-
meinhin als das freundliche Antlitz
des Kapitalismus. Auf jeden Fall
hierzulande, in der Wiege des be-
rühmten „German Mittelstands“ und der So-
zialen Marktwirtschaft gelten sie als solides
Fundament. Die Politik ist froh über zuver-
lässige Unternehmer und Unternehmerin-
nen, die selbst wissen, was gut für ihren La-
den und ihre Mitarbeiter ist. Je komplexer
die Welt wird – etwa durch Handelskriege
oder die disruptiven Veränderungen im Zuge
der Digitalisierung –, desto mehr schätzt
man die Verlässlichkeit.
Die Arbeitsteilung zwischen Politik und
Wirtschaft funktioniert trotz Mindestlohn -
debatten, trotz Erbschaftsteuer-Novelle, trotz
fehlender Wettbewerbsfähigkeit im Steuer-
recht. Spätestens seit der Finanz- und Wirt-
schaftskrise ist das allen Politikern klar ge-
worden. Die Familienunternehmer – das
sind doch die Guten: Sie stehen für den Frei-
handel, gegen Turbokapitalismus, gegen Ori-
entierung an Kurzfristzielen, gegen das Sich-
aus-der-Verantwortung-Stehlen durch Rück-
tritte an Firmen- und Parteispitzen. Dass sie
die Gewerkschaften scheuen und Betriebsrä-

te am liebsten kapern, fiel da nicht weiter ins
Gewicht. Auch nicht, dass sie allesamt
enorm verschwiegen sind.
Und dann passierte kürzlich das: Der In-
ternationale Währungsfonds, IWF, kritisiert
ausgerechnet die deutschen Familienunter-
nehmen. Deren Eigentümer strichen Globa-
lisierungsgewinne ein, während die weiter
unten liegenden Einkommensklassen – auf-
grund fehlender Lohnerhöhungen und ei-
ner schwach ausgeprägten Eigentumsstruk-
tur auf dem Wohnungsmarkt – auf ihrem Ni-
veau verharrten. Die Unternehmer fühlten
sich zu Unrecht angegriffen. Denn mit den
einbehaltenen Gewinnen werden Investitio-
nen in Innovationen und Immobilien eben-
so finanziert wie solche in Mitarbeiter und
die Region.
Von diesen deutschen Familienunterneh-
men haben es immerhin vier in die Top Ten
der Familienunternehmen weltweit ge-
schafft: Aldi Nord und Aldi Süd, die Schwarz-
Gruppe mit Lidl sowie der Technologie-
Mischkonzern Bosch. Noch nie waren so vie-
le deutsche Unternehmen unter den ersten
zehn – gleichauf mit den weitaus größeren
USA.

Im Frühjahr dieses Jahres hatte die Univer-
sität Sankt Gallen gemeinsam mit der Prü-
fungs- und Beratungsgesellschaft EY eine ak-
tuelle Liste der größten Familienunterneh-
men veröffentlicht. Diejenigen, die nicht an
der Börse notiert sind und auch keine reinen
Finanzholdings sind, stellt das Handelsblatt
in den nächsten zehn Wochen vor. Hinter ih-
nen stehen große Unternehmerfamilien, die
oft in den einschlägigen Rankings zu den
Reichsten ihres Landes zählen. Diese Listen
basieren auf einer ähnlichen Systematik wie
der aktuelle IWF-Bericht: Man geht davon
aus, dass der Jahresumsatz in etwa den Un-
ternehmenswert widerspiegelt, wenn das
Unternehmen verkauft würde. Nur, dass es
den echten Familienunternehmern eben
überhaupt nicht um Verkauf geht und das
Geld tatsächlich in Immobilien und Maschi-
nen, Patenten und Köpfen steckt.

Privates Geld für Arbeitsplätze


Es behauptet ja niemand, dass die Unterneh-
merfamilien arm seien – im Gegenteil. Sie re-
den nicht gern über ihr Geld. Und zwar auch
dann nicht, wenn sie es für das Unterneh-
men ausgeben. Etwa, indem sie bereits aus-

gezahlte Dividenden in schlechten Zeiten in-
vestieren, um Arbeitsplätze zu erhalten, wie
es Nicola Leibinger-Kammüller beim Laser-
spezialisten Trumpf getan hat. Auch so etwas
passiert meistens im Verborgenen.
Doch natürlich kann ein solches Handeln
nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch
große Familienunternehmen nicht immer
das Richtige tun. Je größer sie sind, desto
größer sind sogar die Gefahren – und diese
kommen von vielen verschiedenen Seiten.
Je größer sie sind, desto mehr muss man
die Frage stellen, wie „familiär“ ein Unter-
nehmen überhaupt noch ist. Gerade wenn
ein Unternehmen viele Jahre alt ist, die Zahl
der Gesellschafter ebenso gewachsen ist wie
die Komplexität der Unternehmensstruktur,
wenn externe Manager das groß gewordene
Unternehmen führen und sich die Gesell-
schafter immer weiter vom Tagesgeschäft
entfernen, dann stellt sich die Frage, ob das
ein oder andere Konglomerat nur noch dem
Namen nach ein Familienunternehmen ist.
Der Unternehmergeist, der Erfindergeist, die
Vision bleiben da nicht selten auf der Stre-
cke. Die Erträge kommen herein, weil sie vor
vielen Jahren erfolgreiche Produkte geschaf-

Die größten Familienunternehmen der Welt


Erfolgs-Geheimnisse


in Gefahr


Was macht Familienunternehmen langlebig und erfolgreich? Sie sind erfahren in ihren


Märkten, diversifizieren sich früh und stellen ihre Geschäftsmodelle für Generationen auf.


Neben ihrer absoluten Verschwiegenheit verbinden sie auch die Gefahren, die ihnen jetzt


drohen. Mehr Transparenz könnte die Antwort auf viele Herausforderungen sein. Ab


kommenden Montag stellen wir die zehn größten Familienunternehmen weltweit vor.


Von Anja Müller


Getty Images

Familienunternehmen


des Tages


MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138


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