Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1

fen haben. Doch wo bleiben die echten Inno-


vationen? Für einige gilt: Sie sind zu satt.


Manche hatten auch so lange Erfolg, dass ih-


re Fähigkeit, sich im Schumpeter’schen Sin-


ne immer wieder neu zu erfinden, erlahmt.


Den großen Familienunternehmen


kommt womöglich das Unternehmerische


abhanden.


Werte statt Identifikationsfigur


Früher haben sich Familienunternehmen


am Gründer orientiert. Fehlt eine Identifika-


tionsfigur an der Spitze, müssen andere Wer-


te her. Solche, die transparent sind und auf


einem breiten gesellschaftlichen Konsens be-


stehen. Immer mehr Anteilseigner haben


diese Gefahr inzwischen erkannt. Ein Gesell-


schafter eines großen deutschen Familien -


unternehmens formulierte es einmal so:


„Vertrauen geht, Transparenz kommt.“


Das hat auch seine guten Seiten. Viele Ge-


sellschafter sind nicht im operativen Alltag


gefangen, sie sind gut ausge-


bildet und sehen gesellschaft-


liche Strömungen, an deren


Spitze sie sich setzen können,


wie es zum Beispiel Timm Mit-


telsten Scheid von Vorwerk


mit seiner Initiative „Made by


Vielfalt“ – einer Allianz gegen


Populismus – gemacht hat.


Schaut man auf die größten


zehn Familienunternehmen in


der ganzen Welt, sind klare Vi-


sionen schwer zu finden. Was


wiederum auch an ihrer Ver-


schwiegenheit liegen könnte.


Was hat sie erfolgreich ge-


macht? Was verbindet sie au-


ßer Größe und Verschwiegen-


heit? Warum dominieren deut-


sche und amerikanische


Firmen die Top Ten?


Dass sich unter den welt-


größten Familienunternehmen


vier Handelsunternehmen fin-


den, überrascht wenig. Für sie


ist bislang Größe wichtig und


auch große Auswahl für ihre Kunden im


„Vor-Internet-Zeitalter“, in dem sie so groß


geworden sind. Zu ihnen zählen die


Schwarz-Gruppe, die Aldi-Firmen Nord und


Süd sowie die Familie Mulliez als Gründer


der französischen Ketten Auchan und De-


cathlon und an der Spitze der weltgrößte Ge-


treidehändler Cargill. Ob bei diesen vieren


früh genug die Weichen für die Zukunft ge-


stellt werden, ist noch nicht ausgemacht.


Man weiß, dass sich die deutschen Firmen


unter ihnen jedenfalls mit dem Onlinehandel


schwertun. Man weiß auch, dass dort die


Führung noch patriarchalisch funktioniert.


Genügt es, was zweifellos eine gute Idee ist,


Ladestationen auf den Parkplätzen der Märk-


te zu errichten?


Wie lange es mit den ganz großen Famili-


enunternehmen noch gut geht, ist durchaus


ungewiss. Die Assoziation familiale Mulliez


mit ihren rund 700 Familienmitgliedern in


Frankreich jedenfalls ist alarmiert. Die gro-


ßen Auchan-Supermärkte verlieren Kunden


und sogar der lange prosperierende Sportar-


tikel-Discounter Decathlon verzeichnet Um-


satzrückgänge von rund fünf Prozent.


Dennoch muss man berücksichtigen, dass


nicht das Sujet an sich, sondern die Größe


des Marktes eine Rolle dabei spielt, ob man


zu den größten Familienunternehmen der


Welt zählt oder nicht. Warum sind ausge-


rechnet die Unternehmen aus Deutschland


mehrfach in dieser Spitzengruppe vertreten?


Während die amerikanischen Familienun-


ternehmen ebenso wie der Chinese Wang Ji-


anlin mit seiner Dalian Wanda Group, die in


Immobilien und Unterhaltungsangebote in-


vestiert, gleich in riesigen Heimatmärkten ex-


pandieren konnten, mussten die Deutschen


immer schon etwas schneller ins Ausland.


Ihr Heimatmarkt war schon immer zu klein


für große Pläne, vor allem für die rund 1 300


Weltmarktführer. In ihrer weltweiten Expan-
sion, sei es zunächst als Exporteure und
schließlich als Arbeitgeber in anderen Län-
dern war die Welt stets ihr Markt und nicht
allein die Heimat.
Mit Bosch ist ein solcher deutscher Tech-
nologieführer erstmals unter den Top Ten
weltweit dabei. Bosch verkörpert all das, wo-
für deutsche Unternehmen stehen: technolo-
gische Exzellenz mit nachhaltiger Unterneh-
mensführung und klarem Blick auf die
nächsten Generationen. Bosch ist sogar noch
etwas weiter als die meisten Familienunter-
nehmen, weil es streng genommen fast kei-
nes mehr ist. Eine Stiftung erhält 92 Prozent
der Dividenden, und das Unternehmen wird
durch eine Treuhandfirma gesteuert, die kei-
nen Anspruch auf die Dividenden hat, aber
über 93 Prozent der Stimmrechte verfügt.
Die Familie hält jeweils den Rest der Dividen-
den und Stimmrechte. Mehr Trennung von
Eigentum und Entscheidung geht kaum.
Treten also Gründerfiguren
ab, braucht es ganz klar einen
Ersatz in Sachen Identifikati-
on. Bosch hat sich da schon
sehr früh auf den Weg ge-
macht. Ob man das dann noch
Familienunternehmen nennt,
ist eine offene Frage.
Die heutigen großen Famili-
enunternehmen befinden sich
in einem Umbruch, und es ist
alles andere als klar, wie sie
diesen bewältigen werden. Die
Mitglieder der Unternehmerfa-
milien haben oftmals bereits
die Führung an externe Mana-
ger abgegeben. Die hohe Kunst
dabei besteht darin, eine Füh-
rungsperson zu installieren,
die wie ein Unternehmer
agiert, also Spaß daran entwi-
ckelt, sehr weit nach vorn zu
denken und Geschäftsmodelle
zu gestalten. Einerseits müssen
die Eigentümer kontrollieren,
andererseits dürfen sie den an-
gestellten Unternehmenschefs aber nicht den
Raum zum Gestalten nehmen. Es ist die Ba-
lance zwischen Kontrolle und Vertrauen, die
die Eigentümer herausfordert. Und es ist die
Balance zwischen Demut und Entscheidungs-
freude, die die angestellten Firmenchefs mit-
bringen müssen.
Mit dem Duo Dieter Schwarz und Klaus

Gehrig ist eine solche Partnerschaft in der
Schwarz-Gruppe gelungen. Doch die Zusam-
menarbeit der beiden 79- und 70-Jährigen ist
endlich. Ist es in Neckarsulm, wo Dieter
Schwarz wirkt, gelungen, dass auch andere
Entscheidungsträger heranwachsen können?
Ist das Unternehmen ein Arbeitgeber, zu
dem junge digitale Vordenker un-
bedingt hinwollen? Wohl eher
nicht.
Andererseits besteht
die hohe Kunst auch da-
rin, die Gesamtheit der
Gesellschafter mitzu-
nehmen, sie einzube-
ziehen, mitentschei-
den zu lassen.
Mit der Größe sinkt
auch die Kraft der Patri-
archen – sehr langsam al-
lerdings. Noch ist zum Bei-
spiel völlig unklar, wer die
prägende Gestalt an der Spitze
von Koch Industries künftig sein wird.
Das Familienunternehmen, das mit Raffine-
rien groß geworden ist und heute in der Che-
mie- und Finanzindustrie aktiv ist, schaut
noch immer auf Charles Koch, 83 Jahre alt.
Auch an dieser Stelle offenbart sich: Die
zehn größten Familienunternehmen zele-
brieren die Verschwiegenheit. Es ist, so
scheint es, ihr wichtigstes Gut.
Es gibt gleich mehrere Gründe, warum sie
ihre Verschwiegenheit bislang so hoch hiel-
ten. Jeder Handwerker weiß, dass Unterneh-
mertum Neid erzeugt und man die Unter-
nehmerkinder am besten schützt, wenn man
sich nicht zu sehr in die Öffentlichkeit begibt.
Aber auch aus unternehmerischen Gründen
lieben und fordern viele Unternehmer die
Freiheit, so zu wirtschaften, wie man es für
richtig erachtet. Und wer sich kein Geld am
Kapitalmarkt besorgen muss, der kann im
Verborgenen wirtschaften und dann Konkur-
renten und Kunden mit der neuesten Inno-
vation überraschen. Doch gerade diese Art
der erfolgreichen Verschwiegenheit ist längst
nicht mehr zeitgemäß.
Erstens steht die Kundenorientierung heu-
te über dem technisch Machbaren. Die inge-
nieurgetriebenen Technologien verfangen
nicht immer auf den Märkten. Wer heute die
Kunden als Erster erreicht, macht den Um-
satz. Um die Kundenwünsche aber zu ken-
nen, braucht man Offenheit statt Verschwie-
genheit. Schon seit einigen Jahren haben das

viele Familienunternehmen gespürt. Digitali-
sierung und Datenökonomie – Letztere ein
furchtbarer Gedanke für verschwiegene Fa-
milienunternehmer – beschleunigen diesen
Prozess. Neue Konkurrenten aus neuen Rich-
tungen zwingen viele Familienunternehmen
zur Kooperation, mit Start-ups oder anderen
Unternehmen. Erst langsam wird
bei einigen aus dem Zwang ein
Wunsch.
Zweitens, wer unterneh-
merisch denkende Mit-
gestalter sucht, muss ih-
nen etwas bieten.
Selbst das Weltunter-
nehmen Mars, das mit
dem Schokoriegel groß
wurde und inzwischen
mehr Geld mit Tierfut-
ter und -gesundheit ver-
dient, will sich vorsichtig
öffnen. Mars hat erkannt,
dass Verschwiegenheit ziemlich
schlecht für die Arbeitgebermarke ist,
will man kluge Köpfe finden, die die Zukunft
bauen. Dass sich dafür auch so manche Hie-
rarchiestrukturen bisheriger Riesen in Fami-
lienhand ändern müssen, haben noch nicht
alle erkannt.
Wer wirklich kundenzentriert arbeiten
will, muss sich drittens für die Wünsche der
Kunden öffnen, ja sogar mit ihnen zusam-
menarbeiten. Allein dadurch rücken die Kun-
den auf Augenhöhe. Auch dies ist für man-
che noch neu.

Kunden verlangen Aufklärung


Hinzu kommt, viertens, dass das Thema
Umweltschutz nicht mehr von den Agenden
der Familienunternehmen verschwinden
wird. Die Kunden verlangen Aufklärung in
einer nie gekannten Weise. Immer mehr Ver-
braucher wollen wissen, wo zum Beispiel
Kleidung und Lebensmittel herkommen und
unter welchen Bedingungen sie hergestellt
wurden, das trifft auch die Familienunter-
nehmen wie Cargill, die bislang Verbraucher
nicht zu ihren Kunden zählten. Diese Ge-
schwindigkeit der veränderten Kundenwün-
sche wurde bislang in vielen Familienunter-
nehmen deutlich unterschätzt.
Mehr Offenheit jedenfalls ist keine lästige
Pflicht, sie ist Notwendigkeit. Die Firmen
müssen klar Positionen beziehen und sich
von der Blutsgemeinschaft in eine Werte -
gemeinschaft verwandeln.
So ist der Rohstoffriese Cargill, der übri-
gens gerade Koch Industries als größtes Fa-
milienunternehmen weltweit wieder abge-
löst hat, in dem Report der Umweltschutzor-
ganisation Mighty Earth zum schlimmsten
Unternehmen der Welt gekürt worden. Das
ist in den USA noch kein großer Aufreger ge-
wesen, in Europa aber schon.
Viele deutsche Familienunternehmen ha-
ben bereits verstanden, dass das Umweltthe-
ma nicht mehr verschwindet. Auch wenn es
beim Umsetzen noch hapert. In den USA, so
scheint es, ist es noch anders. Aber wie lange
noch? Die drei US-Unternehmen in den Top
Ten – Koch, Cargill und Mars – jedenfalls ge-
hören (noch) nicht zu den Guten, zumindest,
was die Umwelt betrifft.
Die IWF-Kritik, die deutschen Familien-
unternehmer behielten zu viel für sich, trifft
sicher mehr auf die US-Unternehmen zu.
Ein illustrer Kreis von US-Milliardären hatte
sich erst vor wenigen Wochen dafür ausge-
sprochen, dass der nächste Präsident-
schaftskandidat eine Vermögensteuer ein-
führen solle.
Bei deutschen Familienunternehmen ern-
tete der Vorschlag nur Kopfschütteln. Ihr
Geld steckt im Unternehmen, in den Maschi-
nen, in den Mitarbeitern, sagen sie. Und
doch spüren immer mehr von ihnen ein Un-
behagen, wenn sie an die ganz großen Ver-
mögen denken.
Mehr Transparenz würde den Familienun-
ternehmen in vielerlei Hinsicht helfen.

Die größten Familienunternehmen der Welt
Kennzahlen im Vergleich

Rang


1 2 3 4 5 6 7 8 9


10


Koch Industries


Cargill


Schwarz Group


Robert Bosch


Aldi Group


Group Auchan


Ikea


Mars


Dalian Wanda


MSC


1940


1865


1930


1886


1913


1961


1943


1911


1988


1970


110,0


109,7


109,6


94,6


84,9


53,2


42,2


35,0


32,7


28,2


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar2


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar


Mrd. US-Dollar2


USA

USA

Deutschland

Deutschland

Deutschland

Frankreich

Niederlande

USA

China

Schweiz

Unternehmen/Sitz Gründungsjahr Umsatz1 2017


HANDELSBLATT 1) Schätzung Universität St. Gallen, EY; 2) 2016 • Quelle: Universität St. Gallen, EY

Zugrunde liegt der Index 2019, diese Liste zählt die Familienunternehmen auf, in denen die Familien mehr
als 50 Prozent der Stimmrechte ausüben, die nicht börsennotiert und keine reinen Finanzholdings sind.

Cargill wurde von der


Umweltorganisation


Mighty Earth zum


schlimmsten


Unternehmen der


Welt ernannt.


Serie


Die größten Familien-
unternehmen der
Welt Welche Unter-
nehmen in Familien-
hand können sich mit
den größten börsen-
notierten Unterneh-
men messen? Wir
stellen Ihnen ab kom-
mender Woche jeden
Montag eines der
zehn größten vor.
Basis ist der Family-
Business-Index von
der Universität Sankt
Gallen und der Prü-
fungsgesellschaft EY.

In der kommenden
Woche: Koch
Industries

Familienunternehmen des Tages


MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138


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