10 MEINUNG & DEBATTE Mittwoch, 17. Juli 2019
Ein junger Mann prügelt vor einem Chinarestau-
rant im Zürcher Niederdorf auf einenPolizisten ein.
Dieser versucht ihn festzuhalten, hataber Mühe,
auf den Beinen zu bleiben.Von den Umstehenden
darf erkeine Hilfeerhoffe n. Im Gegenteil: Sie joh-
len, feuern den Schläger an und beschimpfen den
Gesetzeshüter. Einer hält das Geschehen mit dem
Handy fest.Auf demFilmchen, das von «20 Minu-
ten» verbreitet wurde und auf Social-Media-Kanä-
len kursiert, ist zu sehen, wie ein zweiterPolizist
herbeieilt. Erst da ergreift der Schläger die Flucht.
Wenig späterkönnen diePolizisten den18-jährigen
Tä ter verhaften. Der Auslöser für denVorfall war
eigentlich eineLappalie: Die Ordnungshüter hat-
ten eine Gruppe junger Männer aufgefordert, sich
nicht an ihrFahrzeug anzulehnen.
Szenen wie diese häufen sich in einem erschre-
ckenden Mass.Inder Stadt Zürich etwa erreichte
die Zahl der Attacken imvergangenenJahr mit
12 6 Fällen gar einen neuen Höchststand. Zum
Vergleich: 2017 waren es noch 106Fälle. Schweiz-
weit verharrt die Zahl der Übergriffe auf hohem
Niveau.Dies, nachdem sie in denJahren zuvor
richtiggehend hochgeschnellt ist von rund 2500
auf über 3000 Fälle.
Dieser Befundkontrastiert stark mit de n all-
gemeinenWerten zur Zufriedenheit mit derPoli-
zei. Der Bericht «Sicherheit Schweiz 2019» der
ETH ergab,dass Schweizerinnen undSchweizer
der Polizei mehrVertrauen entgegenbringen als
allen anderen Behörden und Institutionen–mehr
noch als den Gerichten und dem Bundesrat. Die
Resultate der Studie decken sich mit einer Befra-
gung, die das Stadtzürcher Sicherheitsdepartement
2016 inAuftrag gegeben hat.Eine grosse Mehrheit
der Befragten gab damals an, sie sei zufrieden mit
derArbeit der Einsatzkräfte.Auf einer Skala von 1
bis 10 beurteilten die Befragten diePolizei durch-
schnittlich mit 8,1.
Brenzlig ist es um Mitternacht
Umso unerklärlicher erscheint der Hass, der ihr
entgegenschlägt. Bereits seit einigenJahren weist
der Polizeiverband auf die teilweise misslichen
Bedingungenhin, unter denen die Einsatzkräfte
ihre Arbeit verrichten müssen. Der Verband for-
dert deshalb seit längerem einkonsequenteresVor-
gehen gegen die Chaoten und härtere Strafen.
Anlass für dieForderungen sind Situationen wie
jen e, die sich an der Zürcher Seepromenade ereig-
neten.AnwarmenWochenenden versammeln sich
entlang des Ufers jeweilsTausende junge Men-
schen, um zu trinken und zu feiern. Brenzlig ist es
laut derPolizei immer zwischen 23 und 1 Uhr. Sie
hat ausserdem festgestellt,dass die Menschen, die
sich dort versammeln,immer jünger werden.Selbst
14-Jährige sind oft betrunken. Manchmalreicht da
wenig, und die Situation gerät ausserKontrolle.
Wie etwa am Osterwochenende, als Jugendliche
mehrfach Container anzündeten und Flaschen und
Steine gegen diePolizisten warfen.Diese wiederum
reagierten mitTränengas, Gummischrot und dem
Einsatz einesWasserwerfers.
Die Diskussionen um Gewalt gegen die Ein-
satzkräfte befeuert hatte allerdings einVorfall im
August 2018. Damals waren Sanitäter undPolizis-
ten an die Seepromenade gerufen worden, weil
bei einerAuseinandersetzungein junger Mann
schwer verletztworden war.Als die Einsatzkräfte
dem Mann zu Hilfe eilen wollten, eskalierte die
Situation plötzlich.Wohl zufällig anwesende ver-
mummte und teilweise in FCZ-Fankleider ge-
hüllte Angreifer bewarfen die Einsatzkräfte mit
Steinen und Flaschen. Zudem schlugen sich viele
Gaffer auf die Seite der Aggressoren. DiePolizei
mussteVerstärkung anfordern, um überhaupt bis
zum jungen Mann vordringen zukönnen, der in
Lebensgefahr schwebte.
Warum werfenJünglinge Steine und Flaschen
auf die Polizei? Der hohe Alkoholpegel allein ge-
nügt als Erklärung für die Aggressionen nicht. Be-
trunkene junge Männer sind jakein neues Phäno-
men.Die Einsatzkräfte sind in einigen Kreisen aber
seit geraumer Zeit zur Zielscheibe für ihreWut ge-
worden. In diesen Milieus gehört der Hass gegen
die Staatsgewalt zum gutenTon, und derenAutori-
tät wird offen infrage gestellt.
Ebenso klar ist, dass man allein mit härteren
Strafen des Gewaltproblems nicht Herr wird.Diese
nützen nämlich nur wenig, wenn es nichtgelingt,die
Straftäter überhaupt ausfindig zu machen. Bei vie-
len Angriffen ist genau dies derFall. Bei denAus-
schreitungen im vergangenenAugust etwakonnte
ein einziger Übeltäter festgenommen werden.
Die Gewalt zeugt nicht nur vom kriminellen
Verhalten derAngreifer und ihrem Hass gegenüber
all jenen, die aus ihrer Sicht die Staatsmacht dar-
stellen. Ein schlechtes Bild gibt auch der Umstand
ab, dass sich an Attacken immer wieder zahlreiche
Gaffer und Mitläufer beteiligen.Für die vornehm-
lich jungen Männer ist es offenbar einewillkom-
mene Gelegenheit,sich alsRebellen zu inszenieren.
Die Koalition derPolizistenhasser ist breit: Sie
reicht von Linksextremen überFussball-Ultras bis
hin zuPartygängern.DieVerachtung wird in diesen
Szenen kultiviert. DasAkronym «ACAB» («All
cops are bastards») oderAufkleber mit Slogans wie
«Ewiger Hass derPolizei» finden sich nicht nur auf
Wände geschmiert beziehungsweise geklebt, son-
dern sind auch bei Demonstrationen omnipräsent.
Was auch auffällt:Die Linksautonomen ausgenom-
men,wird die Gewalt kaum politisch legitimiert.
Ein Merkmal sticht zudem besonders hervor:
Fast alle Täter sind jung, fast immer sind es Män-
ner. Sie handeln dabei fast nie allein,sondern meist
aus Gruppen heraus. Bei ihnen schliesst diePolizei
auch in der von ihr inAuftrag gegebenen Umfrage
in Bezug a uf dasVertrauen am schlechtesten ab.
Unfreundlich und arrogant sei sie,lautet die Kritik,
ihr Verhalten unverhältnismässig und übertrieben.
Zum Soundtrack dieser Subkulturen gehören
Songs wie jener des ZürcherRappersJordan Parat.
Sein Youtube-Video, das bereits rund 400000 Mal
aufgerufen worden ist,stilisiert die Gewalt gegen
die Polizei geradezu hoch. «Sit ich chli bin, wird ich
iigstuft als Risiko. Doch ich fick druf», rappt Parat.
Und:«Was bliibt mir anders übrig als: Stich en
Zivi.» Zurverbalen Messerattacke auf einen Zivil-
polizisten setzen sich imVideo dunkel vermummte
Männer in martialischerPose in Szene.
Rollen rasch verteilt
So unterschiedlich die Gruppen sind: Es gibt
Überschneidungen. Nicht nur personelle, son-
dern auch inhaltliche. Sie sehen sichvon derPoli-
zei aus dem sowieso schon stark genutzten öffent-
lichenRaum verdrängt. Eine tiefsitzende Skepsis
gegenüber den Gesetzeshütern findet sich auch
im etablierten linkenLager. «ACAB» hatte sich
beispielsweise auch eine der jungen Klima-Akti-
vistinnen gut sichtbar auf das Gesicht gemalt, die
vergangeneWoche den Zugang zur CreditSuisse
am Paradeplatzverbarrikadiert hatten, bis sievon
Polizisten abgeführt wurden.
Auch dort waren dieRollen rasch verteilt: Hier
die weissgekleidetenAktivisten, die auf ein sympa-
thisches Anliegen aufmerksam machen (dieWelt
rett en),dort diePolizisten in ihren dunklen Unifor-
men. Reflexhaft fiel dann auch die Kritiketwa der
Jungsozialisten aus, weil die Gesetzeshüter es ge-
wagt hatten, die Aktion abzubrechen und die De-
monstranten zu verhaften.
Muss sich diePolizei verändern, damit die Ge-
walt aufhört?Das wäre verkehrt gedacht. Es gibt
schlicht zu viele unterschiedliche Erwartungen an
sie, als dass sie alle erfüllbar wären.Für die einen
agiert diePolizei ja bereits heute zu zurückhal-
tend und «weich», für die anderen wiederum viel
zu repressiv.Ein gutesAbbild davon sind dieVor-
stösse im Zürcher Gemeinderat: Bei jedem grös-
seren Einsatz – ob diePolizei nun dieTeilnehmer
einer unbewilligten Demonstration gewähren lässt
oder ob sie Aktivisten abführt – ertönt derRuf
nach einer anderen Gangart.
Die Korps haben in den vergangenenJahren
viel investiert. Interne Schulungen in sensiblen Be-
reichen wieRacial Profiling wurdenverstärkt, der
Frauenanteil wurde erhöht, und Brückenbauer su-
chen denKontakt zu Migranten.
Diese Anstrengungen fortzuführen, ist wichtig.
Doch dasreicht nicht. Es braucht auch einekon-
sequente Bestrafung der Übeltäter.Videoüber-
wachung an Brennpunkten und verstärktePatrouil-
len können dazu einen Beitrag leisten.Allein kann
die Polizei dasGewaltproblem aber nicht lösen.
Dafür braucht es einen gesellschaftlichen Dialog,
der auch die jungenPolizeihasser einbezieht. Nur
ein gemeinsamesVorgehen aller kann die Aggres-
sionen wirklich langfristig zurückbinden.
Die Prügelknaben
der Spassgesellschaft
Drohungen, Pöbeleien und Gewalt gege n Polizisten haben
ein ersc hreckendes Mass angenommen. Doch statt
dass die Einsatzkräfte geschützt werden, prasselt Kritik auf sie ein.
Damit ist niemandem geholfen. Von Fabian Baumgartner
Die Einsatzkräfte sind
in einigen Kreisen
seit geraumer Zeit zur
Zielscheibe für ihreWut
geworden. In diesen Milieus
gehört der Hass gegen die
Staatsgewalt zum gutenTon.