Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 SCHWEIZ


«Lieber keine Reform der Pensionskasse als diese»

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi lehnt den Kompromisszur beruflich en Vorsorge ab – und kritisiert den Arbeitgeberverband


HerrAeschi, dieVorwürfe des Arbeit-
geberpräsidenten Valentin Vogt sind
heftig: Die SVP sei nicht bereit, bei der
AltersvorsorgeVerantwortung zuüber-
nehmen, und verharre auf Maximalposi-
tionen. Stimmt es, dass IhrePartei nicht
kompromissbereit ist?
ValentinVogt sticht uns das Messer in
den Rücken. Er hat vergessen, mit wem
er den Abstimmungskampf gegen die
Aufstockung der AHV um 70Franken
bei derRentenreform 2020 gewonnen
hat. DieSVP hat sich dort stark enga-
giert.Und nun legt sich derArbeitgeber-
verband mit denLinken ins Bett.Vogt
war das wichtiger, als mit derSVP, der
FDP und dem Gewerbeverband das Ge-
spräch zu suchen.Das ist Verrat.


Aus Ihrer Sichtwäre also eine bürger-
liche Lösung möglich gewesen?
Wir waren die Gewinner der Abstim-
mung über die Rentenreform 2020,
die dasVolk ablehnte. Deshalb hätten
uns die Linken entgegenkommen müs-
sen. Wie wir dies nach dem Nein zur
UnternehmenssteuerreformIII jaauch
bei der Steuer- und AHV-Vorlage ge-
macht haben. Stattdessen unterstützt
der Arbeitgeberverband nun einerein
gewerkschaftliche Lösung.


Die Senkung des Umwandlungssatzes
ist für Sie kein Entgegenkommen der
Gewerkschaften?
Nein. Die Gewerkschaften hatten dieser
Senkung bereits in derRentenreform
2020 zugestimmt. Der neueVorschlag
belastet die jungen Beitragszahler ein
weiteres Mal mit zusätzlichen Lohn-
abzügen. Den neuen Zuschlag in der 2.
Säule wird man nie mehr wegbringen,
auch wenn diesbehauptet wird. Die zu-
sätzlichen Abzüge schaden derKonkur-
renzfähigkeit desWerkplatzes Schweiz.
Leidtragende sind die Arbeitnehmer
und die Gewerbler, die mehr bezahlen.


Wie hätte denn aus Ihrer Sicht einKom-
promiss für die Sanierung der 2. Säule
aussehen müssen?
Dass die Gewerkschaften auf ihren lin-
ken Positionen verharren, ist nachvoll-
ziehbar.Aber ich hätte vonVogt er-
wartet, dass er zumindestdas Gespräch
mit uns allen sucht.Aber ihm und der
Economiesuisse geht es darum, um
jeden Preis einPäckli mit den Linken
zu schnüren, um nach denWahlen das


Rahmenabkommen mit der EU gegen
die SVP durchzubringen.

Aber dieWirtschaft muss beim Rahmen-
abkommen ja mit den Linken paktieren,
weil die SVP grundsätzlich dagegen ist.
Das ist eine alte Leier.Wir wollen die
Unabhängigkeit der Schweiz bewahren
und verhindern, dass die EU in zen-
tralen Bereichen wie der Zuwande-
rung,der Sozialversicherungen oderder
Landwirtschaft für uns bestimmt.Viel-
mehr braucht es auchkünftig bilaterale
Verträge aufAugenhöhe.

Und deshalb kann die SVP in der
Europapolitik keinePartnerin derWirt-
schaft sein.
Die multinationalenKonzerne sind zu-
nehmend nur an kurzfristigen Gewin-
nen interessiert.Dafür sind sie sogar
bereit, die Souveränität der Schweiz zu
opfern. Nun stellt sich nach der Econo-

miesuisse auch der Arbeitgeberverband
völlig in den Dienst dieser Grossunter-
nehmen und ist bereit, dafür die Seele
der Schweiz zu verkaufen.

Nochmals:Was wäre denn IhrVorschlag
zur Reform der beruflichenVorsorge?
Wir befürworten eineSenkungdesUm-
wandlungssatzes, aber ohne Erhöhung
der Lohnprozente und ohne neue Um-
ver teilung à la AHV, so wie dies auch
der Gegenvorschlag des Schweizeri-
schen Gewerbeverbands vorsieht. Der
Vorschlag derArbeitgeber und Gewerk-
schaften wird dazu führen, dass die1.
und die 2. Säule verschmelzen, hin zur
staatlichen Einheitsrente.Das ist das
Ziel der Gewerkschaften.

Ihr Vorschlag wirdnicht mehrheitsfähig
sein.
Das wird dasVolk entscheiden.Aber lie-
ber garkeine Reform derPensionskasse

als diese Abgabenerhöhung.Man sollte
das Problem mit einer gewissen Gelas-
senheit betrachten.Dank dem überobli-
gatorischenTeil ist das Problem des zu
hohen Umwandlungssatzes gar nichtso
akut.

Eine Möglichkeit zur Entlastung von
AHV undPensionskassewäre die Er-
höhung desRentenalters, wie dies kürz-
lich Finanzminister Ueli Maurer vorge-
schlagen hat.Warum haben Sie Ihren
Bundesrat ni cht unterstützt?
Der Vorschlag entspricht nicht unse-
rer Meinung.Wir sind imRahmen der
gegenwärtigen AHV-Reform für eine
Angleichung des Rentenalters der
Frauen auf 65Jahre. Dies alleine ist
be reits mehrheitsfähigan der Urne.
Darum braucht es dazu auchkeine zu-
sätzlichen Kompensationen von 700
MillionenFranken, wie das der Bundes-
rat vorschlägt.

Das heisst, die SVP ist grundsätzlich
gegen die Erhöhung desRentenalters
bei Frauen und Männern?
Wir unterstützen bei derAHV-Revision
das Rentenalter 65/65.

Und bei einer nächstenReform?
Nach der AHV geht es um die Sanie-
rung der beruflichenVorsorge, die wir
hoffentlich getrennt behandeln und
nicht wieder in einemPäckli. Was da-
nachkommt, ist offen.

Sie drücken sich vor einer klaren Ant-
wort. Obwohl eine allgemeine Erhöhung
des Rentenalters doch sowohl die1. als
auchdie 2. Säule entlasten würde.
Das stimmt. Aber eine Erhöhung des
Rentenalters über 65/65 hinaus steht für
uns derzeit nicht zur Diskussion.Jetzt
geht es um dieVorschläge zur AHV
und zur beruflichenVorsorge, die auf
dem Tisch liegen.

Die SVP liegt mit der heimischen
Wirtschaft im Streitwegen des Rah-
menabkommens mit der Europäischen
Union und nun auchwegen der Alters-
vorsorge.Funktioniert der vielbeschwo-
rene bürgerliche Schulterschluss über-
haupt noch?
Der Ständerat hat in der Sommersession
einer Motion derSVP zugestimmt, die
ein Revitalisierungspaket für unser
Land verlangt, um die Standortattrakti-
vität zu steigern und die Absatzmärkte
zu diversifizieren. Die Schweiz muss
bessereRahmenbedingung haben als
die EU. Nur so können wirkonkurrenz-
fähig bleiben, wenn die EU uns weiter-
hin erpresst. In derWirtschaftspolitik
funktioniert der bürgerliche Schulter-
schlussalso durchaus.
Interview: Lukas Mäder

«Der neueVo rschlag
belastet die jungen

Beitragszahler
ein weiteres Mal

mit zusätzlichen
Lohnabzügen.»

«Die Schweiz muss bessere Rahmenbedingungen haben als die EU»,sagt ThomasAeschi. SIMONTANNER / NZZ

CVP muss auf einen wilden Kandidaten hoff en


In den Nationalratswahlen drohen die Christlichdemokratenunter ze hn Prozent zu fallen


ERICHASCHWANDEN


«Weltwoche»-Redaktor gegen«WOZ»-
Reporter – so lautete vor vierJahren
die Ausgangslage bei den Nationalrats-
wahlen in Nidwalden.Das Duell erwies
sich als weniger brisant, als es die Affi-
cheversprach.Beim«Weltwoche»-Mann
handelte es sich nämlich umPeter Kel-
ler, der seit 2011 in der grossen Kam-
mer sitzt und we itgehend unangefoch-
tenist.ErstinletzterMinuteverhinderte
«WOZ»-JournalistAndreasFagettistille
Wahlen, indem er als Zürcher im Kan-
ton Nidwalden antrat, zu dem er vorher
praktischkeine Beziehungen hatte.Ent-
sprechend klar fiel dasVerdikt derWäh-
lerinnenundWählerzugunstenvonSVP-
VertreterKeller denn auch aus.


GestörtesVerhältnis


DieserWahlkampf, der keiner war, zeigt,
dass es in kleinen Kantonen mit nur
einem Nationalratssitz immer wieder
zu seltsamenKonstellationenkommt.
Das ist bei den diesjährigen National-
ratswahlennichtanders.Jetztkommtdie
Konkurrenz fürPeter Keller immerhin
aus dem Kanton selber.Als bisher einzi-
gerGegenkandidatwurdeder63-jährige
Alois Bissig nominiert. DerJurist sass
vier Jahre lang alsVertreter der CVP in
der NidwaldnerRegierung und wurde


2014 im erstenWahlgang vomVolk nicht
mehr bestätigt. Bissig verzichtete unter
Druck seinerPartei auf den zweiten
Wahlgang und wurde durch einen ande-
ren CVP-Kandidaten ersetzt.
Seither ist dasVerhältnis zwischen
ihm und seinerPartei eher frostig. So
war die CVP alles andere als begeis-
tert, als Bissig seine Kandidatur für die
Nationalratswahlen ankündigte. Seine
Ortspartei, die CVP Ennetbürgen, ver-
weigerte dem ehemaligenJustizdirektor
demonstrativ die Unterstützung und da-
mit die offizielle Nomination.Bissig liess
sich vom Gegenwind nicht stoppen und
tritt nun als wilder Kandidat an. Statt
von seiner Mutterpartei wird er von
einem überparteilichenKomitee unter-
stützt. Die CVP verzichtetein derFolge
darauf,eineneigenen, offiziellen Kandi-
daten aufzustellen.
So paradox dies klingen mag, der ver-
schmähteKandidatkönntefürseinePar-
tei noch sehr wertvoll werden. Die CVP
kämpft auf nationaler Ebene nämlich
darum, beimWähleranteil nicht unter
die magischeGrenze von zehn Prozent-
punktenzufallen.Am20. Oktobergeben
möglicherweisewenigeZehntelprozent-
punkte denAusschlag, ob die Christlich-
demokraten dieses Ziel erreichen oder
nicht.Vor vierJahren erzielte die CVP
gesamtschweizerischeinenWähleranteil
von 11,6 Prozent. Bissigkann der CVP

helfen,ihreBilanzaufzubessern.Wiedas
Bundesamt für Statistik (BfS) auf An-
frage der NZZ mitteilt, zählen nämlich
auch die Stimmen von wilden Kandida-
ten in der Abrechnung für jenePartei,
der sie als Mitglied angehören.

Sicherer Gewinn inObwalden


Das nicht immer ganz einfach zu ver-
stehende SchweizerWahlsystem führt
dazu,dass die CVP auch im Kanton Ob-
walden ganz sicher einige Zehntelpro-
zente gegenüber 2015 zulegen wird – ob-
wohl dort mit KarlVogler ein Mitglied
der CVP-Bundeshausfraktion zurück-
tritt. Der wichtigste Punkt:Vogler ge-
hört zwar derFraktion an, ist aber Mit-
glied der ChristlichsozialenPartei und
vor vierJahren als solches gewählt wor-
den. Die CVP trat 2015 in Obwalden
nicht zu den Nationalratswahlen an und
holte damitkeine Wähleranteile.

Offiziell tut sie dies auch in die-
semJahr nicht, besetzt sie doch mit
Erich Ettlin schon den einzigen Sitzim
St ände rat und will nicht den Anschein
erwecken, alles dominieren zu wollen.
Doch auch im Kanton Obwalden haben
wilde Kandidaturen eine langeTradi-
tion. So verwundert es nicht, dass ein
überparteilichesKomiteeein langjähri-
ges CVP-Mitglied zurWahl vorschlägt.
Der 54-jährigeWinzer undJurist Peter
Krummenacher ist seit fast 30Jahren
Mitglied der CVP. Und im Gegensatz zu
Alois Bissig tritt Krummenacher nicht
geg en denWillen seinerPartei an.
Während Bissig fastkeineWahlchan-
cen zugebilligt werden, hat Krummen-
acher durchausAussichten, seinen Kan-
ton in den nächsten vierJahren im Bun-
deshaus zu vertreten.Selbst wenn er den
Sprung nach Bern nichtschaffen sollte,
wird er für die CVP wertvolleWähler-
anteile holen.Je nach persönlichem Ab-
schneidendürftenBissigundKrummen-
acher der CVP 0,2 bis 0,3 ProzentWäh-
leranteile verschaffen.Das ist nicht be-
sondersviel,abervorsichtshalberhatsich
dasGe neralsekretariatderCVPSchweiz
beim Bundesamt für Statistik schon ein-
mal rückversichert, ob die Stimmen der
wildenKandidateninderSchlussabrech-
nungauchtatsächlichzählen.Diesbestä-
tigt der stellvertretende Generalsekre-
tär Luca Strebel auf Anfrage der NZZ.

Alois Bissig
Ehemaliger
Nidwaldner
PD Regierungsrat

Die Schweiz


exportiert mehr


Kriegsmaterial


Seco spricht von einem
«sehr volatilen» Geschäft

(sda)·Schweizer Unternehmen haben
im ersten Halbjahr 2019 Kriegsmaterial
im Wert von fast 273 MillionenFranken
exportiert. In der entsprechendenVor-
jahresperiode war mit205 Millionen
Franken noch deutlich weniger Kriegs-
material ausgeliefert worden.
Der Anstiegum fast 70 Millionen
Franken imVergleich zum ersten Halb-
jahr 2018 ist beträchtlich. Dies sei aber
nicht aussergewöhnlich, heisst es auf
Anfrage beim StaatssekretariatfürWirt-
schaft (Seco). Kriegsmaterialexporte
seien sehr volatil: Grosse Geschäfte mit
einem hohen finanziellen Umfangkönn-
ten einzelne Quartale stark beeinflus-
sen und fehlten dann möglicherweise
im nächsten Quartal.
Panzer und andere Landfahrzeuge
machten mit 116,4 MillionenFranken
im ersten Semester 2019 den grössten
Anteil an den Exporten aus, wie aus
den vom Seco publiziertenZahlen her-
vorgeht. Es folgten Munition fürWaf-
fen und Hand- undFaustfeuerw affen
jeglichen Kalibers (75,7 Mio. Fr.). Die
mit Abstand g rössten Abnehmer von
Schweizer Kriegsmaterial waren im ers-
ten HalbjahrDänemark (82,3 Mio. Fr.)
und Deutschland (51,6 Mio. Fr.).
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