Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

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FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 wirtschaft 21


N


ot macht erfinderisch. Das
gilt für Menschen wie für Un-
ternehmen, wie der Fall der
Bayerischen Motorenwerke in
Amerika beweist. BMW sucht für seine
Werkstätten händeringend passablen
Nachwuchs, der Fachkräftemangel hat
bedenkliche Ausmaße angenommen.
„Gute Mechaniker zu finden ist hier
schier unmöglich“, berichtet ein BMW-
Manager in New York. Deswegen haben
sich die Bayern zu einem kuriosen
Schritt entschlossen: Die Autobauer wer-
ben neuerdings aus der Armee ausschei-
dende Marines an.
Die Elitesoldaten der amerikanischen
Truppen – gedrillt, um in jedem Krisen-
gebiet an die vorderste Front geschickt zu
werden – sollen künftig in den BMW-Au-
tohäusern Reifen wechseln, Lichtmaschi-
nen einstellen oder die hochkomplexe
Elektronik in den Karossen richten.
An Fachkräften mangelt es auf breiter
Front in Amerikas Autoindustrie, nicht
nur BMW, alle Hersteller und Zulieferer
singen das gleiche Lied: Im Land der un-
begrenzten Möglichkeiten mag kaum
noch jemand an Autos schrauben. Die
jungen Schulabgänger drängen an die
Colleges, und seien sie noch so teuer
oder noch so mittelmäßig. Bloß nicht mit
den Händen arbeiten, bloß nichts Hand-
werkliches lernen. Bloß nicht Automecha-
niker werden. Das ist ein Problem.
Da loben sie bei BMW ihre jungen
Marines. Die sind da anders gepolt; häu-
fig technisch versiert, zudem ausgestattet
mit robustem Ehrgeiz, Disziplin und ei-
nem ausgeprägten Arbeitsethos. Alle-
samt Tugenden, mit denen sich andere
Kandidaten für die Jobs schwertun. Al-
lein das frühe Aufstehen stellt für man-
che Bewerber eine kaum zu meisternde
Herausforderung dar.
„Die Veteranen der Marines sind ge-
nau die richtigen Kandidaten für unsere
Ausbildung“, bestätigt deshalb ein BMW-
Sprecher. Marines gelten gemeinhin als
die Elitetruppen des Landes, ausgebildet
für den Ernstfall. Sie sind es, die mit Fall-
schirmen über feindlichem Terrain ab-
springen, die Jagd auf Terroristen, Rebel-
len und andere Staatsfeinde machen. Sie
kämpfen in allen Klimazonen; an Land,
zur See oder zum Schutze der amerikani-
schen Botschaften und Konsulate.
Viele junge Männer und Frauen ver-
pflichten sich für den ehrenvollen, aber
gefährlichen und extrem aufreibenden
Dienst beim Marine Corps nur auf vier
oder fünf Jahre. Danach kehren die Vete-
ranen – versehen mit reichlich Ruhm
und Ehre – zurück in die zivile Welt,
mit gerade mal Anfang, Mitte zwanzig.
Für die Wiedereingliederung unter-
stützt sie die Armee mit gezielten Schu-
lungen, abzuleisten während der letzten
Monate der Dienstzeit.
An dieses Programm hat sich BMW
angekoppelt, seit vorigem Jahr ist der
bayerische Konzern offizieller Partner
des amerikanischen Militärs, wenn es
darum geht, ausscheidenden Soldaten
eine berufliche Perspektive zu bieten.
Im größten Marine Camp im kaliforni-
schen Pendleton werden die ausgesuch-
ten Soldaten 16 Wochen lang zu Auto-
mechanikern ausgebildet, bezahlt wer-
den sie in der Zeit noch aus dem Vertei-
digungshaushalt. Die ersten drei Klas-
sen haben diese BMW-Kurzlehre be-
reits absolviert, die vierte steht im
Herbst vor dem Abschluss. „Wir wollen
das Projekt weiter ausbauen“, berichtet
der in New York stationierte BMW-Ma-
nager, der von den ehemaligen Marines-
Kämpfern und -Kämpferinnen genauso
begeistert ist wie die BMW-Händler
draußen im Land, wo die Abgänger un-
tergekommen sind.
Das generelle Problem in Amerika ist,
dass es keine duale Ausbildung gibt, bekla-
gen regelmäßig deutsche Manager vor
Ort. Anders als in Deutschland kennen
die Amerikaner keine dreijährige, bezahl-


te Lehrzeit mit Berufsschule und Fortbil-
dungen. Die Highschool-Abgänger, die
es auf kein College schaffen, lassen sich ir-
gendwo ein paar Wochen anlernen und
fangen dann an zu malochen – als Verkäu-
ferin, als Friseurin, auf dem Bau oder in
der Fabrik. Wer engagiert ist, kann sich
über Fortbildungen nach und nach hoch-
arbeiten. Wem der Antrieb dazu fehlt,
der bleibt besserer Hilfsarbeiter. Und de-
rer gibt es viel zu viele in Amerika. Deut-
sche Firmen haben deshalb damit begon-
nen, in Amerika Lehrlinge nach dem Vor-
bild des deutschen dualen Systems auszu-
bilden. So machen es neben den Autobau-
ern wie BMW und Daimler auch Sie-
mens und Bosch.
Zum Antrittsbesuch bei Präsident Do-
nald Trump hatten die Konzernchefs von
Siemens, Schaeffler und BMW seinerzeit

extra Lehrlinge aus ihren amerikanischen
Niederlassungen ins Weiße Haus mitge-
bracht, um für das deutsche Modell zu
werben und Trump zugleich zu signalisie-
ren, dass sie exzellente Fachleute ausbil-
den – nicht nur in Deutschland, sondern
auch in Amerika.
Dumm nur, dass der Präsident sich da-
von nicht beeindrucken lässt. Regelmä-
ßig schießt Trump voller Inbrunst gegen
die Autobauer. „Die Deutschen sind
böse, sehr böse“, twittert er, wenn es um
deren Verkaufserfolge geht. Regelmäßig
droht er ihnen Strafzölle von 20, 25 oder
auch mal 30 Prozent an, je nach Laune.
Er schimpft gegen sie, weil sie Amerika
mit „Mercedes- und BMW-Fahrzeugen
zuschütten“. Die „Millionen“ deutscher
Fabrikate auf Amerikas Straßen seien
„fürchterlich“. Jüngstes Ärgernis: ein

Werk, das BMW in Mexiko gebaut hat.
Ausgerechnet in Mexiko! Trotz etlicher
Warn-Tweets aus dem Weißen Haus ha-
ben die Bayern das Werk im Juni in Be-
trieb genommen. Das alles sei sehr, sehr
unfair, findet Präsident Trump. Die
Deutschen würden damit den Wohl-
stand Amerikas behindern.
Was der Mann im Weißen Haus dabei
geflissentlich übersieht: Die deutschen
Hersteller kurbeln die amerikanische
Wirtschaft ordentlich mit an und brin-
gen Zigtausende Amerikaner in Lohn
und Arbeit. Wer nämlich ist der größte
Autoexporteur in Nordamerika? Nicht
etwa General Motors, Ford oder Chrys-
ler, wie zu vermuten wäre. Nein, BMW
und Daimler führen die Ausfuhr-Ran-
kings Amerikas an. Aus den dort angesie-
delten Werken werden jedes Jahr Luxus-

karossen im Wert von zehn Milliarden
Dollar in alle Welt verschifft. Auch steht
das größte Autowerk von BMW nicht in
München, sondern in der Nähe von
Spartanburg in South Carolina, einem
Ostküsten-Staat mit eingefleischter
Trump-Wählerschaft. Dort fertigen die
Bayern ihre SUVs und sind der größte
Arbeitgeber weit und breit. 10 000 Men-
schen arbeiten direkt für BMW, weitere
20 000 Arbeitsplätze hängen indirekt an
der Fertigung. Nacht für Nacht verlas-
sen an die 1000 SUVs den Hafen in
Charleston in Richtung Europa oder
Asien. Der Gouverneur von South Caro-
lina, Henry McMaster, ein bekennender
Trump-Anhänger, weicht deshalb in die-
sem Punkt von der Linie des Präsiden-
ten ab und zählt die Bayern eindeutig zu
den „guten Deutschen“.

Der Präsident indes lässt nicht ab von
seinen Prügelknaben, egal, wie oft die
Konzernlenker aus Wolfsburg, Stuttgart,
München und Ingolstadt bei ihm, seinen
Ministern und Beamten darauf hinwei-
sen, dass der Unwille gegen sie unbegrün-
det sei. Dass nicht die deutschen Autos
eine Malaise der amerikanischen Wirt-
schaft seien, sondern der grassierende
Facharbeitermangel.
Trotz alledem, es bleibt Trumps erklär-
tes Ziel: Es sollen keine deutschen Nobel-
karossen mehr am Trump Tower vorbei
über die Luxusmeile Fifth Avenue in
New York rollen. Erst wenn die Autos
aus Europa von Amerikas Straßen ver-
schwunden sind, hat seine aggressive Han-
delspolitik ihr Ziel erreicht, auch wenn
Teile seiner Elitekämpfer inzwischen zum
bayerischen Gegner übergelaufen sind.

K


ann es Freundschaft unter Mana-
gern geben? Also etwas, das diese
Bezeichnung wirklich verdient,
das hinausgeht über das, was im Berufsle-
ben üblicherweise so genannt wird, aber
nicht mehr beschreibt als Networking
und Kontaktpflege. Echte Freundschaft
ist selten. So was gelingt nur als Ausnah-
me, in ihrem Fall aber schon, urteilen
Uli Hoeneß und Herbert Hainer. Sie bei-
de haben dieses Glück, der Fußball-Star
und spätere FC-Bayern-Präsident sowie
der Star-Manager und wahrscheinliche
nächste FC-Bayern-Präsident.
Hoeneß bereitet gerade den geordne-
ten Rückzug vor, Hainer übernimmt die
Position voraussichtlich zum Jahreswech-
sel, das ist der Plan, der Mitte der Wo-
che publik wurde. Ein Wechsel unter
Freunden, so wurde das Manöver, richti-
gerweise, sofort gedeutet: Das wird kein
Bruch, auch kein Generationswechsel.
Die beiden Protagonisten trennen
nur zwei Jahre (Hainer ist Anfang Juli 65
geworden), ihre außergewöhnliche
Freundschaft währt zwei Jahrzehnte.
Die beiden Männer hatten grandiose Er-
folge und tieftraurige Stunden, sie ha-
ben zusammen gekämpft, zusammen ge-
feiert, zusammen geheult. „Ein Freund,
mit dem du weinen kannst, ist ein Ge-
schenk“, sagten sie, als wir sie vor eini-

gen Monaten am Tegernsee, dem Wohn-
sitz von Uli Hoeneß, zum F.A.S.-Ge-
spräch trafen und sie Zeugnis ablegten
von ihrer tiefen Verbundenheit: „Wir
beide haben so viel gemeinsam durchge-
standen, dass klar ist: Unser Freund-
schaft hält, uns treibt nichts mehr ausein-
ander“, sagte Hoeneß damals.
So war Hainer einer der Ersten, die
den FC-Bayern-Manager nach der Verur-
teilung als Steuerhinterzieher im Gefäng-
nis besucht haben: „In so einer Situation
zeigt sich wahre Freundschaft, wer steht
dir bei, und wer fällt um? Leider war ich
einer der wenigen, der sich zu Uli be-
kannt hat“, sagt der ehemalige Adidas-
Chef Hainer.
Umgekehrt stand Hoeneß ihm in sei-
ner „schlimmsten Stunde“ bei, als Hai-
ners Tochter Kathrin 2006 aus heiterem
Himmel gestorben ist. „Da haben wir ge-
spürt: Es kann kommen, was mag, zwi-
schen uns kann nichts mehr passieren.“
Die beiden ticken in vielen Dingen
gleich, sie sind zur selben Zeit im selben
Milieu aufgewachsen. Beide sind sie Söh-
ne von Handwerksmeistern, Metzgern
mit eigenem Geschäft, in Ulm der eine,
in Landshut der andere. Beide haben sie
die Bedeutung des Cashflow nicht auf ei-
ner Business School gelernt, sondern am
Verkaufstresen in der Metzgerei. Das

prägt. „In einem Familienbetrieb lernst
du, mit Geld umzugehen“, erzählte Hai-
ner am Tegernsee. „Wehe, da haben
abends in der Kasse mal zehn Mark ge-
fehlt“, ergänzte Hoeneß, der beim Vater
gelernt hat, was harte Arbeit bedeutet:
„Der Tag hört dann auf, wenn die Arbeit
gemacht ist.“ Mit Begriffen wie Work-
Life-Balance können die beiden bis heu-

te wenig anfangen, wenngleich sie nicht
mehr im operativen Geschäft tätig sind.
Hainer hat, nach einer bewunderns-
werten Karriere als Adidas-Chef, den
Konzern im Herbst 2016 verlassen, seit-
her kümmert er sich um seine Mandate
(unter anderem bei Lufthansa und Alli-
anz), private Geschäfte und das Golf-
Spiel, außerdem hat er der zweiten Toch-

ter beim Aufbau eines Pferdehofs gehol-
fen. Die Verbindung zu Adidas wurde lo-
ser, auch wenn Hainer noch immer am
Konzernsitz in Herzogenaurach wohnt
und nach wie vor einzelne, eher repräsen-
tative Aufgaben für das Unternehmen
wahrnimmt. Die Idee, nach zwei Jahren
Abkühlphase als Aufsichtsrat zurückzu-
kehren, jedenfalls hat sich zerschlagen.
Dabei wäre dies durchaus eine Option ge-
wesen: Der Platz an der Spitze des Kon-
trollgremiums ist absehbar zu besetzen.
Hainer entschied sich dagegen. So hängt
der bisherige Amtsinhaber, der Franzose
Igor Landau, obschon Mitte siebzig,
noch mal ein Jahr dran – bis zur nächs-
ten Hauptversammlung im Mai 2020.
Danach wird sich ein neues Gespann
an der Spitze von Adidas formieren; vor-
aussichtlich bestehend aus Vorstandschef
Kasper Rorsted und Bertelsmann-Chef
Thomas Rabe, der dieses Jahr, zunächst
als einfacher Aufsichtsrat, zu Adidas ge-
stoßen ist. Rabe und Rorsted kennen
sich seit Jahren (der Däne war Aufsichts-
rat in Gütersloh), schätzen sich und ti-
cken ähnlich. Beide denken sie in Zielen
und Zahlen, beide sind sie fanatische
Sportler mit einem Hang zum Perfektio-
nismus, beide sind sie Fans des FC Bay-
ern. Ob das ausreicht, damit ihre Bezie-
hung eines Tages den Begriff Freund-
schaft verdient?

Woher Mitarbeiter nehmen, wenn der Markt eng


und das Angebot mau ist? BMW versucht es in


Amerika nun mit Elitesoldaten.


Von Bettina Weiguny


Wer sich im Kampf bewährt, der besteht auch in der Autowerkstatt: BMW ist neuerdings Partner des amerikanischen Marinekorps und hat nahe San Diego ein gemeinsames Trainingscenter eröffnet. (Bild oben) Fotos dpa, BMW

Fußball statt Konzern:


Ex-Adidas-Chef


Herbert Hainer krönt


seine Karriere


beim FC Bayern:


Als Nachfolger von


Uli Hoeneß.


Von Georg Meck


BMW heuert in


Amerika Soldaten an


Ein


Freund,


ein guter


Freund


Auf der Bank am Tegernsee: Herbert Hainer (links) und Uli Hoeneß vorigen Sommer beim
F.A.S.-Gespräch Foto Christina Pahnke
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