Die Welt am Sonntag - 21.07.2019

SENDUNG unerwünscht

F

ür viele Briefkastenbe-

sitzer ist es wöchentli-

che Routine: Freitag-

oder Samstagmorgen,

wenn man sich eigent-

lich nur seine Zeitung

holen möchte, zieht

man einen in Plastik eingeschweißten

Packen Werbepost aus dem Briefkasten,

Aufdruck: „Einkauf Aktuell“, in markan-

tem Postgelb. Unter Kopfschütteln wer-

den Folie und Papier voneinander ge-

trennt, dann landet – zumindest bei den

Umweltbewussteren – das Plastik in der

gelben Tonne, die Werbehefte im Altpa-

pier. Und bei den weniger Korrekten

fliegt gleich das komplette Paket samt

Folie in den Müll.

An „Einkauf Aktuell“ verdient die

Deutsche Post offenbar gut. Jede Woche

verschickt sie nach eigenen Angaben

rund 20 Millionen der Hefte an Haus-

halte im ganzen Land, vorwiegend an je-

ne in „konsumstarken Ballungsräu-

men“, so umschreibt es der Konzern auf

Anfrage. Das Geschäftsmodell: Firmen

schalten Anzeigen in den Werbeheften

der Post, und ihre Briefträger, die ja oh-

nehin morgens von einer Haustür zur

nächsten ziehen, müssen die Hefte mit

austragen. Nur Haushalte, die per Auf-

kleber explizit erklären, dass sie keine

Werbung im Postkasten wünschen, wer-

den ausgelassen. Wie viel Umsatz das

Unternehmen mit der Werbesendung

erzielt, verrät es offiziell nicht. Aus dem

Konzern ist aber zu erfahren, dass es im

vergangenen Jahr rund 300 Millionen

Euro gewesen sein sollen. Aus Sicht der

Post ein schönes Zubrot zum Geschäft

mit den Briefen.

Jetzt aber droht dem Konzern recht-

licher Ärger wegen „Einkauf Aktuell“.

Eine Bürgerinitiative bereitet in ver-

schiedenen Bundesländern insgesamt

sieben Klageverfahren gegen die Post

vor. Darin geht es um die Frage: Darf

der Konzern den Bürgern ungebetene

Werbepost schicken, wenn diese expli-

zit dagegen widersprochen haben? Für

die Post könnten die Verfahren das En-

de dieses Geschäftsmodells bedeuten.

Der Grund für den sich regenden Wi-

derstand gegen die Postwurfsendung ist

der Müll, der durch „Einkauf Aktuell“

entsteht. 20 Millionen Sendungen pro

Woche bedeuten aufs Jahr hochgerech-

net rund eine Milliarde Plastiktüten, in

denen die Hefte stecken. Laut Post gehe

es ohne die Folien nicht, weil die Kun-

den erwarteten, dass die Hefte „voll-

ständig und nicht verdreckt oder nass“

beim Empfänger ankämen. Doch nicht

nur das Plastik regt offenbar Verbrau-

cher auf, auch das anfallende Altpapier.

Mit Letzterem haben sich kürzlich For-

scher der Universität Gießen beschäf-

tigt. Der Lehrstuhl für Abfall- und Res-

sourcenmanagement untersuchte für

Hessen, wie viel Papier durch Postwurf-

sendungen anfällt. Das Ergebnis: Bis zu

zwei Kilo Papierwerbung landen pro

Monat im heimischen Briefkasten. Etwa

die Hälfte davon gehe auf das Konto der

Post, sagt Lehrstuhlinhaber Stefan

Gäth. Der Forscher hält solche Werbe-

sendungen in Zeiten von Digitalisierung

und gesellschaftlicher Debatte über

Nachhaltigkeit auch noch aus anderen

Gründen für problematisch. „Auch

durch das Drucken der Werbepost, de-

ren Transport und das Zustellen werden

fossile Ressourcen unwiederbringlich

verbraucht“; sagt Gäth.

Viele Verbraucher sehen die Werbe-

maßnahme offenbar ähnlich kritisch. In

den vergangenen Wochen unterschrie-

ben 50.000 Menschen bundesweit ei-

nen Aufruf über soziale Netzwerke. Es

ging darum, sich gesammelt von der

Empfängerliste der Post für „Einkauf

Aktuell“ streichen zu lassen. Dazu hatte

die Initiative „Letzte Werbung“ aufge-

rufen. Deren Gründer Sebastian Siel-

mann in Berlin erklärt die Aktion so:

„Umweltschutz war für mich schon im-

mer ein Thema, und ich habe mich

selbst schon lange über die unerbetene

Werbung von der Post aufgeregt.“ Siel-

mann sagt, seine Initiative habe auch ei-

nige Fans unter Briefträgern. Diese sei-

en genervt davon, zusätzlich zu den

Briefen die Werbehefte austragen zu

müssen, weil es zusätzlichen Aufwand

bedeute und gerade auf Postfahrrädern

für spürbar zusätzliches Gewicht sorge.

Im vergangenen Jahr, erzählt er, habe

er mit seiner Initiative – bei der mittler-

weile 25 Freiwillige mitarbeiten – des-

halb eine erste Aktion gegen „Einkauf

Aktuell“ gestartet: An 40.000 interes-

sierte Haushalte bundesweit verschick-

ten er und seine Mitstreiter Aufkleber

für deren Briefkästen, die dem Briefträ-

ger signalisieren sollten: bitte keines

der Werbehefte einwerfen. Die große

erhoffte Durchschlagkraft habe die Ak-

tion mit den Aufklebern aber nicht ge-

bracht.

„Wir glauben deshalb, wir müssen es

den Verbrauchern noch einfacher ma-

chen“, sagt er. Deshalb starteten sie nun

die Aktion, in der sie die Daten der

50.000 Unterzeichner sammelten und

stellvertretend für alle gemeinsam

schriftlich mitteilten: Wir möchten das

Heft nicht mehr in unseren Briefkästen.

Der Konzern allerdings akzeptierte

diesen kollektiven Widerspruch nicht.

Er teilte der Initiative vor wenigen Ta-

gen mit, er nehme ihn nicht an. Und ge-

gen diese Ablehnung wiederum richten

sich nun die geplanten Klagen der Ini-

tiative. Sieben der Unterzeichner wol-

len stellvertretend für alle Unterzeich-

ner gegen die Post klagen. Man sei be-

reit, durch alle Instanzen bis zum Bun-

desgerichtshof zu gehen, und stelle sich

auf einen Prozess ein, der bis zu drei

Jahren dauern könnte, sagte Sielmann.

Am Ende, hofft er, könnte ein Grund-

satzurteil stehen: Dieses solle die Post

zwingen, es zu akzeptieren, wenn sich

Kunden einfach per E-Mail oder auf an-

derem Wege vom Erhalt der Werbepost

abmeldeten.

Bei der Initiative ist man zuversicht-

lich, dass die Gerichte ihrer Argumenta-

tion folgen werden – weil es schon 2011

ein gleichlautendes Gerichtsurteil gab:

Damals hatte ein Anwalt aus Lüneburg

gegen die Deutsche Post geklagt, weil

sie ihm weiterhin „Einkauf Aktuell“ zu-

stellte, obwohl er dem Konzern mitge-

teilt hatte, er wolle das nicht. Die Bür-

gerinitiative sieht diesen Entscheid als

richtungsweisendes Grundsatzurteil.

Die Post sieht das anders. Das Urteil

von 2011 sei nur ein Einzelfallentscheid

gewesen. Dass der Konzern den kollek-

tiven Widerspruch der Kündigungswil-

ligen ablehnte, erklärt er so: In einem

Massengeschäft sei es „nicht möglich,

einzelne Empfänger über Namenslisten

auszunehmen“.

Nur Müll? Sebastian Sielmann und

KKKatharina Wallmann kämpfenatharina Wallmann kämpfen

gegen „Einkauf Aktuell“

MARTIN U. K. LENGEMANN/WELT

Jede Woche landet „Einkauf Aktuell“ in den Briefkästen von 20 Millionen Deutschen. Viele von ihnen ärgert

das viele Plastik um die Hefte. Jetzt bekommt die Deutsche Post Ärger wegen der Werbung

VONANETTE DOWIDEIT

Vor wenigen Tagen erhielten wir

eine außergewöhnliche Leser-

post:Birgit K. aus Nordrhein-

Westfalen schickte uns einen Sta-

pel in Plastikfolie eingepackte

Lieferscheine – das Beiwerk zu

Ausgaben der WELT, die sie in den

vergangenen Wochen erhalten

hatte. K. ärgerte sich über den

Plastikmüll und kündigte deshalb

ihr Abonnement.

Wenn wir über den Plastikmüll

berichten, den die Deutsche Post

mit ihrem Heft „Einkauf Aktuell“

produziert, müssen wir uns als

Zeitungsredaktion selbstverständ-

lich fragen lassen, ob wir es besser

machen. Wir haben mit den Ver-

antwortlichen im eigenen Haus

gesprochen. Das Ergebnis: Der

Axel-Springer-Konzern verschickt

etwas über Tausend Exemplare

von WELT und WELT AM SONN-

TTTAG in Folie verpackt – und zwarAG in Folie verpackt – und zwar

einen Teil jener Exemplare, die

nicht vom Zeitungszusteller, son-

dern per Post ausgeliefert werden.

Bei diesen geht es noch nicht ohne

die Folie, weil ein paar der beauf-

tragten Druckereien nicht über die

technische Ausstattung verfügen,

um die Adressen der Kunden direkt

auf die Zeitungen aufzudrucken

oder sie mit Adressaufklebern zu

versehen. Wir versuchen derzeit,

den Einsatz von Folien so weit

wie möglich zu reduzieren.Bei

allen Bemühungen werden wir

jedoch wahrscheinlich auch in

Zukunft nicht komplett auf Plastik

verzichten können. Für diese Fälle

prüfen wir den Einsatz dünnerer

Folien und biologisch abbaubarer

Materialien. Mit Birgit K. haben wir

Kontakt aufgenommen. Wir neh-

men die Denkanstöße ernst.

Wenn unsere Zeitungen in Plastik kommen

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Artdirector

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Textchef

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Chefredaktion

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Chef vom Dienst

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21.07.1921. JULI 2019WSBE-VP1

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