Die Welt am Sonntag - 21.07.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1

D


er Abstand zwi-
schen den Porträts
der Dirigenten ist
geringer geworden.
Deshalb gibt es
jetzt im berühmten,
nüchtern geklinker-
ten Bayreuther Gang, der direkt vom
Orchestergraben in die Kantine führt,
wieder Platz für ein paar Fotos mehr. Da
wird bald, als jüngster Neuzugang, das
Porträt von Valery Gergijev hängen. Der
Russe – Taktführer mit dem charakte-
ristisch kleinen Stummelstab (ist es ein
Bleistift?), Dirigent des diesjährigen
„Tannhäuser“ – wird neben Plácido Do-
mingo zu hängen kommen. Das passt
sehr gut. Nicht, was die dirigentischen
Qualifikationen angeht, sondern die pro
Saison absolvierten Reisekilometer.

Im imaginären Wettbewerb der Klas-
sikstars um den heftigsten CO 2 -Fußab-
druck dürfte der 66-jährige Gergiev Do-
mingo übertrumpfen. Im Juli ging es,
neben ein paar Baden-Baden-Auftritten,
vom Münchner Odeonsplatz-Open-Air
zur Bayreuther Hauptprobe, zwischen
„Tannhäuser“-Generalprobe und Pre-
miere gab es im Schweizer Verbier eine
„Frau ohne Schatten“. Dann jettet er im
August zwischen Bayreuther Vorstel-
lungen mit seinem Mariinksy-Orchester
mehrmals nach Wladiwostok (da hat er
auch ein Festival), nach Japan, Finn-
land, Österreich, Frankreich und in die

auch ein Festival), nach Japan, Finn-
land, Österreich, Frankreich und in die

auch ein Festival), nach Japan, Finn-

Schweiz. Und für eine zweite Opernpre-
miere in Salzburg (Verdis „Simon Boc-
canegra“) muss er auch noch mit dem
Privatjet zu Proben und Vorstellungen
einschweben. Zwanzig Auftritte sind
das im August, nur 15 stehen im Septem-
ber im Kalender.
Diese Rastlosigkeit – die Kollegen
James Levine und Karl Böhm waren frü-
her nur zwischen Grünem Hügel und
Salzach im Helikopter unterwegs – sieht
man Valery Gergiev nicht an. Er wirkt
proper, ausgeschlafen. In der Bayreuther
Kantine rührt er in einem Teeglas, hin-
ter dem eine Espressotasse steht. Er
schaut sich um, ist jederzeit ansprech-
bar. Bayreuth dürfte, wenn er sich an die
besonderen Akustikverhältnisse ge-
wöhnt hat, wie Urlaub sein. Zumal er ein

erfahrener Wagnerdirigent ist. Schon
2003 hat er in Petersburg den ersten
kompletten russischen „Ring“ seit fast
hundert Jahren herausgebracht.
Um ihn herum im Bayreuther Verkös-
tigungssouterrain wird spekuliert, ob
eine der von ihm georderten Premie-
renkarten vielleicht für Vladimir Putin
bestimmt sein könnte. Das hätte aber
längst die Bayreuther Security geleakt,
denn inkognito kommt hier keiner rein:
Die Karten sind personalisiert, und für
Backstage geht nichts ohne Hausaus-
weis.

So überraschend wäre das Kartenge-
schenk nicht. Valery und Vladimir – in
seiner Nähe zu einem wirklich Mächti-
gen übertrifft Valery Gergiev noch Her-
bert von Karajan. Der in Medienaura
und Wirkung ungeschlagene Dirigentis-
simo, der vor 30 Jahren gestorben ist,
war für den Beginn von Gergievs Karrie-
re mitverantwortlich. Der so begabte
wie ehrgeizige Schüler des legendären
Ilja Musin gewann 1977 den Herbert-
von-Karajan-Dirigierwettbewerb. Im
gleichen Jahr begann er am Kirov-Thea-
ter in St. Peterburg, dessen Künstleri-

scher Leiter er 1988 und dessen Inten-
dant am wieder in Mariinsky-Theater
zurückbenannten Haus er 1996 wurde.
Die erste Oper, die der Assistent dort
1978 dirigieren durfte: Sergej Prokofjews
prall-duftenden Sowjet-Propaganda-
schinken „Krieg und Frieden“ von fünf
Stunden Dauer und 400 Mitwirkenden.
Gergiev, der aus einem von Frauen
dominierten Haushalt im Nordkauka-
sus stammt (der Vater war früh gestor-
ben), hat sich als global aktiver Motor
und Promoter der russischen Musik un-
ersetzlich gemacht. Er hat das ehemali-
ge Zaristische Theater in Petersburg
mit seinen 2500 Mitarbeitern zu einer
gewaltigen Produktionsstätte ausge-
baut, die weltweit gastiert. 2006 kam
ein auch für inszenierter Kammeropern
geeigneter Konzertsaal in einem alten
Fundusgebäude hinzu, 2013 ein riesiges
zweites Theater direkt hinter dem alten
Mariinsky. Eröffnet wurde es an Ger-
gievs 60. Geburtstag, 25 Jahre nachdem
er hier angefangen hatte und einen Tag
nachdem er von Putin – zum ersten Mal
seit 20 Jahren wurde der einst stalinisti-
sche Titel wieder verliehen – zum „Held
der Arbeit“ geadelt worden war.
Das Theater hat ein Aufnahmestudio
und ein eigenes Plattenlabel, Ableger in

Wladiwostok und in seiner ossetischen
Heimat Wladikawkas. Gergiev ist neben
den „Weißen Nächten“ in Petersburg
für Festivals in Moskau, im finnischen
Mikkeli, in Sapporo und in Rotterdam
verantwortlich, er steht seit 2011 dem
Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb
vor. Er leitete das Rotterdams Philhar-
monisch Orkest, war erster Gastdiri-
gent der New Yorker Metropolitan Ope-
ra und beim London Symphony Orches-
tra. Eine irritierende Anhäufung von
Ämtern und Zugängen zu international
verbundenen Schalthebeln, über die
selbst ein Karajan in diesem synergeti-
schen Gleichklang niemals verfügt hat.
Mehr Macht in der Klassik geht nicht.
Höchstens Daniel Barenboim kommt
ihm da halbwegs nahe. Diese Macht
kann man nur erreichen und auch erhal-
ten, wenn man, zumal in Russland, mit
den Noch-Mächtigeren paktiert. Natür-
lich ist Valery Gergiev in den mehr als
vierzig Jahren seiner Karriere auch
reich geworden, aber es kein einziger
Fall bekannt, wo er sich selbst auf Kos-
ten der Institutionen bereichert hätte.
Und so wie schon in den Neunzigern
sein staubiges, vollgestopftes, überhitz-
tes Mariinsky-Künstlerzimmer selbst in
den Pausen eine Kommandozentrale

war, so laufen nach wie vor alle Fäden
bei ihm zusammen. Natürlich fordert er
von Musikern, Tänzern, Sängern und
Technikern viel, aber sie bekommen
auch. Von irgendwelchen MeToo-rele-
vanten Vorgängen ist im Zusammen-
hang mit Gergiev nichts bekannt.
Dafür wurde, spätestens als er für die
Nachfolge von Christian Thielemann
am Pult der Münchner Philharmoni-
kern ins Gespräch kam, seine Putin-Nä-
he kontrovers diskutiert. Doch seit Ger-
giev im Herbst 2015 den Chefposten an-
trat und den Orchesterklang deutlich
optimierte, sind seine Diskursfähigkeit
und sein Pressedialog besser geworden.
Er hat sich von vielem distanziert, wo-
für Putin steht. Und gerade die von ihm
mitverantwortete Bayreuther „Tann-
häuser“-Inszenierung von Tobias Krat-
zer wäre auf einer russischen Opern-
bühne gegenwärtig so nie möglich.
Gergievs Talent für Freundschaft um-
fasst alle Ebenen, nicht nur die Politik:
Er hat sich mächtige wie finanzpotente
Mariinksy-Freundeskreise in London
und New York aufgebaut. Er hat das Ba-
den-Badener Festspielhaus – wenige
Monate nach seiner Eröffnung – vor
dem drohenden Konkurs gerettet. Heu-
te ist das Haus sein deutscher Brücken-
kopf wie in den Achtzigern das Schles-
wig-Holstein-Musik-Festival, wo man
schon früh auf ihn setzte und er damals
dringend nötige Devisen für das Theater
zu Hause verdienen konnte. Gergiev hat
im Gegenzug dessen Gründer Justus
Frantz im Mariinsky-Theater mit der
Mozartpflege beginnen lassen. Eine jun-
ge Teilzeitputzfrau namens Anna Ne-
trebko war auch dabei. Seine wirtschaft-
lichen Kontakte haben ihn heute zum
angeblich größten Putenfleischprodu-
zenten in Russland werden lassen. Dafür
eröffnet er dann auch Putins Privatthea-
ter in seinem Moskauer Sommerpalast.
Allerdings ist auch ein Allmächtiger
der Flugsicherung ausgeliefert. Legen-
där wie sein Fleiß sind seine schlampi-
gen, ungeprobten, konfusen, zwei Stun-
den zu spät beginnenden oder ganz aus-
fallenden Auftritte. In Bayreuth kam er
zur ersten Orchestersitzprobe eine hal-
be Stunde zu spät. Da hatte Festspiellei-
terin Katharina Wagner ungerührt sei-
nen Assistenten beginnen lassen – seit-
her war Gergiev immer pünktlich.
Wenn er da ist und motiviert, wenn alle
wollen und können, hebt Gergiev ab
und bringt sie zum Fliegen: die Sänger,
die er – wie Anna Netrebko – mit aufge-
baut hat und Teil seines engmaschigen
Netzwerks sind, die Instrumentalisten,
seine Orchester sowieso. Und längst
nicht nur mit russischer Musik. Gergiev
kann auch Beethoven und Berlioz,
Strauss und Debussy.
„Macht ist für mich Erleichterung
und Belastung zugleich“, sinniert Ger-
giev. „Dinge lassen sich leichter ent-
scheiden, und sie passieren dann wirk-
lich, aber man trägt eben auch ungleich
mehr Verantwortung.“ Sagt es und hat
schon wieder den nächsten Termin.

VONMANUEL BRUG

Schwingt den wohl kleinsten Taktstab der Welt: Valery Gergiev

ULLSTEIN BILD - BRILL

/BRILL

Held


der


Arbeit


Valery Gergiev ist der


gefragteste Dirigent


der Welt. Mit Putin


pflegt er eine enge


Freundschaft. Jetzt


dirigiert der Russe


in Bayreuth den


„Tannhäuser“.


Die Geschichte einer


rastlosen Karriere


WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-VP1/WSBE-VP1
21.07.1921.07.1921.07.19/1/1/1/1/Kul4/Kul4EKOCHNEV 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:
Artdirector

Abgezeichnet von:
Textchef

Abgezeichnet von:
Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

52


21.07.1921. JULI 2019WSBE-VP1


  • BELICHTERFREIGABE: ----ZEIT:BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ---ZEIT:---BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE:
    BELICHTER: BELICHTER: FARBE:BELICHTER:


52 KULTUR WELT AM SONNTAG NR.29 21.JULI2019


HÖRZU WISSEN ist eine Marke der FUNKE MEDIENGRUPPE

Jetzt im Handel!


Der Kampf um unsere Zukunft.


High-Tech-Waen und Satelliten, Handelskrieg und Seidenstraße: Die Supermächte kämpfen mit
allen Mitteln um eine neue Weltordnung. Was sind die Strategien, was sind die Konsequenzen?

Sichern Sie sich 2 Ausgaben + Geschenk zum Sparpreis von nur 5,70 €! Gleich bestellen:
http://www.hoerzu-wissen.de/sparangebot oder unter 040 6077 6077 66 (Bestell-Nr. HW1900M)

ANZEIGE

F


ast alle Telefonate beginnen im
Handyzeitalter mit der Frage, wo
sich der Gesprächspartner befin-
det – so auch dieses mit Alexander Klu-
ge: „Ich bin in Paris, und ich mache hier
eine Ausstellung über den Mond, im
Grand Palais.“ Kluges melodische Stim-
me wirkt sofort hypnotisierend, obwohl

sie über mehr als tausend Kilometer hin-
weg übertragen, in Datenströme umge-
wandelt und durch den Äther geschickt
wird. „Auf der Rückseite des Mondes
kann man übrigens nicht telefonieren,
von dort erreichen uns keine Signale.
Das ist etwas zutiefst Unheimliches.“

Das Telefonieren, die Anrufbarkeit je-
des Menschen an jedem Ort dieser Erde
gehört zu den spektakulären Selbstver-
ständlichkeiten unserer Welt. „Ich erin-
nere mich noch gut, was es in meiner
Kindheit in Halberstadt hieß, ein Amt
zu bekommen und ein Ferngespräch zu
führen.“ Das Materielle der Fernmelde-
technik, die an Kabel und Drähte ange-
schlossenen Apparate sind heute weit-
gehend verschwunden, wir unterhalten
uns durch die Cloud. „Aber was pas-
siert, wenn diese Wolke eines Tages ab-
stürzt? In einem Digital Dark Age wer-
den wir uns zeitweise wieder mit Altem
behelfen müssen, mit Papier zum Bei-
spiel. Ich bin sicher, dass dann auch das
Telefon wichtig sein wird.“

Der Filmemacher und Schriftsteller
Alexander Kluge, 87 Jahre alt, ist selbst
der Inbegriff des vernetzten Menschen,
sein Smartphone spielt dabei eine wich-
tige Rolle. Die Stimme, sagt er, schafft
Präsenz – selbst wenn man den Ge-
sprächspartner noch nie gesehen hat:
„Das Ohr ist viel unbestechlicher, viel
genauer als das Auge.“
Man will die Augen schließen, wenn
man mit Alexander Kluge telefoniert. Er
spricht von der Sehnsucht der Men-
schen nach Fernbeziehungen, von Ovid,
von den „Blitzgesprächen“, die Ernst
Jünger aus dem Kaukasus führte, vom
Singen der Telegrafendrähte. Be-
herrscht er die Morsezeichen? „Ja, als
Kind habe ich gemorst. Das hat einen
Rhythmus. Damals war die Kommuni-
kation schon in der Fingerspitze beim
Tippen, heute ist sie noch in der Finger-
spitze beim Tippen.“
Der Philosoph Max Horkheimer, er-
zählt Kluge, habe eine Angewohnheit
gehabt: „Wenn er nicht schlafen konn-
te, unterhielt er sich nachts stunden-
lang mit Telefonistinnen, in Mexiko,
Paris, Amerika.“ Das Telefonieren sei
eben auch ein Mittel, sich in einer un-
ruhigen Welt seiner selbst zu verge-
wissern – und der Tatsache, dass auch
andere Menschen existieren, ganz an-
derswo: „Es ist etwas sehr Segensrei-
ches.“
Die moderne Kommunikationstheo-
rie, das Sender-Empfänger-Modell, wur-
de in den Vierzigerjahren übrigens am
Vorbild des Telefons entwickelt. Aber
vielleicht geht es beim Telefonieren gar
nicht ums Übermitteln von Nachrich-
ten. Alexander Kluge erinnert sich da-
ran, wie er ein letztes Mal mit seinem
schwer kranken Vater telefonieren
konnte, am Morgen des Tages, als er
starb. „Es gibt dann gar nichts zu sagen,
darum geht es gar nicht. Das Telefonie-
ren ist wie das Singen der Vögel.“

VONANDREAS ROSENFELDER

Singender Draht


Worum geht es


beim Telefonieren?


Und warum ist die


Erreichbarkeit aller


ein Segen? Ein


Telefonat mit dem


Vieltelefonierer


Alexander Kluge


TTÄTIGKEITSPROFIL ÄTIGKEITSPROFIL ALEXANDER KLUGEALEXANDER KLUGE

PRIVAT

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT am SONNTAG-2019-07-21-ab-24 370c657b82991fb3cb1f15c04fe7848c

РЕЛИЗ ПОДГОТОВИЛА ГРУППА "What's News" VK.COM/WSNWS

РЕЕ

ЛЛ
ИЗ

П
ОО
ДД
ГО

Т
ОВ

ИЛ

А
ГР

УП

П
А

"What's "What's Sichern Sie sich 2 Ausgaben + Geschenk zum Sparpreis von nur 5,70 €! "What's Sichern Sie sich 2 Ausgaben + Geschenk zum Sparpreis von nur 5,70 €!

News"

VK.COM/WSNWSVK.COM/WSNWS

Sichern Sie sich 2 Ausgaben + Geschenk zum Sparpreis von nur 5,70 €!
VK.COM/WSNWS

Sichern Sie sich 2 Ausgaben + Geschenk zum Sparpreis von nur 5,70 €!
http://www.hoerzu-wissen.de/sparangebotwww.hoerzu-wissen.de/sparangebotVK.COM/WSNWS
Free download pdf