Im Jahre 1966 war Hollywood eine Ge-
rontokratie. Im Vorstand von Para-
mount saß Adolph Zukor, 93. Jack War-
ner, 74, regierte seit Jahrzehnten War-
ner Bros. Und Darryl F. Zanuck, 64, war
Herrscher der 20th Century Fox. Ein
Jungspund von Schauspieler, der 29-
jährige Warren Beatty, nervte damals
Jack Warner mit Anrufen. Er solle sein
erstes eigenes Projekt finanzieren.
Schließlich drang Beatty in Warners
Büro ein, warf sich ihm zu Füßen, um-
klammerte seinen Unterschenkel: „Co-
lonel“, so wurde Warner von allen ange-
redet, „ich werde Ihre Schuhe küssen.
Ich werde sie sogar ablecken!“ – „Ja, ja.
Stehen Sie auf, Warren.“ – „Arthur Penn
wird Regie führen. Das Drehbuch ist
fffantastisch. Ich kann diesen Streifen fürantastisch. Ich kann diesen Streifen für
1 ,6 machen, einen tollen Gangsterfilm,
ehrlich!“ – Warner begann die Geduld
zu verlieren: „Stehen Sie endlich auf
von diesem gottverdammten Fußbo-
den!“ – „Erst, wenn Sie mir grünes
Licht für diesen Film geben!“
WWWarner begann nachzudenken. Erarner begann nachzudenken. Er
war dabei, 15 Millionen Dollar in „Ca-
melot“ zu investieren (der ein Flop wer-
den sollte), da waren 1,6 Millionen kein
großes Risiko. „Bonnie and Clyde“ be-
kam grünes Licht.
WWWarren Beatty bestreitet, dass es die-arren Beatty bestreitet, dass es die-
se Szene je gegeben hat, aber einige
Leute schwören, sie seien dabei gewe-
sen. „Bonnie und Clyde“ ging in Pro-
duktion und war im März 1967 fertigge-
stellt. Im gleichen Monat öffneten sich,
2 5 Kilometer vom Warner-Hauptquar-
tier entfernt, die Gefängnistore von
Terminal Island für einen Scheckfäl-
scher, der vorzeitig entlassen wurde.
Charles Manson hatte in der Haft Gitar-
re gelernt und wollte nun dorthin, wo
alle hinstrebten, zu den Hippies nach
San Francisco, in den Haight-Ashbury-
Bezirk, das Epizentrum des bevorste-
henden „Sommers der Liebe“.
Zeitweise sollen sich dort bis zu
1 00.000 Blumenkinder niedergelassen
haben. Sie barsten vor Energie, Idealis-
mus und Jugend. Sie ließen ihr Haar
wachsen, bemalten ihren Körper, rauch-
ten Marihuana. Sie hielten Happenings
aaab, Be-Ins, Love-Ins. Sie machten Musikb, Be-Ins, Love-Ins. Sie machten Musik
und waren freundlich zu ihren Mitmen-
schen, auch zu Charles Manson.
Danny Goldberg, der viele Jahre spä-
ter die Musik für „Dirty Dancing“ pro-
duzieren sollte, erinnert sich an ein Er-
lebnis dieses Sommers auf dem Flugha-
fffen LAX: „Ich wollte barfuß auf einenen LAX: „Ich wollte barfuß auf einen
Flug, aber eine Stewardess ließ mich so
nicht an Bord. Da blickte ich mich um
und bemerkte einen jungen Mann mit
langem Haar. Ich erklärte mein Pro-
blem, bat ihn um seine Schuhe – und er
lieh sie mir ohne Zögern.“
Ronald Reagan, gerade neu im Amt
als Gouverneur von Kalifornien, defi-
nierte einen Hippie als jemanden, der
„wie Tarzan aussieht, wie Jane läuft und
wie Cheetah riecht“. Die gleiche Ver-
achtung findet sich 1967 in Peter
Fleischmanns Doku „Herbst der
Gammler“: „Wenn man sich fünf Jahre
nicht gewaschen hat, kann man sich als
Gammler bezeichnen“, sagt ein guter
Bürger. Die Hippies verbreiteten sich in
den Stadtbildern, man gewöhnte sich an
sie (oder nicht). Auch Brad Pitt trifft in
Quentin Tarantinos neuem Zweidrei-
viertelstundenepos „Once Upon a Time
in Hollywood“ eine bunte Truppe und
nimmt Augenkontakt mit einer Schö-
nen auf: „Besuch mich mal auf Spahns
Ranch“, sagt sie.
Das Angebot ist eindeutig, der Ort
bekannt. Brad Pitt spielt einen Stunt-
man, und Stuntleute kannten die Ranch
ein paar Kilometer nördlich von Beverly
Hills, die als Kulissenstadt für Serien
wie „Bonanza“ diente. Doch die Zeiten
fffür Fernsehwestern waren lausig, dasür Fernsehwestern waren lausig, das
Publikum schaltete weg, und so geht es
Brad Pitt und seinem besten Kumpel
Leonardo DiCaprio mies. Der ist Star
einer C-Western-Serie, Pitt doubelt ihn.
Man muss sich das Los Angeles von
1 969 als zutiefst geteilte Stadt vorstel-
len. Im Nord(west)en liegen die Studios
und die Villen, in Culver City, Beverly
Hills, Hollywood. Im Süden wohnen die
Schwarzen, in Compton und in Watts,
wo sie 1965 den Aufstand geprobt hat-
ten und nach vier Tagen 34 Menschen
tot in den Straßen lagen. Black Panthers
strömten in die Kinos, um „Die
Schlacht von Algier“ zu studieren, eine
italienische Dokumentation über den
Straßenkampf der Algerier gegen die
Kolonialmacht Frankreich.
Die Fabriken waren daraufhin wegge-
zogen, ein weiterer Schlag für die Stadt
nach dem Niedergang der Kinostudios
und der Fernsehindustrie. Clint East-
wood suchte sich Arbeit in italienischen
WWWestern, auch DiCaprios abgetakelterestern, auch DiCaprios abgetakelter
TV-Star jettet nach Europa.
Zugleich gab es Flugverkehr in die
andere Richtung: Europäische Filme-
macher kamen nach Kalifornien. Nicht
fffür den Glamour, sondern wegen seinerür den Glamour, sondern wegen seiner
AAAussteiger, Flüchtlinge, Desperados, dieussteiger, Flüchtlinge, Desperados, die
so weit gen Westen gezogen waren wie
möglich und nun nicht mehr weiterka-
men. Agnès Vardas „Lions Love“ zeigt
eine ménage à troisin Los Angeles – der
WWWarhol-Star Viva sowie die „Hair“-Er-arhol-Star Viva sowie die „Hair“-Er-
fffinder Gerome Ragni und James Rado:inder Gerome Ragni und James Rado:
Sie laufen nackt umher, schnüffeln
Stoff, hängen am nierenförmigen Pool
aaab. Der Italiener Michelangelo Antonio-b. Der Italiener Michelangelo Antonio-
ni – nicht etwa ein Amerikaner! – drehte
in Los Angeles und dem Death Valley
die ultimative Flower-Power-Hom-
mage, „Zabriskie Point“.
Los Angeles 1969, offene Stadt. Die
Marx liebenden Black Panthers liefer-
ten sich in der Uni eine Schießerei mit
schwarzen Nationalisten. Hippiekom-
munen installierten erste Sonnenkol-
lektoren. Das vergreiste Alt-Hollywood
staunte übers europäische Autorenkino,
und das junge New Hollywood machte
sich dessen Auteur-Theorie zu eigen,
um an die Macht zu gelangen.
Bei Tarantino kurven zwei Abge-
schriebene in einem verbeulten Wagen
durch diese Stadt auf der Suche nach ei-
nem Plan. Einmal sehen sie in der Ent-
fffernung diesen Polanski, seit seinemernung diesen Polanski, seit seinem
„Rosemaries Baby“ die heißeste Num-
mer im Business. Immerhin hat er am
Cielo Drive das Haus neben der Villa
von DiCaprio gemietet. Es gehört Terry
Melcher, dem Sohn von Doris Day. Die
ist auch auf dem absteigenden Ast. Mel-
cher produzierte Musik, war gut be-
kannt mit Beach Boy Dennis Wilson,
der damals in seiner Blockhausvilla ein
gutes Dutzend Hippies beherbergte.
Charles, deren Anführer, spielte ihm
seine Songs vor und lieh ihm seine
Frauen für tägliche Verrichtungen. Wil-
son verschaffte dem Ober-Hippie sogar
ein Vorsingen bei Melcher; es wurde ein
Desaster. Irgendwann reichte es Wil-
son, und er warf die Manson Family hi-
naus. Sie verzog sich auf Spahns Ranch.
Dorthin zieht es in „Once Upon a Ti-
me“ auch Brad Pitt. Es wird ein merk-
wwwürdiger Besuch. Die Ranch ist nurürdiger Besuch. Die Ranch ist nur
noch ein Haufen zerfallender Hütten,
die Isolation vollkommen, die Bewoh-
ner ähneln Zombies. Nur ein paar Kilo-
meter entfernt hatte sich zehn Jahre zu-
vor ein Kult eingerichtet, mit einem
selbst ernannten Messias namens
Krishna Venta. Zwei Ex-Jünger spreng-
ten ihn in die Luft. Pitt bahnt sich den
WWWeg zu dem alten Freund Spahn undeg zu dem alten Freund Spahn und
macht dann, dass er wieder fortkommt.
Wir haben noch gar nicht über Musik
gesprochen, diesen Nektar der Flower-
Power-Bewegung. Auf der Ranch ist
viel Musik gehört worden. An Silvester
1 968 brachte Manson das „Weiße Al-
bum“ mit. Die Beatles waren für ihn die
vier Engel der Apokalypse. Er liebte
„Helter Skelter“, den Paul McCartney
mit dem Fall des Römischen Reiches in
Blick geschrieben hatte, und sagte Hel-
ter Skelter (Holterdipolter) für das
weiße Amerika voraus.
Er liebte „Piggies“, eine Satire auf die
Bourgeoisie, mit der Zeile: „What they
need’s a damn good whacking.“ Man-
son interpretierte das so, dass die
Schwarzen das weiße Establishment
verhauen würden. Er liebte „Black-
bird“, worin es „Blackbird singing in
the dead of night/ Take these broken
wings and learn to fly/ You were only
waiting for this moment to arise“ heißt:
Für Manson eine Aufforderung zum
Schwarzenaufstand.
Und er liebte „Revolution 9“, was
sich für ihn nicht nur auf den Umsturz
bezog, sondern auf das neunte Kapitel
in der Offenbarung des Johannes, wo
sich die Gruben der Hölle öffnen und
langhaarige Heuschrecken die Mensch-
heit dezimieren, bis ein Engel die Trom-
pete Gottes bläst. Manson hatte schon
ein Versteck für den Tag ausgesucht, an
dem der Rassenkrieg begänne, ein un-
terirdisches Höhlensystem, aus dem die
Familie am Ende wieder auftauchen
wwwürde, um die Macht zu übernehmen.ürde, um die Macht zu übernehmen.
Und dann kam der 8. August 1969, an
dem, wie Joan Didion schrieb, die opti-
mistischen Sechziger abrupt endeten.
Der Tag, an dem Manson seine Jünger
ausschickte, um Terry Melcher zu er-
morden und den Krieg zu provozieren,
seine Zombies aber Sharon Tate vorfan-
den. Der Abend, an dem in „Once Upon
aTime in Hollywood“ Brad Pitt und
Leonardo DiCaprio im Nachbarhaus ih-
ren Rausch auszuschlafen versuchen.
VONHANNS-GEORG RODEK
I
Es war einmal in
HOLLYWOOD
Nach dem Summer of Love kam der Herbst der Gammler:
Ein Psychogramm der gespaltenen Stadt Los Angeles von 1969,
die in Quentin Tarantinos neuem Film die Hauptrolle spielt
In den Straßen von Los Angeles machten die Blumenkinder Musik und die Migranten probten den Aufstand. Die Filmindustrie war im Umbruch. Leonardo DiCaprios
abgehalfterter Fernsehwesternheld in Quentin Tarantinos neuem Film „Once Upon a Time in Hollywood“ (o.) ist ein Symbol dafür
SONY PICTURES
N
IGEL DOBINSON/GETTY IMAGES(3); DAVID FENTON;MICHAEL OCHS ARCHIVES
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