WirtrauernumunserenwunderbarenKollegenundFreund
WolframR unkel
24.Oktober1937 –19.Juli2019
ErwareinerderprägendenReporterseinerGeneration.
1971kamderstudierteJuristzurZEITundbliebihrmehralsdreiJahrzehntelangtreu.
NieerlahmendeNeugier,Menschenfreundlichkeit,HintersinnunddieFähigkeit
zurSelbstironiezeichnetenihnundseineGeschichtenaus.
ErnahmAnteil,ohnesichvereinnahmenzulassen,undwurdezu
einerunverwechselbarenStimmederZEIT.
Erwirdunsfehlen.
http://www.sielmann-stiftung.de/testament
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- Juli 2019 DIE ZEIT No 31
Der Himmel über Laulasmaa
Von den Sowjets in die Emigration gezwungen, von der westlichen Avantgarde lange als Esoteriker beäugt: Estland schenkt seinem
Komponisten Arvo Pärt ein fulminantes eigenes Zentrum. und ein Stück Frieden VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY
W
enn Menschen wie ihre
Häuser sind und Häuser
wie Menschen, wenn Ar-
chitektur nach der Seele
ihrer Bewohner geht und
diese Seele so stark ist,
dass sie Materialien prägt
und Grundrisse inspiriert – dann hat der estnische
Komponist Arvo Pärt den Ort seiner Bestimmung
gefunden. und zwar mitten im Wald, ganz wie es
sich für den erfolgreichsten Eremiten der Neuen
Musik gehört, in laulasmaa auf lohusalu, 35 Kilo-
meter westlich von Estlands Hauptstadt Tallinn
gelegen. Eine landzunge voller Kiefern, hohe Kro-
nen, weiches licht, ein schmaler Saum aus Sand-
stränden, am Boden Farne und Blaubeersträucher.
Die Beeren sind noch nicht ganz reif, als ich die
Pärts Ende Juni in ihrem Refugium besuche. »Die-
ser Platz«, sagt Nora Pärt, Ehefrau, Muse und Welt-
nabelschnur des Komponisten, »ist uns buchstäb-
lich auf den Kopf gefallen.« und meint damit: Es
war Fügung, Schicksal, es musste so kommen. Die
vielen Kreise, die sich hier schließen. Das lang er-
sehnte leben in der Natur.
Das große schöne neue Haus.
Aus der luft betrachtet wirkt das Arvo Pärt
Centre tatsächlich, als wäre hier ein ufo gelandet:
Vieleckig duckt sich der Bau zwischen die Bäume,
man denkt an einen Seestern oder -igel und er-
fährt, dass sich das spanische Architekturbüro Nie-
to Sobejano von der Grafik der Pärtschen Partitu-
ren hat leiten lassen. Pärts Kalligrafie ist legendär
- auch legendär einfach, was über die Komplexität,
die implosionskraft seiner Musik leicht hinweg-
täuscht. Pärt klingt stets geladen und meditativ zu-
gleich, wortkarg und mystisch beredt. Ein Pärt-Hit
wie Fratres von 1977 etwa handelt nach Auskunft
des Komponisten vom Kampf des Augenblicks mit
der Ewigkeit. Wer das Stück im Ohr hat und sich
dem Pärt Centre nähert, auf federndem Waldbo-
den, in überwältigender Stille, den überfällt plötz-
lich die Vision, dass die Natur sich eines Tages zu-
rückholen könnte, was man ihr hier, nein, nicht
geraubt, aber doch in den Pelz gesetzt hat. Dass
Blaubeeren, Kiefern, Sand und See letztlich über
alle Partituren und Papiere, alle Tagebücher, Briefe,
Tonbänder und Fotos in ihren Klimaschränken
obsiegen. Die Schöpfung war immer das Ziel von
Pärts Kunst, nie wollte seine Musik (jedenfalls nicht
die, die er gelten lässt) etwas anderes als in dieser
aufgehen. Dass ausgerechnet ein Archiv das so ver-
sinnbildlicht, ist außergewöhnlich.
Zu ebener Erde freilich wirken die 2348 Qua-
dratmeter Glas, Holz und Stahl weder defensiv
noch wie ein Fremdkörper oder ufo. Man betritt
das Gebäude vielmehr, als mischte man sich ins Ge-
spräch zweier Persönlichkeiten, der Architektur
und der landschaft. Ein durchgehendes bodentie-
fes Fensterband gliedert die Fassaden, selbst aus
dem Konzertsaal (150 Plätze) blickt man hinaus in
den Wald, und wenn in den fünf innenhöfen der
gleiche Bodenbewuchs sprießt wie vor der Tür, ist
das natürlich Absicht. »Wir wollten die Natur ins
Haus holen«, sagt Nora Pärt und führt mich flin-
ken Schrittes herum. Vom Eingangsbereich durch
die helle, leere Ausstellungsfläche (»was soll man bei
einem lebenden Komponisten auch zeigen?«), die
Bibliothek und das kleine Kino bis zu den Arbeits-
plätzen und dem Seminarraum. Ein knappes Vier-
tel der Fläche ist nicht öffentlich zugänglich, hier
liegen die Büros der 15 Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter, die mit der Digitalisierung des Pärtschen
Vorlasses beschäftigt sind, ein Wintergarten für Be-
sprechungen, das Archiv und Arvo Pärts persön-
liches Studio. 8,3 Millionen Euro hat der estnische
Staat sich das Ganze kosten lassen, zwei Jahre lang
wurde geplant, 18 Monate lang gebaut, Eröffnung
im vergangenen Herbst, alles fristgerecht.
Das Zentrum freilich gäbe es heute so wenig
wie Pärts Œuvre, wenn Nora Pärt dem Komponis-
ten nicht seit bald 40 Jahren zur Seite stünde. Auch
das ist ein Teil dieser Geschichte und kein geringer,
nur wird er selten erzählt. Ein typisches Frauen-
leben im Dienst eines genialen Künstlers? Das
würde sie nie so sehen. Eher führten sie eine Ména-
ge-à-trois, hat Nora einmal gesagt, Arvo, sie und
die Musik. Eleonora »Nora« Pärt, geboren in
Georgien, studierte Dirigentin und Musikwissen-
schaftlerin, eine drahtige kleine Person voller Wär-
me und Eleganz. ich könne gern nach laulasmaa
kommen, schreibt sie, ja, aber bitte ohne »Zei-
tungserwartungen«. Es ist bekannt, dass Arvo Pärt
seit Jahren keine interviews gibt. »ich habe keine
Meinung über meine Musik«, so lässt er sich zitie-
ren, »wenn ich ein Stück komponiere, ist es wich-
tig, nicht darüber zu reden, weil ich sonst den im-
puls zum Schreiben verliere. und wenn das Werk
fertig ist, ist ohnehin alles gesagt.« Aber vielleicht
würde er über sein neues Haus sprechen?
»Arvo«, ruft Nora leise, als wir in der Tür des
Studios stehen, behände durchmisst der 83-Jährige
den Raum. Hagerer noch als früher ist er, der »Po-
penbart« gelichtet, helle, offene Augen, große,
warme, raue Hände, die nach den meinen greifen.
Arvo Pärt ist der freundlichste Mensch, dem ich je
begegnet bin. und einer der schweigsamsten. Auf
eine kuriose Weise ist an seiner Seite trotzdem alles
gesagt. leise weht auch Genugtuung durch den
Raum, ja so etwas wie Stolz. ich möge Anfang Fe-
bruar doch in die Elbphilharmonie kommen, rät
er, zu seinem von Manfred Eicher kuratierten Por-
trät-Konzert – »wenn wir dann noch leben!« Ei-
cher ist der Spiritus Rector des Plattenlabels ECM,
das Pärt 1984 mit Tabula rasa zu Weltruhm ver-
half. Dann schenkt der Komponist mir ein Notiz-
buch. »Bitte schreiben Sie es voll!«, scherze ich,
woraufhin Pärt auf der ersten Seite zu einem sehr
zarten linienschwung ansetzt, mehr Skizze als Au-
togramm: »Es ist schon voll!«
Arvo Pärts Arbeitszimmer ist mit Möbeln aus
ihrer langjährigen Berliner Wohnung bestückt:
einem Flügel, einem Spinett und einem gedrech-
selten Schreibtisch, an dem die meisten seiner
Werke entstanden sind. 1980 emigrierten die Pärts
mit zwei kleinen Kindern in den Westen, zwangs-
weise, wie das so üblich war. Die sowjetischen
Kulturideologen stießen sich an seinem Eintritt in
die russisch-orthodoxe Kirche und am radikal spi-
rituellen Gehalt seiner Musik, Repressionen waren
zu befürchten. Es gehört zu den bewegendsten
Momenten des Pärt-Films, der alle halbe Stunde
im Kino des Zentrums anläuft, wenn man einen
der Söhne, zwei oder drei Jahre alt, aus einem Zug-
fenster blicken sieht. Wir machen eine Reise um
die Welt, hatten die Eltern den Kindern erzählt, als
es von zu Hause fortging, wohl wissend, dass sie
Estland so schnell nicht wiedersehen würden.
Über Wien, wo Alfred Schlee sie empfing, der da-
malige leiter der universal Edition (Pärts Verlag
bis heute), gelangte die Familie mit einem DAAD-
Stipendium schließlich nach Berlin.
und es gehört zu den sich schließenden Kreisen
von lohusalu, dass die Berliner Konrad-Adenauer-
Stiftung just an dem Tag zu einer »Hommage für
Arvo Pärt« geladen hatte, am 19. Januar 2011, an
dem bei den Pärts in lankwitz die umzugslaster
vor der Tür standen und Nora im Taxi zur Ver-
anstaltung einfiel, dass sie ihre estnische Heimat
vor exakt 31 Jahren verlassen hatten. Berlin war mit
Pärt – dem »komponierenden Kirchenvater«, wie
der Spiegel schrieb, der »in jede Dostojewski-Novel-
le passen würde« – keineswegs immer gnädig
umgegangen. Die deutsche Musik-Avantgarde be-
argwöhnte den Bekenntnisgrad seiner Werke, deren
vermeintliche Einfachheit. Glöckchen-Stil (latei-
nisch titinnabuli) nennt Pärt die Sprache, zu der er
1976 nach einer langen, lebensbedrohlichen Krise
fand, ein auf Dreiklängen fußendes Amalgam aus
seriellen Techniken und Gregorianik, wenn man so
will. Scharlatanerie!, schallte es ihm daraufhin aus
westlichen Elfenbeintürmen entgegen, Esoterik!
Dass Pärts Musik zur 750-Jahr-Feier des Kölner
Doms ebenso erwünscht war wie in Michael
Moores Politdokumentation Fahrenheit 11/9 oder
bei der Einweihung des Berliner Holocaust-Mahn-
mals, machte die Sache nicht besser.
Die Pärts verlassen Berlin allerdings nicht wegen
Berlin, sondern weil sie auf lohusalu ihren locus
amoenus gefunden haben, ihren magischen lieb-
lichen Ort: ein winziges Blockhaus, 400 Meter vom
heutigen Zentrum entfernt. Das Haus sei viel zu
klein und gar nicht das, wonach sie gesucht hatten,
lacht Nora Pärt, aber es musste sein, schon wegen
des morgendlichen »Terrassentheaters« der Tiere,
der Eichhörnchen und Füchse. Fast zehn Jahre lang
arbeitet und komponiert Arvo in der umkleide-
kabine der zum Häuschen gehörigen Sauna.
Jetzt hat er definitiv mehr Platz, drüben im
Zentrum, eigentlich zum ersten Mal in seinem
leben. Bald werden auch die Wandgemälde fertig
sein in der schlichten griechisch-orthodoxen Pri-
vatkapelle, die wie das Herz des Ganzen den größ-
ten innenhof ziert. Gewidmet ist sie zwei Mysti-
kern, Siluan von Athos und Altvater Sophronius
von Essex. Statt zu beten oder zu meditieren, um
dem Himmel nahe zu sein, kann man in laulas-
maa aber auch den Aussichtsturm des Centres
besteigen. 155 stählerne Stufen (es gibt einen Fahr-
stuhl!), oben zwei Plattformen, eine windgeschütz-
te, eine höhere, offene. Da steht man nun hoch
über den Baumkronen und lässt den Blick schwei-
fen, den weiten baltischen Horizont entlang. und
meint Musik zu hören, die verlorenen Töne eines
Klaviers wie in Pärts allererstem revolutionärem
Glöckchen-Stück Für Alina. Wahrscheinlich ist es
aber doch nur die Stille.
von ZEIT -Autorenkö nnenSieauch hören,donnerstags 7. 20 Uhr.
Filmkritiken
Arvo Pärt im Wald,
rechts die Kapelle
des neuen Zentrums
42 FEUILLETON
Fotos (Ausschnitte): Birgit Püve/Washington Post/Getty Images; Roland Halbe
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