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Weil man nicht nur gegen die Erdanziehung, sondern auch
gegen Fliehkräfte arbeiten muss – und oft nur an einem
Arm hängt. Das war anfangs gar nicht so einfach. Entschei-
dend war damals für mich eine Reise nach Montreal. Auf
die Idee hatte mich meine damalige Freundin gebracht.
Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nie den Schritt nach
Montreal gegangen, und dafür bin ich ihr bis heute dank-
bar. Dort arbeitet ein berühmter russischer Trainer, Vic-
tor Fomin, der viele Akrobaten für den Cirque du Soleil
ausgebildet hat. Er ist eine absolut e Koryphäe und weiß
genau, wie er seine Athleten weiterbringt. Er hat mich nie
angeschrien oder hart angefasst, er ist eher ein ruhiger Typ.
Wie sind Sie zu ihm gekommen?
Man bewirbt sich für eine Probestunde, und danach ent-
scheidet er, ob er dich trainiert oder nicht. Ich bin also auf
gut Glück nach Montreal geflogen, was ein ziemliches Risi-
ko für mich war, allein finanziell gesehen. Der gesamte Trip
hat mich damals viel Geld gekostet, aber Victor hat mich
dann innerhalb von sechs Wochen auf ein unglaubliches
Niveau gepusht. Zweimal die Woche wurde ich von ihm
trainiert, jeweils eine Stunde, das hat gereicht, denn das
Training war sehr intensiv. Ich weiß noch, dass ich beim
ersten Mal nach zwanzig Minuten auf die Uhr geschaut
habe und dachte: Ich schaffe es nicht, mit diesem Mann
eine Stunde durchzutrainieren.
Dabei waren Sie vermutlich fit.
Ja, aber nur auf meiner rechten, auf der starken Seite.
Victor hat das gleich gesehen und gesagt: Ein guter Akro-
bat kann auch alles mit dem anderen Arm.
Warum ist das so wichtig?
Er hat mir damals schon gesagt, dass gute Akrobaten oft
langfristige Verpflichtungen haben, da müsse man vorbeu-
gen, weil man sich auch mal verletzen kann und immer
ein Back-up braucht. Später, als wir die lange Cirque- du-
Soleil- Tour von Helene mit 70 Shows gemacht haben,
musste ich noch oft an seine Worte denken. Nach den un-
glaublichen sechs Wochen in Montreal saß ich auf mei-
nem Rückflug völlig fertig, aber auch total euphorisch im
Flugzeug. Ich habe einige Videos von mir aus Montreal auf
Face book und Insta gram gepostet und bekam erstaunlich
schnell internationale Reaktionen. Victor ist natürlich ein
Name in der Szene, das hat geholfen. Ich habe mich dann
beim Cirque du Soleil beworben und wurde letztendlich
für Helenes Tour engagiert.
Wie genau wurden Sie für die Helene-Fischer-Tournee
engagiert? Sie lachen schon wieder – warum?
Weil da so viele glückliche Zufälle zusammengekommen
sind. Eigentlich sollten zwei sehr erfolgreiche Zwillings-
brüder für die Tournee gebucht werden, die Ather ton
Twins, sie sind schon lange beim Cirque du Soleil und
gehören zur absoluten Weltspitze. Die beiden haben mei-
ne Videos gesehen und kommentiert, und so haben wir
uns über die sozialen Medien kennengelernt. Die Zwillin-
ge konnten die Tour aber nicht machen, und so hat der
Crea tive Director der Show sie gefragt, ob sie jemanden
Thomas Seitel, 34, stammt aus Eppertshausen
in Südhessen. Als Turner schaffte er es bis
in die Bundesliga, er studierte an der
Deutschen Sporthochschule Köln. Die Tournee
von Helene Fischer begleitete er 2 017/18
als Akrobat. Im vergangenen Dezember wurde
ihre Beziehung öffentlich