SEITE 2·MONTAG, 2.MÄRZ2020·NR.52 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG
tens. WIEN.Das Abkommen zwi-
schen der EU und derTürkei vom
März2016 siehtvor, die europäi-
schenAußengrenzen zu sichern, da-
bei aber das Grundrecht auf Asylzu
wahren. Festgelegt istdarin, dassalle
irregulären Migranten, dievom20.
März2016 anvonder türkischenKüs-
te aus auf diegriechischen Inseln in
der Ägäis gelangen (für die grie-
chisch-türkische Landgrenze gilt das
Abkommen nicht), in dieTürkeizu-
rückgeführtwerdenkönnen.
Das Abkommen gilt nicht nur für
Menschen syrischer Herkunft, son-
dernfür Migranten aus allen Län-
dern. Um das Völker rechtzuwahren,
wurdenkollektiveZurückweisungen
jedochausgeschlossen.Zunächs tein-
mal dürfendeshalb alle auf diegrie-
chischen InselngelangtenPersonen
in Griechenland Asylbeantragen.
Erst nachdem undwenn dies indivi-
duellgeprüftund abgelehnt wurde,
wenn also sichergestellt ist, dassden
Antragstellerninder Türkei keine
Gefahr droht,können die Betroffe-
nen auchgegen ihrenWillen dorthin
zurückgebrachtwerden.
In diesem Detail la gvon Anfang an
eineentscheidende Schwäche des
Abkommens beziehungsweise seiner
Ausführung. Dennwederdem grie-
chischenStaat noch unterstützenden
internationalen Einrichtungen wie
dem EuropäischenUnterstützungsbü-
ro für Asylfragen (Easo) oder dem
UN-FlüchtlingshilfswerkUNHCRist
es in den vier Jahren seit Inkrafttreten
des Abkommensgelungen, auf den
fünfamstärksten betroffenen Inseln
(Lesbos, Chios,Kos, Samos und Le-
ros) genügend personelle undtechni-
sche Ressourcen aufzubieten,um Asyl-
verfahren zügig und menschenrechts-
konfor mabzuschließen. DieFolge:
Zwar ging dieZahl de rirregulärenAn-
künfte nachInkrafttreten de sAbkom-
menszunächst starkzurück.Daes
Rüc kführungen aufgrund de rnicht ab-
geschlossenenVerfahren aberkaum
gab, stieg dieZahl letztlich ste tig wie-
der,was zu Missständen in den über-
füllten Erstaufnahmelagernführte.
Um der Türkei einen Anreiz zuge-
ben, demAbkommen zuzustimmen,
geht die EU darin einigeVerpflichtun-
genein, vondenen nur einTeil erfüllt
wurde. Als effektiv gilt die Maßnah-
me, insgesamt sechs Milliarden Euro
zur Verfügung zustellen ,umdie syri-
schen Flüchtlingeinder Türkei besser
zu versorgen. Mit diesem Geld wur-
denunter anderem Gesundheitsfürsor-
ge,Beschulung und Lebensmittelver-
sorgungsicher gestellt .Das hat durch-
aus Wirkung entfaltet,denn wasange-
sichts der Bilderaus den überfüllten
griechischen Lagernoft vergessen
wird: Mehr als 95 Prozent der 3,6 Mil-
lionen syrischen Geflüchteten in der
Türkei haben sich nie auf denWeg
nachEuropagemacht.Auchdeshalb,
weil ihnen mit europäischem Geld er-
träglichePerspektiven in derTürkei er-
öffne twurden.
Zusätzlich sieht dasAbkommen für
syrische Flüchtlingeeinen legalen
Wegder Einreiseindie EUvor: „Für
jede nvon dengriechischen Inseln in
die Türkei rückgeführ tenSyrer wird
ein andererSyrer aus derTürkei in der
EU neu angesiedelt“, heißt es darin.
Dabei istausdrücklichfestgelegt:„Vor-
rang erhalten Migranten, dievorher
nochnicht irregulärindie EU einge-
reistsind und diesauchnicht versucht
haben.“ Da es jedochkaumRückf üh-
rungen gab, kamdieser Teil desAb-
kommenskaum zumTragen. Nicht er-
fülltwurde die in demAbkommenvor-
geseheneVisaliberalisierung für türki-
sche Bürgerbei Reisen in die EU.I
nnerhalbvonnur einemWochenen-
de hat sichdie Migrations- und
Flüchtlingskrise an EuropasAußen-
grenzenineinem Maße zugespitzt,
das Erinnerungen an ihren bisherigen Hö-
hepunkt in den Jahren 2015/16wach wer-
den lässt.Schauplatz istnunmehr das
Dreiländereckvon Bulgarien, derTürkei
und Griechenland in Thrakienvorden To-
render türkischenStadt Edirne.Auffal-
lend istdabei allerdings: Die bulgarisch-
türkische Grenze bei demÜbergang „Ka-
pitanAndreewo“bliebvondemGesche-
hen bisherlaut Angaben aus Sofiavoll-
kommen unberührt,während sichder ge-
samteDruck gegendie türkisch-grie-
chische Grenzerichtet.
DiesesDetail lieferteinen weiteren
Hinweis darauf, dassdie Migrationsströ-
me vonder Türkei politischgesteuertwer-
den. Bulgariens Ministerpräsident Boyko
Borissowachtetseit Jahren peinlichge-
nau darauf, es sichmit dem türkischen
StaatschefRecep Tayyip Erdogan nicht zu
verderben, indem er beispielsweisevor
Repressionen nachBulgariengeflücht ete
türkischeStaatsbürgerinNacht-und-Ne-
bel-Aktionen wieder an dieTürkei auslie-
fert.Auchdurch solchevölker rechtswidri-
genGefälligkeitengelang es Bulgariens
Regierungschef bisher,sichErdogans
Wohlwollen zu erhalten. Dieser Tage
macht sichdas of fenbar auchdarin be-
merkbar,dassmehrer etausend Migran-
ten, die mitTaxis und Bussen aus Istanbul
RichtungEdirne aufbrachen, sichvon
dortaus alle dergriechischen Grenze zu-
wenden, nicht aber der bulgarischen. Der
türkische InnenministerSüleyman Soylu
hatteauf Twitter verbreit et,amSonntag-
morgenhätten bereits 76 358 Migranten
über Edirne dieTürkei verlassen, ohne zu
erwähnen,werdiese angesichts derUm-
stände dochbemerkenswertexakteZäh-
lung vorgenommen habe. Dievonder tür-
kischenRegierungkontrollierte Nachrich-
tenagenturAnadoluverbreit etediese Mel-
dung zwar auf ihrer türkischenWebsite,
nicht aber auf der englischsprachigen –
sie waroffenbar für das türkische Publi-
kumgedacht.AmVorabend hatteSoylu
nocheine Zahl von36776 Personen ange-
geben, welche dieTürkei verlassen hät-
ten. Allerdings berichteten weder Bulga-
rien nochGriechenland über das Eintref-
feneiner größerenZahl vonMigranten.
Im Gegenteil: In Griechenland hat sich
Ministerpräsident Mitsotakis, derwegen
der Migrationskrise unterwachsendemin-
nenpolitischen und inzwischen auchin-
nerparteilichen Drucksteht, für einen
hartenKursander Landgrenze entschie-
den. Nach dem dieTürkei am Donnerstag
vergangenerWoche mitgeteilthatte, Men-
schen auf demWegnachEuropa nicht
mehr aufhalten zuwollen, hatteMitsota-
kis diesenKurs schon amFreitag mit den
Worten umrissen: „Griechenland trägt
keinerlei Verantwortung für die tragi-
schen Entwicklungen in Syrien und wird
nicht dieFolgen vonEntscheidungen tra-
gen, die anderegetroffen haben.“Was
das genau bedeutenkönnte, warschon an
der personellenZusammensetzung eines
Krisentreffens deutlichgeword en, das
Mitsotakis am SamstaginAthen in der
Villa Maximos einberufen hatte, dem Sitz
des griechischen Ministerpräsidenten.
Dorthin hatteernämlichaußer Innenmi-nister Michalis Chrysochoidis auchVertei-
digungsministerNikos Panagiotopoulos
sowie den Generalstabschef der grie-
chischen Armee zitiert. WieauchinBul-
garien, wo die EntsendungvonArmeeein-
heiten an die Grenze angekündigt wurde,
erwecktedas den Eindruckeiner Militari-
sierung vonEuropas Außengrenzen –
und solltewohl bei dergriechischen Be-
völkerung auchgenau diesen Eindrucker-
wecken. Die Marschrichtung, zumindest
an der Landgrenze, warnachdem Treffen
in Athen klar:Die Migranten sollten unbe-
dingtvomBetretengriechischen Bodens
abgehaltenwerden, und zwar auchmit
Gewalt, wie der dannfolgende Einsatz
vonTränengas und Blendgranaten zeigte.
Nachgriechischen Angaben wurden am
Wochenende bis zu 10 000Versuche irre-
gulärer Grenzübertrittevereitelt.Inden
Worten einesRegierungssprechersklang
das martialisch:„Wir habengehalten und
unsereGrenzen,die auchEU-Grenzen
sind, beschützt.“ An die achtzig Migran-
ten, die es dennoch auf griechischesTerri-
torium geschaf ft hätten, seienverhaftet
worden. Vondiesen seien 17, allesamt Af-
ghanen,wegenillegalen Grenzübertritts
zu Ha ftstrafenvon dreieinhalb Jahrenver-
urteilt worden, wie später berichtet wur-
de. DerRegierungssprecherkündigtezu-dem den Einsatzvonmehr als fünfzig
Schif feninder Ägäis vorder türkischen
Küst ean, wobei nicht deutlichwurde, wie
diese Schiffe etwa sandem dortebenfalls
steigenden Migrationsaufkommen än-
dernsollten, ohne Boote mit Migranten
völker rechtswidrigabzudrängen oder zu
versenken.E
rdogan gabsichunterdessen un-
versöhnlichund warf der EU
Wortbruc hvor.Die vergangene
Wocheist fürden türkischenPrä-
sidenten alles andereals gut gelaufen.Zu-
nächs twaren am Donnerstag bei Angrif-
fendurch jeweils zweirussische Su-
und syrische Su-22 südlichvon Idlib 36
türkische Soldatengetötetund mehr als
30 verletzt worden. Ankeinem anderen
Tagseit dem Beginn des Kriegs in Syrien
hattedie türkische Armee mehr Soldaten
verloren.Russland hattedann auchnoch
die türkische Bitteabgelehnt, den syri-
schenLuftraum zu öffnen, um dieToten
und Verwundetenmit Hubschraubernin
die grenznahe türkische Kreisstadt Rey-
hanli bringen zukönnen. Daher mussten
sie in Armeewagenauf dem Landweg
transportiertwerden. Derrussische Präsi-
dent Putin lehntezudem ein Gipfeltreffen
zu Idlib ab, undvonder Nato erhielt die
Türkei zwar politischen Beistand, nicht
aber den erhofften militärischen. Plötz-
lichwar es um die sichsostark fühlende
Türkei einsamgeworden.
Erdogan brauchtegegenüberdertürki-
schen Öffentlichkeit einen Befreiungs-
schlag.Nach einem Telefonat mit Putin
wurde amWochenende aus Ankaradann
auchpromptdie Nach richtverbreitet,Er-
dogan habe seinenrussischen Gegenpart
in markigenWorten gewarnt, Russ land
solle sichinSyrien heraushalten und der
Türkei aus demWeggehen. Denn dieTür-
keiwolle mit dem syrischenRegime „das
tun, wasnotwendig“ sei. Damaskus habe
einen „Preis zu zahlen“ für denToddertürkischen Soldaten. Am Samstagsagte
Erdogan in einerRede in Istanbul,Anla-
genzum BauvonChemiewaffen sowie
Luftabwehrsy steme und Landebahnen
seien zerstörtworden,Waffendepots und
Flugzeughangarssowie 300 Militärfahr-
zeuge, darunter mehr als 90Panzer.Das
galt Syrien.
Mit Blickauf die EU sagteErdogan:
„Wir haben die Grenzengeöffne t.“Erbe-
zichtigtedie EU,sichnicht an dieZusa-
genzuhalten, die sie im Flüchtlingsab-
kommenvon2016 eingegangenwar. Soll-
te sichdas nicht ändern,werde dieTürkei
„dieseTore vonjetzt an nicht mehr schlie-
ßen“.Abermalsforderte Erdogan, dass
die EU ihre zugesagten Mittel zurUnter-
stützung syrischer Flüchtlingeinder Tür-
keinicht an Hilfsorganisationenverteile,
sonderndirekt an den türkischenStaats-
haushalt überweise. SolcheAussagen fal-
len vordem Hintergrund eines massiven
Rüc kgangs der Akzeptanz der syrischen
Flüchtlingeinder türkischen Gesell-
schaf t. In einer jüngstveröf fentlichten
Umfrag edes Migrationsforschungszen-
trums an derTürkisch-DeutschenUniver-
sität in Istanbul haben 82 Prozent der Be-
fragten angegeben, esgebe keine kulturel-
len Gemeinsamkeiten mit den Syrern.
Und74Prozent befürchten,dasssichdie
öffentlichen Dienstleistungenwegender
Syrerverschlechterten. Weiter e72Pro-
zent gaben an, die syrischen Flüchtlinge
bedrohten das soziokulturelle Gewebe
der Türkei .Eine Mehrheit derTürken be-
fürwortet eine Umsiedlung der Flüchtlin-
ge in „sichereZonen“ innerhalb Syriens
oder in Flüchtlingslager.
Das hat nunFolgen anderswo. Die Inter-
nationale Organisation für Migrationgab
am Wochenende an, an der Grenze der
Türkei zu Griechenland bisher mehr als
13 000 Migrantengezählt zu haben.Viele
kamen aus Istanbul und schenkten dabei
offenbar den türkischenVersicherungen
Glauben, die Grenze nachGriechenlandsei of fen. Der Druckauf Erdogan und die
türkischeFührungwächst derweil weiter.
Die hoheZahl getöte ter Soldaten domi-
niertseitFreitag diepolitischenDiskussio-
nen. So unterzeichneten140 bekanntePer-
sönlichkeiten einePetition mit dem Titel:
„Händewegvon Syrien, bringt die Solda-
tennach Hause.“Die Unterzeichnerwen-
den sichdagegen, dasstürkische Soldaten
ineinemanderenLandihrLebenverlie-
ren. DieTürkei habe sichinSyrien in eine
Sackgasse manövriert. Die Oppositions-
parteien scheitertenzwarzunächstmit ih-
remVersuch, eine sofortigeSondersitzung
des Parlaments durchzusetzen.Aber Erdo-
ganbeugtesichschließlichdochund ließ
seine Regierungspartei AKP,deren Vorsit-
zender er ist, fürkommenden Dienstag
eine geschlossene Sitzung desParlaments
ansetzen, bei demVerteidigungsminister
Hulusi Akar dieAbgeordne teninformie-
rensoll.W
ie angreifbar Erdogange-
worden ist, zeigtesichbei
seinerRede am Samstag, sei-
nemerstenöffentli chen Auf-
tritt seit demTodder 36 türkischen Solda-
ten.AneinerStellereferierteerübersein
jüngstesTelefonat mit dem amerikani-
schen Präsidenten DonaldTrump und
lacht edann über einePointe, die ergegen-
überTrumpmachte. Das brachteihm
zwar den Beifall der anwesendenFunktio-
näreseiner Partei ein, löste in weiten Teil
der Bevölkerung aber Empörung aus. Der
sichtlichaufgebrachteVorsitzende der op-
positionellenCHP, Kemal Kilicdaroglu,
fragte, wie Erdogan denn derartlachen
könne, wo dochdie am Donnerstag getö-
tete nSoldatennicht einmalbeerdigt sei-
en. Undinden sozialen Medien bildete
sichraschein Hashtag: „Überwaslachst
du, Erdogan?“
GuteNachrichten hat der türkische Prä-
sident derzeit nicht zu bieten, und so ist
er um Schadensbegrenzung bemüht und
um Ablenkungvonseinem Scheiternin
Idlib. DieRede vomSamstagmit der An-
kündigung einer Öffnung der Grenze für
FlüchtlingenachEuropa solltezweierlei
bewir ken: innenpolitischPunktesam-
meln und Druckauf Europa aufbauen.
Waservon Europa erwartet,hat er dabei
nicht klarformuliert. Er erinnerte die EU
daran, dassdiese im Flüchtlingsabkom-
men Zusagen eingegangenwar, die sie
nicht eingehalten hat.Sohattesie Visaer-
leichterungen inAussicht gestellt und
eine Ausweitung derZollunion aus dem
Jahr 1996. Mit seinemAuftrete namSams-
tag machte er jedenfalls klar,dasssich
seit dem Flüchtlingsabkommenvon
die Bedingungengeänderthaben und
dassernun vonder EU mehr erwartet.
Aufden griechischenInseln hat sichun-
terdessen die ohnehinseit Wochen ange-
spannteStimmung der lokalen Bevölke-
rung of fenbar nochmalsverschärft.Ge-
meldetwurden Angriffeauf „Flüchtlings-
helfer“ sowie Mitarbeiter der UN-Flücht-
lingshilfeorganisation UNHCR.VonLes-
bos wurde zudem berichtet,Bewohner
der Insel hättenversucht, neu ankommen-
de Migranten daran zu hindern, aus ihren
Bootenauszusteigen. Vordem berüchtig-
tenAufnahmelager Moria auf Lesbos bil-
dete sicheine Menschentraube, um neue
Ankünfte zu verhindern.
Bulgarien versucht sichunterdessen
weiterhinRuhe an seiner Grenze durch
Folgsamkeitgegenüber Ankarazuerkau-
fen. AusSofia hieß es, Ministerpräsident
Borissowsolle an diesem Montag mit Er-
dogan zusammentreffen, wobei Details
nichtgenannt wurden. Borissowhatte
schon amFreitag mit Erdogantelefo-
niert. Danach hieß es in einer Mitteilung
der bulgarischenRegierung, Borissowsei
sichsicher ,dassBulgarien und dieTürkei
auchkünftig zur „Bewältigung der Krise
in Syrien und zur Einstellung des Migrati-
onsstroms“ zusammenarbeiten würden.
EinsolchesTelefonat und eine solche Bot-
schaf tkonnte Mitsotakis nichtvermel-
den. Deshalb setzt erstattdessen aufTrä-
nengas und Kriegsschiffe.sat.COLUMBIA.Der amerikanische
Präsident DonaldTrumphat angekün-
digt, denrepublikanischenKongress ab-
geordnetenJohn Ratcliffe für das Amt
des Nationalen Geheimdienstdirektors
(DNI) zu nominieren. „John istein her-
ausragender Mann mitgroßemTalent“,
schriebTrumpauf Twitter .Erhättedas
schon früher mitgeteilt, dochhabe Rat-
cliffe seineÜberprüfung durch das Jus-
tizministerium abwarten wollen. Rat-
cliffe warschon imverg angenen Som-
mer vonTrump nominiertworden,
nachdem Dan Coats angekündigt hatte,
seinenPosten niederzulegen.Nachdem
allerdings berichtet worden war, dass
Ratcliffe seinen Lebenslauf aufge-
hübscht und seine frühereRolle als
Staatsanwalt in Texasübertrieben hat-
te,bat derAbgeordne te darum, seine
Nominierung zurückzuziehen. Auchim
Senat, der Ratcliffe bestätigen muss,
gabesseinerzeit Bedenkengege ndie
Personalie.Trumpbeklagte, die Medien
hättenRatcliffe unfair behandelt.
Zwischenzeitlich dienteJoe Maguire,
ein Fachmann aus der Spionageabwehr,
als amtierender Geheimdienstdirektor.
Weil sei nAmt denKongress kürzlich
über neuerlicheVersuche Russlands un-terricht et hatte, die amerikanischen
Wahlen zugunstenTrumpszubeeinflus-
sen, trenntesichTrump vonihm. Kom-
missarischübernahm RichardGrenell,
der BotschafterinBerlin ,den Posten.
Bis zur mutmaßli-
chen Bestätigung
Ratcliffesdurch den
Senat wirdGrenell
die Arbeitvoninsge-
samt17Nachrichten-
dienstenweiter koor-
dinieren. Grenell be-
hält parallel dazu sei-
nen Botschafterpos-
ten. EineÄußerungTrumps, erwolle ei-
nen neuen Botschafterbenennen, wur-
de später alsVersprecherkorrigiert.
WieGrenell istRatcliffeein überaus
loyaler Trumpist. Im Geheimdienstaus-
schus sdes Repräsentantenhauses trat er
in den Impeachment-Ermittlungen als
vehementer Verteidiger Trumps auf.
Der Vorsitzende des Geheimdienstaus-
schusses im Repräsentantenhaus, der
DemokratAdam Schiff, übte scharfe Kri-
tik an derNominierungRatcliffes. Der
Kandidatsei unqualifiziertund sollte
vomSenat nicht bestätigt werden,
schrieb Schiffauf Twitter.HarterKurs an der Landesgrenze: Migrantenwerdenvonder Einreise nachGriechenland abgehalten. FotoGettyFoto ReutersDie EuropäischeUnion istvon der Eskala-
tion an der türkisch-griechischen Land-
grenze kalt erwischtword en. Als amFrei-
tagimmer mehr Berichte auf einen neuen
Migrantentreck hindeuteten, behaupte-
tenmehrer eSprecher der EU-Kommissi-
on noch, esgebe keine Anzeichen für
eine geänderte türkischePolitik.Sie ver-
wiesen auf entsprechende Äußerungen
des türkischenAußenministeriums. Der
Außenbeauftragte Josep Borrell teilteam
Freitagabend mit, er habe mitAußenmi-
nisterMevlüt Cavusoglutelefoniertund
Zusicherungen bekommen, dasssichdie
Türkei weiter an die Flüchtlingsvereinba-
rung vomFrühjahr 2016gebunden fühle.
Mit dem türkischen Staatspräsidenten
sprac hoffenbarkeiner,der hätteesbes-
ser gewusst.
Am Samstagführte dannRatspräsi-
dent Charles Michel ein langesTelefonat
mit Recep Tayyip Erdogan. Er brachtesei-
ne Anteilnahme für die in Idlibgetöteten
türkis chen Soldaten zumAusdruc k, konn-
te hinterher abervonkeinerleiZusiche-
rungen Erdogans berichten. In einer Mit-
teilung hieß es lediglich, die „EU engagie-
re sichaktiv,umdie EU-Türkei-Erklä-
rung aufrechtzuerhalten“. Ein hoher EU-Vertretersagtedieser Zeitung am Sonn-
tag, dasses„einengroßenUnterschied
gibt zwischen dem,wasinAnkar agesagt
wird, und dem, wastatsächlichge-
schieht“. Das bezog sichauf Behauptun-
gender türkischenRegierung,Tausende
Menschenhätten dieGrenzezu Griechen-
land passiert, Zehntausende seien auf
dem Wegdorthin–für beidesgebe es kei-
ne Belege. Der EU-Vertreternanntedie
Lage„besorgniserregend“, sagteaber:
„Dies istnicht die Wiederholung der
Flüchtlingskrisevon2015.“ Esgehe Erdo-
ganoffenbar darum, die EU unter Druck
zu setzen und zugleichinnenpolitischen
Druc kwegen der schwierigen LageinSy-
rien auf Brüssel abzuleiten.
WieamSonntag zu hörenwar, verlang-
te Erdogan in dem Gesprächweiter eMilli-
arden Eurofür dieVersorgung syrischer
Flüchtlingeinder Türkeiund auf der syri-
schen Seiteder Grenze. DerStaatspräsi-
dent forderte abermals direkteZahlun-
geninden türkischen Haushalt;bis jetzt
fließen dievonder EU zugesagten sechs
Milliarden Eurodirekt an Hilfsorganisa-
tionen, die in derTürkeitätig sind. „Die
EU istbereit, ihreUnter stützungweiter
zu verstärken“, teilteRatspräsident Mi-chel nachseinem Gesprächmit Erdogan
mit.Gegen direkteZuweisungen an die
türkischeRegierung gibt esgroße Vorbe-
halte in der EU.Die Mitgliedstaatenkönn-
tenallerdings ihre Hilfeauf die (noch)
vonder Türkeikontrollierte Zone auswei-
ten, wo immer mehr Syrer aus IdlibZu-
flucht suchen. Offenbar dringen Grie-
chenland und Bulgarien internschon dar-
auf. Athen forderte eine Sondersitzung
der EU-Außenminister, Borrell entsprach
diesemWunsch.
Die Außenministertreffensicham
Donnerstag undFreitag ohnehin inZa-
greb zu einem informellenRat. Dortwar
schon einAustauschzur Türkei geplant,
nun dürftedie aktuelle Krise alle anderen
Themen an denRand drängen. Zwarkön-
nen dieAußenministerbei informellen
Treffenkeine Beschlüsse fassen, doch
können sie ihr Treffenformalisieren,
wenn alle Staaten einverstanden sind.
Die Details würdengerade geklärt, hieß
es in Brüssel.
Auch Ursula vonder Le yentelefonier-
te am Wochenende mit Erdogan, ebenso
mit den wichtigstenMitgliedstaaten, dar-
unter mitKanzlerin Merkelund dem fran-
zösischen Präsidenten Macron, um eineHaltung der Union abzustimmen. Als
möglichgalt,dassauch dieStaats- undRe-
gierungschefszue inem Sondertreffenzu-
sammenkommen. Allerdingswolltedie
EU amWochenende tunlichstden Ein-
druc kvermeiden, sie lasse sichvon Erdo-
ganunter Drucksetzen. Es sei dessen
Strategie, Europa eine Krise aufzuzwin-
gen; dieses Spielwolle man nicht mitspie-
len, hieß es aus derKommission.
Vonder Le yensicher te Griechenland
und Bulgarienweiter eUnter stützung zu,
auchander Landgrenze zurTürkei. Eine
Sprecherin der GrenzschutzbehördeFron-
texbestätigtedieser Zeitung am Sonntag,
dassdie griechischeRegierung umweite-
re Hilfegebetenhabe. „Wir verlegen Aus-
rüstung und Grenzschutzbeamte nach
Griechenland“,teiltedie Behörde mit.
Detailssollten bei einer eilendseinberufe-
nen Sitzung amNachmittag besprochen
werden. Bis datohat Frontex gut 400 Be-
amteauf fünfgriechischen Inselnvorder
türkischenKüst eimEinsatz, an der Land-
grenze dagegen nur zwei Dutzend Beam-
te.Die Behörde baut derzeit eine eigene
Grenzschutztruppe auf, istbis Jahresende
aber nochvollständig darauf angewiesen,
dassMitgliedstaaten Personal abstellen.Mit Trä nengas undKriegsschiffen
Trumpnominiert Ratcliffe
Republikaner soll Geheimdienstdirektorwerden
„Dies istnicht die Wiederholung von2015“
Die EU will sichnicht erpressen lassen, sie istaber zu neuen Hilfen bereit / VonThomas Gutschker,Brüssel
Schwacher
Deal?
Das Abkommen
zwischen EU undTürkei
Im Dreiländereckvon
Türkei, B ulgarien und
Griechenland spitzt sich
dieMigrationskrise
imme rmehrzu.
VonRainer Hermann,
Ankara, und Michael
Martens,Wien
IstanbulBULGARIENGRIECHENLANDLimnos TÜRKEISamothrakiF.A.Z.-Karte fbr./lev.ÄgäisSchwarzes
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