Süddeutsche Zeitung - 22.02.2020

(WallPaper) #1
interview: tobias kniebe

D


ie grauen Haare bilden wildbe-
wegte Wellen, an den Spitzen
der langen Koteletten blitzt es
weiß: Der Regisseur Paolo
Sorrentino, Jahrgang 1970,
nähert sich in Alter und Status der Lebens-
phase an, in der man in Italien als „Maes-
tro“ angesprochen wird. Nach seinem Os-
car fürLa Grande Bellezzaim Jahr 2014
scheint er sich in der Rolle des Meisters
auch wohlzufühlen – die zweite Staffel sei-
ner PapstserieThe Young Popezeigt ihn als
einen Erzähler, der zwischen Introspekti-
on und Farce, psychologischer Genauig-
keit und surrealistischen Traumsequen-
zen seinen unverwechselbaren Stil gefun-
den hat. Das Interview muss auf einer
venezianischen Terrasse im Freien statt-
finden, wegen des Nikotinnachschubs.

SZ: Wenn Filmemacher sich die heiligen
Hallen des Vatikans vorstellen, wird es oft
sehr still – religiöse Einkehr, gewisperte
Worte, unterdrückte Gefühle. Bei Ihnen
löst diese Welt offenbar den starken Im-
puls aus, die Dinge aufzumischen.
Paolo Sorrentino: Der Vatikan ist ja nur
scheinbar ein Ort, an dem die Langeweile
die Hauptfigur ist – diese Ruhe, diese
Stille, dieser scheinbare Respekt, mit dem
alle miteinander umgehen. Aber natürlich
dachte ich mir immer, das kann nicht alles
sein, das ist doch nur Fassade, dahinter
verbergen sich ganz andere Dinge! Und die
möchte ich natürlich an die Oberfläche
bringen.

Sehr viel wildere Passionen?
Ja, genau.
Deshalbmuss esdann wohl diese irre Sze-
ne geben, in der Ihr Papstdarsteller Jude
Law, fast nackt, eingeölt und mit Wasch-
brettbauch, einen Strand entlangschrei-
tet, durch ein Spalier von Bikini-Schön-
heiten, nur bekleidet mit einer denkbar
knappen, leuchtend weißen Badehose.
Woher kommt Ihre Sicherheit beim Dre-
hen, dass diese Szene exakt so und nicht
anders sein muss?
Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung.
Glücklicherweise kommen mir diese
Ideen manchmal ohne Sinn und Zweck,
ich weiß nicht, woher, als würde ein frem-
des mächtiges Wesen sie mir diktieren. Als
Autor, auch als Filmautor, versteht man
sich selbst manchmal nicht, und man
kann die Dinge auch nicht weiter begrün-
den. Aber das ist wunderbar, denn nur so
können Bücher und Filme und überhaupt
Kunstwerke verschiedenste Bedeutungen
haben, die dann auf unterschiedlichste
Weise entschlüsselt werden können.
Und dieses rätselhafte Wesen, das Ihnen
solche Szenen diktiert – erleben Sie das
eher als eine gute oder als eine bedrohli-
che Macht?
Gut! Bisher zumindest, in meinem bisheri-
gen Schaffen. Gut und ziemlich smart.
Aber können Sie bei solchen Eingebun-
gen auch Nein sagen? Also etwa, dieser
weiße Tanga für meinen Papst, das geht
mir jetzt zu weit?
Oh ja, am Set verwerfe ich jede Menge Ein-
gebungen, die ganze Zeit. Da funktioniert

auch mein Regieassistent als eine Art Ge-
wissen. Dem erzähle ich alle Ideen als Ers-
tem, und der sagt mir dann oft, Paolo, das
ist zu viel ...
Und Sie glauben ihm?
Ja, ich vertraue ihm. Denn manchmal sagt
er ja auch, es ist zwar verrückt, aber es
funktioniert! Auch meine Frau ist in sol-
chen Dingen eine gute Schiedsrichterin.
Oft streiten wir, und dann behaupte ich,
sie sei zu streng mit mir. Aber wenn ich mit
dem Abstand von einigen Jahren zurück-
schaue, hat sie eigentlich immer recht und
ich muss Abbitte leisten. Ein weiterer Be-
weis für die Macht der Frauen.
Sie sagen, dass „The Young Pope“ die
Sichtweise eines Menschen widerspie-
gelt, der nicht katholisch ist. Können Sie
etwas über Ihre spirituelle Entwicklung
erzählen?
Ich bin, wie die meisten Italiener in meiner
Generation, katholisch getauft und erzo-
gen. Sogar von Priestern. Als ich 14 oder
15 Jahre alt war, bin ich regelmäßig zur
Messe gegangen, und das fiel den Pries-

tern irgendwann auf und sie sahen in mir
eine Nachwuchshoffnung. Nach meiner
Erfahrung können solche Konstellationen
auf zwei Wegen enden: Entweder man
wird tatsächlich Priester – oder man
macht sich irgendwann davon, so schnell
man laufen kann. Ich bin gerannt.
Steckt hinter Ihrer Abkehr von der Kirche
also eine große Enttäuschung?
Nein, so würde ich das auch wieder nicht
sagen. Ich bin im Alter von 17 Jahren ausge-
treten, ich war entfremdet und ermüdet,
so etwas passierte eben. Zur gleichen Zeit
habe ich aber die Frauen entdeckt – und
das war dann keine Enttäuschung ...
Schöne Orte scheinen Sie ebenfalls anzu-
ziehen – die ganze Pracht des alten Roms
in „La Grande Bellezza“, das Fünf-Sterne-
Hotel Waldhaus Flims aus dem 19. Jahr-
hundert in „Ewige Jugend“, und auch in
der Serie gibt es wieder herrliche alte
Paläste...
Da muss ich Einspruch erheben! Ich bin
keiner, der gern schöne Ruinen fotogra-
fiert. Das hat alles mit den Figuren zu tun,

denen ich folge. Und ja, das sind dann
schon mal Päpste oder berühmte Künstler
oder Reiche oder mächtige Politiker, des-
wegen leben die in Umgebungen von gro-
ßer Schönheit. Aber das ist Zufall!
Ach, kommen Sie, das ist zu auffällig, die-
se Häufung in Ihrem Werk...
Glauben Sie mir, ich würde auch sehr ger-
ne mal im Dschungel drehen, so wie der
deutsche Regisseur Werner Herzog, den
ich sehr bewundere. Aber dafür braucht
man Mut! Im Dschungel hätte ich zu viel
Schiss, deswegen muss ich beim Drehen
leider in der Zivilisation bleiben – da, wo
es angenehm ist. Jedenfalls, wenn wir hier
von Schönheit reden, muss dieser Begriff
bitte sehr weit gefasst sein. Andernfalls
dreht man Werbefilme, und das tue ich
nun wirklich nicht.
Einverstanden, dann reden wir über Ihre
Liebe zu barocken Figuren. Sie haben
machthungrige, zum Teil egomane Politi-
ker wie Giulio Andreottioder Silvio Berlu-
sconi in Spielfilmen erforscht, die unter ei-
nem dünnen Firnis von Fiktion interes-
sante Fallstudien waren – könnte Sie jetzt
nicht auch Donald Trump reizen?
Nein! Ganz ehrlich, mit dieser Welt bin ich
durch. Zwei Filme über Politiker sind wirk-
lich genug. Es gibt so viele interessante
Welten, die ich noch erkunden will, so vie-
le spannende Orte ...

Was hat Sie an diesen Figuren gereizt?
Bei Berlusconi hat mich diese unglaubli-
che Vitalität angezogen, das hat mich an
ihm immer wieder überrascht. Bei An-
dreotti war es komplexer, da war es dieser
Wille, das Zentrum der Macht zu verkör-
pern und zu besetzen. Es ist schwer zu
erklären.
Interessant ist, dass Sie nie urteilen,
wenn Sie sich in diese Welten hinein-
begeben.
Das stimmt, Urteile interessieren mich
nicht. Wenn ich beschließe, von einer Fi-
gur zu erzählen, finde ich auch einen Weg,
sie zu lieben. Und wenn diese Liebe erst ein-
mal da ist, kann man nicht mehr urteilen,
und das möchte ich auch nicht.
Und deshalb urteilen Sie in „The Young Po-
pe“ auch nicht über den Papst und über
die Kirche?
Genau. Als Zuschauer hasse ich sogar
Filme, in denen von Anfang an klar ist, was
der Regisseur von einer Figur hält. Das
interessiert mich nicht.
Dennoch gewinnt die Idee wieder Anhän-
ger, dass gutes Kino einen Standpunkt
vertreten muss – wenn nicht gar versu-
chen sollte, die Welt zu verändern.
Hm, vielleicht sollte das Kino erst einmal
versuchen, sich selbst zu retten? Es ist ja
auch nicht so, dass es nicht um seine Exis-
tenz kämpfen müsste.
Fühlen Sie sich dann einsam zwischen
den vielen jungen Filmemachern, die mit
ihrenWerken ganz explizit füreine besse-
re Welt kämpfen?
Ach nein, wenn Sie die spannenden Filme
der letzten Jahre so anschauen – dann ha-
be ich eher das Gefühl, dass viele große Re-
gisseure genauso denken wie ich. Da fühle
ich mich in guter Gesellschaft.

The Young Pope / The New Pope, auf Sky

Urteile interessieren mich


nicht. Wenn ich beschließe,


von einer Figur


zu erzählen, finde ich


auch einen Weg,


sie zu lieben.“


Friedrich Merz hat vor ein paar Wochen
etwas sehr Unangenehmes gesagt. Er hat
gesagt: „Wir brauchen die nicht mehr. “ Ge-
meint waren nicht die Wähler, was für man-
che Politiker vielleicht die beste aller Nach-
richten wäre. Merz meinte mit „die“ jene
Menschen, „die Nachrichten verbreiten“,
also die Journalisten.
Mit „wir“ hatte er auf die Menschen an-
gespielt, die nach seiner Lesart Nachrich-
ten erzeugen, also Politiker, oder vielleicht
auch, weil er vor den Gästen des Aachener
Karnevalsvereins (AKV) beim „Rittertalk“
gesprochen hatte, Karnevalisten, unter
deren schillernden Narrenkappen sich bei
solchen Anlässen viele Wirtschaftsbosse
und nachgeordnete Politiker verbergen.
Im Nachgang erst lösten Merz’ Worte in
den letzten Tagen Empörung aus. Er hatte
nämlich von einer begrüßenswerten
Machtverschiebung gesprochen. Wörtlich:
„Und das ist das Schöne: Sie können heute
über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle,
über Youtube ein Publikum erreichen, das
teilweise die öffentlich-rechtlichen, auch
die privaten institutionalisierten Medien
nicht mehr erreichen.“ Leute wie er hätten
die Möglichkeit, „ihre eigene Deutungsho-
heit auch zu behalten über das, was sie ge-
sagt haben“.
Verschiedene Journalisten waren dar-
aufhin entweder schrecklich beleidigt oder
schrecklich wütend. Der Vorsitzende des
Deutschen Journalisten Verbandes (DJV),
Frank Überall, der seinem Namen alle Ehre
macht, was die Frequenz seiner öffentli-
chen Stellungnahmen angeht, konfrontier-
te Merz im offenen Brief mit der Frage: „Se-
hen Sie in uns Journalistinnen und Journa-
listen eine überflüssig gewordene Berufs-
gruppe? Glauben Sie ernsthaft, dass Vi-
deos, Tweets und Facebook-Postings als

Informationsquellen der Bürgerinnen und
Bürger ausreichen?“ Klar, dass Merz dem
DJV umgehend antwortete und der so-
gleich Merz ’ Replik veröffentlichte, er habe
„in keiner Weise die Bedeutung und Not-
wendigkeit der Presse in Frage gestellt“.

Nun – zu dieser Richtigstellung hätte
der DJV Friedrich Merz mit seinem Brief
gar nicht drängen müssen. Denn der hoch
motivierte Machtpolitiker Merz hat nicht
in Trump’scher oder Johnson-Manier dem
Qualitätsjournalismus den Krieg erklärt.
Er hatte lediglich etwas festgestellt, das
längst alle wissen. Außerdem wollte er mit

der Aussage, dass er sich darüber freue, pro-
vozieren. Es gibt keinen Grund zu jam-
mern. Merz gibt Journalisten vielmehr die
Gelegenheit, ehrlich zu sich selbst zu sein
und sich einzugestehen, dass sie sich dar-
über genauso freuen können wie Friedrich
Merz. Vielleicht sogar noch mehr.
Für das Nachrichtenverbreiten gab es
vor Twitter die Pressemitteilung, die an die
Redaktionen geschickt wurde, damit diese
sie in der Zeitung druckten. Und es gab und
gibt die sogenannte Pressekonferenz. Jour-
nalisten erschienen mit Block und Kugel-
schreiber, heute mit Smartphone. Sie proto-
kollieren das Wesentliche, entscheiden
sich für Schwerpunkte der Aussagen und
schreiben das für ihr Medium auf.
Die Rolle des Chronisten und Aussagen-
überbringers war und ist teilweise immer
noch eine der wesentlichen Rollen der Jour-

nalisten. Diese Zeiten könnten vor allem in
der Bundes- und Landespolitik bald end-
gültig vorbei sein. Es gibt ja Twitter. Und
Journalisten können dann überlegen, ob
sie die Tweets aufgreifen und in welchen
größeren Kontext sie diese Textchen stel-
len sollen.
Merz hat mit seiner frohlockenden Be-
merkung eine Entwicklung auf den Punkt
gebracht, die zwei Fragen aufwirft: Scha-
det das dem Journalismus und damit indi-
rekt auch der Demokratie in diesem Land?
Und muss es Journalisten kratzen, wenn
ein Politiker sagt, dass er sie für eine be-
stimmte Aufgabe nicht mehr braucht?
Zum einen sind Journalisten sowieso
nicht dazu da, von Politikern gebraucht zu
werden. Sie werden von der Gesellschaft
gebraucht, weil sie Transparenz herstel-
len, weil sie Hintergründe beleuchten,
Missstände aufdecken, Zustände mög-
lichst objektiv in ihren Widersprüchen auf-
decken, Menschen in ihrer komplexen
Persönlichkeit vorstellen und, nicht zu-
letzt, auf der Grundlage von recherchier-
ten Fakten und veröffentlichten State-
ments die richtigen Fragen stellen.
Ihre Aufgabe ist es nicht, Politikern von
Nutzen zu sein. Übrigens auch nicht Kon-
zernvorständen, Fußballvereinsvorsitzen-
den, Museumsdirektoren oder Theater-
intendanten. Also sollte der Dank der Jour-
nalisten an Friedrich Merz gehen, weil er
klargestellt hat, dass er sie nicht mehr
braucht. Denn wenn er sie bisher ge-
braucht hat, dann ist sowieso etwas in der
Zusammenarbeit falsch gelaufen. Auch
weiterhin werden Medien aufmerksam
verfolgen, was Merz von sich gibt, egal wo.
Journalisten lesen auch Twitter.
Die zweite Antwort ergibt sich aus der
ersten. Wenn Journalisten die Rolle des

Aussagenübermittlers nicht mehr erfüllen
müssen, dann sollte das kein Anlass zur Be-
trübnis und erst recht kein Auslöser von
Selbstzweifeln sein, sondern ein Anlass
zum Aufatmen. Denn es kommt einer Be-
freiung von einer lästigen Aufgabe gleich.
Ein Blick in die Geschichte des Inter-
views hilft das zu verstehen. 1867 hat ein
Journalist der New Yorker Associated
Press (AP) etwas Revolutionäres getan. Jo-
seph Burbridge McCullagh hat als erster
Reporter in Washington die US-amerikani-
schen Senatoren dazu gebracht, ihm für
Gespräche zur Verfügung zu stehen. Das
französische Entrevoir – die kurze Begeg-
nung – stand nämlich Pate für das engli-
sche Wort Interview. Der Journalist, der
sonst lediglich Überbringer der Aussagen
und Entscheidungen der Senatoren war,
trat zum ersten Mal zum öffentlichen Ge-
spräch mit den Entscheidungsträgern an.
Als jemand, der berechtigt war, den Mächti-
gen Fragen zu stellen. Nicht selten unange-
nehme Fragen.
Vielleicht sollte man sich diesen Sprung
in der Evolution des Journalismus ab und
zu vergegenwärtigen, um zu verstehen,
worum es eigentlich geht. Wenn Merz Jour-
nalisten nicht mehr braucht für die Verbrei-
tung seiner Ansichten, dann heißt das: Re-
porterinnen und Redakteure gewinnen
Zeit, um sich wichtigeren Aufgaben zuzu-
wenden. Zum Beispiel: zu erklären, nachzu-
fragen, zu kritisieren.
Merz’ Einlassungen haben übrigens öf-
fentlich erst Wirkung gezeigt, als sie in ei-
ner Zeitung publiziert wurden. Auf der
Website des Aachener Karnevalsvereins
mussten sie von derAachener Zeitungmit
journalistischem Gespür entdeckt wer-
den. Als etwas, das der Zeitung eine Nach-
richt wert war. harald hordych

Dieser dritte Film aus der losenTödliche
Geheimnisse-Reihe macht sehr viel auf
moderne Weise gut: Seine Hauptfiguren
sind zwei renommierte Investigativrepor-
terinnen, gespielt von Anke Engelke und
Nina Kunzendorf, die klischeefrei ge-
zeichnet und ganz kommentarlos ein Lie-
bespaar sind. Sie decken einen Schwarz-
arbeit-Skandal auf Berliner Baustellen
auf, in den ein ehrgeiziger Senator und
ein Großunternehmer verwickelt sind
und dem ein Ukrainer vom Arbeitsstrich
zum Opfer fällt. Ihr Hauptantagonist ist
aber kein mächtiger Mann, sondern eine
mysteriöse junge Politikerreferentin (Pe-
tra Schmidt-Schaller). So weit, so zeitge-
mäß. „Das Versprechen“ leidet dann aber
doch an seinem eigenen Konzept. Prak-
tisch an Journalistenfilmen ist ja, dass
man die für einen komplexen Politplot nö-
tige Faktenvermittlung als Teil der Hand-
lung ausgeben kann: So ist das nun mal,
wenn Journalisten arbeiten. Engelke und
Kunzendorf interviewen also ständig Ex-
perten und Politiker in Berlin-Mitte-Bau-
ten mit bodentiefen Fenstern. Das wirkt,
zumal im bläulich-kalten Berliner Win-
terlicht, aber auch ziemlich blutleer und
wie ein verfilmter Recherchekurs. Zwi-
schen der Auswertung von Grundbuch-
einträgen und Handelsregister fallen
druckreife, gesellschaftskritische Sätze
über die Lage auf dem Berliner Miet-
markt, die mit illegalen Migranten billig
verbessert werden soll, und über moder-
ne Sklaverei im Bausektor. Die große Re-
portage der Journalistinnen würde man
gerne lesen. Als Film aber fehlt ihr die Le-
bendigkeit. kathleen hildebrand


Tödliche Geheimnisse – Das Versprechen, ARD,
20.15 Uhr


Zwei Päpste: InThe Young Popewar Jude Law (links) noch allein, der erste US-Amerikaner als Papst. Für die Fortset-
zung mit dem TitelThe New Popestellt Sorrentino ihm John Malkovich zur Seite (rechts). FOTO: IMAGO IMAGES/PROD.DB

Ein Maestro: Regisseur Paolo
Sorrentino.FOTO: IMAGO / FUTURE IMAGE

Einersagt was, viele zeichnen auf – noch ist das journalistischer Alltag. FOTO: IMAGO

Brauchen Journalisten Friedrich Merz?


Gedanken über einen Satz des CDU-Kandidaten-Kandidaten, der zu Unrecht ein wenig Aufregung verursacht hat


Die SerieTheYoungPopeist, bei aller Sti-
lisierung (jedes Bild ein Tableau) nicht
nur ein beinahe realistisches Werk, son-
dern auch ein Kommentar zur gegen-
wärtigen Lage der katholischen Kirche.
Denn so gewiss es ist, dass sie in den ver-
gangenen Jahrzehnten immer liberaler
wurde, so wenig wahrscheinlich ist es,
dass sich diese Entwicklung fortsetzt:
Heute mag sie in einem Maße Gewis-
sensfreiheit gewähren, dass sie kaum
noch Gewalt über die praktische Lebens-
führung ihrer Anhänger besitzt. Doch
warum sollte es beim „Appeasement“
bleiben? Mit der Liberalität befördert
sie einen Verlust an Substanz. Der „jun-
ge Papst“ ist ein Gedankenspiel. Es
handelt davon, die Kirche könne diese
Substanz zurückfordern, ihrer Möglich-
keiten unsicher, weil der autoritären
Herrschaft entwöhnt, aber doch ent-
schlossen. THOMAS STEINFELD

Die Fasnet gehört zum immateriellen
Kulturerbe des Landes, wiederum zu ihr
gehört allerdings auch alles das, was im
Schwarzwald nicht weniger nervt als dort,
wo Karneval gefeiert wird oder Fasching.
Zu Beginn diesesTatortssieht man Men-
schen tanzen, denen sonst schon die Rol-
len unter dem Bürostuhl genügend Bewe-
gungsfreiheit bedeuten. Man sieht Men-
schen, die andere Menschen bedrängen,
darunter welche, die besoffen irrglauben,
Kostüme könnten Charme und Charakter
ersetzen. Bei ihnen gehört zur Tracht die
Niedertracht, und ihre Camouflage legt
mehr offen, als sie zu verbergen hilft.
Der Film „Ich hab im Traum geweinet“
(Regie: Jan Bonny, Buch: ebendieser und
Jan Eichberg) spielt in diesem Dunst. Er
beginnt nicht mit einem Mord, sondern
mit dem, was Bonny einen „potenziellen
Mord“ nennt, einer hässlichen Schlägerei,
auf die formulierte Reue so unmittelbar
und noch im Affekt folgt, das sie kaum
echt sein kann: „Ich wollte das nicht.“
Fasnet zu feiern oder nicht, ist schon
Geschmackssache, anderen dabei zuzu-
schauen, noch seltener ein Gewinn. Das
schadet diesem Film in seinem ersten Drit-
tel, danach aber entwickelt sich ein fast
nachtdunkles, sehenswertes Drama um
Rausch und Bedrohung und Wollust. Ge-
tragen wird es von der herausragenden
Musik von Jens Thomas und von bemer-
kenswerten Einzelleistungen wie die von
Darja Mahotkin und Andrei Viorel Tacu.
Mahotkin spielt Romy Schindler, die ein-
mal im Escort arbeitete und heute als
Schwester in einer Schönheitsklinik, Tacu
ihren neuen Freund, der sehr wohl ahnt,
dass die Schatten und auch die Männer
der Vergangenheit noch immer mächtig
wirken. Die Zweierbeziehung zwischen
diesen beiden Figuren trägt den Film
mehr als die zwischen den Kommissaren
Tobler (Eva Löbau) und Berg (Hans-Jo-
chen Wagner). Für beide aber gelten die
wunderbaren Zeilen Zarah Leanders, die
über die BandBringsund nicht zufällig zu
einem Klassiker des Karnevals geworden
sind: „Es ist ja ganz gleich, wen wir lie-
ben / Und wer uns das Herz einmal
bricht. / Wir werden vom Schicksal getrie-
ben / Und das Ende ist immer Verzicht.“
Das Ende ist oft auch im Kleinen Ver-
zicht. So gesehen in eigener Sache: Meine
Dienstzeit an der Seite der wunderbaren
Kollegen Claudia Tieschky und Holger
Gertz endet mit dieser Ausgabe derTatort-
Kolumne, es übernimmt die wunderbare
Kollegin Theresa Hein. Wären wir hier in
der Fastnacht, man müsste fast fragen:
Wolle mer se reinlasse?


Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.


Journalisten sind nicht dazu
da, Politikern oder wem auch
immer von Nutzen zu sein

44 MEDIEN Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020, Nr. 44 DEFGH


Investigativ


„Tödliche Geheimnisse – Das
Versprechen“ mit Anke Engelke

The Young Pope


„Ich bin gerannt“


Paolo Sorrentino legt Staffel zwei seiner Vatikan-Serie vor. Ein


Gespräch über Schönheit, Urteile und die katholische Kirche


von cornelius pollmer

Fast Nacht


Folge 7/2020
Kommissar/in: Berg/Tobler

TATORTKOLUMNE

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