Margit Auer:
Hier kann ich beide
Seiten verstehen. Die
Zeit nach einer Geburt
ist sehr anstrengend
und die Bedürfnisse
ändern sich. Als Mut-
ter sehnt man sich am
meisten nach ein paar Stunden Schlaf
am Stück. Die Punkte „Ausgehen“
oder „Verreisen“ steht nicht so weit
oben auf der persönlichen Hitliste.
Trotzdem finde ich es nett von Ihrem
Mann, dass er Sie mal wieder „für
sich“ haben will. Vielleicht beginnen
Sie mit einer kleineren Unterneh-
mung? Theater, Kino, eine Übernach-
tung in einem Hotel, das Sie beide mö-
gen? Es muss ja nicht gleich der Zwei-
wochentrip nach Kalifornien sein.
Wenn die Oma die beiden Kinder
nimmt, finde ich das super. Nutzen Sie
das nette Angebot. Das hat den Vorteil,
dass sich alle schon mal an das Arran-
gement gewöhnen. Irgendwann kom-
men die Kleinen in die Fremdelphase
und schlafen nicht mehr so gern außer
Haus. Wenn Sie innerlich so weit sind,
ist die Übernachtungsfrage bereits ge-
klärt, und Sie und Ihr Mann starten
richtig durch!
Herbert
Renz-Polster:
Man ist keine Glucke,
wenn man sich um
sein Kind gut küm-
mert. Und Sie sind, so
nehme ich an, bisher
die direkte Bezugsper-
son Ihres Babys, da wäre eine Tren-
nung für die Entwicklung des kleinen
Kindes ein Rückschlag. Kleine Kinder
brauchen bei eventuellen Trennungen
gut eingespielte Übergänge zu ande-
ren Pflegepersonen, wenn ihre innere
Sicherheit nicht leiden soll. Dabei ver-
stehe ich Ihren Mann gut: Es soll mal
endlich wieder so werden, wie es vor-
her war (ich hatte als junger Vater ähnli-
che Hoffnungen). Wird es aber nicht.
In der Familie gibt es immer nur ein
neues Leben, und langfristig tragen
nur Lösungen, wenn sie nicht einen
der Beteiligten außen vor lassen. Ich
glaube, Sie spüren das und haben kein
gutes Gefühl. Wäre das dann über-
haupt der Urlaub, den Sie sich wün-
schen? Böte sich da nicht eher die Su-
che nach eher alltäglichen Inseln der
Zweisamkeit an? Also: die gemeinsa-
me Suche, denn Sie haben ja bestimmt
auch Ihre eigene Vorstellung von Zwei-
samkeit?
Collien Ulmen-Fernandes:
Der Begriff der Glucke wird ja gerne als
Kampfbegriff verwendet, und hier leh-
ne ich ihn entschieden ab, weil das Um-
sorgen eines viermonatigen Kindes
nichts ist, was man mit Kampfbegrif-
fen belegen sollte, im Gegenteil. Die
ersten Monate sind die
Zinnmine des Eltern-
daseins. Da muss man
einfach durch und
„hart arbeiten“. Statt
Begriffen wie „Glu-
cke“ würde ich Ihnen
eher gerne einen Cou-
pon für etwas Schlaf zukommen las-
sen. Da ihr Kind wirklich noch so win-
zig ist, halte ich auch den Wunsch nach
einer Auszeit von Seiten Ihres Mannes
definitiv für viel zu früh. So etwas
kann man sagen, wenn das Kind zwei
ist oder so. Jetzt wirkt es eher wie die
Karikatur eines gestressten Vaters. Er
sollte wissen, dass er nicht allein ist,
dass es allen Vätern und Müttern so
geht und dass dann alles einfacher
wird, wenn das Kind weniger schreit
und mehr kommuniziert. Ihr Kind
braucht Sie. In diesem Alter sollten Sie
es auf gar keinen Fall für ein paar Tage
weggeben. It’s a hard knock life!
Margit Auerist die Autorin der Kinderbuch-Best-
seller-Reihe „Die Schule der magischen Tiere“,
die inzwischen mehr als zwei Millionen Mal
gedruckt und in 22 Sprachen übersetzt wurde.
Sie hat drei Söhne, die fast alle schon erwach-
sen sind, und lebt mitten in Bayern.
Herbert Renz-Polsterist Kinderarzt, Wissen-
schaftler und Autor von Erziehungsratgebern
und des Blogs „Kinder verstehen“. Er hat
vier erwachsene Kinder und lebt mit Frau
und jüngstem Kind in Ravensburg.
Collien Ulmen-Fernandesist Schauspielerin
und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter
beschäftigt sich immer wieder in Texten mit
dem Thema Elternsein, 2014 erschien von ihr
das Buch „Ich bin dann mal Mama“.
Haben Sie auch eine Frage?
Schreiben Sie eine E-Mail an:
[email protected]
FAMILIENTRIO
Wir haben vor vier Monaten
ein kleines Mädchen bekommen.
Es ist unser zweites Kind, und es ist
ziemlich anstrengend, schläft wenig
und schreit viel. Mein Mann möchte
nun sehr gerne alleine mit mir
verreisen und seine Frau mal
wieder „für sich haben“. Meine Mutter
würde die Kinder nehmen, aber ich
mag mich von der Kleinen eigentlich
nicht trennen. Bin ich eine Glucke?
Sylvia R. aus Königstein
von barbara vorsamer
E
in weißes Mehrfamilienhaus im
Kölner Speckgürtel, die Küche
geht direkt in das Ess- und
Wohnzimmer über, wie bei Neu-
bauten üblich. Der Blick geht in
den verkruschten Garten hinaus, vor der
Terrassentür liegt ein Haufen Crocs. Stefa-
nie und Oliver Richter bitten an den Kü-
chentisch. Beide tragen Hausschuhe, beide
bieten Ingwertee an, es ist offensichtlich:
Sie sind hier zu Hause, keiner ist zu Gast.
Dass sie gemeinsam in der Küche sitzen,
kommt dennoch sehr selten vor. Sie woh-
nen zwar hier mit ihren Kindern, die neun
und zwölf Jahre alt sind, aber nie gleichzei-
tig. Montags und dienstags schläft der Va-
ter in der Familienwohnung, mittwochs
und donnerstags die Mutter, zusätzlich
übernimmt die Lehrerin an allen Nachmit-
tagen unter der Woche die Betreuung der
Kinder. Ihre Namen sollen nicht in diesem
Text stehen. An den Wochenenden wech-
seln sich Mutter und Vater ab. Seit etwa ein-
einhalb Jahren geht das nun schon so.
„Nestmodell“ heißt diese Form des Zusam-
menlebens. Die Kinder bleiben in ihrem
Nest, die Eltern fliegen abwechselnd ein.
Seit wann sie kein Paar mehr sind, dar-
über sind sich die Richters nicht einig, ge-
nauso wenig wie über die Frage, von wem
die Trennung ausging oder wer die Idee für
das Nestmodell hatte. Spricht man dar-
über, wirken beide angefasst. Stefanie Rich-
ter, 44, murmelt in ihre Teetasse, Oliver
Richter, 48, krault sich abwesend den Bart.
Wie war das alles noch einmal und wann
passierte was? Ihre Liebe wurde fast unbe-
merkt verdrängt von all dem anderen, was
ziemlich viel sein kann, wenn man Kinder
hat und zwei anspruchsvolle Jobs, dazu
noch Hobbys, politisches Engagement,
Freunde. Weil es aber irgendwie normal ist,
nach langer Zeit nicht mehr ständig vor
Sehnsucht zu vergehen, bemerkten sie gar
nicht, dass etwas fehlte. Die Streitereien
nahmen zu, die Romantik ab, und die Rich-
ters standen vor der Frage: Sind wir noch
ein Paar? Oder nur noch Mutter und Vater?
Als Eltern aber bleibt man verbunden,
ob man will oder nicht, und die Richters
wollten, sehr sogar. Als Oliver Richter also
im September 2018 nach Monaten auf der
Wohnzimmercouch in eine kleine Drei-
Zimmer-Wohnung etwa einen Kilometer
entfernt zog, war für ihn klar, dass er weiter
für seine Kinder da sein wollte. Stefanie
Richter schreckte vor allem wegen der Kin-
der vor endgültigen Schritten zurück. Und
diese hatten, als die Streits zwischen den
Eltern immer lauter wurden, große Ängste
vor einer Trennung geäußert. Angst, umzie-
hen zu müssen, Angst, die vertraute Umge-
bung und die Freunde zu verlieren. Und
weil die Wohnung eine teure Eigentums-
wohnung ist, erst kurz nach Geburt des ers-
ten Kindes gekauft und noch lange nicht ab-
bezahlt, erschien es als die einzige sinnvol-
le Lösung, dort wohnen zu bleiben und nur
kein Paar mehr zu sein. Stefanie und Oliver
Richter wohnen nun abwechselnd in der
Nestwohnung, und – das ist in ihrem eh
schon besonderen Modell das noch einmal
Besondere – teilen sich auch die Zweitwoh-
nung, die Oliver Richter erst allein bewohnt
hat. Den Kredit bedienen sie weiter gemein-
sam, die 600 Euro Miete für die zweite Woh-
nung teilen sie durch zwei.
Für das Nestmodell entscheiden sich
nach der Trennung so wenige Menschen,
dass es gar keine Zahlen dazu gibt und Fa-
milien, die es leben, kaum zu finden sind.
Noch seltener sind nur Familien, die so ein
Zusammenleben über einen längeren Zeit-
raum durchziehen, für viele ist es nur eine
Übergangsvariante auf dem Weg zur Ver-
söhnung oder den endgültigen Auszug. Am
häufigsten ist nach Trennungen nach wie
vor das Residenzmodell. Hier haben die
Kinder ihren Lebensmittelpunkt klar bei ei-
nem Elternteil (meistens bei der Mutter)
und sehen den oder die andere (meistens
den Vater) mehr oder weniger häufig.
Politisch heftig diskutiert wird seit eini-
gen Jahren das Wechselmodell, bei dem die
Kinder zu gleichen Teilen bei beiden Eltern-
teilen wohnen. Nach einer Analyse des
Deutschen Jugendinstituts leben je nach Al-
ter zwischen zwei und acht Prozent der
Trennungskinder dieses Modell. Unter Ex-
perten ist es umstritten. Manche halten ei-
nen engen Kontakt zu beiden Eltern für un-
abdingbar für das Kindeswohl und wollen
das Wechselmodell als Standard im Famili-
enrecht verankern. Andere bezweifeln,
dass ein ständiges Pendeln zwischen zwei
Wohnsitzen gut für die kindliche Psyche
sei. Relativ einig ist man sich jedoch darin,
dass das gelebte Modell gar nicht das Ent-
scheidende ist – sondern das Konfliktni-
veau zwischen den Erziehungsberechtig-
ten. Anders ausgedrückt: Kommen Mutter
und Vater auch nach der Trennung einiger-
maßen miteinander klar und arbeiten auf
Elternebene gut zusammen, geht es den
Kindern gut. Gibt es dauernd Stress und
Streit zwischen den Großen, ist das
schlecht für die Kleinen. Egal, wie viele Ta-
ge sie genau bei wem verbringen.
Das sieht auch die Tochter der Richters
so: „Mir isses voll egal, ob Mama und Papa
zusammen sind oder nicht. Hauptsache,
ich seh sie ganz oft.“ Die Neunjährige trägt
eine schwarze Trainingshose, eine Smart-
watch am Handgelenk und zwei verschiede-
nen Socken an den Füßen. Sie ist extra frü-
her vom Reiten zurückgekommen, um zu
erzählen, wie super sie das Leben im Nest-
modell findet. Ihr zwölfjähriger Bruder hat
keine Lust, etwas zu sagen, er verschanzt
sich hinter seinem Handy. Also gibt Vater
Oliver dessen Haltung wieder: „Mein Sohn
hat große Konflikte mit seiner Mutter und
sagt deswegen immer mal wieder, er wür-
de gerne alleine mit mir wohnen.“ Viele el-
terlichen Konflikte drehen sich um die Fra-
ge: lange Leine oder kurze Leine? „Ich bin
der Erlaube-Papa, sie ist die Verbots-Ma-
ma“, erklärt Richter. Seine Ex-Partnerin
sagt: „Nachdem die Kinder ein langes Wo-
chenende mit dem Papa verbracht haben,
habe ich das Gefühl, bei allen Regeln wie-
der von vorne anfangen zu müssen.“
Doch unterschiedliche Vorstellungen
von Erziehung hatten die Lehrerin und der
IT-Berater schon immer. Trennung und
Nestmodell haben es nicht einfacher ge-
macht – aber auch nicht schwieriger, das sa-
gen beide. „Ich bin Pädagogin, war von An-
fang an konsequenter“, sagt Stefanie Rich-
ter, weswegen sich Oliver Richter oft wie
ein „Erziehungsgehilfe“ fühlte. Nun sind
beide meistens mit den Kindern alleine
und jeder regelt die Dinge eben, wie er
meint, anstatt ständig zu versuchen, sich
grundsätzlich gegen den anderen durchzu-
setzen. Dadurch können sie heute wieder
besser miteinander reden als noch vor
zwei, drei Jahren, als der Streit zwischen ih-
nen seinen Höhepunkt erreichte. Weih-
nachten 2019 feierten sie zusammen, inklu-
sive aller Eltern und Schwiegereltern. Im
Alltag aber sehen sich Stefanie und Oliver
Richter immer nur kurz, wenn Stabwech-
sel ist in der Hauptwohnung. Zu viert an ei-
nem Tisch sitzen sie nur, wenn eine Fami-
lienkonferenz notwendig ist, zum Beispiel
wegen des Handykonsums des Sohnes.
Es läuft also alles einigermaßen harmo-
nisch bei Familie Richter, vermutlich sind
sie darum die einzige Nestmodell-Familie,
die sich besuchen lässt. Man weiß von Fami-
lien, in denen es große Probleme mit dem
Modell gibt, die wollen aber nicht einmal te-
lefonieren. Eine andere Nestmutter aus der
Nähe von Hannover erzählt am Telefon von
den Belastungen, die das Modell mit sich
bringt. Zum Beispiel müsse sie weiterhin in
ihrer Woche gründlich putzen, weil ihr Ex-
Partner das eher nicht mache. Auch glaubt
Christine Wendel, dass organisatorische
Fragen mehr an ihr hängen. Sie findet die
ständige Packerei nervig, sagt aber dazu:
„Wir Erwachsene haben es vermasselt, also
müssen wir es ausbaden.“ Beim Wechsel-
modell mute man die Pendelei ohne mit
der Wimper zu zucken den Kindern zu, das
findet sie falsch. Wie ihr Ex-Partner all das
sieht, weiß man nicht. Er ist nicht bereit zu
einem Gespräch. Das ist die Krux bei The-
men wie diesen: Nur Familien, bei denen es
gut läuft, sind bereit, über ihr Leben öffent-
lich zu sprechen. Aus der relativ heilen Welt
der Richters zu schließen, das Nestmodell
sei für alle eine gute Lösung, wäre falsch.
Was ist notwendig, damit es klappt?
„Ein hohes Bildungsniveau, viel Selbstre-
flexion, glaubt Oliver Richter. Man müsse
kommunizieren können, auf die Meta-Ebe-
ne gehen. „Man darf sich nicht hassen. Es
braucht Vertrauen, Respekt, Toleranz“,
fügt seine Ex-Frau hinzu. Oder seine Frau?
Auf dem Papier sind die Richters noch ver-
heiratet. Der IT-Berater spricht von seiner
„Elternkollegin“. Ein schönes Wort. Eben-
falls nötig für das Nestmodell ist das Geld
für zwei oder sogar drei Wohnungen. Doch
finanziell sehen die Richters für sich keine
günstigere Lösung. Das Residenzmodell
kommt nicht in Frage, beide wollen mit
den Kindern leben. Das Wechselmodell wä-
re noch teurer, dazu bräuchten sie zwei
gleich große Wohnungen.
Stefanie und Oliver waren füreinander
schon vieles. Sie kennen sich seit 1990, erst
nach ein paar Jahren Freundschaft wurden
sie ein Paar. Noch einmal mehrere Jahre
später kam das erste Kind. Im Rückblick
glauben sie, dass der Bruch mit den Kin-
dern und dem Umzug in die jetzige Nest-
wohnung begann. „Wir haben immer so
viel Wert auf unsere Unabhängigkeit ge-
legt, haben auch als Paar wie eine WG
zusammengelebt, jeder hatte sein eigenes
Zimmer und abends fragten wir: Zu dir
oder zu mir?“ Gerne wären sie dabei geblie-
ben, doch eine Fünf-Zimmer-Wohnung,
gar ein Haus? Zu teuer. Also eine Vier-Zim-
mer-Erdgeschosswohnung, der klassische
Familientraum mit einer Terrasse, die von
der Küche-Esszimmer-Wohnzimmer-Ein-
heit direkt in den Garten übergeht, zwei
kleine und ein etwas größeres Schlafzim-
mer, Bad, Toilette. Eine Konstruktion, in
der schnell alles zum Kinderbereich wird.
Die beiden kleinen Zimmer eh, das pink-
weiße mit Schleich-Pferden auf dem Fens-
terbrett bewohnt die Tochter, daneben der
Rückzugsbereich des Zwölfjährigen. Zum
Spielen, Malen, Fernsehen, Lernen halten
sich die Kinder aber auch viel in Küche und
Wohnzimmer auf und schlafen wollten bei-
de Kinder im Elternbett.
Wann und wo wäre Zweisamkeit mög-
lich gewesen? Irgendwann sahen die Aben-
de so aus, dass die Lehrerin am Küchen-
tisch ihren Unterricht vorbereitete, wäh-
rend sich ihr Mann mit dem Smartphone
auf die Terrasse zurückzog und im Netz
über Politik debattierte. „Früher haben wir
viel miteinander geredet“, sagt Oliver Rich-
ter. „Irgendwann haben wir damit aufge-
hört.“ Stefanie Richter stellt fest: „Für uns
als Paar hatten wir keinen Raum mehr.“
Und für sich als einzelne Person sowieso
nicht – die Familie forderte alles.
Ironischerweise haben die Richters die-
sen Raum jetzt. Zur Zweitwohnung geht es
zu Fuß eine Viertelstunde durch ein Wohn-
gebiet, dann steht man vor einem grünen
Genossenschaftshaus an einer vierspuri-
gen Ausfallstraße. Jeder hat dort ein eige-
nes Zimmer, das der andere nicht betritt.
Die Einrichtung im Rest der Wohnung ist
spartanisch, der Blick aus dem Küchenfens-
ter zeigt die hinteren Gärten einer Häuser-
reihe, in der viele Familien wohnen. Im
Sommer habe sie oft tieftraurig am Küchen-
tisch gesessen, sagt Stefanie Richter. Inzwi-
schen schätze sie die Zweitwohnung als
Rückzugsort, in dem sie arbeiten und für
sich sein kann. Beide glauben, dass das mit
der gemeinsamen Zweitwohnung auch des-
halb so gut funktioniert, weil sie sich schon
so lange kennen, auch, als sie noch nicht
ein Paar waren. Ob ihre Beziehung wohl ge-
halten hätte, wenn ihnen dieser Raum für
sich selbst in der alten Wohnung nie verlo-
ren gegangen wäre? Kann gut sein, sagt die
44-Jährige. Doch dass sie noch mal als Paar
zusammenkommen, glauben weder Oliver
noch Stefanie, dafür sei nun einfach zu viel
passiert.
Sie meint, noch nicht zu einer neuen
Partnerschaft bereit zu sein. Er erzählt,
dass er kürzlich auf einer Dating-Plattform
eine vielversprechende Bekanntschaft ge-
macht hat. Was er auch sagt: Für potenziel-
le neue Partnerinnen sei das Modell, das er
lebt, abschreckend. Mehr als eine hätte
ihm daraufhin eine Abfuhr gegeben und
ihm vorgeworfen, dass er noch nicht von
seiner Ex-Frau gelöst sei. Ob Familie Rich-
ter weiter das Nestmodell lebt, auch wenn
einer der beiden eine neue Beziehung ein-
geht, können die beiden noch nicht sagen.
Überhaupt wissen sie nicht, wie langfristig
ihre Konstruktion ist. „Vielleicht machen
wir das noch ein paar Jahre so, vielleicht
nur noch ein paar Monate“, sagt Oliver Rich-
ter, der sich auch das Wechselmodell gut
vorstellen kann. Zudem steht wohl früher
oder später die Scheidung an, was Fragen
nach der Eigentumswohnung, Umgangs-
rechten und Unterhaltspflichten nach sich
zöge. Manche Paare streiten sich über so et-
was jahrelang vor Gericht. Oliver und Stefa-
nie Richter wollen zunächst miteinander
klären, wie sie es machen wollen – ungeach-
tet ihrer juristischen Ansprüche. Und das
ist vielleicht ihr Erfolgsgeheimnis.
Wenn die Eltern es vermasseln,
warum sollten das die Kinder
ausbaden und pendeln?
Die Elternkollegen
Beim Nestmodell bleiben nach der Trennung
die Kinder in der Familienwohnung, Mutter
und Vater leben dann abwechselnd dort.
Klingt nach einer guten Idee. Ist es das auch?
Ein Besuch bei den Richters
Ob das Konstrukt auf Dauer
funktioniert? Die Richters
wissen das selber nicht
Nur wenige Familien leben das
Nestmodell. Nicht alle von
ihnen kommen gut damit klar
FOTOS: AUER,VERLAG, ANATOL KOTTE
Vater geht, Mutter kommt – und ein paar Tage später andersherum: So lebt es sich im Nestmodell. BILDCOLLAGE (SYMBOLBILD): STEFAN DIMITROV, FOTOS: MAURITIUS IMAGES
52 GESELLSCHAFT FAMILIE UND PARTNERSCHAFT Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020, Nr. 44 DEFGH