von jan stremmel
H
ipper kann man die braune
Knolle kaum inszenieren. Ei-
ne Showküche im Norden
Münchens, Kameramänner
in teuren Sneakern, eine Visa-
gistin, ein Dutzend Scheinwerfer. Vorne
halten ein Moderator und eine Moderato-
rin, bekannt aus dem Privatfernsehen, je-
der eine Kartoffel in der Hand und plau-
dern. Sie: „Du bist ja auch von deiner Her-
kunft her ’ne richtige Kartoffel, oder?“ Er:
„Absolut. Und du eher so ’ne Süßkartoffel.“
Die Kameraleute grinsen.
Im Hintergrund, auf einem Fenster-
brett, sitzt Johann Graf mit verschränkten
Armen und nickt. Hinter ihm geht der Blick
über die Hausdächer der Vorstadt, dahin-
ter verschluckt der Winternebel die grauen
Äcker. Graf weiß: schön leichte Böden. Die
Gegend zwischen Dachau und Erding ist
ideal für Frühkartoffeln, die Ende Februar
eingepflanzt werden. Zur Spargelzeit wer-
den sie geerntet – und dann hoffentlich
endlich wieder in großen Mengen gekauft.
Deswegen sitzt er hier.
Graf ist ein schlaksiger blonder Mann
mit zurückhaltendem Lächeln und Ober-
pfälzer Zungenschlag. Studierter Land-
wirt. Man merkt schnell: Die Welt der Kar-
toffeläcker ist ihm näher als die der TV-Stu-
dios. Aber er hat nun mal den Auftrag, das
Image der Knolle zu verbessern. Genauer
gesagt: das Image der „Bayerischen Kartof-
fel“. So heißt die Kampagne, die er leitet. Es
ist der Versuch, ein aus der Mode geratenes
Lebensmittel wieder neu zu beleben.
Deshalb lässt Graf hier im Studio Videos
für den nagelneuen Youtube-Kanal „Die
Bayerische Kartoffel“ drehen, den er in eini-
gen Wochen freischalten wird: eine Koch-
sendung, in der Sportler, Fernsehköche
und andere Prominente ihr Lieblingsre-
zept mit Kartoffeln vorstellen. Heute: geba-
ckene Kartoffel-Käse-Nester, „perfekt
zum Frühstück“.
Wenn er über seinen Plan spricht, be-
nutzt Johann Graf das schöne Wort „Kartof-
felkompetenz“. Die habe stark abgenom-
men über die vergangenen Jahrzehnte. Sie
gilt es nun zu erhöhen. Es klingt schwer zu
glauben – aber ausgerechnet das Lebens-
mittel, das historisch und kulturell so eng
mit Deutschland verwoben ist, dass es mit-
unter sogar als abfälliges Schimpfwort für
den Deutschen an sich verwendet wird,
steuert auf eine Krise zu.
Im Motor der europäischen Entwick-
lung war die Kartoffel über Jahrhunderte
ein wichtiger Treibstoff. 1537 entdeckten
Spanier sie in Kolumbien, brachten sie
zunächst als Zierpflanze nach Europa, we-
gen ihrer hübschen Blüte. Bald entpuppte
sie sich als Effizienzwunder: Sie wächst in
Regionen ohne viel Sonne, gedeiht auch
auf schlechten Böden. Ihr Ertrag pro
Fläche ist anderthalb mal so hoch wie der
von Getreide.
Man musste die Kartoffel nicht schro-
ten, mahlen oder zu Brot verarbeiten, um
sie genießbar zu machen. Es reichte, sie in
die Ofenglut zu legen, die in jeder Hütte
brannte. Friedrich der Große erließ für die
preußischen Sandböden seinerzeit den be-
rühmten „Kartoffelbefehl“, er zwang Bau-
ern, die neuartige Frucht anzubauen.
Wachstum, Industrialisierung, Wohlstand
- das Deutschland der Gegenwart wäre
kaum denkbar ohne die Kartoffel. Und
doch hat sie heute ein Problem. Die Deut-
schen essen sie weniger denn je. Und die
Konkurrenz ist härter geworden.
An einem grauen Wintermorgen steuert
Graf sein Auto in nördlicher Richtung aus
München hinaus. Es ist eine seiner typi-
schen Touren: Er besucht einen Bauern, ei-
nen Fritten-Hersteller, einen Verpackungs-
betrieb. Graf ist Referent beim Bauernver-
band, der die Kampagne der „Bayerischen
Kartoffel“ unterstützt – sein Job ist eine Mi-
schung aus Diplomat und Lobbyist. Er ver-
mittelt zwischen Landwirten und Händ-
lern und gibt eine Zeitschrift namens „Die
Kartoffel“ heraus. Er hat ein Kochbuch na-
mens „Die tolle Genussknolle“ zusammen-
gestellt. Und natürlich richtet er die jährli-
che Wahl zur Kartoffelkönigin aus. Oft
bringt er auf Events ein paar Glühweintöp-
fe mit, in denen er die bayerische Kartoffel
dünstet – um sie dann verdutzten Men-
schen einfach in die Hand zu drücken, in
der Schale, nur mit etwas Butter und Salz.
„Die sagen ausnahmslos alle: Wahnsinn.
Ganz vergessen, wie gut das schmeckt.“
Wer einen Tag mit ihm durch Bayern
fährt, blickt danach anders auf eine Land-
karte: Neuburg-Schrobenhausen ist das
Kernland der Speisekartoffel, die Böden
dort lassen sie besonders schön und nicht
zu groß werden. Mittelfranken ist bekannt
für Kloßteig und Schupfnudeln. In der
Oberpfalz sitzen die „Chipsleute“, wie Graf
sie nennt – dort steht die älteste Snackfa-
brik Deutschlands. Aus Schwaben, wo viele
längliche Sorten wachsen, kommen beson-
ders gute Fritten. Niederbayern wiederum
ist die Heimat der Exportkartoffel: Auf den
fruchtbaren Böden dort wird die Knolle so
groß, dass sie in Deutschland kaum ein
Kunde kaufen würde, „die Griechen und
Rumänen stehen aber drauf.“
Nach dem Krieg aßen die Deutschen
noch 186 Kilo pro Jahr und Kopf. „Was
gibt’s dazu?“, lautete ein Witz aus der Zeit:
„Gabeln.“ Seither ist der Konsum um ganze
zwei Drittel zurückgegangen – und davon
sind weit mehr als die Hälfte Fertigproduk-
te wie Pommes und Chips. Aus den Kartof-
felessern, wie Van Gogh sie vor 150 Jahren
malte, sind längst Nudel-, Reis- und neuer-
dings Quinoa-Esser geworden. Genau wie
in allen anderen Industrieländern. Wer die
Statistiken anschaut, erkennt: je höher das
Einkommen einer Gesellschaft, desto weni-
ger gefragt ist die Kartoffel. Sie scheint das
Gegenteil eines Statussymbols zu sein. Be-
liebter wird sie gerade nur in Entwicklungs-
ländern, in Afrika und Asien.
Zum Imageproblem kommt noch ein
weiteres: das Klima. Nach dem Dürresom-
mer 2018 fuhren Bauern die schlechteste
Ernte seit fast dreißig Jahren ein. Be-
kommt die Kartoffel während des Wachs-
tums nicht regelmäßig Wasser, „macht sie
einen Schmarrn“, wie Graf sagt: sie ver-
formt sich, wird als Speisekartoffel unver-
käuflich, ist irgendwann nicht mal mehr
für Kloßteig verwendbar. 2019 erholte sich
die Erntemenge etwas, dank großzügiger
künstlicher Bewässerung, lag aber immer
noch unterm Schnitt. Unter Landwirten
hat ein Wettlauf begonnen: Wer passt sich
den Wetterextremen am schnellsten an
und holt auch am Ende eines Dürresom-
mers eine gute Knolle aus dem Boden?
Graf stoppt seinen Wagen auf einem Hof
in der Nähe von Donauwörth. Der Bauer
heißt Ernst Schuhmann, er ist Chef der Er-
zeugergemeinschaft, zu der sich die Land-
wirte der Gegend zusammengeschlossen
haben. An seinem Scheunentor hängt ein
großes Blechschild: „Genuss aus der Regi-
on.“ Im Sommer stellt er solche Schilder
am Straßenrand auf seine Äcker. Die Men-
schen sollen das weiß-blaue Logo später
im Supermarkt wiedererkennen.
Das Paradoxe ist: In Zeiten der Klimakri-
se sollten eigentlich mehr Menschen Kar-
toffeln essen denn je. Für sie wird kein
Wald gerodet wie für Soja. Sie müssen
nicht importiert werden wie Reis. Deutsch-
land kann seinen Bedarf aus eigener Her-
stellung decken. Sie werden meist nicht
mal über weite Strecken gefahren: Der
Packbetrieb und die Pommes-Fabrik, an
die Bauer Schuhmann seine Kartoffeln lie-
fert, liegen keine halbe Autostunde vom
Hof entfernt. Lokal, saisonal, klimafreund-
lich: Viele Forderungen der „Friday for Fu-
ture“-Demonstranten erfüllt die Knolle
schon seit Jahrhunderten.
Dazu kommt: Sie ist reich an Nährstof-
fen, „fast isotonisch“, sagt Graf gerne. Man
könnte sie Superfood nennen, wäre das
Wort nicht so von der Werbung verschlis-
sen, wo man es besonders gerne für Klima-
killer wie Avocados verwendet.
Spricht man mit Menschen, die seit Jahr-
zehnten in der Branche sind, datieren eini-
ge den Tiefpunkt auf 2003. Damals gaben
die Deutschen in Umfragen an, worauf sie
im Supermarkt am meisten achteten: den
Preis. Es war das Jahr, nachdem der Elek-
tronikmarkt Saturn seinen Werbeclaim
„Geiz ist geil“ gestartet hatte. Auch Kartof-
feln mussten billig sein – Herkunft egal.
Seitdem hat sich der Zeitgeist gewan-
delt. Die Qualität ist den Deutschen heute
wichtiger denn je. Auch deshalb sucht man
in der Lebensmittelbranche jetzt überall
die Rettung in der Regionalität. Aber die
Konkurrenz hat Vorsprung.
In Niedersachsen, dem größten Kartof-
felland der Republik, wird aufgrund
schlechter Böden schon seit Jahrzehnten
künstlich bewässert. Deshalb leidet die Kar-
toffel dort nun weniger unter den trocke-
nen Sommern als in Bayern. Fällt die nie-
dersächsische Ernte aber deutlich besser
aus als die bayerische, wie zuletzt, sinken
die Preise, die die Supermärkte den Bauern
zahlen, auch in Süddeutschland. Die Kon-
kurrenz zwischen Nord und Süd macht den
Landwirten zu schaffen.
„Wir können da weiter zuschauen und
jammern und schimpfen“, sagt Johann
Graf. „Oder wir versuchen, Lust auf unsere
eigenen Kartoffeln zu machen.“ Er sitzt
jetzt bei Bauer Schuhmann am Esstisch, es
gibt Butterbrezen und Filterkaffee. Die
Idee hinter dem Magazin, den Ackerschil-
dern und dem Youtube-Kanal, sie geht so:
Der Kunde muss Lust speziell auf bayeri-
sche Kartoffeln bekommen. Wenn er dann
bereit ist, dafür auch ein wenig mehr zu zah-
len, können die Niedersachsen ihre Knol-
len noch so billig auf den Markt werfen –
der Preiskampf wäre ausgehebelt. „Wir
sind wieder wer, darum geht’s“, sagt Schuh-
mann. „Und wenn’s mal nicht gut läuft, fal-
len wir nicht mehr hinten runter.“
Ein paar Wochen später wiegen sich vor
dem Messezentrum Berlin riesige aufblas-
bare Birnen und Orangen im Wind. Sie wer-
ben für ihre Herkunftsländer: Italien und
Marokko. Für die Obst- und Gemüsebran-
che sind das die drei wichtigsten Tage des
Jahres: Auf der Fachmesse Fruit Logistica
entscheiden sich Kunden aus 130 Ländern,
welche Sorten sie im nächsten Jahr kaufen.
Zu den Problemen der Kartoffel auf dem
heimischen Markt kommt die Konkurrenz
im Ausland. Allen voran die Franzosen hät-
ten zuletzt massiv in Optik und Marketing
investiert, sagt Graf: „Die haben schöne
Kartoffeln, glänzende Kartoffeln.“ Dazu
hätten sie auf Messen riesige Stände aufge-
baut, um die Importeure zu beeindrucken.
Die bayerischen Bauern standen an einzel-
nen Ständen daneben und mussten zuse-
hen, wie Einkäufer aus Rumänien oder Itali-
en ihre Ware fortan aus Frankreich bezo-
gen. So kam ihnen die Idee, sich zur Wehr
zu setzen – mit einer eigenen Offensive
und einem eigenen Logo. Die Geburtsstun-
de der „Bayerischen Kartoffel“.
Der Stand der Bayern ist dieses Jahr der
größte in Halle 21, er thront mittendrin.
Kellnerinnen mit Dirndl und echtem Dia-
lekt servieren Weißwürste. Ein Marokka-
ner im Anzug erkundigt sich, wo er hier ei-
nen Erzeuger von Chipskartoffeln finde.
Ein fränkischer Bauer raunt augenzwin-
kernd: „Die Jahre mit schlechter Ernte sind
die besten für die Messe.“ Dann ist die Nach-
frage hoch, der Export brummt.
Johann Graf plaudert derweil mit einem
Oberpfälzer Knödelhersteller. Beide sind
guter Dinge. Der diesjährige „Kartoffelbe-
richt“ des Landwirtschaftsministeriums
macht Mut. Er meldet, dass der Pro-Kopf-
Konsum von Kartoffeln in Deutschland auf
gut 60 Kilo gestiegen ist. Zweieinhalb mehr
als im Vorjahr. Ob das auch an der Kampa-
gne liegt? Schwer zu sagen, natürlich. Aber
das erste Video auf dem Youtube-Kanal,
den Johann Graf ein paar Tage vorher ein-
gerichtet hat, „Reiberdatschi mit der Bay-
erischen Kartoffelkönigin“, wurde schon
mehr als 100000-mal angeschaut.
Im Winter vor 14 Jahren lag eine Atmosphä-
re der Hoffnungslosigkeit über der konser-
vativen Elite Japans. Denn die Kaiserfami-
lie war vom Aussterben bedroht. Immer
noch wartete sie auf einen neugeborenen
Sohn, der eines Tages als Tenno, als obers-
ter Shinto-Priester und Symbol des Staa-
tes, den Chrysanthementhron in Tokio be-
steigen könnte. Kronprinz Naruhito, der äl-
tere Sohn des Kaisers Akihito, und seine
Frau, Prinzessin Masako, hatten 2001 end-
lich ihr erstes Kind bekommen: Aiko, ein
Mädchen. Aber das brachte für die Erbfol-
ge nichts, weil die Gesetze des Hofamtes
keine Kaiserin erlauben – und mittlerweile
war Masako weit über 40.
Seit 1965, seit der Geburt von Naruhitos
jüngerem Bruder Fumihito, war kein Jun-
ge mehr ins Kaiserhaus geboren worden.
So groß war die Verzweiflung, dass Premi-
erminister Junichiro Koizumi eine unerhör-
te Reform des Hofes ankündigte: die Ab-
schaffung des Frauenverbots in der Erbfol-
ge. Für Japans Nationalisten war das eine
Art Weltuntergang.
Die Reform ist dann nicht gekommen.
Wenige Wochen nachdem Koizumi sie an-
gekündigt hatte, wurde bekannt, dass Fu-
mihitos Frau, Prinzessin Kiko, damals 39,
zwölf Jahre nach der Geburt ihrer jüngeren
Tochter wieder schwanger sei. Jubelnde
Schlagzeilen schmückten die Boulevardzei-
tungen, als am 6. September 2006 tatsäch-
lich ein Sohn zur Welt kam: Hisahito. Ein
künftiger Kaiser. Ein Wunder. Japans Nati-
onalisten fühlten sich von den Göttern be-
stätigt.
Aber die Debatte um Frauen auf dem
Thron ist aktuell geblieben. Gleichstellung
gehört nun mal zum Zeitgeist, auch in Ja-
pans Machogesellschaft, die schon deshalb
nicht auf starke Frauen verzichten kann,
weil sie Überalterung und Arbeitskräfte-
mangel plagen. Dass sich die älteste Erb-
monarchie der Welt von Wunder zu Wun-
der hangelt, finden viele auch keinen guten
Zustand. Und erst recht nicht, dass ein Bub
von 13 Jahren die Last der Erbfolge prak-
tisch allein schultern muss. Akihito, 86, hat
im vergangenen Jahr abgedankt, Naruhito,
59, ist jetzt Kaiser. Fumihito, auch Kron-
prinz Akishino genannt, ist sein legitimer
Nachfolger. Im April wird er in einer Zere-
monie als solcher ausgerufen. Aber Fumihi-
to ist 54. Allen ist klar: Nur Hisahito kann
derzeit das Aussterben der japanischen
Erbmonarchie verhindern.
Nach Fumihitos Kronprinzenzeremonie
dürfte die Regierung von Premierminister
Shinzō Abe deshalb bald einen konkreten
Plan für die Zukunft des Kaiserhauses vor-
legen. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich
eine Arbeitsgruppe mit dem Thema, be-
fragt Fachleute und lotet die Möglichkei-
ten aus. Im Frühjahr sollen diese Befragun-
gen abgeschlossen sein, dann wird eine Ex-
perten-Kommission über die Ergebnisse
befinden. Gut möglich, dass sie sich für ein
Ende des Frauen-Tabus ausspricht. „Die
Diskussionen sollen in einer ruhigen Atmo-
sphäre stattfinden“, sagt Shinzō Abe in der
Japan Times. Er beharrt nicht ohne Grund
auf einem sachlichen Ton. Im vergangenen
Oktober hat eine Umfrage der Nachrichten-
agentur Kyodo zwar gezeigt, dass 81,9 Pro-
zent der Japanerinnen und Japaner eine
Frau auf dem Thron befürworten. Aber ge-
rade in Abes Regierungspartei LDP, die un-
ter seiner Führung weiter nach rechts ge-
rückt ist, sind weiterhin viele strikt dage-
gen. Lieber wollen sie frühere Mitglieder
der Kaiserfamilie, die nach dem Zweiten
Weltkrieg ihren Status verloren, wieder ein-
gliedern.
Japans Kaisergeschlecht blickt auf eine
sehr lange Geschichte zurück. Sie beginnt
660 vor Christus mit Jimmu, dem ersten
Kaiser, der nach dem japanischen Grün-
dungsmythos ein direkter Verwandter der
Sonnengöttin Amaterasu war; Naruhito ist
nach offizieller Zählung der 126. Tenno.
Lange war die Nachwuchsfrage kein Pro-
blem für die Familie. Denn sie war groß,
umfasste mehrere Nebenlinien, außerdem
durfte der Kaiser Beziehungen zu Konkubi-
nen haben, aus denen auch der eine oder
andere Thronfolger entsprang. Und: Söhne
wie Töchter der männlichen Linie konnten
den Thron besteigen. Acht regierende Kai-
serinnen hat es zwischen 593 und 1771 gege-
ben, ehe das neue Hofamtsgesetz von 1889
Frauen auf dem Thron untersagte. Vor al-
lem die Anhänger des damaligen macht-
hungrigen Kaiserreiches Japan beharren
heute auf der rein männlichen Thronfolge
- dabei ist die Tradition von Frauen im
Amt viel älter.
Die aktuellen Gesetze setzen die Mitglie-
der der kaiserlichen Familie enorm unter
Druck. Naruhitos Frau Masako hat das
wohl am heftigsten gespürt. Als sie 1999
zum ersten Mal schwanger wurde, begleite-
ten Medienvertreter so gut wie jede Fahrt
zum nächsten Arzttermin. Es folgte eine
Fehlgeburt. Später wurde Masako krank.
„Stressinduzierte Anpassungsstörung“,
lautete die veröffentlichte Diagnose. Und
der Stress kam eindeutig nicht nur von den
Medien. 2004 sagte Naruhito mit Blick auf
das Hofamt: „Es gab Entwicklungen, die
Masakos Karriere und ihre Persönlichkeit
verleugnet haben.“
Als Kaiser darf Naruhito öffentlich keine
Position beziehen, deshalb ist nicht be-
kannt, ob er für oder gegen Frauen auf dem
Thron ist. Möglicherweise würde er seiner
Tochter Aiko das Amt gerne ersparen. Aber
er gilt beim Thema Gleichstellung als fort-
schrittlich. Außerdem gab es einen bedenk-
lichen Vorfall in der Mittelschule der Ocha-
nomizu-Universität, auf die Prinz Hisahito
geht. Im vergangenen April brach ein
Mann in die Schule ein und platzierte zwei
Küchenmesser auf Hisahitos Schulbank.
Der Mann wurde verhaftet. Die Polizei
sagt, er sei ein Kritiker des Kaiserhauses
und habe Hisahito erstechen wollen. Der
Prozess läuft, der Angeklagte hat gestan-
den. Und jeder dürfte erkennen, wie gefähr-
lich es ist, wenn das Schicksal eines Kaiser-
geschlechts am Leben eines einzigen Jun-
gen hängt. thomas hahn
Vor allem die Franzosen haben
zuletzt in Optik und Marketing
ihrer Knollen investiert
Die Kartoffel ist das Gegenteil
eines Statussymbols. Wer Geld
hat, isst heute lieber Quinoa
Es ist ein Mädchen!
Japan diskutiert über die Möglichkeit, künftig auch mal eine Frau auf den Kaiserthron zu setzen
Knolle Idee
Die Kartoffel leidet unter
dem Klimawandel – und ihrem
biederen Image. Jetzt soll sie sexy
werden. Aber wie geht das?
DEFGH Nr. 44, Samstag/Sonntag, 22./23. Febraur 2020 GESELLSCHAFT 51
Ein Thronfolger allein kann
das Aussterben der
Monarchie nicht verhindern
Verhinderte Kaiserin: Noch darf Prinzessin Aiko (links neben ihrer Mutter Masa-
ko) ihrem Vater Naruhito nicht auf den Kaiserthron nachfolgen.FOTO: IMAGO/KYODO NEWS
Das Image der bayerischen
Kartoffel muss besser
werden. Die entsprechende
Marketingkampagne
beinhaltet selbstverständlich
auch die jährliche
Wahl einer Kartoffelkönigin.
FOTOS: IMAGO/BLICKWINKEL, BAYERISCHE
KARTOFFEL