Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.03.2020

(vip2019) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton DONNERSTAG, 5.MÄRZ 2020·NR.55·SEITE 9


D

ieseEntscheidung des Biele-
felderAmtsgerichtswar so
absehbar, wie sie imÜbrigen
auch nurrichti gist: DieBeschlagnah-
me vonPlakaten, mit denen diePartei
„Die Partei“ in der ostwestfälischen
Stadtgegen rechtsext remistische Auf-
märsche Front gemacht hatte, war
rechtswidrig.Wenn mandie Vermu-
tung hinzufügt, dassder verlänger te
politis cheArm des FrankfurterSatire-
magazins„Titanic“der Entscheidung
gelassenentgegengesehenhabendürf-
te,dann steckt man schon mitten in
derMaterie, mit der es dasGericht zu
tunhatte. DennkommenRechtsfin-
dungund-sprechungschongrundsätz-
lich ohne Sprachkritikkaum aus, so
warensie hie rineinembesonders
augenfälligenMaßdaraufan gewiesen.
EinPartei-Plakat trug dieAufschrift
„Nazistöten“. Ganzrichtig er kannte
dasGericht,dass,wassichwieeinePa-
role odergarwie ein eAufforderung
lesen mag,genaus ogut oder sogar viel
wahrscheinlichereine Beschreibung
derWirkli chkeit seinkann,bei der
„Nazis“ nicht das Objekt, sonderndas
Subjektsind, wozumanzumalimLich-
te derHanauer Massenmorde weiter
nicht ssagen muss. Diese auch ohne
sonderliche sprachwi ssenschaftliche
SchulungeinsehbareDoppelsinnig-
keit genügte demGericht offenbar,
dasPlakatals legal einzuschätzen und
es dabei den „Nazis“ zu überlassen,
sichdurch eigene Objektzuweisungin
der Opferrollezusehen. Das andere
Plakat „Hierkönnte ein Nazi hängen“
warein Konter gegendie neonazisti-
sche Behauptung„Wirhängennicht
nur Plakate“. Letztere istunschwer als
Drohungzubegreifen, die,ebenfalls
im Lichtevon Hanau, niemand mehr
unterschätzen sollte.Hier ist, wie
obenbeim verlängerten politischen
Arm,dasStilmittelderMetonymiegel-
tend zu machen.Eshandeltsichum
einevomSprecherinal lerRegelschon
automatisch,unbewusstvorgenomme-
ne Bedeutungsverschiebung, beiwel-
cher de rUrheber einerSache fürdiese
selbs tsteht undgenannt wird:Kein
„Nazi“wirdoder kann „hier“,wo jetzt
das satirische Plakathängt ,hängen,
sonderneinvoneinem„Nazi“angefer-
tigtes Plakat –wie ja eben,Musterbei-
spielefürMe tonymie, auchnirgendwo
ein Rembr andt an derWand hängt
und kein Shakespeare gelesenwird,
sondernnur einvonjenemgemaltes
Gemäldebeziehungsweiseeinvondie-
sem geschriebenesWerk. DieDoppel-
sinnigkeitbeziehungsweise Unklar-
heit derPlakate waralso unmissver-
ständlich.Sogesehen,kann man sa-
gen, das sdas für einesosatiregeschul-
te Pa rtei und derenVorsitzendenSon-
nebor neinsoleichtwieverdienterma-
ßen errungener Sieg ist. Wiedilettan-
tischwirkt dagegen derLinken- Vor-
sitzende Riexinger, welcher ,wie ges-
tern schon in dieserZeitung berichtet,
dieÄußerung einerGenossin,dermal-
einstwerde man ein Prozent der„Rei-
chen“erschosse nhaben, mit satiri-
sche mUnderstatementüberbietend
kommentierte –„Wirerschießen sie
[dieReichen ;dieRedaktion]nicht ,wir
setzen sie schon für nützlicheArbeit
ein“–und hinterherbedauerte,erhät-
te „sehr viel unmissverständlicher sein
müssen“. Merke, Linke:Beim Kom-
mentierenalles unklar oder spaßhaft
Gesagten kannman manchmal gar
nicht klarund erns tgenug sein.

Doppelsinn


VonEdo Reents

E


ssind kleine, opakeÖlbilder,
die an den langenWänden des
Fridericianums wie Lebenszei-
chen versammelt sind. Beschei-
den in denFormaten, drängt es diese Bil-
der,wie man sofortspürt, zur Mitteilung.
SymboleundChiffrenfügensich,dichtge-
malt undgespachtelt, zu einerAbstrakti-
on, die ausgesprochen erzählerischist,je-
doch,wennmanihr eBedeutungenverste-
hen möchte, in ihrenFormen verschlüs-
selt und hermetischerscheint, weshalb
die wenigen Werke, die mitTiteln verse-
hen sind, immerhin ansatzweise Aus-
kunftgeben: „Sign of the Hermaphrodi-
te“heißt eines dieser Gemäldevon1953,
„The Penetrator“ ein anderes aus dem
Jahr 1967.
AndereWerke nähernsichdemGegen-
stand an, zum Beispiel die Silhouetteei-
ner Figur ,die –romantischwie der
MönchamMeer –inkraftvollem Rot vor
einer WeiteinGrün steht, das sichinder
Fernelicht et,während seitlicheine Farb-
zungeinGrauins Bildragt: Festland viel-
leicht, jedenfalls eineForm,die der Phan-
tasiedesMalersentsprungenwar. Materi-
albetont und komprimiertimFarbauf-
trag, ohne jeglichevordergründigeEle-
ganz wirkt die Handschrift dieser Gemäl-
de ebensorohund stimmig wie ihreRah-
mung durch verwitter te Holzleisten–
Treibgut, das ihrUrheber, der Texaner
ForrestBess,am GolfvonMexikoaufgele-
sen hatte. Dortverdienteersichals Fi-
scher und mit demVerkauf vonAngelkö-
derneine Existenz amRande der Armut
undschufinselbstgenügsamerAbgeschie-
denheit bis zu seinemTodimJahr 1977
ein OEuvrevon etwa zwei hundertBil-
dern,studierte dabei die Schriftenvon
C.G.Jungundvertiefte sichinerotis ch-ri-
tuelle Praktiken indigenerVölker.
Dieser denkwürdigeMaler wurde hier-
zulandeeinmalvordreißig Jahren imKöl-
ner MuseumLudwig gewürdigt, in den
VereinigtenStaaten hat ihn derKünstler
RobertGober 2012 imRahmender Whit-
neyBiennale wiederentdeckt, worauf
sicheine Tournee mit Einzelausstellun-

gen(„Seeing Things Invisible“) an-
schloss, dievonder angesehenen Menil
Collection in Houstonihren Ausgang
nahm–das Sammlerpaar De Menilwar
schon früh auf das sonderbareOEuvre
aufmerksam geworden, das eines der un-
gewöhnlichsteninden VereinigtenStaa-
tendes vorigenJahrhunderts genannt
werden darf. Ein malerischesWerk,das
offenbar die mehrereJahrzehntewähren-
de Isolation brauchte, um einer inneren
Missionfolgen zukönnen.
Sie er kannteder 1911 in BayCity gebo-
rene Maler darin, seinervonihmselbstals
rätselhaftempfundenen Existenz als Ho-
mosexueller inchiffrierten BildernAus-
druc kzuverleihen. Späterrealisierte er
den verwegenen Plan, sich in einen „Pseu-
do-Hermaphroditen“ zuverwandeln. Da-
für legteeri nden fünfziger Jahrenchirur-
gischHandansichselbstundließsichspä-
ternocheinmal professionell operieren.
Sein Begehren hatteder Künstler in Ideen
zu Papier gebracht, die er seine„Thesis“
nannteund die leiderverlorengegangen
ist. In zahlreichen Briefen lassen sichim-
merhin deren Grundzügenachvollziehen
–Bessbeanspruchteein Rechtauf quee-
resDasein undgenderbezogene Selbstbe-
stimmung,fürdieer,schongarinderte xa-
nische nProvinz,aufVerständnis nichthof-
fenkonnte.Vondem androgynen Dasein
erwarteteersichzusätzliche Lebensener-
gieundeinerealeVerlängerungseinesLe-
bens. Nicht zuletztkönne eine kriegeri-
sche Menschheit nur durch Liebe kuriert
werden. Diese Obsessionen dienten als
künstlerischesStimulans. Sichselbstund
sein Schicksal empfand Bessals gesell-
schaftliches Modell, alsAvantgarde.Wie
immer man zumTerminus „Outsider Art“
steht, ein AußenseiterwarBesszweifellos
und ein tragischerKünstler zumal. Der
deshalb durchaus nichtvonder Kunstwelt
übersehenworden wäre.
In San AntoniowarBessimHerbst
1949BettyParsonsbegegnet,seinerzeitne-
ben Peggy Guggenheimdie Autoritätun-
terden NewYorkerGaleristenschlechthin
–Parsonswarspontan überzeugt undgab

Bessbis in die sechziger Jahrenicht weni-
gerals sechs (ökonomischenttäuschende)
Einzelausstellungen.Zu einer von
steuerte MeyerSchapiro,einerder angese-
hens tenKunsthistorikerind en Vereinig-
tenStaaten, einen knappenText bei.Zu
ihmhatteBessschon früh brieflichKon-
takt aufgenommen, den dieserkontinuier-
licherwiderte.Von „kleinen, ernsten Bil-
dern“ schriebSchapiro, „deutlich und ent-
schlos sen konzipiert“, mit „mysteriöser
Wirkung“und einer„Atmosphäre des Ge-
heimnisvollen“, gegründetauf pr ofundem
Farbwis sen und mit „überraschendem
kompositorischemWitz“ ausgestattet.
Bessfolgte nächtlichen motivischen
Eingebungen, die er sofortnotierte,um
seine innerenWelten später,möglichst
nah an derVision und in pragmatischem
Duktus, auf die Leinwand zu bringen.
Wasimmer seit den VierzigerninNew
York an Action Painting im Riesenformat,
an Überwältigung, Erhabenheit oder vir-
tuosem Gestus angesagt gewesen sein
mag, Bessinteressierte es herzlichwenig
(obwohl er die Arbeit seiner Galeriekolle-
genJackson Pollock, BarnettNewman,
MarkRothkowahrnahm). Stattdessen
widmeter1 951 dem Maler AlbertPink-
ham Ryder,einer amerikanischen Ikone
desneunzehntenJahrhunderts,eineHom-
mage. Bess’ Handschriftist das Gegenteil
vonVerve,sie mutet bedächtig, bemüht,
bisweilengefric kelt an.WasBess’ Werk
nachanfänglichenÜbungen in Anleh-
nung an dieFauves und andere Europäer
wie GeorgesRouault auszeichnet, isteine
eigentümliche erotische Symbolik: Rot
etwa steht für das Maskuline,Weiß für
das Feminine, Grün für die Jugend, das
Auge für dieVulva, der „goldeneStern“
fürdenAnus,zweiparalleleLinienbedeu-
tenSelbstbefriedigung. All diese Chiffren
–Besshattesieakribischaufgelistet –kön-
nen einem in derAusstellung natürlich
nichtpräsent sein.Wohlaberteiltsic hdar-
in eine unbeirrbareKonsequenz mit.
Diese wirdihm zunehmend wichtiger
als dasgemalteBild. In seinenspäteren
Jahrenversteht sic hBessmit den Phanta-
sien derTransgender-Identität alsKünst-
lervisionär.Dassihm darin niemandfol-
genmag, fichtihn nicht an. Infolgerichti-
gerKonsequenz ersucht er seine treue
Wegbegleiterin BettyParsons 1958, mit
seinengemaltenWerkenauchseine „The-
sis“ausstellenzukönnen,wasdieGaleris-
tin ablehnt (ihn aber 1962 abermals mit
einer Retrospektiveehrt). Ob er ein sol-
ches Gesamtpaket nicht besser in einer
medizinischen Einrichtung ausstellen
wolle, regt sie an und meint dies viel-
leicht rhet orisch.HeutesindBess’ Vorstel-
lungen einer unbedingtengenderbezoge-
nen Autonomie,wenn nicht in der Mitte
derGesellschaft,sodochin derzeitgenös-
sischenKunstangekommen.Auchdes-
halb erhalteer, so derKasseler Direktor
MoritzWesseler,für dieAusstellung Zu-
spruc hvon unterschiedlichstenjüngeren
Künstlerinnen undKünstlern, die inFor-
rest Besseinen Verwandten undVorläu-
fersehen. GEORGIMDAHL

ForrestBest.Im Fridericianum,Kassel;bis zum


  1. Mai. EinKatalog is tinVorbereitung.


Die Sphären der Geschichts- und der
Rechtswissenschaftsind im normalen
Leben getrennt .Manchmal allerdings
kollidieren sie,etwa dann,wenn einGe-
richtüber historische Wahrheits- oder
Besitzansprüche befinden muss. Der
ProzessumdenHolocaustleugnerDa-
vid Irving istein Beispiel, derStreitum
die Entschädigungs- undRückgabefor-
derungenderHohenzollernandendeut-
schen Staat ein anderes. Gerade hat der
Juris tTorsten TristanStraub im Berli-
ner „Tagesspiegel“ die Berechtigung
vonGeorgFriedric hPrinz vonPreußen,
als Oberhauptder Hohenzollernfamilie
in denVerhandlungen mit dem Bund
aufzutreten, in Fragegestellt.
Das TestamentvonGeorgFriedrichs
GroßvaterLouisFerdinand,dasdieErb-
folgedes er stgeborenen Sohnesfest-
schreibe, widerspreche dem Grundge-
setz, weil es andereFamilienmitglieder
wegenihres Geschlechts oder Altersbe-
nachteilige. Zudem ziele dieRegelung
von1950, soStraub, auf „dieAusrüs-
tung eines Thronprätendenten mitVer-
mögen für denFall einerRestauration
der Monarchie“, enthaltealso eine „ver-
fassungsfeindlicheAbsicht“. Der Staat
müsse daher die Legitimation Georg
Friedrichs bestreiten, solangeernicht
vonallen gesetzlichen Erben alsVertre-
terbevollmächtigtworden sei.
Die Erbfolgeder Hohenzollernfami-
lie is teiner der Anachronismen, die der
HistorikerDaniel Schönpflug auf einem
Podium am BerlinerWissenschaftskol-
leg für dieUnübersichtlichkeit der De-
batteüberdiehohenzollernschenForde-
rungen verantwortlichmachte. Ein an-
derer ,ergänzteder ehemalige Verfas-
sungsrichter DieterGrimm, der dieVer-
anstaltungmoderierte, istdie anachro-
nistischeStruktur der deutschen Ge-
schichte. Bei denVerhandlungen über
dieWieder vereinigunghabediesowj eti-
sche Seitedie Unantastbarkeit ihrer Im-
mobilien-Enteignungenvor1949zurBe-
dingunggemacht.Fürdie mobilen Gü-
terhabe der damaligeJustizministerim
Einigungsvertragdi eForme l„Rückgabe
vorEntschädigung“ durchgesetzt.
Um zu verhindern, dass„Hauptver-
antwortliche historischen Unrechts“ da-
vonprofitierten, schließe das Aus-
gleichsleistungsgeset zvon 1994Antrag-
steller aus, derenVorfahren demNatio-
nalsozialismus oder der DDR erhebli-
chen Vorschub geleiste thätten, so die
Gießener Rechtsphilosophin Marietta
Auer.Die Leitentscheidunginder Sa-
chesei dasUrteil des Bundesverwal-
tungsgerichtsvon2005überdieAnsprü-


cheder Erben des Industriellen Hugen-
berg: Die Erheblichkeit sei darinvom
subjektivenWollen abgekoppelt und an
das Kriterium der „Stetigkeit“ einer
„nichtganz unbedeutenden“Vorschub-
leistunggebundenworden. Um diese zu
beurteilen, müsse das Gerichtkeine ei-
genen Forschungen betreiben, eskönne
sichnachder herrschenden Meinung
der Geschichtswissenschaftrichten.
Unddiese Meinung scheint klar.Die
großeMehrheitdereinschlägigenHisto-
rikerbejaht die erhebliche Mitschuld
des einstigenFamilienoberhaupts Wil-
helm vonPreußen an der Entstehung
des„DrittenReichs“. DerHistorikerDa-
vid Motadel, alsVierterauf demPodi-
um imWissenschaftskolleg, hatgerade
dieabweichendeEinschätzungdes Gut-
achter sWolfram Pytaind er „N ew York
ReviewofBooks“ als „abwegig undvöl-
lig unbegründet“gebrandmarkt.Wieso
verhandelt der Bund trotzdem mit den
Hohenzollern, als hätten sierecht?Ein
Grund, so Motadel, könne die neue
Sehnsucht nachPreußens Glanz und
Gloria sein, wie sie sichetwaamWie-
deraufbau des Berliner Schlosses zeige.
Wirklich? Hinter den Schlossfassaden
solldie Geschichtedes deutschenKolo-
nialismus erzähltwerden. Vielleicht ist
es gerade derWiderspruch, die Preu-
ßenkritik im preußischen Kleid, der das
Humboldt-Forum interessant macht.
Die Podiumsdiskussion brauchtebei-
nahe eine Spielfilmlänge, ehe sie an der
Wurzel ihres Themas angelangtwar, bei
der WeimarerRepublik.„Warumwurde
die Monarchie 1918 nichtkonsequenter
abgeschafft?“ Weil Friedric hEbert, so
eineStimmeausdemPublikum,denbol-
schewistischenUmst urzfürchtete und
sichdeshalb mit den Handlangerndes
gestürztenKaisersverbündete.Die In-
konsequenzvondamalsfällt der Bun-
desrepublik heuteals Vermögens streit
auf dieFüße. Doch dieVerschleppung
hat auchihr Gutes: die „nachlaufenden
Probleme“ (MariettaAuer) der Ge-
schichtemüssen heutenicht durch Bür-
gerkrieg, sondernkönnenvorGericht
entschiedenwerden. Nurden vonAb-
mahnungen der Hohenzollern-Anwälte
betrof fenen deutschen Historikern ist
damit nochnicht geholfen.
Der SozialhistorikerJürgenKocka,
der ebenfalls im Publikum saß, schlug
einenHilfsfonds zurFinanzierung der
Anwaltskostenvor. DerDeutsche Histo-
rikertag im September in München
könntesichdamit befassen.Aufdass
bei derKollision der Sphären niemand
zu Schadenkomme. ANDREASKILB

Bildfischer,


welche Fahne weht?


Nunist auchdie Londoner Buchmes-
se, dievom10. bis 12. Märzstattfin-
den sollte,wegendes Coronavirus ab-
gesagtworden.Obwohlder Veranstal-
terReed Exhibitions seitTagenmit
Absagenkonfrontiertwar,hatteer
nochamDienstagverkündet, amTer-
min festzuhalten. AmgestrigenMitt-
woch beugte Reed sic hdann „schwe-
renHerzens“ derRealität .Die Messe
wäre ohnedies eine Geisterveranstal-
tung geworden: MehrereGroßverla-
ge,darunterPenguin Random House,
HarperCollins und Hachette,waren
ebenso wie Amazon zuletzt dem Bei-
spiel kleinererVerlagegefolgt, die
ihreTeilnahme bereits in dervergan-
genenWocheimInteresseihrerAnge-
stellten undAutoren stornier thatten.
In der Branche machte sichUnmut
breit über den Messeveranstalter,der
nachAnsicht zahlreicher Betroffener
dieEntscheidungvielfrüherhättetref-
fenmüssen.Reed ließverlauten, man
sei den Anweisungen derRegierung
gefolgt.Diefür Anfang Aprilgeplante
Musikmesse inFrankfurtamMain ist
derweil er st einmal auf unbestimmte
Zeit verschoben worden. G.T.

SeitMontag sinddie einstgeheimenDo-
kumentezum Wirken vonEugenioPa-
celli(1876bis1958),der1939Papstwur-
de und denNamen PiusXII. wählte, für
die Forschung zugänglich.Eshandelt
sichumrund sechzehn MillionenSeiten
ingutfünfzehntausendKladdenundKis-
ten. Die Dokumentesind in siebenver-
schiedenen Archiven gelager t: Neben
dem Apostolischen Archiv (ehedem Ge-
heimarchiv) und jenem desStaatssekre-
tariats sind es die Archiveder Glaubens-
kongregation,der Missionskongregati-
on, der Ostkirchenkongregation, der
Apostolischen Pönitentiarie sowie der
Bauhüttevon SanktPeter.
Die Vorbereitungen zur Öffnung der
Akten zumPontifikatPacellis/Pius XII.
hätten vierzehnJahregedauert,teilte
das Presseamt desVatikans am Sonntag
mit.Und fertig sei man mit demvon
PapstBenedikt XVI. angestoßenen Sor-
tiere nund Digitalisierender Pacelli-Do-
kumentenochimmer nicht. Die Bestän-
dealleinimaußenpolitischenArchivum-
fassen zwei Millionen Dokumenteund
füllen 323 MeterRegal .Davon sind in-
zwischen1,3MillionenDokumentevoll-
ständigdigitalerfasst.Inanderen Archi-
venhat die Digitalisierung nochnicht
einmal begonnen.
Gut hundertfünfzigForscher aus aller
Welt haben Interesse an einem Arbeits-
aufenthalt in den Archiven angemeldet.
Diesenwerden Zeitslots zugeteilt,es soll
gerechtzugehen.Vonden insgesamt
siebzig Schreibtischen in den Archiven
sind fürsErste allein dreißigfür die For-
schungzuPiusXII.reserviert. Historiker
mit Kenntnis derkomplexenMaterie sa-
gen, er st nachzweibis drei Jahren seien
fundierte Erkenntnisse zu erwarten. An-
dereveranschlagen den Arbeitsaufwand
garauf zehn Jahre.
EsgibtbereitszahlreicheStudienzum
Wirken Pacellis alsNuntius in München
und später in Berlinvon1917 bis 1929
sowie zu seinemPontifikat imWelten-
brandvonHolocaustund totalem Krieg
bis hin zurNachkriegszeit undzum Kal-
tenKrieg. Besonders strittig ist,wases
mit Pacellis öffentlichem „Beschwei-
gen“derUntatender Nazis undauchder
italienischen Faschis tenauf sic hhat.
Wirkte Pius XII.imStillenfür die poten-
tiellen jüdischen OpfervonDeportation
undVernichtung, oder hätteer mehr tun
können, ja müssen?Trug der Heilige
Stuhlnach Kriegsende aktiv dazu bei,
dassprominenteundwenigerprominen-
teNationalsozialistenüberdiesogenann-
teRattenlinienachSüdamerikaentkom-
men konnten–nicht seltenausges tattet
mit Reisepässen desVatikans?Wiehiel-


tenesPiusXII.undseineChefdiploma-
tenGiovanniBattistaMontini(derspäte-
re PapstPaulVI.)undDomenicoTardini
mit dem 1948gegründeten Staat Israel,
mit dem der Heilige Stuhl er st 1994 di-
plomatischeBeziehungen aufnahm?
Die Entscheidung,die Dokumente
der Forschung zugänglichzumachen,
hattePapstFranziskusvoreinem Jahr
mit denWorten begründet, die Kirche
habe „keine Angstvorder Gesc hichte“.
MiteinerumfangreichenMedienoperati-
on versucht derVatikanaber seitTagen,
der künftigen Deutung der Geschichte
Pacellis seinenStempel aufzudrücken.
Der britischeKurienerzbischofPaul
Gallagher,imStaatssekretariat zus tän-
dig für die Beziehungen zu denStaaten,
ließ am Sonntagineinem Interviewmit
der vatikaneigenen Medienplattform
„VaticanNews “wissen, dieDokumente
würden zeigen, dassPius XII.während
desZweitenWeltkriegesein„mutigerDi-
plomat“gewesen sei und „grenzenlose
Näch stenliebe“bewiesenhabe.DieVati-
kanzeitung„L’OsservatoreRomano“ver-
öffentlicht eamMontag ersteDokumen-
te aus den Archiven desStaatssekretari-
ats, versehen mit deren Interpretation
durch dessen belgischen Leiter Johan
Ickx. Danachsei Pius XII.„die Rettung
vonzweiDritteln der JudenvonRom
amEndedesZweiten Weltkriegeszuver-
danken“.AusschriftlichenZeugnissen
gehe hervor, so Ickx,dassPiusXII. per-
sönlich verfügt habe, dievonDeportati-
on durch die deutschen Besatzungstrup-
pen bedrohten Juden in den 235 Klös-
tern und Abteien derStadt zuverste-
cken.
Das umfassendevatikanische Eigen-
lob für Pius XII. hat am DienstagRoms
Oberrabbiner RiccardoDiSegni heftig
kritisiert.DiezurSensationaufgebausch-
ten„schnellen Schlussfolgerungen“ be-
zeichnete Di Segnigegenüber italieni-
schenMedienals„verdächtig“.Siekönn-
tenfür denVatikan leicht „zum Bume-
rang werden“, wenn unabhängigeFor-
scher später ihreErgebnissevorlegten.
Nach dem esgeheißen habe, es bedürfe
nunjahrelangerForschungnachderÖff-
nung der Archive,komme nun schon
„am ersten Tagdie umfassende Antwort
wie dasKaninchen aus demZylinder
des Zauberers“. Di Segni erinnerte dar-
an, dassPius XII. und derVatikan be-
kanntermaßennichtsgeg endieDeporta-
tion von1022 Juden in einemZugmit
achtundzwanzigWaggonsvom16.Okto-
ber 1943vomBahnhofTiburtina aus
nachAuschwitz unternommen hätten.
DerVatikanhabesichprimärfürdieRet-
tung getaufterJuden eingesetzt, sagteDi
Segni.

Nachlaufende Geschichte


Die HohenzollernimBerlinerWissenschaftskolleg


Figurvor Inselmit „mysteriöserWirkung“:„Untitled (#5)“vonForrest Bess, 1949

Farewell BookFair


Auch London sagt ab


Bumerang für den Va tikan


DieAktenzuPapstPiusXII. /VonMatthiasRüb, Rom


DasFridericianu mKasse lblicktindie geheim eWelt eines


obsessiven„Outsider“-Malers,der in NewYorks Kunstszene


einstgefeier twurde.


Frucht auf Fläche
oder unheimliches
Wesenvon oben?
ForrestBess’
„Untitled (#6)“,
1957
Fotos Collection Mickey
Cartin; RobertGlowacki
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