National Geographic Germany - 03.2020

(backadmin) #1
Verschwendung von Lebensmitteln durch.
Mehr als 2100 Familien in Großbritannien
waren damit einverstanden, dass Inspektoren
ihren Müll durchsuchten. „Absolut schockie-
rend“, erinnerte sich Goodwin. „Wir haben ganze
Hühnchen in Originalverpackung gefunden.“
Fast die Hälfte des gesamten Salats und ein Vier-
tel von allem Obst landete in der Tonne, ebenso
etwa 360 000 Tonnen Kartoffeln pro Jahr. Ins-
gesamt warfen Briten eine von drei Tüten mit
Lebensmitteln weg.
Wie sich herausstellte, sind die Briten keine
Ausnahme. Grob geschätzt wird ein Drittel
aller Lebensmittel weltweit verschwendet, was
jährlichen Kosten von fast einer Billion Dollar
entspricht, wie mir Richard Swannell von WRAP
berichtete. Vor der Studie sei sich niemand
darüber im Klaren gewesen, wie viel Essen – und
Geld – tatsächlich in Großbritannien verschwen-
det werden, erklärte er.
WRAP startete eine lebhafte PR-Kampagne
(„Love Food Hate Waste“). Es ging um Tipps
zur Rettung von Lebensmitteln und einfache
Maßnahmen für Lebensmittelketten: deut-
licher lesbare und längere Haltbarkeitsdaten,
kleinere, wieder verschließbare Packungen und
Abschaffung von „1+1 gratis“-Aktionen für leicht
verderbliche Lebensmittel. Banale Ideen, aber
sie funktionierten. Bis 2012 war die Menge der
verschwendeten noch essbaren Lebensmittel
in Großbritannien um ein Fünftel geschrumpft.
Der Fortschritt ist in letzter Zeit allerdings ins
Stocken geraten. Ohnehin hatte niemand damit
gerechnet, dass gesunder Menschenverstand
genügen würde, um die Verschwendung von
Lebensmitteln zu beenden. Kann es Künstliche
Intelligenz (KI)?
In einer umgebauten viktorianischen Möbel-
fabrik in London preist Marc Zornes, CEO von
Winnow, eine Hightechlösung an, die sein
Start-up bereits in 1 300 Restaurantküchen
aufgestellt hat: intelligente Abfalleimer. Zor-
nes behauptet, seine Kunden halbierten ihren

Die anderen 40 Prozent werden recycelt und

zu Wischtüchern oder geschreddert zu Isolier-


material oder Matratzenfüllung verarbeitet.


Einiges wird auch verbrannt. Dazu gehören


zunehmend billig hergestellte abgetragene Stü-


cke, und bei fast allen verliert Boer Geld. Fast


Fashion, sagte er, könnte dazu beitragen, dass


er sein Geschäft schließen müsse.


Es gibt eine Form des Recyclings, mit der er

bescheidene Gewinne erzielt. Seit Jahrzehnten


schickt Boer Wollpullover und andere lockere


Maschenware an Unternehmen im italienischen


Prato, wo die Wolle mechanisch aufgerissen


wird. Dabei werden lange Fasern aussortiert,


die zu so gut wie neuen Kleidungsstücken ver-


arbeitet werden können. Gewebte Baumwolle


und Polyester können auf diese Weise nicht


recycelt werden; die gewonnenen Fasern sind


zu kurz. Ein halbes Dutzend Start-ups arbeitet


an Verfahren, mit denen man diese Fasern che-


misch recyceln kann. Um diese Entwicklung zu


beschleunigen, meinte Boer, sollte die Europäi-


sche Union verlangen, dass neue Kleidung zum


Beispiel 20 Prozent Recyclingfasern enthält. „In


zehn Jahren wird es so weit sein“, so Boer. „Muss


es so weit sein.“


Bei der Ellen-MacArthur-Stiftung begeistert

man sich für ein anderes Geschäftsmodell, das


auf dem Konzept mieten statt besitzen basiert.


Der US-Online-Kleiderverleih Rent the Runway


sowie Re-nt in Deutschland machen bis jetzt


weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Mode-


markts aus. Aber sie wachsen rasant.


In der Theorie ist Mieten nachhaltig. In der

Praxis ist das nicht so klar. Vielleicht fügen Kun-


den nur ihrer normalen Garderobe geliehene


Luxuskleidung hinzu. Leihen bedeutet auf jeden


Fall mehr Verpackung, Transport und chemi-


sche Reinigung von Kleidung. Die Journalis-


tin Elizabeth Cline, Autorin von zwei Büchern


über Fast Fashion, versuchte, das Für und Wider


gegeneinander abzuwägen. Ihr Fazit: „Die Klei-


dung tragen, die man schon im Schrank hat, ist


die nachhaltigste Art, sich zu kleiden.“


Lebensmittel


IM JAHR 2008 führte die britische Nachhaltig-


keitsinitiative Waste and Resources Action


Programme (WRAP), die Liz Goodwin damals


leitete, eine der ersten großen Studien zur


PLASTIK, DIE GLOBALE PEST
Kunststoffmüll landet an Stränden, im Meer,
in den Mägen der Fische und der Vögel.
Er ist eine globale Plage. Sind biologisch
abbaubare Produkte die Lösung? Oder
Recycling? Mehr zum Thema Plastik
und was wir tun können, finden Sie auf
nationalgeographic.de/planetorplastic.

DAS ENDE DES MÜLLS 59
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