von christoph giesen
Hongkong–Das Schicksal der chinesi-
schen Wirtschaft ist nun komprimiert in ei-
ner Zahl, dem sogenanntenProduction Ac-
tivity Tracker. Ende Februar hat ihn die
staatlich kontrollierte Investmentbank
China International Capital Corporation
eingeführt. In New York an der Wall Street
schauen sie inzwischen darauf, genauso
wie im Hongkonger Finanzdistrikt. PAT
kürzen die Analysten den neuen Index ab.
PAT ist entscheidend für China und die
Welt.
Wann endlich springt die chinesische
Wirtschaft wieder an? Wann arbeiten die
Fabriken in der Volksrepublik wieder un-
ter Volllast? Wann stehen die Wanderarbei-
ter wieder am Band, so wie noch Mitte Ja-
nuar, bevor die Coronavirus-Krise die
Rückkehr der Menschen aus den Frühlings-
festferien verhinderte? Die Unwucht in der
Volksrepublik hat längst die Weltwirt-
schaft erfasst: Kaum eine Lieferkette,
kaum ein Produkt, das ohne Beteiligung
aus China gefertigt und verkauft werden
kann. Smartphones genauso wie dringend
notwendige Medikamente. Die amerikani-
sche Arzneimittelbehörde warnt deshalb
bereits vor Engpässen. Auch skurrile Pro-
bleme stellen sich ein: In Japan etwa
herrscht derzeit ein Mangel an Grabstei-
nen, 90 Prozent der Marmorbrocken wer-
den aus China importiert. Die meisten
Steinmetzbetriebe haben jedoch ihre Ar-
beit noch nicht wieder aufgenommen.
Bei mehr als 70 Prozent steht der PAT-In-
dex aktuell. Eingerechnet werden der Koh-
leverbrauch, die Arbeitsmigration, die Lo-
gistik und der städtische Verkehr. Also al-
les wieder auf dem richtigen Weg? Das
größte Problem sind die kleinen und mittle-
ren Unternehmen in China. Restaurants,
Buden, Läden und Hinterhofwerkstätten.
Die meisten dieser Betriebe haben
kaum finanzielle Reserven. Jedoch haben
gut 55 Prozent davon ihre Arbeit noch
nicht wieder aufgenommen, teilte das Mi-
nisterium für Industrie und Informations-
technologie mit. Was also, wenn es zu groß-
flächigen Insolvenzen im chinesischen Mit-
telstand kommt? Millionen plötzlich ar-
beitslos werden? Und viele Lieferketten ge-
sprengt werden, weil wichtige Glieder weg-
fallen? Die kommenden Wochen, das steht
fest, sind entscheidend.
Die vergangenen Wochen, das ist eben-
falls sicher, waren katastrophal: Am Sams-
tag legte die Pekinger Zollverwaltung erst-
mals seit dem Ausbruch der Lungenkrank-
heit Handelszahlen vor. Demnach sackten
Chinas Exporte im Januar und Februar im
Vergleich zu den ersten zwei Monaten des
Vorjahres um 17,2 Prozent auf 292,45 Milli-
arden Dollar ab. Die Einfuhren gingen um
vier Prozent auf 299,54 Milliarden Dollar
zurück. Insgesamt schrumpfte der Außen-
handel damit um elf Prozent. Der Rück-
gang im Außenhandel ist nach Angaben
der Zollverwaltung „hauptsächlich auf die
Auswirkungen des Ausbruchs des Corona-
virus und die Frühlingsferien zurückzufüh-
ren“.
Eine schwächelnde Wirtschaft in China
hat auch für Deutschland Folgen. Die Volks-
republik ist ein wichtiger Absatzmarkt für
deutsche Firmen. Im vergangenen Jahr lag
das Exportvolumen bei 96 Milliarden Eu-
ro. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der
Welt ist seit 2015 auch das Land, aus dem
die meisten Importe nach Deutschland
kommen. Vor allem die in China tätigen
deutschen Unternehmen haben zu kämp-
fen. „Die Auswirkungen sind insgesamt
schlimm“, stellten die deutsche und die eu-
ropäische Handelskammer in China nach
einer Umfrage unter Mitgliedsunterneh-
men Ende Februar fest. Fast 90 Prozent
der Firmen berichteten von „mittelschwe-
ren bis starken Auswirkungen“ durch die
Lungenkrankheit.
Noch schlimmer als den Außenhandel
traf es den chinesischen Automarkt, der
von deutschen Konzernen dominiert wird.
Nach Daten des chinesischen Automobil-
verbandes sank der Absatz im Vergleich
zum Vorjahresmonat um 80 Prozent. In
den ersten 16 Februartagen wurden landes-
weit genau 4909 Autos verkauft, im
Schnitt also 307 Fahrzeuge in 24 Stunden.
Normalerweise dauert es statistisch kei-
ne siebeneinhalb Minuten, um so viele Wa-
gen in China, dem eigentlich größten Auto-
markt der Welt, abzusetzen.
Nun also schaut das Land gebannt auf
den PAT-Index. Einzig und alleine mag
sich allerdings kaum jemand darauf verlas-
sen. Manche Analysten haben damit begon-
nen Satellitenbilder auszuwerten. Sie ver-
gleichen Aufnahmen von Smogwolken
und schauen sich Feinstaubtabellen an.
Bis hoch zum Regierungschef reicht
schließlich das Misstrauen gegenüber chi-
nesischen Zahlen. 2007, als der heutige Pre-
mierminister Li Keqiang noch Parteisekre-
tär der Provinz Liaoning an der nordkorea-
nischen Grenze war, erzählte er amerikani-
schen Diplomaten einmal, dass er den offi-
ziellen Daten nicht traue. Er schaue sich
stattdessen lieber drei andere Indikatoren
an: den Energieverbrauch, die Kreditverga-
ben und die Eisenbahnfrachttonnen. Als
Ende 2010 mit der Veröffentlichung der
amerikanischen Botschaftsdepeschen Lis
Misstrauen bekannt wurde, widmete der
EconomistLi einen eigenen Keqiang-In-
dex.
Dass auch die neusten Zahlen mit Vor-
sicht zu genießen sind, zeigt das Beispiel
Zhejiang. Wie das chinesische Wirtschafts-
magazinCaixinrecherchierte, wurde in
der ostchinesischen Provinz in den vergan-
genen Wochen offenbar kräftig geschum-
melt. In Fabriken und Büros brannte das
Licht, obwohl niemand am Arbeitsplatz
war, Klimaanlagen und Maschinen surr-
ten den ganzen Tag, Dienstpläne wurden
gefälscht, Fabrikarbeiter gar darin ge-
schult, Inspektoren zu täuschen, alles nur,
damit Unternehmen rosigere Statistiken
an die lokalen Verwaltungen weitergeben
können.
Mancherorts ordneten Provinzbeamte
an, dass Firmen auch am Wochenende ihre
Geräte laufen lassen sollten und Computer
eingeschaltet bleiben. Denn in der Haupt-
stadt wird der Stromverbrauch als Richt-
größe genommen, ob die Industrie wieder
am Arbeiten ist. Zhejiang wurde von der
Propaganda mehrfach als Musterprovinz
gelobt. Bereits am 24. Februar hieß es, ha-
be die Wiederaufnahmequote in Zhejiang
mehr als 90 Prozent betragen. Offenbar ei-
ne geschönte Statistik.
von hendrik munsberg
W
ie schafft man es als Politiker,
Menschen, also potenzielle Wäh-
ler, mal so richtig auf die Palme
zu bringen? Indem man ihnen verspricht,
einen eingestandenen Missstand abzustel-
len – zwar nur ein bisschen, aber das zü-
gig. Und dann wird klar: Zügig? Damit
wird es leider auch nichts.
So geschehen am 11. November im vori-
gen Jahr. Da traten zwei Parteichefinnen
und ein Parteichef der großen Koalition
nach heiklen Verhandlungen in Berlin vor
die Presse: Annegret Kramp-Karrenbauer
für die CDU, Malu Dreyer als kommissari-
sche SPD-Vorsitzende, und CSU-Chef Mar-
kus Söder. Von diesem Termin gibt es so-
gar ein anrührendes Foto, das zeigt, wie
Markus Söder der Multiple-Sklerose-
kranken Malu Dreyer auf dem Weg zu den
Mikrofonen fürsorglich den Arm anbietet.
Zusammen gaben alle drei vor Fernsehka-
meras dann das folgende Versprechen: Be-
reits vom 1. Januar 2020 an werden Millio-
nen Betriebsrentner bei den Krankenkas-
senbeiträgen entlastet.
Bis heute hat das aber nicht geklappt.
Und, wie es aussieht, wird es auch bis Jah-
resende nichts. Zu Recht beschwert sich
darum nun der Bundesverband der Ren-
tenberater, ein Stimmkraftverstärker für
Abertausende Ruheständler.
Grund für die Verzögerung sind angeb-
liche „technische Probleme“ im Datenaus-
tausch zwischen Krankenkassen und Be-
triebsrenten-Versorgungswerken wie der
Versorgungsanstalt des Bundes und der
Länder. Die Folge: Voraussichtlich bis
2021 werden Millionen Betriebsrentner
unverändert den vollen Beitragssatz an ih-
re Krankenkasse abführen. Irgendwann
später, das gehört auch zur Wahrheit,
wird es dann Erstattungen geben.
Die Geschichte ist kompliziert, lässt
sich aber leicht erklären: 2003 fehlte der
damaligen rot-grünen Regierung unter
SPD-Kanzler Gerhard Schröder chronisch
Geld. Deshalb müssen viele Menschen,
die mit einer Betriebsrente fürs Alter vor-
sorgen, seit 2004 den vollen Beitrag für
die gesetzliche Kranken- und Pflegeversi-
cherung abführen – zuvor war es der hal-
be Satz gewesen. Historisch bedeutsam
daran ist: Die Union trug diese Entschei-
dung mit, deswegen plagt etliche Politiker
von CDU und CSU bis heute ein Schuldge-
fühl. Zu ihnen gehört, wie es aussieht,
auch Markus Söder, obwohl er damit per-
sönlich – er war damals Mitte dreißig –
nichts zu tun hatte. Unfair an dem seiner-
zeitigen Beschluss war vor allem, dass die
meisten Betroffenen von der Zusatzbelas-
tung erst ziemlich spät erfuhren – näm-
lich am Ende ihres Erwerbslebens, als die
Auszahlung der Betriebsrente anstand.
Da mussten viele zuerst erschreckt und
dann verärgert feststellen, dass sie nur et-
wa 80 Prozent dessen bekamen, was sie
glaubten, fürs Alter gespart zu haben.
Es gab aber schon lange eine Härtefall-
regelung für Geringverdiener: Betriebs-
renten – unter einer bestimmten Freigren-
ze – blieben von dieser „Doppelverbeitra-
gung“ verschont. Wer jedoch nur einen
Cent mehr als diese Freigrenze bekam,
wurde voll zur Kasse gebeten. Derzeit
liegt diese Grenze übrigens bei einer Be-
triebsrente von monatlich 159,25 Euro.
Die Korrektur, auf die sich die regieren-
de große Koalition im vorigen November
verständigte, sieht so aus: Die Freigrenze
wurde zum Freibetrag. Das bedeutet: Bis
zu 159,25 Euro monatlich wird nun jeder
verschont, auch wenn er eine viel höhere
Betriebsrente bekommt. Das war von Sö-
der & Co. wohl als Wählerverdruss heilen-
des Wundpflaster gedacht.
Krankenkassen und Versorgungsein-
richtungen haben seither die undankbare
Aufgabe, die Neuerung umzusetzen. Kom-
plizierter wird die Sache, weil es auch Fäl-
le gibt, in denen Betroffene Betriebsren-
ten von verschiedenen Versorgungswer-
ken beziehen. Das erschwert die Zuord-
nung des Freibetrags.
Deutschlands Rentenberater ärgert
nun aber, wie etliche Versorgungswerke
mit ihren Kunden umspringen, sie kritisie-
ren: „Die Kassen ziehen weiter die vollen
Beträge ein“, während „einige Versor-
gungsträger“ – darunter auch große –
„die Betroffenen noch nicht einmal mit
den Rentenbescheiden darauf hinweisen,
dass sie unter Umständen mit zu hohen
Krankenversicherungsbeiträgen belastet
werden.“ So gerät eine vermeintliche poli-
tische Wohltat zum Ärgernis. Da hülfe ei-
ne Ermahnung aus der Politik.
Denn: Die Neuregelung – Freibetrag
statt Freigrenze – ist seit 1. Januar Gesetz,
ein Gesetz mit akutem Vollzugsdefizit.
Banger Blick nach Peking
ChinasExporte brechen ein, die nächsten Wochen sind jetzt entscheidend: Es könnte wegen des Coronavirus
zu Insolvenzen im chinesischen Mittelstand mit vielen Arbeitslosen kommen
Die teuerste Messe der Welt ist noch nicht
gesungen. Im Oktober soll die Expo 2020
in Dubai starten, 190 Länder haben ihre
Teilnahme angekündigt, es wäre die erste
Weltausstellung in der arabischen Region
- so sie denn stattfinden kann. Das Land
Baden-Württemberg will sich als einziges
deutsches Land mit einem eigenen Pavil-
lon vorstellen – und Philipp Riedel hat den
Auftrag, für das nötige Personal am Stand
zu sorgen. Der Chef des Münchner Perso-
nalvermittlers Avantgarde Experts muss
schauen, wie sich die Planung trotz des Co-
ronavirus aufrechterhalten lässt. Denn ei-
gentlich sind solche temporären Jobs sehr
attraktiv für Berufseinsteiger.
„Projekthaftes Arbeiten ist das Zu-
kunftsmodell der modernen Arbeitswelt“,
sagt Riedel. Für Unternehmensberater sei
das ohnehin Standard. Aber auch für Con-
trolling- oder Technologie-Projekte könne
man in temporären Modellen arbeiten. Rie-
del, 33, muss es wissen. Er studierte inter-
nationales Business und Marketing, arbei-
tete dann beim Autobauer BMW und der
Unternehmensberatung McKinsey. 2011
stieg er bei Avantgarde Experts ein, einer
Tochtergesellschaft der Agentur Avantgar-
de, die weltweite Großveranstaltungen
und Roadshows organisiert.
Bei der Tochtergesellschaft kümmern
sich 250 Mitarbeiter an fünf Standorten,
darunter Dubai, darum, das Personal für
die tausend Unternehmenskunden – von
Google bis zum Mittelständler – zu finden.
Knapp 90 Millionen Euro Umsatz machte
die Firma, die zu 90 Prozent Akademiker
vermittelt und überlässt. Wie andere An-
bieter in der Branche lässt Avantgarde
Studien fertigen, die im Idealfall die eigene
Position stützen. Da widersprechen man-
che Ergebnisse denen anderer Untersu-
chungen. Aber Riedel ist als Experte ge-
fragt, immerhin hat er 200 000 Kandida-
ten in der Kartei.
Zuletzt erhob das Unternehmen, wie zu-
frieden deutsche Arbeitnehmer sind, und
stellte fest, dass die meisten ihre Jobsituati-
on okay finden. Allerdings ist die Zahl derje-
nigen, die über einen Jobwechsel nachden-
ken, auf 35 Prozent gestiegen, insbeson-
dere bei Jüngeren. Personalentscheider
unterschätzen das, so Riedel: „Jeder Job-
wechsel kostet den Arbeitgeber zwischen
30000 und 40 000 Euro.“ Die Kosten ent-
stünden durch den Wegfall von Aufträgen,
die Nachfolgersuche, die Einarbeitung des
Neuen. „Daraus sollte sich ein Interesse er-
geben, Menschen zu halten.“
Letzteres würde seinem Geschäftsmo-
dell aber zuwiderlaufen. Der Chef möchte
mit seinem Team zum führenden Personal-
dienstleister für Digitalisierung und Tech-
nologie werden und Kunden zu Themen
der modernen Arbeitswelt schulen. Da hel-
fen nicht nur regelmäßige Umfragen, son-
dern auch der Blick ins eigene, junge Unter-
nehmen. So seien die angeblich werteorien-
tierten jungen Arbeitnehmer durchaus
geldaffin. „Die jüngere Generation ist er-
lebnisorientiert. Prestige kommt bei ihnen
nicht über ein dickes Auto, sondern über
die Erlebnisse, die sie mit der Community
teilen“, sagt Riedel. „Man braucht Geld, um
diese Art von Freizeit zu finanzieren.“
Auch die Vermischung von Privat- und
Arbeitsleben, die für Mitarbeiter, die heute
über 40 sind, noch in Ordnung war, möch-
ten jüngere nicht: „Die jungen Leute wol-
len sich zu Hause fühlen und eine klare
Trennung von Job und Privatleben“, sagt
Riedel. Firmen sollten das berücksichti-
gen, eine schöne Umgebung schaffen, ge-
meinsame Aktivitäten fördern.
Er selbst achtet bei neuen Mitarbeitern
vor allem darauf, ob sie zur Firmenkultur
passen. Bei der Arbeit sei vieles erlernbar.
Daher seien Intelligenz und Persönlichkeit
oft wichtiger als ein formaler Abschluss:
„Java-Entwickler zu werden, kann man er-
lernen, aber nicht das Interesse an Verände-
rung.“ katharina kutsche
DEFGH Nr. 57, Montag, 9. März 2020 15
„Java-Entwickler zu
werden, kann
man erlernen,
aber nicht das Interesse
an Veränderung.“
Philipp Riedel
FOTO: OH
Amsterdam– Fernsehen für die Wissen-
schaft: Etliche Stunden lang sah sich das
niederländische Forscherteam alle Folgen
der Fernsehshow „Deal or No Deal“ an. Oft
saßen sie gemeinsam vor einem uralten
Kastenfernseher – und protokollierten.
Die Wissenschaftler sind keine Fans der
Show. In ihr spielen Kandidaten um Sum-
men bis in Millionenhöhe – oder sie geben
auf und bekommen dafür einen kleineren,
aber sicheren Preis. Durch den Videomara-
thon wollten die drei Ökonomen untersu-
chen, ob sich Männer und Frauen im Wett-
bewerb um viel Geld unterschiedlich ver-
halten. Und tatsächlich zeigen ihre Berech-
nungen: Frauen neigen dazu, den Wettbe-
werb gegen Männer zu meiden.
Frauen, so das Ergebnis der Studie, stie-
gen doppelt so häufig wie Männer vorzei-
tig aus der Show aus. Und sie tendierten
stärker zum Aufhören, wenn ihr Gegen-
über männlich war. Bei Männern wieder-
um galt das Gegenteil. Trafen sie auf weibli-
che Gegenspieler, spielten sie offensiver
und wählten seltener den Spielausstieg als
gegen gleichgeschlechtliche Opponenten.
Männer riskieren also mehr, wenn sie Frau-
en im Wettbewerb gegenübertreten. Die
drei Forscher Dennie van Dolder, Martijn
van den Assem und Thomas Buser haben
ihre Ergebnisse online veröffentlicht, da-
mit Kollegen sie diskutieren können.
Die Phänomene aus der Spielshow las-
sen sich auf das Berufsleben übertragen,
sagen die Forscher. „Das kann die anhal-
tende und zahlenmäßige Überlegenheit
von Männern auf höheren Karrierestufen
mit erklären“, so Dolder. Die männliche Do-
minanz in Führungspositionen zeige bei-
spielsweise auch der Gender Gap Report
des Weltwirtschaftsforums: Frauen leiten
weltweit demnach nur rund 18 Prozent al-
ler Firmen. Dieses Missverhältnis liege kei-
neswegs an mangelnder Führungskompe-
tenz von Frauen, sagt Verhaltensökonom
Dolder. Auch in „Deal or No Deal“ lösten
beide Geschlechter die Aufgaben gleich
gut. Vielmehr, vermutet Dolder, schreck-
ten Frauen öfter davor zurück, bei Stellen-
ausschreibungen in direkten Wettbewerb
mit Männern zu treten. Sie bewerben sich
erst gar nicht, wenn sich männliche Kon-
kurrenz ankündigt.
Das wäre auch ein Erklärungsansatz für
den Gender Pay Gap, so Dolder: „Viele Stu-
dien zeigen, dass Wettbewerbsaffinität
Karriereentscheidungen von Menschen be-
einflusst.“ Solange Frauen vor Konkurrenz-
situationen mit Männern zurückschreck-
ten, bekämen sie auch niedrigere Positio-
nen – und damit auch weniger Geld. Die
Dominanz von Männern bei Karriere und
Gehalt werde so zum sich selbst erhalten-
den Zustand, sagt der Forscher.
Die Fernsehshow der niederländischen
Staatslotterie lieferte den Ökonomen gu-
tes Datenmaterial. Häufig arbeiten die For-
scher mit Studienteilnehmern, die in Expe-
rimenten nur wenige Euro erspielen kön-
nen. Es bleibt offen, ob sie sich anders
verhalten würden, wenn es um viel mehr
Geld gehen würde – eben um Millionen
wie bei „Deal or No Deal“. Dafür gebe es
schlichtweg kein Budget, sagt Dolder. Die
Sendung sei daher ein sogenanntes natür-
lich auftretendes Experiment. Außerdem
werden die Gäste zufällig unter allen nie-
derländischen Teilnehmern der Postleit-
zahl-Lotterie ausgewählt, die Gruppe sei al-
so gut gemischt. Und wer genau gegen wen
antritt, entscheidet ebenfalls das Los.
Die Forscher haben Folgen seit 2002 un-
tersucht. Das geschlechterspezifische Ver-
halten der Kandidaten habe sich seitdem
kaum verändert.
Woran die Wettbewerbsscheu der Frau-
en gegenüber Männern liegt, können die
Wissenschaftler allein aus der Show nicht
beantworten. Frauen seien aber nicht gene-
rell weniger wettbewerbsaffin. Andere Stu-
dien deuten in eine Richtung: Besetzt eine
gesellschaftliche Gruppe häufig wichtige
Positionen, geht sie tendenziell härter in
den Wettbewerb mit Menschen, die nicht
zur Gruppe zählen. Umgekehrt scheuen
die als unterlegen geltenden Gruppen die
direkte Konkurrenz zu dominanten Grup-
pen, haben Forscher für eine Studie in Ban-
gladesch beobachtet. Die Betroffenen in-
vestieren etwa weniger in Bildung und be-
werben sich seltener auf hohe Ämter. Das
könnte parallel auch für die Frauen und die
Millionenwetten gelten, sagen die nieder-
ländischen Ökonomen.
Wer aus der Analyse der Spielshow ei-
nen Karrieretipp für Frauen ableiten will,
der landet also bei: Häufiger mal ein Risiko
eingehen. jacqueline hadasch
Manche Analysten vergleichen
Smogwolken und schauen
sich Feinstaubtabellen an
Lkw-Desinfektion im Hafen von Jingtang: Chinas Außenhandel leidet, und damit auch der Welthandel. FOTO: CHINACHINA-HEBEI-TANGS
„Junge Leute wollen
eine klare Trennung zwischen
Job und Privatleben.“
Das Gesetz ist seit 1. Januar
in Kraft – aber mit
akutem Vollzugsdefizit
WIRTSCHAFT
Flexibel bleiben
Philipp Riedel sucht Personal für die Expo 2020 in Dubai
NAHAUFNAHME
Perfektes Team: die Agenten Emma Peel
und John Steed in „Mit Schirm, Charme
und Melone“. FOTO: IMAGO/ZUMA/KEYSTONE
Männer gehen sogar mehr in
die Offensive, wenn sie auf
weibliche Gegenspieler treffen
Eine Frage der Dominanz
Ein niederländisches Forscherteam hat untersucht, warum Männer mehr Managerpositionen bekleiden
BETRIEBSRENTEN
Gut gemeint, schlecht gemacht