München –Wo ist Platz für Wladimir Pu-
tin? Am Freitag fragten in Iwanowo Vertre-
ter der russischen Gesellschaft den Präsi-
denten nach seiner Arbeit; und Putin ant-
wortete, es sei nicht etwa so, dass er müde
sei oder vorhabe, beiseite zu treten. „Jeder
in seiner Lage würde das nicht nur als Job
empfinden, sondern als Schicksal.“ 2024
läuft nun aber auch für Kremlchef Putin
die letzte Amtszeit aus. Seitdem wird gerät-
selt, wo in der neuen Verfassung, die am
Dienstag in der Duma gebilligt werden
dürfte, sein künftiger Posten verortet ist.
Präsident wird er nach 2024 jedenfalls
nicht mehr sein, denn keine Person darf
künftig mehr als insgesamt zwei Amtszei-
ten regieren. Bisher galt dies nur für zwei
Perioden in Folge, nach einer Pause durfte
Putin also noch mal antreten. Das wird mit
der Reform unmöglich. Als Putin in seiner
Rede an die Nation im Januar eine grundle-
gende Verfassungsreform vorschlug, wur-
de deshalb sofort spekuliert, das Amt des
Präsidenten könnte beschnitten, das des
Ministerpräsidenten dagegen massiv auf-
gewertet werden, Putin demnach mächti-
ger Premier werden. Der künftigen Verfas-
sung nach kann davon jedoch keine Rede
sein. Schwer vorstellbar, dass er noch ein-
mal ein Amt übernimmt, das vor allem da-
für zuständig ist, die Wirtschafts- und Sozi-
alpolitik im Land umzusetzen.
Der Präsident bleibt laut dem Entwurf
in Russland trotz der begrenzten Amtszei-
ten die mächtigste Instanz – er ist Oberbe-
fehlshaber der russischen Streitkräfte, er-
nennt und entlässt den Ministerpräsiden-
ten, bildet den einflussreichen Sicherheits-
rat, kann die Duma auflösen und Neuwah-
len ausrufen, falls sie dreimal den vorge-
schlagenen Premier durchfallen lässt.
Auch den Generalstaatsanwalt kann der
Präsident ernennen und entlassen, wenn-
gleich nach Beratung mit dem Föderations-
rat – eher Formsache also. Der Kremlchef
hat künftig auch das Recht, dem Föderati-
onsrat den Vorsitzenden des Verfassungs-
gerichts vorzuschlagen. Putin hat wenigs-
tens dies am Freitag in Iwanowo klar ge-
sagt: Es wäre nicht gut, das Land in eine
parlamentarische Republik zu verwan-
deln. Denn Russland brauche eine starke
Führung durch den Präsidenten. Was aber,
wenn er es selber nicht mehr ist?
Neu wird bei Annahme der Verfassungs-
reform, dass Putin und Ex-Präsident Dmi-
trij Medwedjew nach dem Ende ihrer Amts-
zeit lebenslang einen Sitz im Föderations-
rat erhalten, der oberen Parlamentskam-
mer. Das ist neu, steht jedem ehemaligen
Präsidenten zu und bedeutet lebenslange
Immunität. Aber damit noch keine lebens-
lange Macht.
Verbirgt sich also ein verändertes Macht-
gefüge in Russland in jenem unscheinbar
wirkenden Satz im Kapitel 83, der da bis-
her noch nicht stand? Der Präsident bildet
demnach einen Staatsrat, der neu auf-
taucht in der russischen Verfassung. Dies
soll offiziell bewirken, dass die staatlichen
Organe bei der Innen- und Außenpolitik
und der sozialwirtschaftlichen Entwick-
lung zusammenarbeiten. Das kann viel
oder wenig heißen. Welche Befugnisse
wird dieser Staatsrat haben, welche Aufga-
ben? Wird er mächtig sein, oder sehr mäch-
tig, oder doch gar nicht so mächtig?
Zu den heißesten Vermutungen in Russ-
land gehört seit Beginn der Verfassungsde-
batte im Januar, dass Putin nach dem Ende
seiner Amtszeit als Präsident diesen neuen
Staatsrat leiten könnte und damit auch pro
forma die Politik in Russland mitbestim-
men wird. Gut möglich. Die genauen Aufga-
ben des Staatsrats sollen zu einem späte-
ren Zeitpunkt in einem neuen Gesetz be-
stimmt werden. Das ist geschickt, denn es
verschafft Zeit und könnte das Land noch
ein paar Jahre weiter raten lassen, wie ein-
flussreich er künftig denn sein wird – der
Staatsrat, und auch Putin. Alle Optionen
bleiben somit also denkbar. Außer, dass
der jetzige Präsident zu einer „lame duck“
werden könnte.
Alexander Dubowy vom Institut für Si-
cherheitspolitik in Wien glaubt allerdings
nicht an ein völlig neues Machtzentrum. Er
schreibt in den „Russland-Analysen“, dass
der Staatsrat wohl eher beraten als bestim-
men wird. Jedenfalls offiziell. Er räumt
ein, dass schon jetzt die Präsidialverwal-
tung sehr einflussreich sei, ohne dass sie in
der Verfassung stehe. Und Kremlchef Pu-
tin selbst? Er sprach sich am Freitag in Iwa-
nowo gegen eine doppelte Machtstruktur
aus, mit einem geschwächten Präsidenten.
So etwas „wäre für Russland zerstöre-
risch“. frank nienhuysen
von silke bigalke
Moskau – Es gibt Momente, in denen russi-
sche Bürger eine Kopie der Verfassung
hochhalten, ein schmales Buch mit weiß-
blau-rotem Einband. Meistens sieht man
das bei Protesten, insgesamt aber selten.
Vergangene Woche etwa, beim Gedenk-
marsch für den ermordeten Oppositions-
politiker Boris Nemzow hatten einige Mos-
kauer ein Exemplar dabei. Der Marsch wur-
de zum Protest gegen Wladimir Putin.
Dass der Präsident nun auch noch die Ver-
fassung umschreibt, war da nur ein weite-
rer Grund. Der große Protest gegen die Re-
form an sich allerdings blieb bisher aus.
Es versteht eben niemand so richtig,
warum und mit welchen Folgen Putin die
Verfassung ändern will. Schon am kom-
menden Dienstag und Mittwoch stimmt
das Parlament über den endgültigen Ent-
wurf ab, ein Ja gilt als sicher. Mitte März un-
terschreibt dann der Präsident die Reform,
er hat sich dafür den Jahrestag der Krim-
Annexion ausgesucht – die half ihm vor
sechs Jahren, das ganze Land hinter sich
zu versammeln. Als Letzte dürfen am
- April die Bürger über die Verfassungs-
änderung abstimmen. Ein Vorgang, den es
seit 1993 nicht mehr gegeben hat. Es soll
nicht so aussehen, als habe Putin die größ-
te Veränderung des russischen Rechts seit
27 Jahren allein entschieden.
Dabei war es wohl genauso. Als der Präsi-
dent Mitte Januar seine Reform ankündig-
te, trat am selben Tag die Regierung zu-
rück. Sofort überschlugen sich die Spekula-
tionen, was Putin mit seinen Änderungen
bezwecken wolle. Zwischen Kreml, Parla-
ment, Sicherheitsrat, Staatsrat sollen Auf-
gaben umverteilt werden, so viel ist klar.
Putin bereitet offenbar die Zeit nach seiner
Präsidentschaft vor. Doch wie genau er die
Macht verschiebt, bleibt weiterhin vage.
Seit Januar ist alles nur noch unüber-
sichtlicher geworden. Der Präsident hat
die russische Verfassung zum großen Reiß-
brett erklärt. Viele Vorschläge, was man
noch alles hineinschreiben könnte, wur-
den diskutiert, sie waren bunt und weitrei-
chend: den Glauben an Gott, Russlands
Sieg im Zweiten Weltkrieg, die Neuauftei-
lung der russischen Arktis. Vergangene Wo-
che hat Putin seine eigenen Änderungs-
wünsche aktualisiert, auf 24 Seiten. Am
Donnerstag veröffentlichte das Parlament
die Version, über die es am Dienstag ab-
stimmen wird.
In Putins Verfassung wird nun Gott er-
wähnt, und es werden die Konflikte der letz-
ten Jahrhunderte glattgebügelt. Die russi-
sche Föderation sei „durch eine tausendjäh-
rige Geschichte vereint“, sie wahre das „An-
denken der Vorfahren, die uns Ideale und
den Glauben an Gott“ übermittelt haben.
Als ein Reporter den Kreml-Sprecher Dmi-
trij Peskow fragte, an welchen Gott Wladi-
mir Putin dabei gedacht habe, versicherte
der, das werde „rechtzeitig geklärt“.
Die veränderte Verfassung schreibt zu-
dem den „Schutz der historischen Wahr-
heit“ vor und die „Erinnerung an die Vertei-
diger des Vaterlands“. Einen Absatz weiter
beschreibt sie die Ehe als „Vereinigung von
Mann und Frau“, schließt damit die gleich-
geschlechtliche Ehe aus. Kinder werden
als „das wichtigste Gemeingut“ Russlands
definiert, der Staat übernimmt die Verant-
wortung für deren Erziehung, etwa zum Pa-
triotismus. Russisch wird Staatssprache.
Es wirkt so, als liste Putin die größten Hits
aus der Wertedebatte der vergangenen Jah-
re auf. Alles, von dem er glaubt, dass es den
meisten Russen lieb und teuer ist. Auch die
Krim wird wohl bald indirekt als unantast-
bare erklärt. Die Verfassung beschreibt es
als ungesetzlich, russisches Territorium
aufzugeben und dies auch nur zu fordern.
Putin betrachte die Reform als sein Ver-
mächtnis, sagt die Politikwissenschaftle-
rin Tatjana Stanowaja. Er wolle Russland
nicht nur mit der Verfassung Boris Jelzins
von 1993 zurücklassen, sondern mit „Pu-
tins Verfassung“, sich seinen Platz in der
Geschichte schaffen. „Er unterstützt all die-
se merkwürdigen Ideen über Gott und die
russische Sprache, weil er glaubt, dass die-
se traditionellen Werte das Land festigen
und Russland stärken.“ Welchen Posten Pu-
tin in vermutlich vier Jahren einnehmen
wird, verrate die Verfassung nicht.
Mit emotionalen Themen wie Gott und
Familie steuert der Kreml die Diskussion
weg von Putins Zukunft. Die Macht des am-
tierenden Präsidenten wird ausgebaut,
und nicht beschnitten, wie es auf den ers-
ten Blick erschien. Putin lässt seinem mög-
lichen Nachfolger offenbar Spielraum. Für
Tatjana Stanowaja ist das kein Wider-
spruch. „Nur ein starker Nachfolger kann
Putins Sicherheit garantieren.“
25 Prozent wollen einer Lewada-Umfra-
ge zufolge für die Verfassungsänderung
stimmen, zehn Prozent dagegen. Der Rest
ist unsicher oder will nicht hingehen.
64 Prozent verstehen die Essenz der Re-
form nicht, 58 Prozent begreifen nicht, war-
um sie notwendig sein soll. Putin hat für
Anreize gesorgt, damit am Ende genügend
Stimmen zusammenkommen. Er hat den
Mindestlohn und die Indexierung der Ren-
ten in die Reform geschrieben. Laut Umfra-
gen sind das die beliebten Punkte.
Warum gibt es nicht mehr Kritik? Weil
wohl alles zu schnell geht, zu undurchsich-
tig ist, bisher kein kontroverser Punkt her-
vorsticht. „Selbst Leute aus der Präsidenti-
alverwaltung und aus der Regierung wa-
ren nicht vorbereitet, sogar geschockt“,
sagt Tatjana Stanowaja. Wladimir Putin ha-
be der unabhängigen Opposition keine Ge-
legenheit zu Protesten geben wollen. Die
Putin-Kritiker waren so überrascht, dass
sie in Moskau Proteste erst anmeldeten,
dann aber absagten, aus Sorge, dass zu we-
nig Menschen kommen.
Dazu kommt das fehlende Vertrauen vie-
ler Menschen in ihre Verfassung. „Das ist
die größte Lehre aus dieser Geschichte“,
sagt der Soziologe Konstantin Gaaze. Nicht
was Putin wolle, nicht der Machttransfer,
„sondern die bloße Erkenntnis, dass die
Verfassung, die Russland für 27 Jahre be-
stimmt hat, von den Russen nicht wertge-
schätzt wird. Für mich ist das absolut au-
ßergewöhnlich.“ Die meisten russischen
Bürger betrachteten die Verfassung eben
als „Strategiebuch für die Elite“, sagt der
Forscher, aber kaum als relevant für ihr ei-
genes Leben.
Berlin – Als am 6. Dezember der Spaten-
stich für den Ausbau des Autobahnkreuzes
Nürnberg-Ost anstand, war das Anlass für
einen typischen Auftritt von Verkehrsmi-
nister Andreas Scheuer (CSU). Die Polizei
eskortierte anreisende Politprominenz
zum kleinen Erdhügel auf der Baustelle
am Rande der Schnelltrasse. Der Einsatz
mit der Schaufel diente dem Baufort-
schritt zwar nur bedingt, der eigenen Prä-
senz in den Medien dagegen schon mehr.
Kameras des Bayerischen Rundfunks hiel-
ten die Szene für die Nachrichten fest.
Spatenstiche, Grundsteinlegungen,
Bänder durchschneiden: Mindestens ein
mal pro Woche rücken Emissäre des Bun-
desverkehrsministeriums in Deutschland
aus, um den Bau von Verkehrsprojekten zu
starten oder sie für den Verkehr freizuge-
ben. Neue Angaben des Ministeriums zei-
gen nun, wo dabei die klaren Prioritäten lie-
gen. Denn im Terminkalender von Scheu-
er und der Ministeriumsspitze aus dem ver-
gangenen Jahr finden sich Dutzende Stra-
ßen-, aber nur ein einziges Fernbahnpro-
jekt. Die Spatenstich-Bilanz steht damit in
krassem Gegensatz zur verkehrspoliti-
schen Bedeutung. Denn eigentlich ging es
im Jahr 2019 stets darum, die Folgen von
zu viel Straßenverkehr in den Griff zu be-
kommen – ob bei Klimaschutz oder
schlechter Luft in den Städten.
Die Antworten legen nahe, wo das Minis-
terium ganz offensichtlich in der Öffent-
lichkeit punkten will. Während es sich von
63 wichtigen Straßenverkehrsprojekten
nur einen einzigen Spatenstich entgehen
ließ, listet die Antwort 94 Baustarts oder
Verkehrsfreigaben bei großen Bahnprojek-
ten auf – und 93 ohne Beteiligung von
Scheuers Ministerium. Nur ein einziges
Mal trat das Ministerium in Erscheinung:
als Staatssekretär Enak Ferlemann am
14.Dezember die Verkehrsstation Elbbrü-
cken für den Verkehr freigab. So geht es
aus der 19-seitigen Antwort der Bundesre-
gierung auf eine kleine Anfrage der Grü-
nen vom 3. März hervor, die derSüddeut-
schen Zeitungvorliegt.
Bei der Opposition wächst das Unver-
ständnis über die Haltung des Verkehrsmi-
nisters und seiner Hausleitung. Die Grü-
nen werfen Scheuer schon seit langem vor,
sich vor allem für den Straßenverkehr ein-
zusetzen. „Wenn sich die Betonmischer für
neue Bundesstraßen drehen, sind Ver-
kehrsminister Scheuer und seine Staatsse-
kretäre sofort zur Stelle“, klagte der ver-
kehrspolitische Sprecher der Grünen-Frak-
tion, Stephan Kühn, am Sonntag. „Wenn es
um klimafreundliche Mobilität auf der
Schiene oder im Nahverkehr geht, glänzt
Scheuer durch Abwesenheit.“ Der Termin-
kalender Scheuers sei das Zeugnis einer an-
tiquierten Verkehrspolitik, so Kühn.
Dabei hat das Verkehrsministerium in
den vergangenen Monaten eigentlich gute
Gründe, diese Strategie zu ändern. Denn in-
zwischen fließt so viel öffentliches Geld in
den Ausbau des Bahnverkehrs wie seit vie-
len Jahrzehnten nicht. Auch die Mittel für
den Nahverkehr wurden aufgestockt.
Doch auch von den 59 begonnenen neuen
Nahverkehrsprojekten würdigte das Minis-
terium den Listen zufolge zum Start nur
vier mit der eigenen Anwesenheit.
Tief blicken lässt auch die regionale Ver-
teilung der Auftritte. Denn während bei vie-
len Straßenprojekten in Deutschland die
Fachebene des Ministeriums vorfuhr, war
das in Bayern ganz anders. Alle sieben Fern-
straßenbau-Termine nahm Verkehrsmi-
nister Scheuer höchstpersönlich wahr.
Ähnlich präsent war die Hausleitung nur in
Baden-Württemberg, jenem Bundesland,
aus dem Scheuers Staatssekretär Steffen
Bilger kommt. Egal, ob Ortsumgehung
oder neue Lärmschutzwand – in Baden-
Württemberg war stets Bilger zu Gast. Die
eigenen Auftritte mit der Schaufel ließ sich
das Ministerium dabei durchaus auch et-
was kosten. Allein bei den Straßenbaupro-
jekten summierten sich die Kosten im ver-
gangenen Jahr nach Ministeriumsanga-
ben auf mehr als 350 0000 Euro.
Aus dem Ministerium hieß es, die stärke-
re Präsenz bei Straßenverkehrsprojekten
lasse keine Rückschlüsse auf politische Zie-
le zu. Der Bund stelle der Bahn mehr finan-
zielle Mittel denn je zur Verfügung. Scheu-
er war bereits vergangenen Woche in die
Kritik geraten, weil sein Ressort die eige-
nen Klimaziele zu verfehlen droht. Scheu-
ers Klimaplan soll laut Gutachtern anderer
Ministerien gerade mal die Hälfte der
selbst gesteckten Ziele bis zum Jahr 2030
bringen.
Der Autoverkehr gehört seit Jahren zu
den großen Klimasündern. Er trägt maß-
geblich dazu bei, dass Deutschland seine
Vorgaben aus dem Abkommen von Paris
verfehlt. Umweltverbände kritisierten zu-
letzt den Kurs der Regierung. So sprach
der BUND von einem klimapolitischen Ver-
sagen. Umweltministerin Svenja Schulze
(SPD) erklärte, es seien weitere Maßnah-
men nötig, um die fehlenden Prozentpunk-
te zu schaffen. Im April soll es wegen der
neuen Lage eine weitere Sitzung des Klima-
kabinetts geben. markus balser
Köln – Das UN-Kinderhilfswerk Unicef
appelliert an die große Koalition, bei
der Umsetzung der Kinderrechte die
Chance auf ein kinderfreundlicheres
Deutschland wahrzunehmen. Bei der
geplanten Aufnahme der Kinderrechte
ins Grundgesetz müsse das Kindeswohl
bei entsprechenden staatlichen Ent-
scheidungen stärker berücksichtigt
werden, forderte der Vorstandsvorsit-
zende von Unicef Deutschland, Georg
Graf Waldersee, am Samstag in Köln.
Dazu gehörten Entscheidungen bei
städtebaulichen Fragen wie der Pla-
nung von Spielplätzen. Union und SPD
streiten derzeit über den Gesetzentwurf
zu Kinderrechten von Justizministerin
Christine Lambrecht (SPD), am Sonntag-
abend wollte sich der Koalitionsaus-
schuss damit befassen. epd Seite 4
Köln– Die Ungleichheit bei Einkom-
men und Vermögen in Deutschland hat
nach einer IW-Studie in den vergange-
nen Jahren nicht weiter zugenommen.
Seit dem Jahr 2005 schwanke die Un-
gleichheit in den verfügbaren Haus-
haltseinkommen auf einem nahezu
unveränderten Niveau und sei nach
aktueller Datenlage im Jahr 2017 auch
nicht signifikant höher als 2009. Das
geht aus einer am Sonntag vorgelegten
Studie des arbeitgebernahen Instituts
der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln
hervor. Auch die Verteilung des Netto-
vermögens stelle sich als bemerkens-
wert stabil heraus. Zur Verteilung der
Einkommen und Vermögen in Deutsch-
land gibt es seit Jahren unterschiedli-
che Ansichten. Als weitgehend unstrit-
tig gilt, dass bis zum Jahr 2005 die Un-
gleichheit stark zugenommen hatte.
Über die Folgejahre herrscht dagegen
Dissens. dpa Seite 4
Beirut– Das mit einer schweren Wirt-
schaftskrise kämpfende Libanon steu-
ert auf einen Staatsbankrott zu. Die
Regierung erklärte am Samstag, in
Kürze anstehende Zahlungen auf Staats-
anleihen auszusetzen. Die ausländi-
schen Devisenreserven des Landes
seien auf ein kritisches Niveau abgesun-
ken, sagte Ministerpräsident Hassan
Diab im staatlichen Fernsehen. Deshalb
sollten mit den Anleihe-Investoren faire
Gespräche zur Umstrukturierung der
Schulden begonnen werden. Dabei wird
oft versucht, etwa die Zinslast zu drü-
cken und Zahlungen aufzuschieben.
Potenzielle internationale Geldgeber
hatten wiederholt Hilfen von Reformen
in Libanon abhängig gemacht. Exper-
ten gehen davon aus, dass der einzige
Weg des Landes für finanzielle Unter-
stützung über ein Programm des Inter-
nationalen Währungsfonds führt. Liba-
non steckt in einer Staats- und Finanz-
krise. Landesweit war gegen Misswirt-
schaft und Korruption protestiert wor-
den. reuters
Erfurt –Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow (Linke) will das Paritäts-
gesetz seines Bundeslandes vorüberge-
hend außer Kraft setzen lassen. Damit
soll sichergestellt werden, dass die für
April 2021 geplante Landtagswahl auf
rechtlich sicheren Füßen steht. 2019
hatte die Landesregierung mit rot-rot-
grüner Mehrheit durchgesetzt, dass die
Wahllisten künftig jeweils zur Hälfte
mit Männern und Frauen besetzt sein
müssen. Aber durch eine bereits ein-
gereichte Verfassungsklage der AfD
und einen Antrag der FDP, das Gesetz
aufzuheben, werde jede Landtagswahl
blockiert, so Ramelow. „Deshalb wollen
wir das Inkrafttreten außer Kraft set-
zen“, sagte er derThüringer Allgemei-
nen.dpa Aktuelles Lexikon
Berlin– In der AfD wächst die Sorge
vor den Folgen einer teilweisen Beob-
achtung durch den Verfassungsschutz.
„Wir merken durch viele Gespräche, die
wir überall im Land führen, dass es
gerade bei ihnen eine gewisse Verunsi-
cherung gibt“, heißt es einem Brief der
Parteivorsitzenden Jörg Meuthen(FOTO:
DPA)und Tino Chrupalla an die Mitglie-
der. Selbst wenn die AfD tatsächlich als
Verdachtsfall beobachtet würde, sei das
„kein Anlass für Beamte, die Partei zu
verlassen“, schrieben die Parteichefs
am Samstag. Die AfD kündigte bereits
rechtliche Schritte an. Auch im Fall
einer Beobachtung werde man sich
„natürlich rechtlich zur Wehr setzen“,
heißt es weiter. Der Bundesvorstand
werde sich mit aller Kraft gegen Bestre-
bungen stemmen, die Partei und ihre
Mitglieder zu beobachten. Der „Flügel“,
die rechtsnationale Strömung in der
Partei, sowie die Junge Alternative, die
Jugendorganisation der AfD, werden als
Verdachtsfall im Bereich des Rechtsex-
tremismus eingestuft. mbal
Laut einer Umfrage sind die meisten
Bürger unsicher oder wollen
der Abstimmung fernbleiben
Die regionale Verteilung
der Auftritte von Minister
Scheuer lässt tief blicken
6 HF3 (^) POLITIK Montag, 9. März 2020, Nr. 57 DEFGH
Demonstranten nutzten Ende Februar einen Gedenkmarsch in Moskau, um die von Präsident Putin eingeleitete Verfassungsreform zu kritisieren. FOTO: DILKOFF/AFP
Starke Kinderrechte gefordert
Ein sehr mobiler Bundesverkehrsminister: Andreas Scheuer in einem ultraleichten
Hubschrauber auf dem Flughafen Leipzig-Halle. FOTO: JAN WOITAS / DPA
Einkommensverteilung stabil
Libanon vor Staatsbankrott
Paritätsgesetz ausgesetzt
Rätsel gibt der „Staatsrat“
im Verfassungstext auf
AfD fürchtet Beobachtung
KURZ GEMELDET
Das klare Machtzentrum Russlands: der
Kreml in Moskau. FOTO: IMAGO
Putins Füllhorn
Russlands Präsident lässt allerlei Populäres in die Verfassung aufnehmen, von höheren Renten
bis zum Gottesglauben. Das lenkt von den zentralen Fragen ab – und hält Proteste klein
Dieser
unscheinbare Satz
Die neue Verfassung lässt offen,
wie viel Macht Putin bleibt
Minister Spatenstich
Wenn es um neue Straßen geht, ist Andreas Scheuer gern zur Stelle. Bei Bahnprojekten macht er sich dagegen rar