Frankfurter Allgemeine Zeitung - 03.03.2020

(Michael S) #1

Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / AutomotiveTrends / 3. März 2020 V2


r h n d n r l n n t r g i n d f r r n


Herr Wieker, seit einigen Jahren gilt
das vernetzte Auto als eine der großen
Zukunftsvisionen der Mobilität. Wie weit
sind wir dabei heute, im Jahr 2020?
Im Prinzip sind wir schon ziemlich weit. Als
technische Basis existiert heute ein serien-
reifer, spezieller W-Lan-Standard, der nicht
nur eine Kommunikation von Fahrzeug zu
Fahrzeug unterstützt, sondern auch eine
mit der Verkehrsinfrastruktur, also bei-
spielsweise mit entsprechend ausgerüsteten
Ampeln. Solche Systeme weisen nicht nur
auf starkes Bremsen im vorausfahrenden
Verkehr hin, sondern informieren auch,
wenn weiter vorne ein Airbag ausgelöst
wurde, was auf einen schweren Unfall hin-
deuten würde. Sie können den Fahrzeugen
auch eine Geschwindigkeitsempfehlung
mitteilen, um den optimalen Verkehrs-
fluss zu erhalten. Das erhöht nicht nur den
Komfort der Autofahrer, sondern auch ihre
Sicherheit: Ein gut fließender Verkehr senkt
erwiesenermaßen d ie Unfallzahlen.

Sie sagen, „im Prinzip“. Sind die Systeme
denn marktreif und einsatzbereit?
Noch nicht, aber sie sind möglich, und sie
werden kommen. Vorreiter ist hier zurzeit
der Volkswagen-Konzern. Das Unternehmen
hat angekündigt, seine Fahrzeuge über die
gesamte Modellpalette hinweg mit diesem
W-Lan-System auszurüsten. Auch Infra-
strukturbetreiber wie die österreichische
Asfinag, die mit dem sogenannten „Pickerl“
die Autobahnen und Schnellstraßen des
Landesfinanzierenhelfen,wollenihreAnla-
genentsprechend ausrüsten. Allerdings hat
sich eine europaweite Standardisierung
dieser W-Lan-Technik im vergangenen Jahr
nichtdurchgesetzt. Ausgerechnet derdeutsche
Verkehrsminister Andreas Scheuer war
dagegen und hat sich nicht für das W-Lan,
sondern für den Mobilfunkstandard 5G
stark gemacht.

Was spricht aus Ihrer Sicht denn für den
Einsatz von WLAN?
Erstens ist die Technologie jetzt verfügbar
undkannjetztandenMarktgebrachtwerden.
Es lassen sich damit Angebote und Services
realisieren,die mitderMobilfunktechnologie
5G derzeit nicht möglich sind. Zweitens ist
der Einsatz der WLAN-Technologie offen.
Abseits der Autohersteller, Zulieferer und

Infrastrukturbetreiber heißt das: Jeder
Bürgermeister könnte selbst entscheiden,
ob er die Ampelanlagen seiner Stadt mit
Technik ausrüstet. Er müsste dabei nicht auf
einen der Mobilfunknetzbetreiber warten
und hätte außerdem Zugriff auf eine kosten-
günstige Technologie.

W-Lan-Netze in Haushalten leiden oft unter
geringen Reichweiten und Überschneid-
ungenmit benachbarten Netzen.Funk-
tioniert das denn in fahrenden Autos?
Dieser W-Lan-Standard ist mit dem, den wir
aus unseren Wohnungen und Häusern ken-
nen, nicht zu vergleichen. Die Reichweite ist
mit mehreren hundert Metern viel höher,
die Frequenzen im Bereich von 5 ,9 Giga-
hertz sind exklusiv für diese kooperativen
Anwendungen reserviert, zu denen eben
auch die Vernetzung von Fahrzeugen in der
Umgebung zählt. Wir haben auf einem ehe-
maligen Nato-Flugplatz getestet, wie schnell

sich Fahrzeuge aufeinander zu bewegen
können und dabei noch zuverlässig kommu-
nizieren können. Auf 4 50 Kilometer pro
Stundehabenwir esgebracht. Mehrwarleider
nicht zu machen, weil die Fahrt mangels
Bremsweg sonst im Acker hinter dem Ende
des Runways geendet hätte. Die Verbindung
zwischen den Fahrzeugen war jedenfalls
geradezu erschreckend perfekt.

In welchem Segment der Mobilität wird
das vernetzte Auto sich zuerst am Markt
etablieren?
Viele kleinere Anwendungsbeispiele für
vernetzte Autos existieren bereits jetzt. Spre-
chen wir aber vom autonomen Fahren, dann
wird sich dies als Erstes dort durchsetzen,
wo professionell Güter oder auch Menschen
transportiert werden, also in der Personen-
beförderung und im Güterverkehr. Der
Grund dafür ist vor allem ein wirtschaft-
licher. Das sogenannte Level 3 des selbstfah-

renden Autos, bei dem man sich für einige
Zeit vom Verkehrsgeschehen abwenden darf,
istfürdenIndividualverkehrzuaufwendig
und zu teuer. Für diesen Markt werden
wir Verbesserungen von Level 2-Systemen
sehen, wie wir sie heute schon kennen,
beispielsweise einen adaptiven Tempomat
mit Erkennung von Verkehrsschildern. Bei
professionellen Anwendungen werden die
Hersteller gleich auf Level 4 springen und
damit Robotertaxis oder selbstfahrende
Transportfahrzeuge ausstatten.

Einer der großen Kritikpunkte am
vernetzten Auto waren immer die Daten-
hoheit und die Datensicherheit. Ist das
eine Hürde bei der Entwicklung?
Hier müssen wir Europäer unbedingt den
Technologieunternehmenaus denVereinig-
tenStaaten wie Google, Amazon, Facebook
und Apple etwas entgegensetzen. Diese
Gegenentwürfe müssen dann allerdings
auch anders aussehen, denn um das Glei-
che nachzubauen, fehlt uns in Europa die
ökonomische Kraft. Gerade die deutschen
Hersteller waren hier auf einem guten Weg,
haben sich aber jüngst leider über die Frage
der Netztechnologie zerstritten. Das ist
auch deshalb bedauerlich, weil die W-Lan-
Technologie über einen hohen Standard in
der Datensicherheit verfügt. Sonst dürfte
der erwähnte Bürgermeister ein System
dieser Art in seiner Stadt überhaupt nicht
installieren.

Was sind im Moment die großen
Herausforderungen auf dem Weg zum
vernetzten Auto?
Hinderlich sind derzeit vor allem zwei
Faktoren. Zum einen ist das die Uneinig-
keit der Hersteller, zum anderen die
Politik. Gerade dort fehlt sichtlich der
Wille, Entscheidungen zu treffen, nötige
Rahmenbedingungen zu schaffen und so
die Markteinführung zu unterstützen. Die

Autohersteller, Zulieferer und die Infra-
strukturbetreiber müssen schließlich die
Chance sehen, ihre Investitionen wieder
einzuspielen. Solange das nicht der Fall ist,
wirddasThemahierzulandenichtinsLaufen
kommen. Manchen Herstellern, die im
Moment vielleicht gar nicht die nötigen Res-
sourcen haben, diese Entwicklung voranzu-
treiben, mag diese Verzögerung aber sogar
eine willkommene Atempause verschaffen.
Für die Branche und den gesamten Stand-
ort Deutschland ist es aber eine verpasste
Chance, Akteuren wie Google und anderen
rechtzeitig etwas entgegenzusetzen.

Es heißt immer wieder, dass Google, aber
auch Autohersteller wie Tesla einen
Technologievorsprung von mehreren
Jahren haben. Stimmt das?
Teslahat tatsächlich beider Bilderken-
nung,der Software und dem Prozessor, der
dahintersteckt, eine Nasenlänge Vorsprung.
Ich spreche absichtlich nicht von Jahren,
weil die Entwicklungswerkzeuge, die allen
Herstellern heute zur Verfügung stehen,
wesentlich besser sind als früher. Wenn man
sich anschaut, wie lange es gedauert hat, ein
Abstandsradar auf den Markt zu bringen,
und wie schnell heute wesentlich größere

Schritte vollzogen werden, dann ist der
Vorsprung vorhanden, aber nicht in dieser
Größenordnung.

Werden Fahrer und Mitfahrer die vernetz-
ten Autos überhaupt wollen?
Ende vergangenen Jahres hatten wir im
öffentlichen Verkehr im Stadtzentrum von
Merzig den Tag des offenen Testfeldes. Hier
konnten die Bürgerinnen und Bürger in
ihrer gewohnten Umgebung zukünftige
AnwendungenliveinunserenTestfahrzeugen
erleben.Die Reaktion bestand durchweg aus
der Frage, wann man das im eigenen Auto

haben könne. Grundsätzlich gibt es beim
hochautomatisiertenFahrenzweiLager:Die
einentrauenderTechnik nicht, vielleichtzu
Recht, dennbeiallenheuteverfügbarenAssis-
tentenrateichdeutlichdazu, denVerkehrwei-
terhingutzubeobachten.Unddann gibtes
diejenigen,dieimAutogerneetwasanderes
machenwürden,alsselbstzusteuern,und
aufsolcheAngebote nurwarten.Ichhalte das
für einen normalen Gewöhnungsprozess, wie
wirihnbeiderEinführungandererTechno-
logienbereitsgesehenhaben.

Das Interview führte Michael Hasenpusch.

„Ein ganz normaler Gewöhnungsprozess“


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AutomotiveTrends
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Sprechen sich unsere Autos bald untereinander ab, während wir in ihnen dahinbrausen. Und haben dabei auch die A mpeln ein Wörtchen mitzureden? Professor Horst Wieker von der


Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes im Interview über Fortschritte und Hürden auf dem Weg zum vernetzten Fahrzeug.


20,5

24,8

46,5

53,9

China 63,0

Deutschland

Vereinigte Staaten

Japan

Südkorea

Indien

Frankreich

Italien

RANKING DERINTERNATIONALEN
STÄRKE BEIM VERNETZTENAUTO
Die Stärke set zt sich zusammen aus Faktoren
wie Innovatio nskraft, Ma rktgr öße,
natio nale digitale Stärke, Big -Data-Play ern
und anderen. (in Prozent)

DATENQUELLECCI-STUDIE 2019

14,8

9,3

6,3

VERNETZTE AUTOS:
INNOVATIONSSTÄRKEDER
LÄNDER IM VERGLEICH
Bei der Innovatio nsstärke liegt Deutschland
weiter vorne. China h olt jedoch rasant auf,
ehemals starke Län der wie J apan fallen zurück.
(in Prozent)

DATENQUELLECCI-STUDIE 2019

45 % Deutschland
24 % China
8 % Japan
9 % Vereinigte Staaten
6 % Südkorea
5 % Indien
2 % Frankreich
1 % Italien

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