Montag, 2. März 2020 GELD & FINANZEN 21
WELTWIRTSCHAFT UNDFINANZMÄRKTE
Corona-Epidemie stärkt Erwartung von weiteren Zinssenkungen
Kurseinbussenbei den Pandemie-Katastrophenbonds der Weltbank
ANDREAS UHLIG
Die Finanzmärkte haben erst mit gerau-
mer Verzögerung auf die Coronavirus-
Epidemiereagiert – dann aber umso
heftiger. Die Kurse von Aktien brachen
scharf ein, und dieRenditen von Staats-
anleihen, insbesondere vonTreasuries,
fielen auf neueTiefs. Angesichts dieser
Entwicklung überrascht nicht, dass in
Finanzmarktkreisen sofort wieder die
Diskussion aufkam, ob, wann und wie
intensiv die Notenbanken zu neuen Zins-
senkungen Zuflucht nehmen würden.
«Nichtsmehr zu stimulieren»
Immer mehr Investoren sind überzeugt
davon, dass die Notenbanken auf die
Störungen derMärkte und derWirt-
schaftreagieren werden.Ihre Aufmerk-
samkeit gilt vor allem der US-Noten-
bank, aber auch der EuropäischenZen-
tralbank.Auch Gerüchte über bevor-
stehende koordinierte Aktionen der
wichtigsten Notenbanken sind aufge-
kommen. Der Präsid ent desFed, Je-
rome Powell, signalisierte die Bereit-
schaft,die zurVerfügung stehenden Mit-
tel der Geldpolitik einzusetzen, falls die
wirtschaftliche Entwicklung dies erfor-
dere. Ebenso hältJames Bullard, Präs i-
dent derFederalReserveBank von St.
Louis, beimAuftreten einer echtenPan-
demie Zinssenkungen für denkbar.
Namhafte Investmentbanken haben
ihre bisherigen Prognosen überden
Haufen geworfen. Dies gilt insbeson-
dere für Goldman Sachs. Chefökonom
Jan Hatzius hattekeine Zinssenkungen
in diesemJahr erwartet, geht nun aber
von einer geldpolitischen Lockerung
durch mehrere der wichtigsten Noten-
banken derWelt aus. Zu ihnen gehört
auch dasFed mitKürzungen um insge-
samt 75Basispunkte in drei Einzelschrit-
ten bis EndeJuni.Auch Michelle Meyer,
Chefökonomin derBank of America,
prognostiziert Zinssenkungen desFed
von insgesamt 50Basispunkten als pro-
aktiveVersicherung gegen eine weitere
Verschlechterung der Stimmung in den
Märkten und derWirtschaft.
AndereKommentatoren halten aller-
dings von weiteren Reduktionen der be-
reits tiefen oder gar negativen offiziel-
len Zinsen wenig. Peter Boockvar, Chef-
anleger der BleakleyAdvisory Group,
meint, dass nichts mehr stimuliert wer-
den könne, das nicht längst stimuliert
worden sei. Schon seitJahren seien die
Kapitalkostenkein zwingender Hinde-
rungsgrund für Investitionen mehr. Zu-
dem hätten die Kapitalmärkte in letzter
Zeit eine weitere monetäre Lockerung
bereits durchgeführt.Tiefere offizielle
Zins en könnten dieWiederinbetrieb-
nahme stillgelegter Betriebe nicht be-
schleunigen, viele Staaten undKonsu-
menten seien für dieAufnahme neuer
Kredite viel zu verschuldet.
Nicht nur die grossenFinanzmärkte
hatten die Epidemielange negiert – vor
allem weil sie überzeugt waren, dass sie
die Notenbanken auf jedenFall vor dra-
matischen Einbrüchen schützen würden.
Auch in Spezialmärkten kam es erst ver-
zöge rt zu Reaktionen. Ein interessantes
Beispiel ist diePandemie-Katastrophen-
anleihe derWeltbank. Die imJuli 20 17
in zweiTranchen unter Mitwirkung von
Swiss Re, MünchnerRück und GC Secu-
rities aufgelegte, deutlich überzeichnete
Anleihe über insgesamt 320 Mio. $ hatte
bis AnfangFebruarkeine nennens-
wert tieferenKursnotierungen zu ver-
zeichnen.Jetzt aber meldet die Risiko-
ana lysefirmaArtemis einenAbsturz der
Kurse auf bis zu rund 45 Cent für die ris-
kantere B-Tranche, während diekonser-
vativer gestalteteA-Tranche beiunge-
fähr 90 Cent notiert. Die Bonds werden
an keiner Börse gehandelt, dieKurse
werden vielmehr durch Brokerermittelt.
Die Ziele dieser nur an qualifizierte
Investoren gerichteten Anleihe sind, die
Pandemic EmergencyFinancingFacility
(PEF) derWeltbank mit Liquidität für
die Bekämpfung vonPandemien zu ver-
sorgen und gleichzeitig den Märkten ein
neuesFinanzierungsinstrument zugeben.
Die Zahlungen sind an Bedingungen ge-
knüpft, die ausserordentlich detailliert
in dem 386 Seiten umfassenden Zeich-
nungsprospekt aufgeführt sind. Bei Leis-
tungenreduzieren sich dieRückzahlun-
gen an die Investoren beiFälligkeit der
Bonds (Juli 2020).Für das eingegangene
Risiko, das bis zumTotalausfall gehen
kann, erhalten die Investoren der weni-
ger riskantenTranche über 225 Mio. $
laut Artemis einen Zins von 6,9%, wäh-
rend die risikore ichereTranche über
95 Mio. $ mit 11,5% verzinst wird.
UmstritteneBedingungen
Die Weltbankanleihe ist umstritten, da
ihre strikten Bedingungen selbst bei
demAusbruch von Ebola im vergan-
genenJahr eine Unterstützung verhin-
derten. DerKurs der B-Tranche warda-
malsauf 40 Cent gefallen.Für Corona
sind erste wichtige Bedingungen, wie
eineMindestzahlregistrierterTodes-
fälle und betroffenerLänder, erreicht
worden. Den Anlegern drohen Kapital-
verluste. Nicht notwendig ist, dass die
WHO offiziell einePandemie erklärt.
Etwaige Zahlungen finden frühestens
84 Tage nachAusbruch der Krise statt.
Neue Chancen für Wasserstoffaktien
Die Aussicht auf niedrigere Kosten und eine bessere Infrastruktur könnte Valoren mit Bezug zur Brennstoffzellentechnologie beflügeln
CAROLINROTH
Für Anleger sindTechnologien, die zur
Reduzierung des CO 2 -Ausstosses bei-
tragen, sehr vielversprechend. Neben
batteriebetriebenen Elektroautos
und flüssigem Erdgas für Container-
schiffe halten viele Investoren Brenn-
stoffzellen, die mitWasserstoff betrie-
ben werden, für zukunftsträchtig. Diese
Technologie ist zwar nicht neu, trotz-
dem sind zwei elementare Probleme un-
gelöst: die hohenKosten und die feh-
lende Infrastruktur. Wä hrend der Preis
für Brennstoffzellen bei über 100 € pro
kW liegt,kostet das kW beim Elektro-
auto rund30 Cent.
KlimaneutraleTechnologie
Das Potenzial für den Klimaschutz ist
dafür sehrhoch. Im Gegensatz zu den
heutigen fossilen Energiequellen ver-
spreche die Wasserstofftechnologie
Klimaneutralität, sofern derWasser-
stoff aus erneuerbarer Energie her-
gestellt werde, sagt Geert Tjarks von
NOW (National Organisation Hydro-
ge n andFuel CellTechnology) in Ber-
lin. In demFall spricht man von «grü-
nem»Wasserstoff. Dieser wird durch
Elektrolyse erzeugt, im Gegensatz zu
«grauem»Wasserstoff, der aus fossilem
Erdgas gewonnen wird.
Die Euphorie über das Potenzial
von Wasserstoff und Brennstoffzellen
hat auch mutige Anleger gepackt. Die
Aktien von Wasserstofffirmen sind
schon seit mehrerenJahren bei Inves-
toren sehr gefragt. So stellten dieValo-
ren der kanadischen Brennstoffzellen-
fir ma BallardPower mit einemKurs-
plus von 200% im vergangenen Jahr
viele andereKonkurrenten inden Schat-
ten. Auch die Dividendentiteldes US-
Marktführers, PlugPower, stiegen 20 19
um 150%. Allerdings sind diese Aktien
immer wieder durch grosseVolatilität
gekennzeichnet.
In Europa gibt es lediglich eine
Handvoll kotierter Wasserstoffunter-
nehmen, wie die norwegischeFirma
Nel, derenTitel in den vergangenen
sechs Monaten um rund 50% zugelegt
haben. Die Aktien der schwedischen
FirmaPowerCell und der britischen
ITMPower haben in den vergangenen
Monaten ebenfalls hoheKursgewinne
verbucht. Eine Prognose dazu, ob diese
erstaunlicheRally anhält, wagt im der-
zeit schwierigen Marktumfeld kaum
ein Analytiker zu machen. Doch eines
ist für die Experten sicher: Brennstoff-
zellen undWasserstoff sind aus dem
Energiemix der Zukunft nicht mehr
wegzudenken.
Wie so oft sind dieAsiaten den Euro-
päern auch bei derWasserstoffindustrie
eine Nasenlänge voraus.Vor allemJapan
will seineVormachtstellung im Sommer
verdeutlichen, indem dasLand bei den
Olympischen Spielen inTokio mit mehr
als 40000 Wasserstofffahrzeugen und
160 Wasserstofftankstellen imponieren
möchte. Auch China und die USA sind
führend inForschung und Anwendung.
Potenzial in der Schweiz
In der Schweizsteckt die Wasserstoff-
wirtschaft imVergleich mit Asien noch
in den Kinderschuhen. Die Zahl der
angemeldeten Wasserstoffautos liegt
bei 25. Coop betreibt in Hunzensch-
wil die bisher einzige H 2 -Tankstelle der
Schweiz. EinVorreiter ist derFörder-
verein H2 Mobilität Schweiz. Die pri-
vatwirtschaftliche Initiative, die unter
anderem Coop, Migros, Agrola, Shell
Schweiz, die Emil-Frey- Gruppe, Socar
und Avia zu ihren Mitgliedern zählt,
plant bis 2023 ein flächendeckendes
Netz vonWasserstofftankstellen.
Immer wieder jedoch weisen Exper-
ten in Bezug auf dieWasserstoffinfra-
struktur auf das Henne-Ei-Problem hin.
Wie schafft man es, die Nachfrage anzu-
regen,wenn die Infrastruktur so spärlich
ist? «Dies ist der Grund, warum es uns
gibt – weil wir di eses Henne-Ei-Problem
lösen wollen.Gemeinsam bauen wir das
Wasserstoff-Ökosystem auf undkön-
nen so die Infrastruktur skalieren. Plan-
bar können wir einekonstante Grund-
auslastung einerTankstelle garantie-
ren», sagt der Präsident desFörderver-
eins, Jörg Ackermann. So verbraucht ein
LKW rund 30 bis 50 Mal so vielWasser-
stoff wie einPersonenwagen.Dadurch
kommt laut Ackermann vielTreib-
stoffvolumen zusammen, was den Ab-
satz an denTankstellen sichern würde.
Für die Logistiker wie Coop, Galliker
und Migros, die dieseLastwagen fah-
ren, sei der Betrieb am Ende desJahres
ergebnisneutral und etwa gleich teuer
wie ein LKW mit Dieselantrieb. Laut
Ackermann wird diekore anischeFirma
Hyundai bis 2023 rund 1000wasserstoff-
betriebene LKW in die Schweiz liefern.
Schon Ende 2020 werde es 50 solcher
Lastwagen und 6 neueWasserstofftank-
stellen in der Schweiz geben.
Privatwirtschaftam Zug
An diePolitik hat derFörderverein
keine grossen Erwartungen.«Wir er-
wartenkeine monetäre Förderung, viel-
leicht die eine oder andereRahmen-
bedingung, wie etwa schnellere Bewil-
ligungsverfahren. Aber wir bauen uns
unser eigenes Netzwerk auf», betont
Ackermann. Anders als in Deutschland
gebe es in der Schweizkeine grossange-
legte Industriepolitik, sondern eher Pi-
lot- und Demonstrationsprojekte. Somit
sei die Privatwirtschaft stärker am Zug.
Eine neue Studie namens «Path
To Hyd rogen Competitiveness» sorgt
für Optimismus, was das Problem der
hohenKosten betrifft.Laut denAuto-
ren vom Hydrogen Council und der
Beratungsfirma McKinseykönnten die
Kosten fürWasserstoff in denkommen-
den zehnJahren um 50% sinken. Der
entscheidende Punkt seien die Skalen-
effekte in der Herstellung vonWasser-
stoff sowie von wasserstoffbetriebenen
Fahrzeugen. Die Anwendungsgebiete
von Wasserstoffreichen laut denAuto-
ren von Zügen über den Schwertrans-
port bis hin zum Heizen. Die Anwen-
dungvon Wasserstoff kann laut der
Stu die annähernd sokosteneffizient
werden wie andere kohlenstoffarme
Energiequellen.
Sogar imVergleich mitkonventio-
nellen Energiequellen könne Wasser-
stoff insbesondere bei Schwertranspor-
ten und Gabelstaplernschon bald wett-
bewerbsfähig werden. Die US-Firma
PlugPower beliefert bereits zahlreiche
Unternehmen wieWalmart oder Ama-
zon mit Gabelstaplern,die mit Brenn-
stoffzellen betrieben werden. Für die
DeutschePost arbeitet das Unterneh-
men an wasserstoffbetriebenen Liefer-
fahrzeugen.
TeureWasserstoffautos
Tjarks von NOW sieht aber auchPoten-
zial fürPersonenwagen – allerdings nur
im Langstrecken- oder Flottenbetrieb.
Generell wären aus technischer Sicht
Brennstoffzellen für Anwendungen mit
hohem Energiebedarf und hoherAus-
lastung interessant. Hier bietetWasser-
stoff aufgrund seiner Speicherdichte
Vorteile gegenüber batteriebetriebenen
Fahrzeugen. Bei sehr hohem Energie-
bedarf, wie beispielsweise in der Luft-
und der Schifffahrt, stöss t aber auchrei-
ner Wasserstoff an seine Grenzen.
Toyota und Hyundai zählen zu den
wenigenAutobauern, die wasserstoff-
betriebene Autos in Serie herstel-
len. Der Preis für einenToyota Mi-
rai oder einen Hyundai Nexo ist mit
rund 70000 € deutlich höher als jener
für batteriebetriebeneAutos oder sol-
che mitVerbrennungsmotor. Für die
breite Masse sind Brennstoffzellenautos
bis jetzt kaum erschwinglich.Trotz-
dem positioniert sich auch der deut-
sche Automobilzulieferer Bosch in die-
sem Bereich. DieFirma hat ihren An-
teil an der britischen Brennstoffzellen-
firma CeresPower von bisher4 au f 18%
erhöht. Zudem hält Bosch 11% an der
schwedischenFirma PowerCell.
Namhafte Investment-
banken haben ihre
bisherigen Prognosen
über den Haufen
geworfen.
Kalifornien investiertMilliarden in denAufbau einesNetzes an Wasserstoff- und Elektro-Tankstellen. DAVIDPAUL MORRIS / BLOOMBERG