Neue Zürcher Zeitung - 02.03.2020

(avery) #1
Montag, 2. März 2020 FEUILLETON 25

Für Peter Maffay ist Rock eine Lebensform, diemit


Konventionenbricht und für ehrliche Arbeit steht SEITE 26


Charles Murray untersucht genetisch bedingte Unterschiede


zwischen Menschen und löst damit Kontroversen aus SEITE 27


Was zählt, ist einzigdie Länge – auch bei diesen Stilettos von ChristianLouboutin, ausgestelltin Paris. JEAN-VINCENT SIMONET

Die wahre Feministin steht auf High Heels


Der Stöckelschuh galt lange als Dolch im Herzen der Ema nzipation. Das alte Märchen hat ausgedient


DANIELE MUSCIONICO


Da ging die Schöne, Brust voran, ihr
Heckteilragte in die Luft. Sie schien ein
Wunder der Anatomie, erschaffen von
plastischen Chirurgen – und vom Mode-
un ternehmen Gucci.
Salma Hayek stand auf eindrucksvoll
hohen Absätzen, die dafür sorgten, dass
ihr Auftritt in Erinnerung bleibt. Denn
durch den steilen Schuh gabenauch ihr e
Hüften mit jedem Schritt nach. Unbe-
schreiblich, wie sie an derVerleihung
der Golden Globes diesenJanuar über
den roten Teppich trippelte.


DerTreter ist einStellvertreter


Endlos schienen die Beine, und wie
süsse kleineVögelchen – im ledernen
Käfig der italienischen Bondage – ihre
verkürztenFüsse. Bewundernde Blicke
folgten ihr, Kommentare neidvoller Ge-
schle chtsgenossinnen genauso wie ent-
zückter Männer. In den sozialen Netz-
werken war indes zu lesen: Ein Holly-
woodstar und «role model», das alsFrau
High Heels trägt,begehe Hochverrat an
der Schwesternschaft desFeminismus.
Gemach,Geduld,noch istPolen nicht
verloren. Andererseits, wenn sich eine
gute Sache allein durch hochhackige
Schuhe verraten lässt, wird wohl nicht
besonders viel an ihr gewesen sein. Es
ist das alte Lied, gesungen von Men-
schen,die des Guten undLauten zu viel
in ein falschesThema investieren: Ge-
mäss ihnen ist der Stiletto eine sexis-
tische Erfindung sadistischer Männer,
denen es Spass macht,Frauen leiden
zu sehen.
Aber worum geht es hier eigent-
lich? Ein Stöckelschuh ist per se nur ein
Schuh auf einem etwas höheren Absatz.
Seine besondereForm ist es, die offen-
bar fürAufregung sorgt.AlsFussbeklei-


dung ist er nichts anderes als einTreter
und Stellvertreter.
Das sehen Kritiker und Kritikerin-
nen nicht gerne so. Besonders dieame-
rikanischeAutorin Naomi Wolf hat
als eine der bekanntesten Stimmen in
ih rem Buch «Mythos Schönheit» An-
fang der neunzigerJahre ein ganz be-
sonders missgünstiges Bild von hohen
Frauenschuhen entwickelt. Mit Aplomb
behauptet sie, High Heels seien einzig
dazu da,dem weiblichen Geschlecht das
Fortkommen zu verunmöglichen. Und
zwar im übertragenen wie im wörtlichen
Sinn , dem Individuum genauso wie der
ganzen Art. Ein bizarrer Gedanke, der
tief in die lädierte Psyche einerFrauen-
rechtlerin blicken lässt.
Es scheint nun einmal so, der Stöckel-
schuh birgt unendlichesFutter für Phan-
tasien,deren man auf eine andereWeise
nicht Herr oder Herrin wird. Und sei es
die Vorstellung, wer Stilettos trage, ste-
che demFeminismus ins offene Herz.
Das Gegenteil ist wahr. Egal wie unge-
sund, aufreibend im Sinne desWortes
und wie mühevoll er den Gang vonA
nach B gestaltet; der High Heel ist die
Erlaubnisan die Trägerin,den Schweins-
galopp desAlltags zuunterbrechen, still-
zustehen undkein anderes Ziel vor sich
zu haben – als sich selbst zu gefallen.
Wozu also die Mäkelei?

Der Stilettostehtüber allem


Die Phantasien, die sich um den Stiletto
ranken, so krude sieauch sein mögen,
können sogar Stoff für eine ganzeAus-
stellung sein. ImPariserPalais de la
Porte Dorée zeigt einer der populärs-
ten Luxusschuh-Designer, Christian
Louboutin, Entwürfe aus seinen letz-
ten dreissig Schaffensjahren. Prinzes-
sin Caroline von Monaco und die junge
Madonna waren seine erstenKundin-

nen. Madonna wagte es sogar, auf den
hohenTürmen zu tanzen. Heute ist
ein Louboutin auch für Sterbliche er-
schwinglich und ein Distinktionsmerk-
mal mit Signalwirkung: Hier stehe ich
und bin für niemanden zu übersehen.
Und für niemanden zu erreichen. Hier
stehe ich, und ich stehe richtig. Und du,
Kleines, Kleiner, du stehst für einmal
weit unter mir!
Eine emanzipatorische Absicht ver-
folgt die Schau «L’Exhibition(iste)»
nicht. Und das ist vorbildlich.Franzo-
sen undFranzösinnen nämlichkönnen
ohne Scham und Selbstbezichtigung die
Ästhetik des Objekts feiern. Sie huldi-
gen ihm alsSymbol für Eleganz, Ästhe-
tik undAusdruck einer unabhängigen
Persönlichkeit.Wer in Frankreich die
Schönheit feiert, muss sich nicht dafür
entschuldigen, dass er es gleichzeitig an
Kulturkritik und an einer politischen
Botschaft fehlen lässt.Wäre in Deutsch-
land eine Museumsausstellung über
den Stöckelschuh denkbar? Mit femi-
nistischen Gegenargumenten, mitWi-
derstand der Mediziner und der Gleich-
stellungsbeauftragten wäre mit Sicher-
heit zurechnen.
In Paris aberdreht sich alles allein um
den schönen Schuh mit dem endlos lan-
gen Absatz, frivol phallisch und göttlich
kreativ. Was zählt, ist einzig dieLänge.
Und sie zählt hier sogar zweimal.Jeder
Zentimeter mehr erteilt derVernunft
ein e Absage, jeder Zentimeter höher
führt dieTrägerin näher an einRausch-
gefühl. Man kann sich in der verruch-
ten Gesellschaft vonMetall und Leder,
Knebeln und Riemen durchaus in einem
SM-Klub wähnen. Sadomasochistische
Phantasien wecken die Louboutins auf
Schritt undTritt. Schwindelnd hoch die
Absätze, Kunstwerke aus der Haut von
Makrelen, Pythonleder, Schuhe aus
Lack, Glitzersteinchen undFedern, die

Kreationen desFranzosenlassenkeine
Wünsche offen. Sichallerdings zu wün-
schen, damit ohne Beinbruch auch nur
ein en Meter weit zukommen, ist eine
Illusion.Auf allen vieren mag das allen-
falls gelingen.
Die Sohle der Louboutins sollrot
sein, sagt der Designer, als Symbol «für
Liebe, Blut und Leidenschaft». Bedient
er die Sprache der Liebe, sind seine
Modelle auf Blumenwiesen gepflückt
und heissen «Pensée», Stiefmütterchen,
Symbol derFreidenkerinnen:ein Schuh,
samten wie Blütenduft. Blut vergiessen
die Entwürfe, die sich als Hommage für
David Lynchs düster-schweren Surrea-
lismus verstehen, es sind Stacheldrähte
für denFuss bishin zum Knie: Die Se-
xiness für Exhibitionistinnen ist messer-
scharf. Leidenschaftlichkeit strahlt der
Stiletto, der auch einVoodoo-Objekt ist,
aus:,Als Schuhe gegen den bösen Blick
sind die Louboutins unbezahlbar. Doch
die zentrale Botschaft lautet unmissver-
ständlich:Wer mich trägt, umgibt sich
mit derAura eines höherenWesens.

Privileg der Männer


In diesem Sinne gilt es den innerenWert
des Stöckelschuhes fürFrauen neu zu
entdecken. Der High Heel ist ein femi-
nistisches Instrument mit Ermächti-
gungspotenzial. Ihn zu tragen, zu leiden
und gleichzeitig zu geniessen,ist einAkt
der Selbstbestimmung.
Das andere Geschlecht, die Männer,
haben diesenWert längst erkannt und
ehedem alsWaffe undVergrö sserung
ihrer selbst genutzt:Laut Historikerin-
nen und Historikern muss der High-
Heel-Boom Europa um1600 erreicht
haben. Ihm voraus ging ein intensiver
Kulturaustausch mitPersien. Dort hat-
ten sich bereits 3500Jahre vor Christus
hohe Absätze bei berittenen Soldaten

durchgesetzt, da die Krieger – bewehrt
mit Pfeil und Bogen – nur so sicheren
Halt in den Steigbügeln fanden.
Als der hohe Absatz die AlteWelt
erreichte, war er zunächst Männerschu-
hen vorbehalten. Denn es war klar: Der
High Heel der historischenArt stand für
Macht und Prestige. Der französische
König Ludwig XIV. zählte zu den ers-
ten und ganz grossen Absatz-Fetischis-
ten. Je weiter er sich auf seinen Absät-
zen vomRest derWelt entfernte und
vom Schmutz der Strasse abhob, umso
machtvoller schien sein Einfluss. Im eng-
lischenAusdruck well-heeled für die Be-
zeichnung eines gut betuchten Mannes,
lebt diese alte Bedeutung fort.
Ludwig schliesslicherliess ein Gesetz,
das es seinen Untertanen verbot,höhere
Heels zu tragen als er selber. Er liess
übrigens seine Stöckelschuhe stets von
einemBand roten Leders säumen.Dass
Ludwigs Nachfolger, Christian Loubou-
tin, davon nichts gewusst haben mag, als
er gleichfalls dieFarbe Rot zu seinem
Markenzeichen machte, ist schwerlich
zu glauben.
An den Ursprung dieser machtvol-
len Geste sollte auch dieFeministin sich
wieder erinnern, wenn sie den Stöckel-
schuh verdammt: Es gibt Gesundheits-
schuhe, angenehm und weich wie ein
Handschuh für denFuss, doch oft häss-
lich wie die Nacht. Und es gibt den High
Heel , ein Folterinstrument zwar wie die
EiserneJungfrau, doch verflixt attraktiv
und aussichtsreich. Sich dieWelt einmal
von oben besehen, auch auf Männer-
glatzen blicken, auf schlechteToupets,
ist das nicht vielversprechend? High
Heels sind nicht dieRache an unserem
Geschlecht. Sie sind lediglich dieRache
an jenen, die sie füruns erfunden haben.

Chri stianLouboutin; L’Exhibition[niste], Palais
de la Porte Dorée, Paris, bis 26. Juli.
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