26 FEUILLETON Montag, 2. März 2020
«Auch ich unterliege
dem Diktat des Mainstreams»
Er ist 70, sieht aberaus wie 60. Er versteht sich als Rocker-Schufter und erscheint stilecht in Jeans und Lederjacke. Im Gespräch
mit René Scheu erklärt Peter Maffay, warum heute niemand dem Mainstreamentrinnt – und warum das Echte aus der Mitte kommt
Herr Maffay, Sie stehen seit einem hal-
benJahrhundert auf der Bühne, das ist
im schnelldrehenden Musikbusiness fast
schon monumental zu nennen. An der
Passion allein kann’s nicht liegen – wie
haben Sie das geschafft?
Hör nicht auf all die Einflüsterer und
Besserwisser. Hör auf dich, wenn du dir
deiner Sache sicher bist.
Sie waren sich Ihrer Sache sicher, und
der Erfolg gibt Ihnen recht. Die Digi-
talisierungallerdings hat Ihre Branche
ziemlich auf denKopf gestellt.Worin er-
blickenSie die fundamentalsteVerände-
rung der letztenJahre?
Bis vor zwanzigJahren sindKünstler,
bedingt durch die Marktgegebenheiten,
aufgebaut worden. Eine Plattenfirma ist
hingegangen und hat gesagt:Wir haben
da jemanden entdeckt, der ist interes-
sant, wenn auch noch nicht da, wo wir
ihn gerne hätten, den bauen wir jetzt
mal auf. Es wurde eine Menge Geld
investiert.Reüssierte das erste Album
nicht, gab’s ein zweites und ein drittes.
Das waren dann echteKünstler mit eige-
ner Stilistik.
Heute haben die Musikfirmen diese
Marktmacht nicht mehr – sie probie-
ren aus und justieren neu,wenn’s nicht
hinhaut.
Das Geschäft ist kurzlebig geworden.
Starskommen und gehenimJahrestakt.
Die Musik ist heute austauschbar – sie
ist im digitalen Zeitalter nicht mehr
Ausdruck einerPersönlichkeit, sondern
Hintergrundrauschen. DieFormate sind
wichtiger als die Interpreten.
Übertreiben Sie nicht? Mein Eindruck
ist, dass viele Menschen geradezu nach
Stars dürsten, im Sport oder eben im
Showbusiness.
Das Musikbusiness hat nur noch Stars
auf Zeit. Es ist nicht mehr individuali-
siert, sondern industrialisiert. Getrieben
wird esdurch eine Medienlandschaft mit
Casting-Shows undTausendenKanä-
len, das erzeugtgewisse Parameter–
also Musikstil, Alter, Image, Story. Die
Musikindustrie promotet und vermark-
tet sie. Dann tauchen Musiker am Hori-
zont auf, die dieseParameter erfüllen–
und jene, die sie nicht erfüllen, finden
gar nicht erst statt. Sie surfen eine be-
stimmte Zeit mit, und plötzlich sind sie
wieder weg.
Es gibt auch die, die bleiben –Bob
Dylan zumBeispiel.
Klar. Dylan ist ja auch schon lange da-
bei. Er ist so einzigartig, dass er ziemlich
früh selber zumFormat wurde. Und er
hat sich ständig weiterentwickelt, so dass
erstens sein treues Publikum ebenfalls
mit ihmreifen undzweitensneues Publi-
kum stets andockenkonnte. Es gibt sie
noch, die Dylans, Grönemeyers und Lin-
denbergs. Aber diese Singer-Songwriter-
Figuren sind längst dieAusnahme und
nicht mehr dieRegel.
Das betrübt Sie?
Das ist der Gang der Dinge. Ich mache
die Musik, die ich will,ich binaufTour-
nee, ich kann davon leben,alles bes-
tens. Und es gibt ja auch einenJohan-
nes Oerding oder einen Xavier Naidoo,
also jüngere Singer-Songwriter-Typen.
Nur sind Individualisten mit eigener
Kante dieFremdlinge in einer Menge
gefälliger Musiker, die bloss dieAuf-
lagen erfüllen, die ihnen derKomplex
aus MedienundMusikindustrie vorgibt.
Was Sie beschreiben, ist der musika-
lische Mainstream. Alle Radiosender
klingen ähnlich.Das halte ich nicht
mehr aus, deshalb bin ich auf Streaming
umgestiegen.Dabei frage ich mich stets:
Wer will eigentlich dieses gleich klin-
gende Allerlei?
Mainstream-Pop und -Rock sind die
Ausgeburt von Ängstlichkeit: Man will
im Markt nicht anecken, man produziert
ein schönes Hintergrundrauschen für
abgelenkte Zeitgenossen. Dieser Main-
stream ist, ökonomisch gesehen, sehr
erfolgreich, wogegen auch überhaupt
nichts einzuwenden ist. Ihn künstlerisch
ein Desaster zu nennen, wäre jedoch
schon zu viel gesagt – denn es gibt da ja
zumeist überhauptkeinen ästhetischen
Anspruch. Diese Art von Berieselung
wollen derzeit die meisten Leute hören.
Die wollenkeine sperrige Stilistik am
Morgen um 9 Uhr serviert bekommen,
die wollen sich unterhalten, getragen,
begleitet fühlen.
Ist das wirklich so? Umgekehrt kann
heute jedes sich dazuberufenfühlende
Individuum dank neuen Medien selbst
zum Absenderwerden, ohne auf Radio
oderFernsehen zu schielen. Jeder echte
oder Möchtegernkünstler kann einen
Song ins Netz stellen.
Das ist der erfreulicheKontrapunkt
der neuen digitalenWelt.Dakommt so
eine jungeDame, die heisst zumBei-
spiel Billie Eilish. Sie macht ein verrück-
tesVideo, platziert ihre aussergewöhn-
lichen Geschichten, die sonst nirgendwo
reinpassen. Plötzlich ist dieser Sound
hip. Das gibt’s zum Glück. Aber das lässt
sich nichtplanen, das geschieht einfach–
und es ist dieAusnahme. Aber ich wette,
dass sich Eilish irgendwann an diePara-
meter anpasst, sonst wird sie sich auf
Dauer kaum halten.
Hand aufs Herz:Wie sehr haben Sie sich
selbst an den Mainstream angepasst?
Immer wieder, anders geht’s nicht.Auch
ich unterliege diesem Diktat. Ich mache
mal einen etwas kühnenVergleich: Wenn
ein Flugzeug zu langsam fliegt,reisst
derAuftrieb irgendwann ab. Und dann
stürzt es ab. Wenn meine Geschwindig-
keit und meine Popularität plötzlich
rasch abnehmen, dann ist meine Kar-
riere ziemlich schnell zu Ende.
Bestimmt nicht. Sie haben eine Menge
treuerFans, die mit Ihnen gealtert sind.
Das istkein Grund, sich auszuruhen. Der
Abstieg,der Fall kommt ganz schnell.
Darum sind wirimmer dran.Wir haben
es sicher nicht auf den Mainstream an-
gelegt, aber wir bewahren einen Markt-
wert, einen Minimalstandard an Main-
stream-Kompatibilität.
Sie orientieren sich an den Charts?
Absolut.Wenn wires in dieChartsschaf-
fen, dann sagt die Plattenfirma: DerTyp
ist zwar schon in dieJahre gekommen,
aber das alte Pferd lahmt noch nicht so
stark, es hat Zug. Und dann gehen die
Dinge viel leichter.
Sie sind einRocker – undRock zieht
alsoweiterhin. Aber vor allem:Das ist
ja mehr als ein Musikstil, das ist eine Art
Bekenntnis zum Unverfälschten,Direk-
ten, Echten.
Rock ist eine Lebensform. Natürlich
muss man das differenzieren, aber es ist
eigentlich das Bekenntnis, mit denKon-
ventionen zu brechen.
Sie präsentieren sich zu unserem Inter-
view stilecht inJeans und Lederjacke.
Aber ist dieser Look nicht selbst längst
zurKonvention geworden – also zu
einem Klischee?
Nein. Ich kleide mich so, Interview hin
oder her. Rockkommt von der Strasse,
er ist das Gegenteil von Glamour. Rock
ist Arbeit, Schufterei, Ehrlichkeit. Ich
lebe so. Ich gebe viel auf Anstand, aber
nicht viel auf Etikette.
MitVerlaub –Sie wirken impersön-
li chen Gespräch nicht gerade wie ein
Revoluzzer.
Was glauben Sie, wie vielekonventionelle
Statements ich bekommen habe, als ich
vor einemJahr bekanntgab, dass ich mit
meiner neuenLebensgefährtin nochmals
eineTochter in dieWelt gesetzt habe?
Wohl einige, und ich vermute: durch-
wegs kritische.
Die haben gefragt: Geht das überhaupt?
Soll man das? Jadarf man das?
Undwas haben Sie als anständiger
Mensch geantwortet?
Ganz einfach:Das ist mein Bier. Ich
muss das mit meinerFreundin entschei-
den, ich muss es mit meinem Gewissen
und meinenWerten in Einklang bringen,
ich übernehme auch dieVerantwortung.
Wo stehen Sie denn gesellschafts-
politisch – eher im Mainstream oder
woanders?
In der Mitte, und die ist meiner Meinung
nach nicht Mainstream.
Alle, die nicht aneckenwollen, behaup-
ten von sich, die Mitte zu repräsentieren.
Was ist denn die Mitte?
Im Song «Morgen» findet sich eineder
Kernaussagen des neuen Albums:Fana-
tismus, vonrechts oder von links, reli-
giöser oder ethnischer Art, ist Gift.Das
spaltet unsere Gesellschaft, das lehne
ich ab. DieMittehingegen ist nicht rück-
wärtsgewandt. Die meint nichtRück-
schritt, nichtReaktion. Die istauch nicht
verstaubt. Die Mitte, das sind die Leute,
die hart schuften und viel leisten.Das
sind Leute, dieVerantwortung überneh-
men und sich auch um anderekümmern.
Das sind Leute, die nicht jammern, son-
dern amAufstieg arbeiten. Diese Leute
sind dasRückgrat unserer Gesellschaft.
Und sie haben kaum eine Stimme.
Sie sind also deren Stimme?
Ich bin Musiker, keinPolitiker. Aber
ich bin einer von ihnen. Ich habe mich
hochgearbeitet, aus eigener Kraft. Und
weil ich das habe,weiss ich, wie wich-
tig derKompromiss ist. Leben meint ja
letztlich: einen Plan haben undKom-
promisse schliessen.Darum wehre ich
michgegen jedeForm vonRadikalis-
mus – zumal dieRadikalen gerade in
den Medien gross hofiert werden. Die
Fortschritte geschehen im Kleinen,Tag
fürTag,von der Öffentlichkeit kaum
beachtet.Darauf sollten wir auch mal
fokussieren.
In Ihrem Lied heisst es: «Politiker
hetzen und hören sich gern reden/
IhreWorte sind wie Öl, das sieins
Feuer geben.» Und dann: «Doch
wann kommt die Zeit,wenn wir end-
lich kapieren /Dass Planeten nicht un-
sterblich sind?» Sie surfen mit auf der
grünenWelle.
Ich mache mir Sorgen um die Zukunft,
die wir unseren Kindern hinterlassen–
und zwar nicht erst seit gestern. Es fin-
det sich da im Song ja auch die entschei-
dendeFrage:«Nach uns die Sintflut,was
kümmert der Rest?»Verantwortung
meint ja: auf das antworten, was man
durch sein Handeln bewirkt – aber das
tun wir nicht. Wir leben zynisch, als wür-
den wir noch davonkommen, diekom-
menden Generationen aber den Preis
für unsereVersäumnissezahlen.Das
lässt mich nicht kalt.
Lassen Sie uns noch etwasweiter Text-
exegese betreiben. Ihr Song «Jetzt»
beginnt mit denWorten: «Soviele Lieder
über früher / So viele Storys über ‹Was
wäre, wenn› / Man hört es wieder und
wieder /Wo sind die guten alten Zeiten
hin?» Was Sie hier beschreiben, ist
die Weltsicht desReaktionärs: Er will
zurück in eine bessereVergangenheit,
die es gar nie gab. Ist es die dominante
Grundbefindlichkeit unsererTage?
Nein. Natürlich gibt es Nostalgiker in
Deutschland, die sagen, dieWiederver-
einigung habe eigentlich nie stattgefun-
den. Es gibt andere, die ernsthaft behaup-
ten, das Leben früher in der DDR sei bes-
ser gewesen als heute. Ja, Menschen sind
wütend, und Menschen sind vergesslich.
Dennochistes ein starkes Stück. Leute,
die inFreiheit leben, sehnen sich nach
einem Leben in Knechtschaft zurück! Ich
weiss, wovon ich spreche, ich bin inRumä-
nien aufgewachsen, wo Ceausescu wütete.
Das sind völlig faktenwidrigeDarstellun-
gen und steileThesen, die die Medien lie-
bend gerne aufgreifen.Ich kann’s ihnen
nicht verdenken, aber die meisten Men-
schen denken doch nicht so. Die stehen
früh auf, arbeiten, kümmern sich um ihre
Familie undreden inkein Mikrofon. Ich
denke, wir sollten hier nicht immer gleich
überreagieren.
Einverstanden. Aber zurück zum An-
fang –welches sind dieFaktoren für
Ihren anhaltenden Erfolg?
Das Team.
Was ist das Geheimnis desTeams?
Uns verbindet eine Haltung, musikali-
scher, inhaltlicher und politischer Art.
Wenn wir aufdie Bühne gehen, tra-
gen wir eine Haltung auf die Bühne.
Das habe ich einem Liedermacherzu
verdanken, HannesWader. Der sagte
irgendwann Anfang der1980er zu mir:
Pack doch in deine Lieder Inhalte, die
etwas sagen. Duhast fünf Minuten, in
denen du etwas platzieren kannst, was
dir wirklich wichtig ist. Mach das mal!
Und ich hab’s gemacht.
In der Haltung liegt die Kraft?
In der Haltung liegt die Kraft.
Wer heute mit Musik Geld verdienen
will, muss wieder live performen.
Stimmt. Schweiss undTr änen.Dawird dir
nichts geschenkt.Ich verkaufe noch Al-
ben, aber der Anteil schwindet laufend.
Sie sind fit, das sieht man. Gehen Sie
ins Krafttraining?
Muckibude, klar. Da komme ich zu
mir. Auf dem Sandsack stelle ich mir
gewisse Gesichter vor, dann gehe ich
ansWerk. Oder ich schwinge mich aufs
Mountainbike.
Wie lange halten Sie noch durch?
GuteFrage. Mit 30 war ich inTopform,
mit 40 hatte ich eine schwierige Phase, ich
rauchte und soff. Danach fand ich zum
sportlichen Leben zurück.Aber ich muss
sagen – ich spüre das Alter schon ein
bisschen. Ich mach’s, solange ich kann.
DieRegenerationszeiten werden länger.
Aber die Lust ist ungebrochen.
Peter Maffay, 1949 imrumänischenBrasov
geboren,zähltmit 19Nummer-eins-Albenin
den deutschenCharts zuden erfolgreichsten
deutschsprachigen Musikern der letzten Jahr-
zehnte. Sein neuesAlbumheisst«Jetzt!».
«Das Musikbusiness
hat nur noch
Stars auf Zeit.»
«Ich gebe viel auf
Anstand, aber nicht
viel auf Etikette.»
Aussen hart, innen mitfühlend: der MusikerPeter Maffay. WOLFGANG KÖHLER / RED ROOSTER