Der Standard - 20.02.2020

(Romina) #1

24 |DONNERSTAG, 20.FEBRUAR 2020 Kultur DERSTANDARD


Die Gruppenausstellung „FeministischeAvantgarde. Made inAustria“ in derVerbund-Zentrale zeigtWerke
österreichischerKünstlerinnen der 1970er-Jahre. Radikal emanzipierten sie sichvomHäuslichen undschrieben
sich nach und nach in denKunstkanon ein. Ein wichtiger Beitrag zu deren Sichtbarkeit.

Mitgespreizten Beinenvoran


E


ines Tages war Schluss“,
sagt Karin Mack über ihre
schwarz-weiße Fotoserie
Zerstörung einer Illusion .Mit
Haarnadeln und Krautrouladen-
spießen durchbohrte die Künstle-
rin 1977 die Fotografie, auf der
sich ein Frauengesicht an ein Ein-
machglas schmiegt. Mack wollte
die Illusion eines perfekten Frau-
enbilds zerstören.„Erst nach mei-
ner Scheidung konnte ich künstle-
risch tätig sein“,erinnert sich die
1940 in Wien geborene Künstle-
rin. Ihr Ehemann hätte lieber eine
„Knödelköchin“ gehabt –doch
Mack rief den Tod der Hausfrau
aus und ging einen anderen Weg.
Diesen schlugen auch andereös-
terreichischeZeitgenossinnen ein.
Von der Studentenbewegung der
1960er-Jahre ausgehend, began-
nen sich Künstlerinnen zu organi-
sieren,sie emanzipierten sich zu-
nehmendvom männerdominier-
tenKunstbetrieb undstellten die
gesellschaftlicheKonstruktionvon
Weiblichkeitinfrage. Ihre Arbeiten
galten als provokant und radikal,
wurden teilweiseverbotenund
sogarzerstört.Bis ihre Stimmen
gehört wurden, dauerte es.


Von Befreiung und Wut


In einer großen Gruppenschau
werden Werke von 16 österreichi-
schen Künstlerinnen der feminis-
tischen Avantgarde nun erstmals
gemeinsam ausgestellt. Zehn von
ihnen sind sogar am Eröffnungs-
tag in der Schau anwesend, die be-
kannteste ist Renate Bertlmann,
die vergangenes Jahr als erste Frau
den österreichischen Pavillon auf
der Biennale in Venedig solo be-
spielt hat. Gemeinsam erinnern
sich die Vorreiterinnen an eine
Zeit, in der sie das noch gar nicht
waren. Unter dem Titel Feministi-
sche Avantgarde. Made in Austria

präsentiert die Sammlung Ver-
bund Werke aus den 1970er-Jah-
ren, die für die Bewegung in Ös-
terreich prägend waren.
Allen voran die Linzer Künstle-
rin VALIE EXPORT, die es mit ih-
renAktionenwagte,dasklassische
Rollenverständnis der Frau infrage
zu stellen.Nicht alsÜbermutter,


sondern als Pionierin thront sie in
Aktionshose: Genitalpanik mit ge-
spreizten Beinen und ihrer durch
das fehlende Stück Hose freigeleg-
ten Vulva auf einem Stuhl.
So markieren ihre Arbeiten
nicht nur den Beginn der Ausstel-
lung, sondern auch das Ende und
umklammern die rund 80 gezeig-

ten Werke in der Vertikalen Gale-
rie. In Zeichnungen, Skulpturen
und Videos werden entlang des
siebenstöckigen Aufgangsder Ver-
bund-Zentrale deformierte und
nackte Frauenkörper, aber auch
geballte Fäuste und ohnmächtige
Blicke gezeigt –Befreiung und
Wut liegen nah beieinander.

Als reine „Frauenausstellung“
soll die Schau allerdings nicht
verstanden werden, sagt Gabriele
Schor, Leiterin der Firmensamm-
lung Verbund. „Es ist eine
Themenschau, in der es um die
Werke geht, die feministische
Kunst kommunizieren. Wir wol-
len nicht einfach nur zeigen,

Foto: Estate Brigitte Roth

/Sammlung Verbund Wien

Katharina Rustler

Bähen oder backen, das isthier dieFrage


HaraldFriedl erzählt in seinemFilm „Brot“über dieVergangenheit und Zukunft eines Grundnahrungsmittels


Bert Rebhandl

B


eruflicher Respekt geht
manchmal weite Wege.
Einer der Juniorchefs der
niederösterreichischen Bäckerei
Öfferl zum Beispiel sieht sich in
einer Tradition von 8000 Jahren.
Schon damals haben Menschen in
Ägypten im Wesentlichen das ge-
tan, was heutzutage immer noch
gilt: aus Wasser und Mehl einen
Teig herstellen, der dann durch
Hitze zu einem köstlichen Nah-
rungsmittel wird. „De warn früher
net bled“, sagt der heutige Bäcker
über seine Vorgänger.
Über die 8000 Jahre könnte man
im Detail diskutieren, aber es hat
schon eine klare Bewandtnis: Brot
zählt zu den ältesten Kulturgütern
der Geschichte. Und bei den Öf-
ferls hat es auch wirklich noch et-
was mit dem Lebensmittel zu tun,
das Brot immer war. Aber wie ver-
hält es sich mit den Waren, die in
Supermärkten unter diesem Be-
griff im Regal liegen? Zum Bei-
spiel Weißbrot, in Scheiben ge-
schnitten, in Plastik versiegelt:
Was würden die alten Ägypter zu
dieser Industriepampe sagen?


Schön blöd, könnte man sich
am Ende von Harald Friedls Doku-
mentarfilm Brot denken. Man hat
dann in eineinhalb Stunden sehr
viel über das Grundnahrungsmit-
tel erfahren, das sich nicht durch
Kuchen ersetzen lässt. Brotmesser
aufs Herz: Wer würde jeden Tag
eine Malakofftorte frühstücken
wollen? Für die Gewohnheit
braucht man etwas Essenzielles,

etwas, das selbst etwas erlebt hat,
was bei einem guten Teig unbe-
dingt der Fall ist.
Friedl stößt auf den Stationen
seiner Recherche aber auf eine
Tendenz, die beim Brot vom We-
sentlichen wegführt. In einer bel-
gischen Firma haben Forscher und
Entwickler eine Sauerteigbiblio-
thek angelegt, deren Zweck in ers-
ter Linie darinbesteht, Teigwaren

in künstliche Geschmacksträger
zu verwandeln.Das Ciabatta
schmeckt dann zwar immer noch
nach Italien, abernur,weil dieser
„spirit“ gleichsaminjiziert wird.
Noch ist es zu früh, von virtuel-
lem Brot zu sprechen, aber irgend-
wann wird es wohl so weit sein.
Doch zu jeder Tendenz gibt es in
unserer Kultur eine Gegenbewe-
gung, und so tut sich Harald Friedl
nicht schwer, Menschen zu fin-
den, die am Brot des Essenzielle
betonen. In Frankreich strömt
man zu traditionellen Bäckern,
von denen aber erkennbar wird,
dass sie längst weltweit agieren –
und entsprechende Speditions-
wege haben, sprich: Da sind viele
Lastwagen unterwegs, damit ein
Baguette auch in Japan ankommt.
Die interessantesten Aspekte
von Brot finden sich dort, wo zwi-
schen der reinen Lehre des unbe-
schleunigten Teigs und der radi-
kalen Technisierung und Globali-
sierungdesBackensnochsoetwas
wie Übergangsformen zu erken-
nensind.EindeutscherUnterneh-
mer, der mit seiner Marke Harry-
Brot in Verkaufsdimensionen vor-
gedrungen ist, von denen kein na-

welche weiblichen Künstlerinnen
wir haben.“
Seit 16 Jahren widmet sich
Schor als Gründungsdirektorin
der Sammlung dem Thema femi-
nistische Avantgarde in den 1970-
er-Jahren. Was abseits des Main-
streams begann, wird nun in euro-
päischen Kunsthäusern gezeigt.
Schon 2017 stellte das Mumok in
einer großen Schau Werke aus der
Sammlung aus.

„Das Private ist politisch“
Mit ihrer jahrelangen Aufarbei-
tung prägte Schor den Begriff der
feministischen Avantgarde maß-
geblich und fordert–auch wenn
er oft als Kampfbegriff verwendet
wird–dessen Gleichstellung in
der Kunstgeschichte. Davor sei
der Begriff Avantgarde stets
männlich konnotiert gewesen,
doch Künstlerinnen besetzten ihn
neu. Auch in Österreich.
Ganz nach dem Motto der zwei-
ten Welle der Frauenbewegung –
„Das Private ist politisch“–bra-
chen sie mit ihrer Kunst Tabus
und sprengten das häusliche Kor-
sett. In Ich möchte hier raus!
drückt sich Birgit Jürgenssen hil-
fesuchend gegen eine Glasschei-
be, Bertlmann stellt das patriar-
chale Modell der Ehe als Lähmung
dar, und Florentina Pakosta trennt
in ihrer surrealistischen Zeich-
nung Der Ehering und seine Folgen
der versinnbildlichten braven
Ehefrau den Kopf ab.
Auch die Darstellung des weib-
lichen Körpers und die vorherr-
schenden Schönheitsideale wer-
den in dieser wichtigen Schau kri-
tisiert. So fragmentiert Ingeborg
Pluhar in ihren Collagen Gesich-
ter zu absurden Masken. Gerda
Fassel setzt massige Bronzefigu-
ren mit dicken Brüsten und ent-
blößten Schamlippen auf Podeste.
„Wir dürfen aussehen wie wir
wollen“, scheinen sie zu brüllen.
Diese Werke mussten lange
warten, bis sie sichtbar und vor al-
lem verstanden wurden. Nun geht
es darum, dass dies für die nach-
kommenden Generationen zur
Selbstverständlichkeit wird.
Bis 6. Juni in der Verbund-Zentrale Am Hof

Frauen aufgepasst:
Lassteuch nicht zur
Hampelfrau machen,
ermahnte die
Avantgarde-
Künstlerin Brigitte
Aloise Roth 1976
mit ihrer Fotografie.

türliches Enyzm jemals etwas ge-
hört hat, ist von der Chefin im
Hause Öfferl gar nicht so weit ent-
fernt. Denn auch sie begann ihr
Leben mit den „Sackln“, also mit
den Fertigmischungen, die vor 40
Jahren überall auftauchten und
von denen sich Gastronomie und
das Handwerk mit Getreide und
anderen Lebensmitteln erst all-
mählich wieder befreien.

Zurück zum Ursprung
Vor bald 15 Jahren hat Harald
Friedl einen Film mit dem Titel
Where Happiness Is gemacht. Was
er nun über das Brot zu erzählen
hat, das hat auch mit Glück zu tun
oder mit dem Versprechen eines
nicht entfremdeten Lebens. Das
Brot ist oft ganz konkret, immer
wieder aber wird es fast abstrakt.
Nikolaus Geyrhalter hat diese
Spannung in Unser täglich Brot
(2005) auch schon durchmessen,
wobei damals die Betonung eher
auf den Abstraktionen des Pro-
duktionsprozesses lag. Mit Friedls
Film schlägt das Pendel wieder
stärker zurück zum Ursprüngli-
chen, oder jedenfalls zu heutigen
Auffassungen davon. Im Kino

BrotverkostungimBack-Workshopoder wissenschaftliche Arbeit
in der Sauerteigbibliothek? Die Doku „Brot“ gibt Antworten.

Foto: Navigator Film
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