Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1
Dann zum Allerheiligsten, einer kristallüberstrahlten Mar-
morplatte mit der eingelassenen Urne und der Aufschrift:
»Nie geboren. Nie gestorben. Nur zu Besuch auf der Erde.«
Ein Mausoleum für einen Außerirdischen.
Sehr irdisch dagegen waren die Preise für die Dienstleis-
tungen im Aschram. Eher offene als indirekte Ausbeu-
tung, wie früher. »Die Wellness-Erfahrung des Lebens«
versprach ein Prospekt, der teure Kurse anbot. Ein Club
Med(itation), ein esoterischer Supermarkt – ein spiri-
tuelles Disneyland. Die Besucher schienen es zu genie-
ßen. Allerdings waren die über 50-Jährigen deutlich in
der Überzahl, von Orgien war weit und breit nichts mehr
zu sehen. Unumstrittener Chef war John Andrews alias
Swami Amrito, Bhagwans ehemaliger Leibarzt, der Über-
lebende des Mordversuchs.
Als ich Sheela vom neuen Poona erzähle, sagt sie: »Ich bin
fest davon überzeugt, dass es bei Bhagwans Tod nicht mit
rechten Dingen zugegangen ist. Wäre es ein natürlicher
Tod gewesen, ich hätte es gespürt.« Ein indischer Journalist
hat in einem Buch die Behauptung aufgestellt, Bhagwan
sei ermordet worden, weil nur der Leibarzt seinen Tod fest-
stellte und er so schnell eingeäschert wurde. Einen Beweis
dafür hat er nicht. Meinen Fragen wollte sich Swami Amri-
to übrigens nicht stellen, bis heute geht er Journalisten aus
dem Weg: nicht mehr entspannt, sondern verkrampft im
Hier und Jetzt. Allein die Erwähnung Sheelas, dieser »Ver-
räterin«, löste im Club Med(itation) Empörung aus.
Besucher aus jüngster Zeit erzählen, dass sich im Aschram
seitdem wenig verändert habe, er heißt heute Osho
International Meditation Resort. »Vielleicht ist alles
noch kommerzieller geworden«, sagte mir einer der ent-
täuschten Veteranen von früher. »An Mauern außerhalb
der eingezäunten Anlage hat einer einen treffenden Spruch
geschrieben: »Ashram? Cashram!«
Sheela hat keinen Kontakt mehr zu Sann ya sin. Laxmi, ihre
Vorgängerin als Bhagwans Sekretärin, ist gestorben. Die
1986 ebenfalls wegen Mordversuchs verurteilte Ma Shanti
lebt inzwischen mit ihrem zweiten Mann »irgendwo im
Schwarzwald«, wie Sheela sagt, aber nein, auch mit ihr
mag sie sich nicht mehr treffen.
Meinen Reporterkollegen Andy Elten hat sie aus den Augen
verloren. Ich kann ihr berichten, dass er zeitlebens Sann-
ya si geblieben ist und als Buchautor wie als Kreativ- und
Meditations-Coach für Führungskräfte eine zweite Karriere
gemacht hat. Er starb 2017, 90-jährig und nach Aussagen
seiner Umgebung als glücklicher Mensch.
In der zweiten Staffel der Netflix-Dokumentation Wild
Wild Country – die erste wurde mit dem Fernsehpreis
Emmy ausgezeichnet – steht nun Sheelas Leben ganz im
Mittelpunkt. Die Folgen sind abgedreht, noch im Früh-
jahr sollen sie bei Netflix abrufbar sein. Sheela war mit
dem Team auch in Indien, zum ersten Mal seit Jahrzehn-
ten. Sie hat ihren Heimatort besucht. Und Pune? »Ja, auch
Pune. Ich habe den Verbrennungsort Bhagwans besucht


  • aber nein, nicht den Aschram.«


Die ganze Osho-Szene von heute interessiere sie nicht mehr.
Aber die Bewegung scheint weltweit immer noch erfolgreich
zu sein, angeblich hat sie Anhänger in mehr als 30 Ländern.
Allein in Deutschland existieren Osho-Meditationszentren in
15 Städten. Es sei ihr auch egal, was heute auf dem Gelände
von Raj neesh pu ram passiere, sagt Sheela. Die meisten Häuser
sind abgerissen, einige restauriert und neu gebaut. Die Anla-
ge dient als Sommercamp für christlich-evangelikale Jugend-
liche – fromme Keuschheit statt freier Liebe.
Sheela schreibt an einem Buch, dem zweiten Teil ihrer Le-
benserinnerungen. Der erste erschien 1999 unter dem Titel
Tötet ihn nicht!. Sie schildert darin, wie sie Bhagwan ken-
nenlernte und wie sie selbst auf die Ereignisse in den USA
blickt. Der Titel spielt darauf an, dass Sheela findet, Bhag-
wans spirituelles Erbe sei zerstört worden. Das neue Werk
soll To move forward heißen. Immer wieder neu anfangen,
das sei ihr Lebensmotto. Mit Menschen arbeiten, sie formen.
Ihr Organisationstalent, das sie in der Kommune bewiesen
hat, kann sie jetzt wieder einsetzen. Nur diesmal nicht für
Menschen, die sich freiwillig einer Guru-Gehirnwäsche
unterzogen haben, sondern für solche, die ihre Patienten
sind und sich nicht mehr selbst zu helfen wissen.
Letzter Versuch: Ist die Arbeit in den Pflegeheimen für sie
eine Art Wiedergutmachung?
»Ich habe nichts zu bereuen«, sagt sie. »Wofür soll ich mich
denn entschuldigen, wofür Abbitte leisten – für mein gutes,
interessantes Leben?« Sie trägt ihr Sheela-ist-mit-sich-
selbst-im-Reinen vor sich her wie einen Schutzschild. Für
die Zukunft habe sie keine besonderen Pläne. Vielleicht ein
paar Reisen, gerne auch mit jenen Patienten, die dazu noch
in der Lage sind. Und wenn es so weit sei, wolle sie in dem
Pflegeheim Matrusaden sterben. So wie ihre Mutter, die sie
hier gepflegt habe. In einem großen offenen Raum, mitten
unter den anderen. Denn das Ende solle keinen Schrecken
verbreiten, sondern ein sanfter Übergang sein.
Die Bürde des Wahns, die Gnade des Vergessens – Sheela
spürt das häufig bei ihren Patienten. Nachts bekomme
sie manchmal Besuch aus den Nebenzimmern, erzählt
sie. Manche ihrer psychisch kranken Patienten hörten
Stimmen, die immer lauter würden, und dann sei sie
gefordert. Dann beruhige sie die Aufgestörten. Eigene
Dämonen quälen sie wohl nicht.
Zeit zum Abschied von Maisprach, der Abendnebel kriecht
bereits den Hügel herauf. An der Tür erzählt Sheela noch,
sie habe bei der amerikanischen Emmy-Verleihung auch
für einen Einzelpreis zur Diskussion gestanden, Kategorie
Schauspieler. »Können Sie sich das vorstellen? Ich – als
Schauspielerin? Die Welt ist doch verrückt geworden!«

27.2.20 N^0 10

Unser Autor Erich Follath, 71, war von 1974 bis 1994
Reporter des »stern«, danach arbeitete er 22 Jahre lang
als Leiter des Auslandsressorts und Diplomatischer

Fotos Jay Ullal Korrespondent beim »Spiegel«


31

Free download pdf