Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Herr Guenther, Sie sind erst mit Mit-
te 30 als Schauspieler bekannt gewor-
den, mit Ihrer Rolle als Kommissar im
»Polizeiruf 110«. Haben Sie immer
daran geglaubt, dass der Durchbruch
noch kommen wird?
Ich habe es immer versucht, aber tatsäch-
lich hat eine verfrühte Lebenskrise im Jahr
2008 meinen Glauben daran fast zerbro-
chen. Es gab eine lange Zeit, in der ich
Monat für Monat schauen musste, wie
ich meine Miete reinbekomme. Ich liebe
die Schauspielerei, aber sie machte mich
damals mehr traurig als glücklich, weil
ich so wenig drehte. Dann zerbrach auch
noch eine Beziehung. Ich wusste nicht, wie
es weitergeht. Ich habe mir einen Coach
und einen Therapeuten gesucht, um he-
rauszufinden, ob etwas in meinem Leben
oder mit mir nicht stimmt: Blockiere ich
mich, weil ich mir selbst nichts zutraue,
mir selbst nicht vertraue? Hat das was mit
meiner Kindheit zu tun?
Was für ein Kind waren Sie?
Als kleines Kind ein Sonnenschein. In der
Schule war ich dann ein saulustiger Kerl,
den alle mochten. Heute weiß ich, dass
das eine Fassade war, weil ich mich dann
nicht gespürt habe. Ich habe so meine Un-
sicherheit versteckt.
Woher kam diese Unsicherheit?
Meine Eltern haben sich getrennt, als ich
drei Jahre alt war. Mein Vater war Alko-
holiker, und es war nicht unbedingt die
liebevollste Umgebung bei uns zu Hause.
Zuneigung, Wärme, Geborgenheit standen
nicht ganz oben auf der Liste. Mein Vater
kam nachts oft betrunken nach Hause, ich
glaube, mehr muss ich nicht sagen. Es gab
viel Streit bei uns. Ich denke, Kinder haben
immer unterschwellig das Gefühl, dass sie
schuld sind an solch einer Situation.
War das bei Ihnen so?
Irgendwie schon. Ich versuchte als Vier-,
Fünfjähriger, für meine Mutter da zu sein.
Ich ging sogar alleine einkaufen. Das war
doch komplett verquer! Ein Kind sollte
niemals die Eltern trösten oder verant-
wortlich für sie sein. Ich will nicht sa-
gen, dass ich gar keine Liebe bekommen
habe, aber es war für ein Kind zu wenig.


Ein Kind braucht bedingungslose Liebe,
damit es Sicherheit und Vertrauen ent-
wickeln kann.
Wie hat das alles später Ihre eigenen Be-
ziehungen beeinflusst?
Es gab große Eifersucht. Ich war kon-
trollierend. Es ging sogar manchmal so
weit, dass ich auch gemein wurde. Leider.
Der Beginn einer Liebe war immer ein
unbeschreibliches Gefühl, und ich habe
alles reingesteckt, um dieses Gefühl nicht
zu verlieren. Aber dann kam immer der
Punkt, wo ich dachte: Ich gebe so viel
für die Beziehung, ich verzichte auf vie-
les – und bekomme gleichzeitig so wenig
und vor allem nicht das zurück, was ich
erwartet habe. Also liebt sie mich doch
nicht. So habe ich meine Beziehungen
selbst torpediert. Man kämpft im Grunde
gegen sich selbst, ohne es zu wissen: Wie
kann sie mich gut finden, wie kann mei-
ne Arbeit gut sein, wenn ich mich selbst
nicht gut finde?

Was war in dieser Umbruchszeit für Sie
am schwierigsten?
Zu lernen, darauf zu vertrauen, dass das
Leben gut ist, dass Liebe gut ist, ich gut
bin. Loslassen. Das hat mein Leben ver-
ändert. Klar, als Kind war ich Opfer der
Umstände. Aber als Erwachsener habe ich
mich immer noch als Opfer gesehen: Alles
und alle sind schuld daran, dass es mir
nicht gut geht. Ich steckte fest in meinem
Selbstmitleid. Es hat mich meine ganze
Kraft gekostet, auszusteigen aus diesem
Muster. Und das war, als würde ich von
einem einschnürenden Panzer befreit. Ich
konnte atmen.
Haben Sie Ihren Vater aufgesucht?
Nein. Ich habe meinen Frieden mit ihm
und der Vergangenheit gemacht. Ich habe
mich bei vielen, die ich verletzt hatte, ent-
schuldigt. Und ich habe entschieden: So,
wie ich bisher als Schauspieler gearbeitet
habe, will ich nicht weitermachen. Mein
Plan war, zurück nach Konstanz zu gehen
und in einem Restaurant, das einem engen
Freund von mir gehört, zu arbeiten. Dann
kam der Polizeiruf. Diese Chance, die ich
da auf einmal hatte, war der Wendepunkt
meines beruflichen Lebens. Ich habe sie er-
griffen. Ohne das Coaching und die The-
rapie wäre es vielleicht anders gekommen.
Was meinen Sie damit?
Eine Rolle unbedingt kriegen zu wollen,
nur noch diesen Gedanken im Kopf zu ha-
ben: »Ich muss drehen!«, das lässt dich ver-
krampfen, das verschließt dich. Ich glaube,
das spürt dein Gegenüber. Früher kam ich
ans Set und habe jedem vermittelt, dass ich
alles spielen kann und keine Hilfe brauche.
Heute kann ich zum Regisseur sagen: Ich
fühle mich unsicher mit dieser oder jener
Szene, da brauche ich Hilfe. Das macht
mich und mein Spiel besser, dadurch bin
ich erst richtig erfolgreich geworden. Ich
kann meine Unsicherheit zugeben, auch
meine Fehler eingestehen. Ich traue mich,
mich meinem Gegenüber so zu zeigen, wie
ich bin. Und das Wunderbare daran ist: Es
bringt viel mehr Nähe. Weil die anderen
auch offener werden. Foto

Birgit Machtinger

Der Schauspieler ergab sich dem Selbstmitleid – bis er etwas Entscheidendes lernte


Das war meine Rettung ANDREAS GUENTHER


Andreas Guenther, 4 6, ist in Graz
geboren und wuchs in Konstanz auf.
Seit 2 010 spielt er im Rostocker
»Polizeiruf 110«. Am 27. Februar
und am 5. März ist Guenther in der
Krimi-Reihe »Blind ermittelt« im
Ersten zu sehen: Als Taxifahrer hilft
er in Wien, Mordfälle zu klären

Das Gespräch führte Anna Kemper

Im nächsten Heft: Der Musiker James Taylor erzählt von einem Vorsingen bei den Beatles, das sein Leben veränderte.


Und der Wochenmarkt bereitet einen Salat, der Hoffnung auf den Frühling macht


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