Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1
Gut Holz? In Grünheide wird weiter gerodet

Foto: Stephanie Steinkopf/Ostkreuz für DIE ZEIT

Lasst mal locker!


Wenn ein bayerischer Verein gegen das Brandenburger Tesla-Projekt klagt, befördert das im Osten


ein ungutes Gefühl: Sobald hier etwas gelingt, wird uns das nicht gegönnt VON MARTIN MACHOWECZ


E


s gibt in Bezug auf die Ostdeut-
schen eine interessante Stim-
mungslage in der Republik.
Viele Menschen im Westen fin-
den, dass der Osten in den ver-
gangenen Jahren mehr als genug
auf sich aufmerksam gemacht
habe. Dass die Ossis fürs massenhafte AfD-Wäh-
len mit allen möglichen Zugeständnissen belohnt
worden seien, aus Angst, dass sonst noch mehr
von ihnen die AfD wählen könnten: mit Milliar-
den für den Kohleausstieg, Forschungsinstituten
und Bundesbehörden ohne Ende. Und wehe,
Siemens droht, ein paar Jobs im Osten abzu bauen!
Dann ist aber was los.
Im Osten denken viele Leute andersherum. Sie
meinen, dass es so viele Zugeständnisse gar nicht
gab. Das hat mit einem Empfinden zu tun, das sich
immer dann wiederholt, wenn es ums Ganze geht;
wenn wirklich ein paar Privilegien an den Osten
abgegeben werden sollen. Denn das, so fühlt es sich
im Osten an, kann der Westen oft nicht ertragen.
Manchmal entstehen solche Gefühle sogar im Streit
um ein paar Bäume.
Der Elektroauto-Hersteller Tesla plant, südöst-
lich von Berlin ein gigantisches Werk zu bauen, auf
Brandenburger Boden, nahe der Ortschaft Grün-
heide. Dafür muss ein Kiefernwald weichen. Wobei
Menschen, die dieses Ensemble streichholzartiger
Nadelgewächse betreten haben, schwören, dass
dieser Plantagenbau nun wirklich kein Wald sei.
Gegen die Abholzung haben Umweltverbände
geklagt, darunter der Verein für Landschaftspflege
und Artenschutz in Bayern e. V. mit Sitz in Erben-
dorf in der Oberpfalz. Dessen Eilantrag hätte am
Ende beinahe das ganze Bauprojekt gefährdet,
schließlich wurde er abgelehnt. Man kann sich
schon fragen, wieso bayerische Aktivisten im RBB
von einer »überfallartig begonnenen Rodung« eines
»für den Klima- und Artenschutz wichtigen Wald-


gebietes« sprachen. Gibt es denn keine bayerischen
Bauvorhaben, die sich von Bayern aus bekämpfen
lassen?
Es mag sein, dass der Verein andere Motive
hatte, als eine Investition zu stoppen, weil sie im
Osten stattfindet. Richtig ist auch, dass es neben
den bayerischen auch ostdeutsche Gegner der
Tesla-Fabrik gibt. Trotzdem könnte man sich vorher
überlegen, welche Symbolik so eine Intervention
hat. Wer aus der Ferne mit Umweltbedenken
gegen Ostprojekte argumentiert, darf erstens nicht
vergessen, dass ein Großteil der deutschen CO₂-
Einsparungen der vergangenen 30 Jahre vom
Osten erbracht wurde – er hat sie mit seiner De-
industrialisierung der Nachwendezeit ermöglicht.
Zweitens gibt es im Osten das Gefühl, man
profitiere immer nur dann von Ansiedlungen, wenn
kein großes westdeutsches Interesse an ihnen
besteht. So baute DHL sein Drehkreuz auch des-
halb in Leipzig, weil jede westdeutsche Großstadt
dankend abgelehnt hätte: Wer will schon Flugzeug-
starts und -landungen fast rund um die Uhr für
mittelmäßig bezahlte Arbeitsplätze in der Logistik-
branche ertragen? Die Autowerke in Leipzig, die
Chipfabriken in Dresden entstanden auch deshalb,
weil die östlichen Bundesländer massiv Förder-
mittel ausgaben – und weil das Lohnniveau etwa in
der Autobranche dort viel niedriger ist als im
Westen. Und das alles bei großem Potenzial an
qualifizierten, tüchtigen Ingenieuren.
Was dem Osten bis heute fehlt, sind die hoch-
wertigen Arbeitsplätze in der Entwicklung, im
Management, in der kommerziellen Forschung.
Auch im Jahr 2020 muss ein Thüringer oder ein
Brandenburger, der wirklich Karriere machen will,
irgendwann nach Stuttgart, Hamburg oder Mün-
chen ziehen. Es gibt keine Dax-Zentrale in den
neuen Ländern. Dabei wäre genau dies ein Teil der
Gerechtigkeit, nach der sich viele sehnen: Man will
auch mal die Gegend sein, in der die Entscheidun-

gen getroffen werden, in der das Kapital sitzt, in der
Dinge vorangehen, die es im Westen vielleicht noch
nicht gibt. Tesla ist deshalb ein Symbol.
Auch hier soll zwar wieder nur eine Werks-
halle entstehen, die Unternehmenszentrale ist
Tausende Kilometer entfernt in Amerika. Aber
dass ein US-Großunternehmen überhaupt in
Ostdeutschland investiert und nicht in Baden-
Württemberg oder Bayern; dass ein Land wie
Brandenburg zum Zentrum für eine der wichtigs-
ten Zukunftstechnologien werden kann – daraus
erwächst mehr Kraft und Selbstbewusstsein als
aus tausend freundlichen Reden von Politikern,
die mit viel Anteilnahme auf die armen, nach-
wendegeplagten Bürger zwischen Rostock und
Dresden schauen.
Tesla in Brandenburg, das bedeutet: Jetzt muss
wenigstens auf einem Gebiet wie der Elektromobi-
lität der Westen mal schauen, dass er den Anschluss
nicht verliert. Nur wenn die Westdeutschen das
ertragen, klappt es wirklich mit dem Aufholen der
Ost-Wirtschaft, die ja immer noch bei gut 70
Prozent der West-Leistung pro Kopf festhängt. Nur
wenn nicht jedes erfolgreiche Ost-Projekt immer
gleich von einem großen Konzern mit West-Sitz
gefressen wird, kann auch hier mal ein Dax-Kon-
zern entstehen, irgendwann.
Es wäre viel gewonnen, wenn nicht schon die
zarten Anfänge zerstört würden. Der Berlin-
Boom sorgt nämlich dafür, dass dort, wo früher
nur Spargel wuchs, auf einmal einer der begehr-
testen Äcker der Republik entsteht. Hier trifft
die Anziehungskraft der Weltstadt auf sehr fin-
dige Leute, die gelernt haben, mit Veränderun-
gen umzugehen und ein Land neu aufzubauen.
Diese Leute schaffen es auch, Elektromotoren zu
konstruieren. Man muss sie nur lassen, anstatt
ihnen zu erzählen, dass irgendwer in Bayern ihre
Kiefernplantagen wichtiger findet als sie selbst
und ihre Hoffnungen.

DER WIRTSCHAFTSKOMMENTAR


26 WIRTSCHAFT 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10


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