Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1
»Junge Menschen wissen, dass Entschei­
dungen von heute ihre Zukunft beein­
flussen – sie wollen mitreden, beteiligt sein
und selbst gestalten. Und das ist gut so.
Wenn wir Beteiligung ernst nehmen,
dann müssen wir Jugendlichen früher eine
Stimme bei Wahlen geben. Ich bin dafür,
das Wahlalter für Bundestagswahlen und
Europawahlen auf 16 Jahre zu senken.
Das ist auch ganz wichtig für unsere
Demokratie. Denn sie lebt davon, dass wir
uns einbringen und eben auch wählen.
Ich bin sicher: Junge Leute sind schon mit
16 in der Lage, eine verantwortungsvolle
Wahlentscheidung zu treffen.«

Franziska Giffey vertritt als Ministerin
die Interessen von Kindern und Jugend­
lichen in der Regierung unseres Landes

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10


DIE SEITE FÜR KINDER


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Das haben uns viele von euch geschrieben. Aber wie ist das eigentlich
mit dem Mitbestimmen: Ab wann darf man wählen? Wann müsstet ihr Kinder
eigentlich angehört werden? Und wie könnt ihr euch auf andere Art
in die Politik einmischen? Sieben Fragen und Antworten VON ALENA SPECHT

Ab welchem Alter darf man wählen?
In Deutschland darf man mit 18 Jahren wäh­
len. So steht es im Grundgesetz, dem wichtigs­
ten Regelwerk für das Zusammenleben in unse­
rem Land. Früher stand im Grundgesetz sogar
mal, dass man erst mit 21 Jahren wählen darf.
Das wurde aber vor bald 50 Jahren geändert.
Seitdem gilt die 18­Jahre­Regel – jedenfalls
dann, wenn die Wahlen das ganze Land betref­
fen. Zum Beispiel wenn die Abgeordneten des
Bundestags gewählt werden. Bei Wahlen in ei­
nem Bundesland oder in einer Stadt gibt es aber
Ausnahmen. In Bremen, Hamburg, Branden­
burg und Schleswig­Holstein dürfen schon
16 ­Jährige bei den Landtagswahlen mitmachen.
In den Landtagen werden Entscheidungen ge­
troffen, die nur für das Bundesland gelten. In
insgesamt 11 der 16 Bundesländer hat man mit
16 Jahren eine Stimme, wenn in Städten oder
Gemeinden gewählt wird, zum Beispiel um
mitzubestimmen, wer Bürgermeister werden
und wer Politik für eine Stadt machen soll.

Mal 18, mal 16 – warum
gibt es diesen Unterschied?
Die Bundesländer in Deutschland haben eige­
ne Gesetze, die nur für sie gelten. In denen
legen sie fest, ab welchem Alter die Bürger des
Bundeslandes bei Landtags­ oder bei Kommu­
nalwahlen mitmachen dürfen. Ursprünglich
galt in allen diesen Regelwerken das Alter, das
im Grundgesetz steht – also 18 Jahre. Einige
Bundesländer haben sich aber dazu entschlos­
sen, dass bei ihnen Jugendliche mitbestimmen
dürfen. Sie denken, dass 16­Jährige sich da
genauso gut auskennen und eine Meinung
haben können wie Erwachsene. Dafür haben
diese Länder ihre Gesetze geändert.

Wieso dürfen nicht schon Kinder
mit 8 oder 10 Jahren wählen?
Mit 18 Jahren gilt man in Deutschland als er­
wachsen, man ist volljährig. Dann darf man
allein Auto fahren, einen Vertrag unterschrei­
ben, richtig arbeiten, heiraten – und eben
wählen. Der Gedanke dahinter ist, dass erst
Erwachsene reif genug sind, durchdachte Ent­
scheidungen zu treffen und für ihr Verhalten

geradezustehen. Diejenigen, die Kinder und
Jugendliche nicht mitreden lassen wollen,
sagen: Besonders Politik sei oft kompliziert,
das könntet ihr nicht kapieren. Außerdem sei
es bei einer Wahl wichtig, dass jeder selbst
entscheidet, welcher Person oder Partei er
seine Stimme gibt. Kinder und Jugendliche
ließen sich zu leicht beeinflussen.

Aber ist das nicht Quatsch
und vor allem ziemlich unfair?
Es gibt Erwachsene, die noch mit 50 Jahren
nicht verstanden haben, worum es bei einer
Wahl geht. Und es gibt 14­Jährige, die in der
Schülervertretung mitmischen, jeden Tag die
Nachrichten verfolgen und genau wissen,
welche Partei was ändern möchte. Also ja: Dass
das Wahlrecht allein am Alter hängt, ist nicht
überzeugend. Unfair ist es auch, weil in
Deutschland mehr als 13 Millionen Kinder
und Jugendliche leben. Doch obwohl ihr viele
seid, spielt eure Meinung oft keine große Rolle.
Politiker konzentrieren sich lieber auf die Pro­
bleme und Nöte der Älteren – von denen sie
schließlich auch gewählt werden. Und, dritter
Punkt für euch: Bei Wahlen geht es meist um
die Zukunft. Und in der werdet ihr länger leben
als diejenigen, die heute schon erwachsen sind.

Gibt es denn Ideen, wie Kinder eine
Stimme bekommen oder wählen könnten?
Ja, sogar viele verschiedene. Ein Vorschlag, der
häufig kommt: das Wahlalter überall zu senken


  • auf 16 Jahre, manche sagen sogar auf 14
    Jahre. Immer wieder diskutiert wird auch das
    sogenannte Familienwahlrecht. Bis die Kinder
    18 sind, hätten Eltern pro Kind eine Stimme
    mehr. Mit der sollen sie im Interesse ihrer
    Kinder abstimmen. Und dann gibt es noch die
    Idee, Wählen als Grundrecht zu verstehen. Da­
    mit gäbe es keine Altersgrenze: Wenn man
    geboren wird, hat man eine Stimme. Weil ein
    Baby Politik aber wohl tatsächlich noch nicht
    kapiert, würden Eltern für ihre Kinder wählen,
    bis diese das selbst tun möchten. Dafür müss­
    ten sie sich dann in das Wählerverzeichnis ein­
    tragen lassen. Diesen Vorschlag nennt man
    Kinderwahlrecht.


Klingt doch nach super Vorschlägen.
Dürfen Kinder also bald wählen?
Danach sieht es im Moment nicht aus. Denn
dafür müsste das Grundgesetz geändert werden.
Und das ist eine langwierige und komplizierte
Sache. Leider zählt die Meinung von euch Kin­
dern in Deutschland bisher oft nicht sehr viel.
Jedenfalls fragen Politiker zu wenig bei euch nach,
selbst dann nicht, wenn sie etwas entscheiden,
was euch direkt betrifft – wo ein neuer Spielplatz
entstehen soll oder ob ihr vor der Schule einen
Zebrastreifen braucht. Dabei müssten sie das tun,
denn wie fast alle Länder der Welt hat sich
Deutschland der UN­Kinderrechtskonvention
verpflichtet. Und eins dieser Rechte ist, dass eure
Meinung angehört werden muss. Damit sich das
verbessert, sollen die Rechte von Kindern ins
Grundgesetz aufgenommen werden. Das sagt
zwar auch nichts über das Wahlrecht von Kindern
aus, doch es wäre zumindest ein Zeichen, dass
man euch künftig ernster nimmt.

Wenn schon nicht bei einer Wahl, können
Kinder dann auf andere Weise mitreden?
Ja, das könnt ihr. In vielen Bundesländern gibt es
Kinder­ und Jugendparlamente, in denen man
sich einbringen und seine Meinung sagen kann.
Sie heißen zwar manchmal anders, aber meist ist
die Idee dieselbe: Politiker aus einer Gemeinde
treffen sich regelmäßig mit einer Gruppe von
Kindern und Jugendlichen, sie hören sich ihre
Sorgen, Wünsche und Ideen an. Bestenfalls über­
legen alle gemeinsam, was daraus wird. Und dann
gibt es doch noch eine Wahl, bei der nur eure
Stimmen zählen. Wenn eine neue Regierung für
Europa, für Deutschland oder für die Bundes­
länder gewählt wird, stimmen kurz zuvor auch
Kinder und Jugendliche darüber ab. Das nennt
sich die U18­Wahl. Wie die Erwachsenen könnt
ihr an einem Tag in ein Wahllokal gehen und auf
einem großen Zettel ein Kreuz für die Partei
machen, die ihr gut findet. Das Ergebnis der U18­
Wahl wirkt sich zwar nicht auf die »echte« Wahl
aus, aber die Politiker – und auch alle anderen
Menschen im Land – sehen, welche Themen euch
wichtig sind. Im besten Fall denken sie daran,
wenn sie Entscheidungen treffen, die für alle im
Land gelten.

»Ich finde es toll, wenn sich junge Men­
schen für Politik interessieren. Viele
politische Entscheidungen betreffen
gerade sie. Deshalb habe ich die Teilhabe
von Kindern und Jugendlichen zum
Thema meiner Zeit als Vorsitzender der
Kinderkommission gemacht. Ich per­
sönlich würde mir wünschen, dass auch
für Bundestagswahlen das Wahlalter auf
16 gesenkt wird. Denn damit würden wir
denjenigen eine Stimme geben, die
unsere Zukunft sind.«

Matthias Seestern-Pauly ist gerade der
Chef der Kinderkommission des
Bundestages, in der Abgeordnete aller
Parteien sind. Die Kiko soll die Themen
von Kindern in den Bundestag bringen

Und was sagen die


Großen dazu?


Vier Experten auf eurer Seite


Euer Land der


Zukunft


Im Herbst konntet ihr diese
Seite mit euren Wünschen für
Deutschland vollkritzeln. Danke
für knapp 250 Einsendungen!

»Kinder


sollen wählen


dürfen!«


Judith, 11 Jahre,
Neunburg vorm Wald

Magdalena, 10 Jahre,
Neunburg vorm Wald

Johanna, 11 Jahre,
Berlin

Marlene, 16 Jahre,
Weinheim

Enya, 7 Jahre,
Fridolfing

»Es gibt das Vorurteil, dass Jugendliche
sich überhaupt nicht für Politik interes­
sieren. Dabei zeigen Kinder und Jugend­
liche ja gerade auf den Fridays­ for­ Future­
Demons tra tio nen, dass sie der Politik
etwas zu sagen haben. Jugendliche treffen
heute schon wichtige Entscheidungen für
ihr eigenes Leben: Mit 14 bekennen sich
viele zu einer Religion. Manche beginnen
mit 15 eine Ausbildung, andere studieren
mit 17. Das alles traut man ihnen zu. Nur
das Wahlrecht enthält man ihnen vor. Wir
beim Kinderschutzbund finden das falsch
und setzen uns dafür ein, dass Jugendliche
schon mit 14 Jahren wählen dürfen. Dann
müsste auch die Politik mehr auf ihre
Interessen achten.«

Heinz Hilgers ist der Präsident des
Deutschen Kinderschutzbundes, der sich
für die Rechte von Kindern einsetzt

»Wir Forscher wissen, dass Kinder besser
mit sich und anderen zurechtkommen,
wenn sie Dinge mitentscheiden können.
Sie sind selbstbewusster, mögen sich und
ihr Leben lieber. Sie interessieren sich
auch mehr für Dinge, die um sie herum
passieren. Klar, sie können sie ja mitbe­
stimmen. In der Politik geht es immer
darum, wie wir das Leben in diesem Land
gestalten, damit es für alle gut ist. Und
alle, dazu gehören selbstverständlich auch
die Kinder. Was spricht also dagegen, dass
Kinder da mitentscheiden?«

Holger Ziegler ist Professor für Erzie­
hungswissenschaft an der Uni Bielefeld.
Dort forscht er unter anderem daran, was
Illustration: Maren Amini; kl. Fotos: privat; Abb.: DZKinder für ein gutes Leben brauchen.
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