Die Zeit - 27.02.2020

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 FEUILLETON 51


Zu wenig Körperkontakt


Warum werden Männer zu rechten Gewalttätern? Diese Frage beschäftigt Klaus Theweleit schon seit vierzig Jahren.
Nun ist sein Bestseller »Männerphantasien« neu aufgelegt worden. Ein Besuch bei dem Schriftsteller und Kulturwissenschaftler VON ANTONIA BAUM

Z


unächst ein paar stabile Porträt­
sätze, die in einer echten Klaus­
Theweleit­Homestory, die dieser
Text einfach nicht werden wird,
unbedingt enthalten sein müssen:
In einer ruhigen Straße in Freiburg
liegt ein Familienhaus in der Son­
ne, in der Einfahrt steht ein Ford Focus. Der Schrift­
steller und Kulturtheoretiker Klaus Theweleit öffnet
lächelnd die Tür und trägt eines seiner für ihn typi­
schen gemusterten Hemden. Mit einer Thermos­
kanne (Kräutertee) bewaffnet, bittet er, ihm in sein
Arbeitszimmer zu folgen. Gemeinsam steigt man
eine steile Holztreppe hinauf, die in Theweleits
Reich unters Dach führt. Man könnte jetzt noch ein
paar solcher Sätze abfeuern, die die zahllosen Bü­
cher, Platten und Zeitungsstapel thematisieren und
damit die Analogie Dachboden/Elfenbeinturm/
68er bemühen – Sätze, die noch lächerlicher wirken,
sobald es darum geht, worum es eigentlich geht
(kleinen Moment noch). Die Frage, die sich daraus
ergibt, ist, ob es überhaupt eine gute Idee ist, Klaus
Theweleit als ganz normalen Menschen besuchbar
machen zu wollen. Oder ob man es lassen soll.
Aber ich will ihn natürlich treffen, denn der 1942
geborene Klaus Theweleit hat mit seinem Buch Män-
nerphantasien eine Art Kulturgeschichte männlicher
Gewalt vorgelegt und damit, so die vielfach eingenom­
mene Rezeptionshaltung, vor über vierzig Jahren das
Buch der Stunde geschrieben. Deswegen sitzen wir
heute hier, und über dieses Treffen zu schreiben ist
tatsächlich der absolute Horror, wofür allerdings Klaus
Theweleit nichts kann. Denn während der etwa vier­
stündigen Begegnung wird viel passieren, ohne dass
tatsächlich etwas passiert. Wir werden dasitzen, reden,
uns kaum bewegen und ansonsten Luft sein, wobei
die Schwierigkeit, daraus einen sinnvollen Text herzu­
stellen, dadurch gesteigert wird, dass das Gesprächs­
grundlagen­Werk Männerphantasien 1278 Seiten
umfasst, die im Grunde nicht zu bändigen sind. Ähn­
liches hat in den späten Siebzigerjahren auch ein
Germanistikprofessor über den Verfasser des ur­
sprünglich als literaturwissenschaftliche Dis ser ta tion
vorgelegten zweibändigen Werkes gesagt (»ungezü­
gelte Intelligenz«) und ihm mit dieser Begründung
eine Anstellung am germanistischen Institut in Frei­
burg verweigert. Befasst man sich mit Theweleits
Texten, muss man davon ausgehen, dass ihm das
Dozieren sowieso eher widerstrebt, und tatsächlich
spricht er zunächst leise und vorsichtig, möglicher­
weise weil er merkt, dass sein Gegenüber ein bisschen
zu viel Respekt vor ihm hat, was ich natürlich ebenfalls
merke, und so haben wir am Anfang ein bisschen eine
Pattsituation.
Deswegen erst mal zu Männerphantasien: Thewe­
leit untersucht darin die schriftlichen Erzeugnisse von
Freikorpssoldaten aus den 1920er­Jahren (Romane,
Briefe, Erinnerungen) und legt mithilfe eines litera­
turwissenschaftlichen und der Kinderpsychoanalyse
entlehnten Instrumentariums ihre faschistischen
Gewaltfantasien offen. Bei der Lektüre kann einen
Theweleits assoziative Schreibweise leicht nervös
machen, gleichzeitig ist es aber genau dieses als litera­
risch zu bezeichnende Verfahren, das Erkenntnis
ermöglicht. Theweleit fiel die »durch und durch angst­
besetzte Wahrnehmung des ›anderen Geschlechts‹«
der Freikorpsmänner auf, die Frauen nur denken
konnten als Huren, Mütter oder »weiße Kranken­
schwestern«, wobei die »reinen«, entsexualisierten
Frauen als Beschützerinnen Deutschlands wider die
rote Flut (Kommunismus) imaginiert wurden, wäh­
rend die »Spartakistenweiber« umgelegt und kaputt
geschlagen werden sollten. Aber warum eigentlich?
Hier kommt die Kinder­Psychoanalyse ins Spiel:
Würde man einen Menschen als Baby und Kleinkind
anbrüllen oder gar schlagen und würden dessen
Bedürfnisse nicht adäquat beantwortet, etwa indem
man es schreien lässt und ihm zu wenig Körperkontakt
gibt (also exakt das, was auch die Top­Nazi­Pädagogin
Johanna Haarer den deutschen Müttern empfahl,
deren Tipps noch lange nach 45 befolgt wurden),
dann ziehe es sich nach innen zurück und baue keine
Beziehungen auf. Theweleit beschreibt das mit der
Figur des Nicht­zu­Ende­Geboren­Seins, die für das
Buch zentral ist. Ob er die, zwischen zwei Schlückchen
Kräutertee, vielleicht mal ganz kurz erklären könne,
bitte? »Statt Beziehung wird ein Panzer ausgebildet,
um realitätstüchtig zu werden und das angsterfüllte,
instabile Innere im Zaum zu halten. Dadurch kann
die Ich­Struktur nicht entstehen, also dass ich weiß,
wo ich anfange und wo ich aufhöre. Deswegen findet
der soldatische Mann Drill und Hierarchien so wich­
tig. Weil sie ihm Körpergrenzen verpassen. Er muss
wissen, wo oben und unten ist, und wenn sich da was
ändert, fühlt er sich bedroht, und im schlimmsten Fall
fordert er, dass das, wovon er sich bedroht fühlt, ent­
fernt wird. Und aus diesem Grund sage ich, Faschis­
mus ist primär keine Ideologie, sondern ein Körper­
zustand. Die Ideologie ist Schwachsinn und als solcher
auch leicht identifizierbar. Die ist nur draufgeklebt.«
Theweleit als Homestory bleibt ein Problem. Aber
über dem Türrahmen hängt ein Foto, auf dem der
Blick aus einem Fenster zu sehen ist, vor dem ver­
schiedene Freiburger Häuser stehen, und genau dieses
Foto ist auch auf der Rückseite der Erstausgabe abge­
bildet. Es zeigt Theweleits Blick beim Schreiben von
Männerphantasien. Jene Erstausgabe stand bei uns zu
Hause im Regal, meine Mutter hatte sie 1977 als
Studentin gekauft. Das Buch zog mit uns von einem
westdeutschen Familienhaushalt zum nächsten, als
Studentin nahm ich es irgendwann mit, las darin, und
was ich las, war anders als die in Deutschland übliche


Weise, über Faschismus zu sprechen; was ich las, kann­
te ich aus einem Teil der Familie, und darüber sprach
dieser Teil garantiert nicht: Nicht über die Brutalität
und Gnadenlosigkeit insbesondere der Männer gegen­
über ihren eigenen Körpern auch in der zweiten Nach­
kriegsgeneration. Nicht über das »Was dich nicht
umbringt, macht dich nur noch härter«, die Auffor­
derung, mit dem »Geflenne« aufzuhören, die Be­
geisterung für einen Körper, der wie ein Instrument
einsetzbar ist, und natürlich die Verachtung für alles,
was typischerweise als weiblich und schwach gilt.
Dieser soldatische Flavour war die ganze Zeit da, und,
so vermute ich, nicht nur in meiner Familie. Aber
mittlerweile sind ganz andere Bedingungen und Er­
eignisse eben überhaupt nicht mehr zu übersehen,
und der kleine Berliner Verlag Matthes & Seitz
erkannte on time, dass es eine gute Idee sei, Männer-
phantasien (um ein Nachwort des Autors erweitert)
neu aufzulegen. Das Buch sei »so aktuell wie nie«, steht
auf der Neuausgabe, was insofern stimmt, als sich
gerade etwa alle drei Monate ein Mann entschließt,
andere Menschen aus rassistischen, anti semi ti schen
Motiven zu ermorden. Zum Zeitpunkt des Terror­
anschlags in Hanau war dieser Text lange fertig, es hat
also praktische Gründe, dass hier das anti semi ti sche
Attentat in Halle im Vordergrund steht, bei dem ein
Mann loszog, um gezielt Juden umzubringen. Dabei
bezog er sich auf die Verschwörungstheorie, eine »jü­
dische Finanzelite« habe sich den Feminismus aus­
gedacht, um Frauen am Kinderkriegen zu hindern,
was wiederum »Massenimmigration« zur Folge habe.
Jener Tätertypus, so Theweleit, setze die Landes­
grenzen mit Körpergrenzen gleich. Aus genau diesem
Grund tobe im Zentrum aller männlich­terroristi­
schen Attentate der jüngsten Vergangenheit eine

mörderische Antiweiblichkeit: Frauen weigern sich,
Kinder zu bekommen, oder haben zu schwache Her­
zen, um Migranten abzulehnen. Vielleicht ist es das,
was Theweleit meint, wenn er sagt, die Ideologie sei
bloß draufgeklebt: »Es ist beliebig, wen der üblichen
Verdächtigen sie verantwortlich machen für den
Niedergang der Gesellschaft.«

I


m Kopf des Halle­Täters waren es die
Juden, womit vieles, was Theweleit vor
einer ganzen Weile zusammendachte, in
einem Attentat vereint ist: Antisemitismus,
Rassismus, Misogynie. Es fehlt eigentlich
nur der für die Freikorpsmänner zentrale
Antikommunismus, also am ehesten das,
was heute mit der diffusen Beschreibung »links«
gemeint ist (»linksgrün versifft«, »politisch korrekt«
etc.). Aber da die rechtsextremistischen Terroratten­
täter sich bei ihren Taten regelmäßig gegenseitig
zitieren, war eigentlich auch die Angst vor »den
Roten« in Halle mit dabei (der Halle­Attentäter
bezieht sich auf den Christchurch­Attentäter, der
sich auf den Utøya­Attentäter bezieht, der glaubte,
der »Kulturmarxismus« sei der Untergang Norwe­
gens, weswegen er dann möglichst viele So zial demo­
kra ten ermorden wollte). Die Überlegenheit weißer
Männer über den Rest der Welt sei das Kernstück
der Killerbewegung rechtsradikaler Männer aus der
westlichen Welt, schreibt Theweleit in der Neuauf­
lage von Männerphantasien. Das Internet überneh­
me eine zentrale Funktion: Es helfe dem Einzelnen
aus der Isolation und sei ein Körperersatz für die
imaginierte Truppe Gleichgesinnter. »Da sitzen die
plötzlich nicht mehr allein in ihrem Apartmentloch.
Weite Teile von Breiviks Manifest haben Millionen

gelesen. Das Gleiche gilt für den neuseeländischen
Attentäter oder den aus Halle. Alle, die das sehen
wollten, konnten das sehen, und das ist für so einen
Typen der eigentliche Erfolg seiner Tat. Zu jedem
Killing, das irgendeiner auf der Welt macht, sagt
irgendein Vereinzelter, vor seinem Rechner sitzend,
hinterher: Was der macht, ist ein Teil von mir.«
Frage: Wären die Attentäter keine geworden, wäre
man ihnen als kleinen Kindern bin dungs orien tier ter
begegnet? Theweleit: »Ich glaube, ganz weg wäre
dieser Killertypus nicht, aber seltener.«
Man kann diese Aussage leicht als entpolitisieren­
des Wischiwaschi­Psychologisieren lächerlich machen.
Naturgemäß stellen ernst zu nehmende Intellektu elle,
die mit dem Verständnis der Gegenwart befasst und
einigermaßen bei Trost sind, diesen Umgang nicht
ins Zentrum ihrer Überlegungen, und naturgemäß
liegt das daran, dass alles, was den häuslichen Bereich
betrifft, nicht als die Kernkompetenz sogenannter
Intellektueller, insbesondere männlicher, gilt. Das ist
kein fancy Sujet. Als Theweleit im Alter von 30 Jahren
Vater wurde, hatte seine Frau Monika Kubale kurz
davor als Psychologin in der Kinder­ und Jugendpsy­
chiatrie der Uni­Klinik Freiburg angefangen. Die
Stelle aufzugeben kam nicht infrage. Er blieb bei dem
Kind (und seiner Doktorarbeit), während sie arbei tete.
Er selbst beschreibt diese Kon stel la tion, die noch
heute unwahrscheinlich ist, als grundlegend für die
Entstehung von Männerphantasien. Außerdem zentral
sei die Frage nach dem Wesen der eigenen Männlich­
keit: »Was und wie viel vom körperlich terroristischen
Vater steckte im eigenen Leib? Wie viel davon war
man losgeworden? Und mit wessen Hilfe? So sind das
Verhältnis zur eigenen Frau wie zu anderen Frauen
des eigenen Lebens, wie zur ›Weiblichkeit‹ überhaupt

und zu allen anderen Menschen, mit denen ›man‹ es
zu tun hatte, in das Schreiben des Buches eingegan­
gen«, schreibt Theweleit. Dieses Zitat umreißt wei­
tere Denkentscheidungen, die für Männerphantasien
konstitutiv sind: etwa die Frage nach der Gewalt in
einem selbst, die man auch zuspitzen kann auf die
Frage nach dem Faschisten in einem selbst. Folge­
richtig schwebt über Männerphantasien kein allmäch­
tiger Autor, nein, Theweleit steht mittendrin, lässt
sich beim Schreiben zusehen. Es gibt keinen Gott,
sondern ein Ich, ein beteiligtes, beschädigtes, das
durch die Gewalt des Vaters in jungen Jahren ebenfalls
zu Gewalt neigte und diese Gewalt zum Forschungs­
anlass nimmt. Es ist aus seinen Verstrickungen nicht
allein herausgekommen, ihm wurde geholfen, ein
Prozess, auf den Theweleit besonders im Nachwort
eingeht. Er betont immer wieder, dass es sich dabei
um eine Gemeinschaftsproduktion gehandelt habe,
an der vor allem seine Frau beteiligt gewesen sei und
außerdem diverse »Gruppen«. »Gruppe« sagt Thewe­
leit, während wir Tee trinken, wirklich oft: »Dokto­
randengruppe«, »Freundesgruppe«, »Improvisations­
gruppe«, »Wichtig war die Gruppe« oder »Ich gehe
zur Volleyballgruppe«.

T


heweleits Glaube an die heilende
Kraft der Gruppe bewegt sich also
nicht nur auf zwischenmenschli­
cher Ebene, er schlägt sich auch in
seinem Verständnis von Autor­
schaft nieder. Man könnte das
eine zutiefst anti hierarchische
Haltung nennen und so auch den Sprachduktus von
Männerphantasien verstehen, das einen freien Sound
hat, der nicht klingt, wie akademisch eta blier te Spra­
che für gewöhnlich klingen will. Die Sprachskepsis
war eine Skepsis gegenüber Autoritäten, es ging um
den Abbau von Hierarchien, um die Befreiung vom
Bestreben, sich als Teil eines universitären Milieus zu
markieren, indem man sich hinter beeindrucken­
den, mächtigen Worten versteckt.
Bei einer Podiumsdiskussion, an der Theweleit
kürzlich teilnahm, betonte die Moderatorin fort­
während, wie geehrt sie sich fühle, mit Klaus Thewe­
leit sprechen zu dürfen, und bei Twitter muss man
nur ein Interview mit Theweleit teilen, schon hat man
50 neue Follower. Woher kommt diese Verehrung
eines, ja, alten, weißen Mannes, die insofern einen
komischen Aspekt hat, als Theweleit genau dagegen
anschrieb: gegen zu viel Ehrfurcht? Was sagt er dazu,
dass er nun so viel zum Dozieren angehalten wird?
»Na ja, wenn mir eine Frage gestellt wird, sage ich
bestimmt nicht, du hast ja gar nichts kapiert. Wenn
zum Beispiel einer Noten lesen kann und ich nicht,
dann gibt es eine Differenz, das ist unvermeidlich.
Aber daraus muss nicht notwendigerweise eine Hie­
rarchie entstehen. Balancen herstellen ist die Kunst.«
Neben wenig kritischen und einer sehr kritischen
Rezension der Neuauflage von Männerphantasien, in
der die Rezensentin Birte Förster den wahllos wirken­
den Schreibstil und vor allem das Festschreiben von
Frauen in der Opferrolle moniert (streitbar, denn
Männerphantasien ist ein Buch über Männer und ihre
Fantasien), kam es bei den jüngsten Theweleit­Fest­
spielen meist zu Theweleit­Begegnungen, die in Inter­
viewform protokolliert wurden. Dabei fällt auf, dass
es oft um die rassistischen, faschistischen und miso­
gynen Denkweisen der anderen, man könnte auch
sagen: Fremden geht. Nazis, Rechtsextreme, Männer
soldatischer Prägung, wie Theweleit sagen würde, sind
die AfD, durchgeknallte Attentäter und Anhänger
lächerlich absurder Ideologien. Im Unterschied zu
diesem verbreiteten Blick auf Täter war es einer der
innovativen Ansätze von Theweleit, eben nicht nur
den so mittelanstrengenden Versuch zu unternehmen,
Faschismus als nicht besonders clevere Ideologie zu
entlarven. Sondern zu fragen, was daran attraktiv sei.
Zentral war die Frage, was all das mit einem selbst zu
tun habe, woraus sich weitere Fragen ergaben: Ist es
vielleicht eine Art »Psychohygiene« mit speziellem
Twist, »die Nazis« (die Neue Rechte, gewaltbereite
Rechte) als das andere zu imaginieren, durch das etwas
abgespalten wird, das aus dem »deutschen Volks­
körper« ausgeschlossen werden soll? Was hat das zu
tun mit der geliebten Geschichte vom Vergangen­
heitsaufarbeitungsweltmeister Deutschland, die man
sich so stolz erzählt? Warum schreiben nach einem
anti semi ti schen Attentat eigentlich immer nur Juden
und Jüdinnen darüber, wie es ist, in Deutschland zu
leben, warum denken nicht deutsche Nichtjuden
darüber nach, mit welchen anti semi ti schen Vorurtei­
len sie so rumlaufen und was das überhaupt ist, Anti­
semi tis mus. Oder Rassismus oder Misogynie.
So denken meistens nur die anderen, die Primiti­
ven halt, denen natürlich nicht entgeht, dass man sie
für Primitive hält. Das allein ist kein Grund für anti­
semi ti sches oder rassistisches Denken, aber es ist ein
Mechanismus, auf den der rassistische Paranoia
produzierende Populismus der AfD setzt, die ihre Fans
gerne in ihr durch systematisches Gekeife gestähltes
Truppenkorps aufnimmt, das die bedrohten Grenzen
nach außen zu verteidigen verspricht. Insofern hat
Theweleit eigentlich nicht vor 40 Jahren das Buch der
Stunde geschrieben, es ist seit 40 Jahren das Buch der
Stunde, und das Gespräch, zu dem es alle, die
gesprächsbereit sind einlädt, wäre, wenn es geführt
würde, ohne Ordnung und uferlos. Am Ende klettern
wir die Treppe hinab, Theweleit sagt freundlich, nein,
er sei hier wirklich noch nie runtergefallen, Small Talk
kriegen wir aus irgendwelchen Gründen also auch
überhaupt nicht hin. Wir verabschieden uns, höflich
und vorsichtig, noch immer.

Der Autor Klaus Theweleit, 78, in seinem Arbeitszimmer in Freiburg

Foto: Patrick Junker/laif
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