Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Reporters verkraften müssen – für ihn unerklärlich, war
Jörg Andrees »Andy« Elten 1976 von einer Indien-Repor-
tage über Bhagwan voll glühender Bewunderung zurück-
gekommen und hatte sich kurz darauf von seinem Job
und von Hamburg verabschiedet, um künftig im Aschram
des Meisters im indischen Poona zu leben. Nannen woll-
te eine zweite Meinung und schickte deshalb mich und
den indischen Fotografen Jay Ullal, der schon Andy mit
Bhagwan bekannt gemacht hatte, nach Poona.
Ich fand den Aschram im Koregaon Park am Rande der
Großstadt beeindruckend, aber befremdlich. Tausende
meist junger, gut ausgebildeter und reicher Sinnsuchender
hatten sich versammelt. Sie lernten Meditationstechniken,
tanzten gemeinsam und lauschten morgens und abends
den Vorträgen des Gurus, der sich den Zusatznamen Raj-
neesh, »Gesegneter«, gegeben hatte. Der ausgebildete Phi-
losophiedozent zelebrierte seine Auftritte wie ein Popstar,
mit enormem Charisma: wallender Weißbart, Strickmüt-
ze, langer Kaftan, hypnotische Augen, leise Stimme und
große Gesten. Er machte sich über die eta blier ten Reli-
gionen lustig, zitierte Platon und Nietzsche, Siddhartha,
den Begründer des Buddhismus, und den bengalischen
Schriftsteller Tagore – gern mal garniert mit Sprüchen des
US-Komikers Bob Hope. Er predigte die bedingungslose
Freiheit des Individuums, verspottete überkommene Mo-
ralvorstellungen und pries Sex, jederzeit und mit jedem,
als Weg zur Erkenntnis. Seine Vorträge waren teils bril-
lant, teils amüsant, teils auch nur auf dem Niveau von
Kalender- und Glückskeks-Sprüchen.
Aber vor allem eines hatte Bhagwan, der Menschenfänger,
begriffen: Er musste seinen Jüngern das Gefühl geben,
einem Kreis von Auserwählten anzugehören. Er nannte sie


Sann ya sin, das bedeutet »die der Welt Entsagenden«. Der
Guru forderte alle auf, als gemeinsames Erkennungsmerk-
mal rote Kleidung zu tragen und eine Kette mit seinem
eingeschweißten Bild um den Hals, die Mala. Wie Shee-
la erhielten alle Frauen und Männer von ihm in einer Art
Initiationsritus neue Namen. Aus Andy Elten war Swami
Satyananda geworden, »Wahre Seligkeit«. Mein ehemaliger
Kollege sagte zu mir, er sei glücklich. Er genoss den Sex,
die Befreiung von bürgerlichen Zwängen ebenso wie die
innovativen Meditationstechniken. Er fühle sich »ganz ent-
spannt im Hier und Jetzt«. Aus dieser Formulierung wurde
innerhalb der Kommune ein geflügeltes Wort – und später
der Titel von Andys Buch, das 1979 erschien, ein Best-
seller. Es war eine Zeit, in der das Mystische und Esoteri-
sche viele faszinierte, die aufbrachen, um nach alternativen
Lebensformen zu suchen. In Deutschland fand man Bhag-
wan intellektuell anregend und ungewöhnlich, auch wenn
die Medien eher kritisch über ihn berichteten.
Der Aschram war jedoch alles andere als eine Gemeinschaft
der Gleichberechtigten. Er wurde autoritär geführt, und
die Mehrheit hatte sich zu unterwerfen. Die Macht hatte,
wer Zugang zu Bhagwan fand. Die Sann ya sin beobach-
teten daher ganz genau, wer dem Meister wie nahe kam,
wer zu seinen Füßen sitzen, ihn berühren durfte. Mein
Ex-Kollege war auf dem steilen Weg nach oben, denn bei
Andys Ankunft in Poona hatte Bhagwan vor Zeugen be-
sondere Zuneigung gezeigt und gesagt: »Endlich bist du
hier, auf dich habe ich mein Leben lang gewartet!« Das
verschaffte Pres tige, Andy-Satyananda wurde so etwas wie
ein inoffizieller Pressesprecher der Kommune.
Aber noch näher am Chef waren erkennbar zwei Frauen.
Die unnahbare – und unscheinbare – Laxmi, seine Chef-

Sheela mit Bhagwan im indischen Poona,
Ende der Siebzigerjahre. Bhagwan hatte dort 1974
ein Meditationszentrum gegründet

Bhagwan-Jünger, Sann ya sin genannt, suchten
ihr Glück in Meditation und Tanz.
Das Foto entstand in den Siebzigerjahren in Poona

Fotos

dpa / Picture-Alliance, Jay Ullal

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