Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1
sekretärin. Und die quirlige, hübsche und höchst kom-
munikative Sheela, ihre Vertreterin. Auf die Nähe zu
Bhagwan angesprochen, die ihr ihre Macht verlieh, nimmt
sie bei unserem Gespräch im Wintergarten vorweg: »Sex
hat nichts damit zu tun, obwohl ich zugeben muss, dass
ich Sex nicht verweigert hätte, hätte er mich gefragt. Jeder
Blick, jede Berührung zwischen uns war jenseits von Kör-
perlichkeit, aber total erfüllt von Leidenschaft.«
Sheela erzählt von ihrer Kindheit, ihrer Jugend. Auf-
gewachsen ist sie in der westindischen Stadt Baroda, ge-
meinsam mit fünf Geschwistern. Ihr Vater, ein Lehrer, war
liberal und voller fester Überzeugungen: Er kämpfte an
der Seite Mahatma Gandhis für die indische Unabhängig-
keit und wurde von den Briten für Monate ins Gefäng-
nis geworfen. Später erhielt er vom indischen Staat einen
hohen Verdienstorden. Sheela war 16, als ihr Vater sie
zum ersten Mal zu einem damals noch unbekannten Phi-
losophiedozenten namens Bhagwan mitnahm. Dieser war
18 Jahre älter als sie, und sie war auf Anhieb fasziniert.
Aber nach dem Abitur studierte sie dann erst mal Kunst an
einem amerikanischen Col lege in New Jersey. Sie verliebte
sich in einen jungen Medizinstudenten, Marc Silverman,
der Lymphdrüsenkrebs hatte. Trotzdem heiratete sie ihn.
Bei einem Heimaturlaub hatte Sheela Silverman Gelegen-
heit, Bhagwan bei einer seiner öffentlichen Reden wie-
derzusehen. Die Begegnung traf sie »wie ein Blitz« und
krempelte alles um, was sie sich vorgenommen hatte. Sie
sagte die schon verabredete Ausbildung bei dem bekann-
ten amerikanischen Maler Ed Harding ab und wollte nur
noch bei ihrem Meister sein. Als Bhagwan 1974 in Poona
seine Kommune gründete, zog sie dorthin und holte auch
ihren kranken Mann nach. »Ich zögerte bei dieser Ent-
scheidung keine Sekunde.«
Sheela bekam den Sann ya si- Zu satz namen Ma Anand, sie
war jetzt »die Freudige, die Charakterstarke«. Dem Guru,
der an organisatorischen Dingen wenig Interesse hatte,
fiel bald auf, dass Sheela, damals 25 Jahre alt, ein außer-
gewöhnliches Organisationstalent und Durchsetzungs-
vermögen besaß. Es sei ihr nicht so sehr um die Idee der
Kommune gegangen, sagt sie, auch nicht um die Philoso-
phie Bhagwans: »Erleuchtung war nicht mein Ziel.« Ging
es ihr um Macht? »Nein, nein«, sagt sie heute. »Ich wollte
immer nur in seiner Nähe sein, das war meine Motivation,
mein Lebensinhalt.«
Für Sheela, die aus der kleinen indischen Elite kam, war
Bhagwan jedenfalls eine gewaltige Chance. Sie übernahm
immer mehr die tägliche Leitung der Kommune. Und sie
sah sich mit den zunehmenden materiellen Ansprüchen
des Chefs konfrontiert – Bhagwan liebte Luxus, brauchte
Luxus. Teure Autos, Uhren, Gold.
Kost und Logis in Poona waren für Aschram-Mitglieder
frei. Finanziert wurde die Kommune von wohlhabenden
Sann ya sin aus westlichen Ländern. Der Guru erwartete,
dass sie große Teile ihres Vermögens beim Eintritt in den
Aschram »spendeten«. »Er zeigte immer ein großes persön-

liches Interesse an Menschen mit einem hohen ökonomi-
schen Po ten zial«, sagt Sheela. »Er war sein eigener bester
Verkäufer.« Wer finanziell nichts mehr zu bieten hatte,
musste mit dem Rauswurf aus dem Paradies rechnen. In
Sheelas Worten: »Er hatte keine Skrupel, eine Kuh, die
keine Milch mehr gab, ins Schlachthaus zu schicken.«
Für mich als Außenstehenden waren solche Machenschaf-
ten bei meinem Besuch in Poona damals schwer zu durch-
schauen. Aber sie empören mich auch im Nachhinein nur
begrenzt. Schließlich war jeder freiwillig dort. Keiner hatte
die Zivilisationsmüden und Erfolgsverwöhnten zum Leben
im Aschram gezwungen. Auch nicht zu den seltsamen
Ego-Zertrümmerungs-Seminaren, bei denen die Teilneh-
mer nicht nur mit ein an der lachten und weinten, sondern
auch in aller Brutalität auf ein an der einschlugen. Was mir
sehr unangenehm aufstieß, war die eingeforderte intellek-
tuelle Unterwerfung, die kritiklose Hingabe. Provokation
war Bhagwans Programm. Niemand schien sich an seinen
geschmacklosen Witzen über Minderheiten, seiner Hetze
gegen Homosexuelle (»eine Per ver sion«), seinen Ansich-
ten über das unwerte Leben Schwerbehinderter zu stoßen


  • ganz im Gegenteil, Guru-Getreue quittierten alles mit
    Beifall und Lachsalven.
    Der Aschram von Poona mit seinem lockeren Lebens-
    stil wurde Ende der Siebzigerjahre zunehmend auch zum
    Anziehungspunkt für Prominente. Die Schauspielerin
    Barbara Rütting oder die Kinderbuch-Autorin Elfie Don-
    nelly (Benjamin Blümchen) schlossen sich, vorübergehend
    und mehr oder weniger intensiv, der Bewegung an; die
    Mil liar den erben Helmut von Finck und Dieter von Sie-
    mens zeigten sich vom Guru beeindruckt und öffneten
    ihre Geldbörsen. Und der Kulturwissenschaftler Peter
    Sloterdijk sprach von der »Ost erwei te rung der Vernunft«
    durch Bhagwan, er sieht sich bis heute durch ihn »befreit
    von dem psychosozialen Tiefdruckgebiet, das über mei-
    nem Leben und dem meiner Generation gehangen hatte«.
    Nicht so gut lief es für Bhagwan im Umgang mit den in-
    dischen Behörden, die ihm mit so schnöden Dingen wie
    Steuernachforderungen zu schaffen machten. Der Guru
    spielte mit dem Gedanken, Indien zu verlassen und einen
    neuen Aschram im Ausland aufzubauen. Das war Sheelas
    Stunde. Die alte Chefsekretärin Laxmi war zu unflexibel
    und zu wenig weltgewandt für diese Aufgabe. 1981 setzte
    Bhagwan sie ab und machte nun auch offiziell seine Ver-
    traute zur Top-Managerin. Amerika sollte das neue Ziel
    sein – Sheela, deren krebskranker Mann gerade gestorben
    war, machte sich auf, ein Grundstück zu finden und zu
    kaufen. Ein neues Abenteuer begann, über das US-Medien
    später schreiben sollten, es habe das ganze Land erschüttert.


Ich traf Sheela 1983 wieder, als ich Amerika-Korrespon-
dent des sterns geworden war. 1981 hatte sie in den Weiten
Oregons Grund gekauft, 260 Quadratkilometer, größer
als die Nordseeinseln Sylt, Föhr und Amrum zusammen.
Fotos dpa / Picture-Alliance, Jay Ullal Big Muddy Ranch hieß das Gebiet, auf dem einst John


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