Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Wayne einen Western drehte, auf dem aber nicht einmal
eine Hütte stand. Die nächste Ansiedlung, ein 50-Seelen-
Dorf namens An te lope, war mehr als 30 Kilometer ent-
fernt. Sheela hatte den Kaufpreis auf sechs Millionen
Dollar heruntergehandelt. Sie war davon überzeugt, einen
großen Treffer gelandet zu haben: hügeliges Grasland mit
Wacholderbüschen, ein See, mehrere Bäche – jungfräuli-
ches, fast biblisch anmutendes Land. Alles bereit für eine
neue Schöpfungsgeschichte.
Die Sann ya sin tauften ihre Kommune zu Ehren Bhagwans
Raj neesh pu ram, was so viel heißt wie »Raj neesh voran«,
und leisteten in den ersten beiden Jahren Erstaunliches.
Sie karrten Fertighäuser heran, teerten Wege, pflügten
das Land um. Jenseits der »Nirvana Road« stampften die
Jünger einen Damm aus dem schlammigen Boden. Eine
architektonisch geschmackvolle Meditationshalle und
Speisesäle waren ebenso vorhanden wie eine Disco, eine
Kläranlage, ein Feuerwehrwagen, eine Polizeistation und
ein Postamt mit der Postleitzahl 97741.
Auf einem ausgebauten Rollfeld standen vier Kleinflug-
zeuge der Kommune-eigenen Raj neesh Air, gelbe Busse
verbanden die Teile der Musterstadt. Wer gerade nicht
Sex hatte (Safer Sex übrigens, Bhagwan hatte aus Angst
vor Aids Kondome verordnet), vergnügte sich abends bei
einem eigens für Raj neesh pu ram erfundenen Würfelspiel,
einem Sann ya sin- Mono po ly. »Heute schon einen Baum für
Bhagwan gepflanzt? Rücke vor auf Los!«
Bhagwan erschien allgegenwärtig, alle trugen seine Mala
mit dem Medaillon am Herzen, große Fotos von ihm zier-
ten die Wände der Gebäude. Aber in persona zeigte sich
der Mystiker nicht mehr – keine öffentlichen Vorträge, kei-
ne gemeinsamen Meditationen mehr. Einmal am Tag, bei
einem sogenannten Drive- by, ließ er sich in einem seiner
Rolls- Royce an den Sann ya sin vorbeichauffieren, die tan-
zend die Straße säumten. Bhagwan, der hinter den getönten
Scheiben wie eine Wachsfigur wirkte, hatte sich ein mehr-
jähriges Schweigen verordnet. Die eigentliche Chefin war
eindeutig Sheela, inzwischen zur Präsidentin der Raj neesh
Foun da tion International aufgestiegen.
Damals, 1983, sah Raj neesh pu ram auf den ersten Blick aus
wie eine gelungene Utopie. Alles schien allen zu gehören,
Neid galt offiziell als abgeschafft, jeder sollte gleichberech-
tigt leben. Doch so war es nicht: Es gab die Arbeits bienen,
die Tag und Nacht für die Gemeinschaft schufteten, und es
gab die Privilegierten in den Amtsstuben, die Regierenden,
sie waren alle Frauen. Und es gab eine Königin: Sheela.
Die Einzige, die Zugang zu Bhagwan hatte, allabendlich
traf sie ihn zur privaten Lage besprechung, eine Ausnahme
von seinem Schweigegelübde. Mein Ex-Kollege Andy hat-
te in Oregon seine privilegierte Stellung verloren, er war
vom Pressesprecher zum Müllfahrer degradiert worden. Er
gab sich immer noch »happy«, Teil dieser Gemeinschaft
zu sein. Erst nach mehreren Nachfragen grummelte er:
»Sheela konnte mich noch nie leiden.« Das klang nach
verlorenem Machtkampf.


Wie sieht sie selbst heute die ersten Jahre von Oregon?
»Ich war sehr stolz auf die Kommune und auch auf mich –
ein unerfahrenes Mädchen aus einer indischen Kleinstadt
hatte ein Wunder geschaffen.« Im Kern sei es ihr aber nur
um Bhagwan gegangen, ihre Hingabe sei damals absolut
gewesen. »Wir hatten ihm eine wunderbare Bleibe mit ei-
nem großen Swimmingpool eingerichtet, Aufenthaltsräu-
me zum Entspannen, ein bestens ausgerüstetes Zimmer für
medizinische Behandlungen. Das Wichtigste in meinem
Leben war, ihn nicht zu enttäuschen.«
Es gab allerdings erhebliche Spannungen, geradezu einen
Kulturkampf zwischen der Kommune und den alteinge-
sessenen Nachbarn. Während die Sann ya sin sich selbst als
Avant garde sahen, betrachteten sie die Oregoner pauschal
als Spießer und zurückgebliebene Leute vom Land. Im Dorf
An te lope sahen die Einheimischen dagegen mit den immer
zahlreicher nach Raj neesh pu ram strömenden Fremden in
ihren roten Roben und ihrer offen gezeigten sexuellen Frei-
zügigkeit den »Untergang der Zi vi li sa tion« heraufziehen,
wie es die Bürgermeisterin formulierte. »Die müssen wieder
gehen, die gehören nicht hierher, das Fremde bedroht uns!«,
sagte sie damals zu einem Reporter.
Die Einheimischen verlangten, die Fremden müssten dafür
bestraft werden, das Raj neesh pu ram- Ge län de nicht land-
wirtschaftlich zu nutzen, es sei schließlich als Farm, nicht
als Stadt zum Verkauf ausgeschrieben gewesen. Einige
Radikale forderten auf Plakaten, in dieser Saison »nicht
Hirsche zu jagen, sondern diese roten Ratten«. Im Ge-
genzug bauten die Sann ya sin eine eigene »Peace Corps«
genannte Bürgerwehr auf, die überall patrouillierte, und sie
brachten Scharfschützen mit heimlich gekauften Schuss-
waffen in Stellung. Außerdem kandidierten sie erfolgreich
für den Gemeinderat, übernahmen das Dorf An te lope.
Sheela, inzwischen in zweiter Ehe mit einem amerikani-
schen Sann ya si verheiratet, wurde nun auch in der Öffent-
lichkeit zum Gesicht der Kommune. Aggressiv schleuderte
sie den Moderatoren großer US-Fernsehsender, von denen
sie sich schlecht behandelt fühlte, ein »Fuck you!« ent-
gegen, sprach von »bigotten Schweinen da draußen« und
drohte bei Pressekonferenzen: »Wenn die Amerikaner auch
nur wagen sollten, einen von meinen Leuten anzugreifen,
wird das fünfzehn von ihnen den Kopf kosten!« Auf die
Bemerkung eines TV-Moderators, die Oregoner wollten
die Sann ya sin doch offensichtlich nicht als Nachbarn ha-
ben, antwortete sie mit einem feministisch-ordinären Aus-
spruch, der bald zu einem geflügelten Wort wurde: »Tough
titties!«, was man grob übersetzen kann mit: »Das geht mir
am Arsch vorbei!« Die Zuschauer waren abgestoßen und
fasziniert zugleich, so etwas kannte man in den USA nicht:
eine junge Frau, die den arroganten Moderatoren provozie-
rend derb Paroli bot. »Ist Ihr Anführer nicht der Free-Sex-
Guru?« – »Wenn Sie meinen, dass man bei uns kein Geld
für Sex bezahlen muss, liegen Sie richtig.«
Die Konfrontation verlor bald alles Spielerische, sie ende-
te in einem regelrechten Bürgerkrieg. In einem Bhagwan

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