Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

gehörenden Hotel in Portland ging eine Bombe hoch. Ein
Brandanschlag auf ein amerikanisches Gemeindezentrum
in der Nachbarschaft folgte. Sheela sagt darüber heute: »Es
gab Hinweise, dass amerikanische Behörden eine Stürmung
des Kommune-Geländes erwogen. Wir waren bedroht und
mussten uns wehren.« Um ihre Macht auszubauen, ver-
suchte Sheela den ganzen Bezirk zu übernehmen, Wasco
County, 6200 Quadratkilometer, 25.000 Einwohner. Wie
immer »alles in Absprache« mit dem Guru.
Dafür brauchte sie mehr Wählerstimmen. Mit angemiete-
ten Bussen sammelten die Sann ya sin in mehreren Bundes-
staaten Hunderte Obdachlose und Drogensüchtige ein
und karrten sie unter Versprechungen ins »Gelobte Land«.
Sheela wollte sich ein Gesetz zunutze machen, das jedem
US-Bürger nach 20-tägigem Aufenthalt an einem Ort dort
das Wahlrecht einräumt. Doch die amerikanischen Behör-
den änderten das Gesetz in letzter Minute. Und viele der
»Gäste« konnten sich in die Gemeinde der hart arbeiten-
den Sanften nicht einfügen, sie zettelten mit den Jüngern
Schlägereien an. Schließlich wurden fast alle der Kurz zeit-
Sann ya sin in Busse gepfercht und bei Nacht und Nebel
irgendwo außerhalb Raj neesh pu rams ausgesetzt.
Sheela sagt, sie habe sich bald nicht mehr nur von außen,
sondern auch aus dem Aschram selbst bedroht gefühlt.
Bhagwan hatte durch Sheelas Publicity-Auftritte neue,
sehr reiche Anhänger in der amerikanischen Filmindustrie
gefunden. Die Filmemacherin Hasya- Fran çoise Ruddy
beispielsweise, die geschiedene Frau des Oscar-Preisträgers
und Pate-Produzenten Albert Ruddy, die wie einige an-
dere kalifornische Neuzugänge Hunderttausende Dollar
für den Bhagwan spendete. Im Gegenzug bekam die von
Sheela so genannte »Hollywood-Mafia« privilegierten Zu-
gang zum Guru. Bhagwans Leibarzt Swami Devaraj, des-
sen Aktivitäten Sheela stets misstrauisch beobachtet hatte,
heiratete Hasya schließlich. Ein neues, konkurrierendes
Machtzentrum entstand.
»Ich tat damals alles, um meinen Guru zu schützen«, sagt
Sheela. »Das aber wurde immer schwieriger.« Mit Bhag-
wans Gesundheit ging es nach ihren Beobachtungen rapi-
de bergab. Er nahm täglich stundenlang Lachgas, pumpte
sich mit Valium und starken Schmerzmitteln voll. Seine
immer schon vorhandene Schwäche für Luxus sei zur Ob-
session geworden, die abendliche Dis kus sion mit ihm sei
immer schwieriger und absurder geworden. Er hatte zu
diesem Zeitpunkt in Raj neesh pu ram mehr als 90 Rolls-
Royce zur Verfügung, ein Weltrekord, der ihm, wie er
Sheela zufolge selbstgefällig registrierte, einen Eintrag im
Guinness Buch der Rekorde einbrachte; in der britischen
Zentrale des Autowerks wurden drei Sann ya sin eigens
für deren Instandhaltung geschult. Bhagwan besaß auch
Dutzende Luxusuhren, manche noch als Spezialausgaben
mit Diamanten besetzt. Und er habe sie, Sheela, gezwun-
gen, seinen Appetit auf immer mehr Pomp zu stillen. Sie
spricht über all das, als sei sie selbst ein Opfer gewesen.
Nur Opfer. Nie Täterin.


Die Aufforderung Bhagwans, sie solle nach Europa rei-
sen und in den zahlreichen Bhagwan-Zweigstellen Gel-
der für neue, teure Spielsachen los eisen, sei dann für sie
zum Wendepunkt geworden. »Da war keine Spiritualität
mehr, nur noch Ausbeutung. Es widerte mich an. Ich
wollte nicht mehr eine Marionette sein, die nach seinem
Willen tanzt.« Sie formulierte hastig einen knappen Ab-
schiedsbrief und steckte die Kopie ein, um sie später
Journalisten zu zeigen. Ohne noch einmal beim Meister
vorbeizuschauen, versammelte sie etwa 20 Getreue um
sich und schnappte sich ein Raj neesh- Flug zeug zur Flucht
Richtung Euro pa. Es war der 13. September 1985. »Mein
persönlicher Unabhängigkeitstag«, sagt sie.

Fünf Tage nach Sheelas Verschwinden flog ich nach Oregon
und führte ein erstaunliches Interview mit Bhagwan. Die
Zusage kam unter der Bedingung, ich dürfte keine Woll-
kleidung tragen, kein Parfum oder Rasierwasser benutzen


  • alles angeblich sehr schädlich für den Allergiker. Als ich
    ankam, flossen Tränen: Einige sichtlich verwirrte Sann ya sin
    führten mich in die Meditationshalle, wo auf einem Podi-
    um der weiße Thronsessel des Gurus stand. Er kam, grüßte
    die fast vollständig versammelte Gemeinde mit gefalteten
    Händen, nickte mir gnädig zu – ich durfte mich neben ihn
    setzen, allerdings nicht auf ganz gleicher Höhe.
    Bhagwan hatte direkt nach der Flucht seiner Vertrauten
    sein Schweigen gebrochen und sie des »Verrats« beschul-
    digt, dazu des Diebstahls von 55 Millionen US-Dollar aus
    den Kommunekassen. In unserem Gespräch behauptete
    er, Sheela habe Raj neesh pu ram in einen »faschistischen
    Albtraum« verwandelt. In einen Überwachungsstaat.


Frage: Und davon hatten Sie keine Ahnung? (Buhrufe des
uns zu Füßen sitzenden Publikums.)
Antwort: Nein. In den dreieinhalb Jahren meiner freiwilligen
Isolation hatte nur meine Sekretärin Zugang zu mir. Den hat
sie aufs Schlimmste missbraucht. (Frenetischer Beifall.)
Frage: Manche sagen, Sheela habe gar keine Verbrechen
begangen. Alles sei nur ein Machtkampf und Sie benutz-
ten Sheela als Sündenbock für alles, was in der Kommune
schieflief. Da ist nichts dran? (Erneute Buhrufe.)
Antwort: Totaler Unsinn. Sie und ihre Verbrecherbande
haben versucht, Menschen umzubringen. Die Liste ihrer
Untaten ist lang und wird immer länger. Unsere Kom-
mune war eine Art Nazi-Deutschland im Kleinen. Shee-
la muss ihre Verbrechen gestehen, dann stellen wir ihr
einen Anwalt und sorgen dafür, dass sie die psychiatri-
sche Behandlung bekommt, die sie so dringend braucht.
(Beifall, Gelächter.)

Im Schweizer Wintergarten seufzt Sheela. Sie spricht
von einem »Rachefeldzug«. »Ich habe Bhagwans Vision
verstanden und sein unglaubliches Talent, ich habe sei-
ne Macht erlebt. Und dann habe ich seine manipulative
Seite kennengelernt, seine Kleinkariertheit, seinen Hass. Fotos Paul Harris / Getty Images, Matthew Naythons / GAMMA-RAPHO / laif

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