Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
Oliver Creutz bekam
in den Achtzigern
oft Pakete von der
Dresdner Verwandt-
schaft, darin Bücher von Herder
und Platten der Puhdys. Sven Döring,
selbst Dresdner, fotografierte

Heilsversprechen: Die Volksgemein-
schaft wird dich beschützen. Wir sind
als Einzige für dich da.“ Schulze redet
ohne Schärfe in der Stimme; ihm, der
längst in Berlin lebt, ist die sächsi-
sche Färbung geblieben, die selbst
harte Befunde sanft abfedert. Sie
nimmt weiter zu, als wir durch Bla-
sewitz spazieren, Menschen auf der
Straße grüßen, in ein winziges Café
einkehren, in dem Schulze einen Flat
White probiert, einen großen Espres-
so mit Milchdecke. Kannte er bislang
nicht, schmeckt ihm gut.
Er erzählt von den Achtzigern, der
Zeit, da er in der Armee war und an-

schließend Altphilologie studierte.
Er sollte sich – als Zeichen der Dank-
barkeit gegenüber dem Staat –
bereit erklären, Reserveoffizier zu
werden. „Das wollte ich nicht.“ Er
hatte Angst, dass sie ihn von der Uni
schmeißen, „aber ich wusste, dass
meine Existenz dadurch nicht ver-
nichtet worden wäre“. Dann hätte
er tagsüber einen einfachen Job an-
genommen und abends geschrie-
ben. Klar, sagt Schulze, im Politi-
schen habe in der DDR Willkür ge-
herrscht. Aber war sie deswegen ein

Unrechtsstaat? „So würde ich das
rückblickend nicht nennen. Für
mich ist der Begriff mittlerweile
ein Stöckchen, über das zu springen
man gezwungen wird. Die DDR
war kein Rechtsstaat, klar, aber
man darf nicht einfach übersehen,
dass es etwa beim Arbeits- und
beim Familienrecht Dinge gab,
auf die wir uns verlassen konnten.“
Im Begriff Unrechtsstaat stecke
für ihn eine Unterwerfungsgeste.
„Wenn wir die DDR so nennen,
dann hat sich jeder, der nicht
im Widerstand war, an diesem
Unrecht beteiligt.“

Wir gehen zum „Blauen Wunder“,
der einzigen Dresdner Elbbrücke,
die im Krieg nicht gesprengt wurde.
Vorbei an der Gaststätte „Schiller-
garten“, die mit ihrer „bürgerlichen
Küche“ wirbt. Das Wort „bürgerlich“,
auf das viele hier in Blasewitz und
Loschwitz so stolz seien, sei in der
DDR so gar nicht gebraucht worden:
„Wir haben etwas anderes gewollt
und gemacht, aber das nicht bürger-
lich genannt. Bürgerlich hatte bis
1989 auch immer den Beigeschmack
des Spießigen. Es ging um ein Da-

gegenhalten, sei es in der Kunst oder
auch in den Umgangsformen.“
Schulze rechnet auch in „Die recht-
schaffenen Mörder“ nicht mit der
DDR ab. Er zeigt vielmehr, was mit
einem Menschen geschieht, den das
System nicht akzeptiert, dessen Frau
sich in den Dienst der Stasi stellt, der
in seinen Nöten nach der Wende al-
leingelassen wird. Böse wird Paulini
erst im vereinten Deutschland.
Wir fahren mit der sogenannten
Schwebebahn (die aber gar nicht
schwebt, sondern an einer Schiene
hängt) hinauf nach Oberloschwitz.
Schulze erzählt, dass die Familie sei-
nes Vaters schon in den 70er Jahren
abgehauen ist, in den Achtzigern
viele Freunde den Ausreiseantrag
stellten. Wäre das für ihn eine Op-
tion gewesen? „Nein, ich habe daran
geglaubt, dass wir aus der DDR einen
besseren Staat machen können.“
Von oben blicken wir auf die Stadt.
Dort: der dunkle Rathausturm. Da-
neben: die Kuppel der Frauenkirche.
Dahinten: das Stadion von Dynamo.
Schulze kennt noch die Torfolge
beim Europacup-Spiel 1973 gegen
Bayern München. Der Ausgleich
nach der Pause durch Hartmut Scha-
de, die Führung kurz danach durch
Reinhard Häfner. „Aber dann kam
Müller“, 3 : 3, Dynamo schied aus.
Dresden, so heißt es, sei dreimal
zerstört worden: zuerst durch die
Bomben im Februar 1945, nach dem
Krieg durch den übermäßigen Ab-
riss der übrig gebliebenen Gebäude,
schließlich durch die Plattenbauten.
Haben Pegida und die Neurechten
die Stadt gar ein viertes Mal zer-
stört? „Nicht zerstört, aber rampo-
niert“, sagt Schulze. Und blickt wei-
ter auf die Silhouette seiner Stadt.
Ein Dresdner, der schon lange nicht
mehr hier lebt, der aber Dresden
so tief in seinem Herzen trägt, dass
er nicht von ihm lassen kann. Und
der mit „Die rechtschaffenen Mör-
der“, eben weil es nichts verschleiert
und beschönigt, ein klarsichtiges
und wahrhaftiges Buch geschrieben
hat über diese Stadt, in der etwas
kaputtgegangen ist. 2

„Die recht-
schaffenen
Mörder“ von
Ingo Schulze, S.
Fischer, 21 Euro
22222

ramponiert“


5.3.2020 43
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